Monster

Streifzüge 43/2008

2000 Zeichen abwärts

von Lorenz Glatz

Fast jede/r kennt den Spruch des frühmodernen Theoretikers Thomas Hobbes, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Beim altrömischen Komödiendichter Plautus, von dem er seinen Satz hat, heißt es aber: „Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, nicht ein Mensch, wenn man sich nicht kennt“. Für den Neuerer ist es eher umgekehrt. Grade weil man sich kennt, weiß man, dass man dem anderen ans Leder, an die Wäsche willDas Raubtierhafte am Menschen verliert sich nicht mit der Bekanntschaft, es ist das Wesen seines Umgangs.

Das als Natur festzunageln, was das Leben in der Gesellschaft aus den Menschen in der Regel macht, ist freilich eine alte schlechte Gewohnheit der Philosophen. Was Hobbes in der Frühzeit unserer Epoche als die endlich entdeckte „natürliche“ Begründung der Notwendigkeit einer absoluten Monarchie beschrieb, ist in den späten Zeiten demokratischer Selbstbeherrschung der Menschen in einem zunehmend entsicherten Zusammenleben nur virulenter geworden. Je mehr nicht nur aller Bedarf an Sachen, sondern auch jede menschliche Beziehung, jedes Bedürfnis nach Anerkennung, Ansehen und Zuwendung an Geld, Leistung, Arbeit und Konkurrenz gebunden sind, desto mehr nimmt das Leben die Züge der Hobbes’schen „Natur“, seiner fürchterlichen Utopie des Krieges aller gegen alle an.

„In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt“, soll Napoleon gesagt haben. Was idealtypisch festhält, wie manns Bedürfnisse in dieser Gesellschaft geformt werden und Befriedigung suchen. Das Entsetzen, das sich kurzfristig ausbreitet, wenn „Lust“-Verbrechen an Frauen und Kindern – wie in der letzten Zeit in Belgien, Österreich und Frankreich – in den Medien hochgekocht werden, ist durchaus echt. Einerseits dringt so die grundlegende Isolation, Einsamkeit und Schutzlosigkeit der Schwächeren oft selbst im engsten Kreis der Familie für einen Augenblick ins Bewusstsein, andererseits die peinsame, ungern thematisierte Erkenntnis des Geheimrats Goethe: „Ich kann mir kein Verbrechen vorstellen, das nicht auch ich hätte begehen können“. Beides wird im Skandal externalisiert und wieder verdrängt – und mit dem Schrei nach mehr „Sicherheit“ dem Leviathan Staat überantwortet, der dafür sorgen soll, dass wir in jeder Hinsicht mehr vom Gleichen bekommen.

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