Mobilisierungstechniken Handy und Auto
Streifzüge 42/2008
von Beatrix Beneder
Innerhalb weniger Jahre etablierte sich das Handy zum selbstverständlichen, kaum mehr wegzudenkenden Gegenstand des Alltags. Viele Menschen, nicht nur schmalschenkelige Hotelerbinnen, weichen kaum mehr von der Seite dieses Laut gebenden Begleiters (weil: läuten tun ja nur noch die wenigsten Handys). Auch das Auto ist – Benzinpreis hin oder her – für viele Menschen eine mobilmachende Selbstverständlichkeit. Beide Gegenstände verbindet mehr, als man angesichts Größe, Antriebsweise und Nutzungsart annehmen möchte. Zunächst die nahezu libidinösen Bindungen zu diesen Objekten. Jede LeserIn kennt wohl aus dem eigenen Bekanntenkreis mehr oder weniger stark ausgeprägte Fälle dieser Form der „Autoerotik“, wie sie sich in Namensgebung, Pflege und geldmäßiger Opferbereitschaft gegenüber dem Fahrzeug ausdrückt. Auch beim Mobiltelefon schlägt sich die intime Beziehung in der Wortwahl nieder: “ Ich fühle mich nackt ohne Handy“, „Ich kann ohne Handy nicht leben“, „Wir haben eine lebenslange Beziehung“, „Ich liebe es“, lauteten etwa die Aussagen meiner Interviewpartnerinnen (die ich für meine bislang unveröffentlichte Dissertation erhoben habe). Als ideale Studienorte, um diese innige Bindung zu beobachten, empfehle ich Pausenräume auf Seminaren oder Transitzonen auf Flughäfen. Angesichts mehrstündigen Handy-Entzugs schmiegen sich die BesitzerInnen ganz besonders innig an ihre Apparate.
Weiters verbindet Auto und Handy, dass sie zwar theoretisch, aber praktisch nur selten geteilt werden. Beide stellen individuelle Mobilisierungstechniken dar, Massen-Motorisierung und Massen-Mobilkommunikation. Während das Auto – zumindest von der Idee her – ein Mehrpersonenfahrzeug ist, stellt das Handy einen zutiefst persönlichen Apparat dar. Darin liegt auch der größte Vorteil gegenüber dem an ein Kabel fest- und damit ortsgebundenen Vorgänger, eben in der Ungebundenheit. Man ruft kein Büro, kein Zuhause mehr an, sondern einen einzelnen Menschen. Interimistische Versuche, Handys zwischen Kindern oder mit der Mutter oder zwischen Partnern zu teilen, scheitern über kurz oder lang. Auch das Telefon an einen Ort oder eine Funktion zu binden (das „Wochenendhaus-Handy“, das „Wander-Handy“) hat sich nicht bewährt. Das Handy, oder genauer der Mensch, der an ihm hängt, geht ins Netz. Ein Gutteil der raschen Verbreitung des Mobiltelefons zu Beginn dieses Jahrtausends liegt an der Netzwerk-Logik dieses Mediums. So wie das E-Mail wird dieses Medium um so attraktiver, je mehr Menschen es nutzen, und je mehr Menschen es nutzen, desto notwendiger wird es, ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
Beide Objekte, das Auto wie das Handy, prägten bzw. prägen als Leittechnologie eine bestimmte Ära der kapitalistischen Produktion, den Fordismus und – begrifflich weitaus unschärfer – den Postfordismus. Die Regulationstheoretiker, die diese Termini prägten, beziehen zweiteren zwar allgemein auf die Kommunikations- und Informationstechnologien, doch ist es das Handy, das durch die Konvergenz der Dienste (Tele- und Videofonie, Rundfunk, Television und Internet) auf dem Weg ist, zum multifunktionellen und weitest verbreiteten Kleinstcomputer zu werden. Der Bezeichnungslogik folgend würde sich für „Postfordismus“ „Gatesismus“ empfehlen, allerdings sind solche Benennungen technologisch verkürzt, weil sie die für die Regulationstheorie konstitutiven Querverbindungen zu Staat und Lebensweise nicht ausdrücken. Ohne auf die Bibliotheken füllende Rezeption dieser Theorie eingehen zu können, sehe ich den Reiz dieses Ansatzes gerade in der Verknüpfung ökonomisch- technologischer Produktionsweisen mit Formen staatlicher Regulation und deren Rückbindung an die individuelle Lebensweise. (Daher soll das Mobiltelefon weiter unten entlang dieser drei Ebenen analysiert werden, um es als postfordistisches Werkzeug der Alltagsbewältigung vorzustellen. )
Techniksoziologisch betrachtet, greifen Auto und Mobiltelefon ineinander und verstärken einander. Wer viel unterwegs ist, will (oder muss) für andere erreichbar sein, in Kontakt bleiben. Zugleich reduziert die „telematisch vermittelte Nähe“ (Vilém Flusser), die das Telefon ermöglicht, die Isoliertheit der räumlichen Distanz. Bereits der Philosoph der Beschleunigung, Paul Virilio, thematisierte die Dynamiken zwischen räumlicher und kommunikativer Mobilität. So seien alle großen Verkehrsinnovationen von informationstechnischen Erfindungen begleitet gewesen (Eisenbahn – Telegraph; Flugverkehr – Funktechnologie; Raumfahrts- und Satellitentechnologie). Das Mobiltelefon erweitert diese Möglichkeiten und macht zunehmend Transportwege auch zu Informations- und Arbeitswegen. So nutzen viele Menschen insbesondere das Autofahren für Telefongespräche. Sprach- und Bewegungsfluss gehen harmonisch ineinander über. Und selbst wenn der Verkehr stockt, ein Griff zum Handy verkürzt die Zeit. Nicht nur in dieser Situation fordert das Mobiltelefon regelrecht zu Parallelhandlungen auf, es wird „nebenbei“ gegangen, Baby gesittet, gefahren, geraucht, geputzt, gekocht, gegessen u. v. m.
Indem das Mobiltelefon räumliche Mobilität mit kommunikativer verbindet, fordert es jene „Distanzlosigkeit“ heraus, die jedem/r vertraut ist, der/die öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Das Mobiltelefon ist diesbezüglich faszinierend ambivalent, ist gleichermaßen Ent- und Begrenzungsmedium. Es entgrenzt zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen öffentlichem und privatem Raum. Gleichzeitig zieht es neue unsichtbare Grenzen zwischen Menschen, die mitunter dicht aneinander gedrängt aneinander vorbeitreiben wie „kommunikative Inseln“ (Joachim Höflich) im öffentlichen Raum.
Zusätzlich hinterlässt das Mobiltelefon ständig Datenspuren. Wie sich Handynutzer im öffentlichen Raum bewegen, welche Gebiete eine intensive und welche eher eine niedrige Handydichte aufweisen, dokumentieren Bewegungsprotokolle. Diese Informationen stellen die Grundlage, um „neue“ Stadtpläne zu entwerfen: Über LBS (Location Based Systems) bieten Mobilfunkunternehmen ortsspezifische Mehrwertinformationen (wo ist die nächste Tankstelle? ) an, mobile Werbung wird darauf basierend entwickelt, ja es lassen sich damit sogar „Freunde finden“: Um den „Friend Finder“ zu nutzen, legt man zuvor ein persönliches Partner-Profil an, damit einer/m dann per SMS mitgeteilt werden kann, wenn die passende Person vorbeigeht.
Das Handy – ein postfordistisches Arbeitswerkzeug
Drei Faktoren halte ich für ausschlaggebend für die Relevanz des Handys im Postfordismus: die Zunahme individueller räumlicher Mobilität, erhöhte Flexibilitätsanforderungen sowie der steigende Anteil an so genannter informatisierter Arbeit. Signifikant für den Postfordimus, gegenüber dem Fordismus als hierarchisch organisiertem Industriemodell, ist die Bedeutung von Wissen (und Information) bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, was von den Arbeitenden ein erhöhtes Ausmaß an Selbststeuerungskapazität und innovativer Flexibilität verlangt. Flexibilisierung erfolgt dabei auf folgenden Ebenen:
* Zunächst auf der Ebene der Produktion, über Managementansätze z. B. der „flexiblen Spezialisierung“ und des Outsourcing.
Nahezu simultane Informationsübermittlung ist eine Voraussetzung für die Durchführung globaler Finanztransaktionen ebenso wie für die operative Organisation international agierender Unternehmen. Produktions-, Administrations- und Distributionseinheiten sind auf mehrere globale Standorte verteilt, die über die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) verbunden sind. Der Blackberry (ein Handy, das sich speziell für das Abrufen und Verfassen von E-Mails eignet ) verknüpft jene globalisierte Informationselite, die stets auf der Suche nach lukrativen Firmenfusionen unterwegs ist, um klischeegerecht jederzeit Anrufe entgegennehmen und tätigen zu können. Kaufen – oder nicht kaufen? (Aktien, natürlich). Über alle Zeitzonen hinweg ermöglichen die IKT internationalen Teams die Zusammenarbeit, auch wenn man schon mal bis 2: 00 wach bleiben muss, um mit der KollegIn in Übersee zu telefonieren.
Um Lagerplatz sparende Prinzipien wie „Production on demand“ und „Just in Time“-Zustellungen realisieren zu können, kommt der Transportlogistik eine zentrale Rolle zu. Das Handy – in Kombination mit Ortungsdiensten wie GPS – steigert die Effizienz der Routenplanung (z. B. Stauumfahrungen per Knopfdruck) und bringt damit Schwerverkehr selbst in entlegenste Gebiete, zugleich erhöht es die Möglichkeit zur Leistungskontrolle der FahrerInnen.
* Weiters wird auf der Ebene der Arbeitsorganisation flexibilisiert, in Bezug auf Arbeitsformen (Leih- und Projektarbeit, neue Selbstständige) und -zeiten (Teilzeit u. a. ).
Man arbeitet zielvorgabenorientiert und teamgesteuert. Das Arbeitssubjekt steht im Mittelpunkt dieser selbstgesteuerten Arbeitsorganisation, Kontrollfunktionen übernimmt bisweilen der Gruppendruck zu „Teamfähigkeit“ selbst. Die Forderung nach Selbständigkeit und Flexibilität spiegeln Stelleninserate mit schillernden Begriffen: Eigeninitiative, selbstorganisiertes, selbständiges und eigenverantwortliches Arbeiten, Lösungskompetenz etc. Das Mobiltelefon begünstigt Parallelhandlungen (Multitasking), um durch die Mehrfachbelegung der Zeit die eigene (Arbeits-)Effizienz zu steigern.
Eine neue, digitale „Bohème“ bevölkert die Kaffee- und Gasthäuser. Sales- und andere Consultants und viele aus den Creative Industries. Sie belagern öffentliche Plätze (kein Platz mit WLAN-Funkanbindung ist mehr vor ihnen sicher), via Laptop und Mobiltelefon lässt sich fast überall arbeiten. Mit Beschwerden ist hin und wieder zu rechnen: „Das hier ist nicht Ihr Büro! „, O-Ton eines entnervten Mitreisenden im Zugabteil.
Die prekäre Variante des mobilen Arbeiters ist der „Promoter“, ein Mensch, der nahezu alles bewirbt, vom Internet-Anschluss bis zur Greenpeace-Mitgliedschaft, besonders zahlreich auf Messen, Events und Einkaufsstraßen anzutreffen. Um diese Arbeitseinsätze je nach „Kaufandrang“ mobil zu koordinieren, ist ein Handy nahezu unerlässlich. Deshalb bekommt man bei diesen schlecht bezahlten McJobs bereits nach einigen Einsätzen eines „gratis“.
Die Zunahme atypischer Beschäftigungsformen und zusammengestoppelter Berufsbiographien erhöht die Notwendigkeit, eigene berufliche Netzwerke zu knüpfen. Dies fördern nicht nur Internet-Plattformen wie XING, sondern indirekt auch das Handy: nichts einfacher, als sich während einer Wartepause wieder einmal bei ExkollegInnen zu melden, oder zumindest zu Silvester ein SMS zu schicken – Hauptsache man ist als Kontakt gespeichert und bleibt in Kontakt. Klüngeln durch Klingeln sozusagen.
Weiters fungiert das Mobiltelefon als Instrument des Selbstmanagements. Diverse Organizer- und Erinnerungs-Funktionen am Handy unterstützen das individuelle Zeitmanagement. Aber es kommt auch als „Taschen-Therapeut“ zum Einsatz. Alle der zwanzig von mir befragten Personen meinten, sowohl in emotional belasteten als auch in erfreulichen Situationen den Kontakt zu nahestehenden Menschen zu suchen. Es tut ganz einfach gut, darüber zu reden. Am Handy, wie sonst?
* Schließlich geschieht Flexibilisierung auch auf der Ebene der Reproduktion, verstanden als die Gestaltung privater Lebenszusammenhänge (hier reduziert auf das heterosexuelle Modell mit Kindern dargestellt).
Der Wechsel vom Fordismus hin zum Postfordismus begleitet, idealtypisch gesprochen, die Ablöse des männlichen Alleinverdienermodells durch das DoppelverdienerInnentum. Das Handy leistet in der Organisation der Kinderbetreuung nicht nur einen erheblichen Beitrag, sondern wird zur „elektronischen Nabelschnur“, mit widersprüchlichen Auswirkungen: Dank dem Handy wird Kindern früher mehr Selbständigkeit und Mobilität eingeräumt, weil man ja im Notfall immer erreichbar ist. Für den Mobilfunkforscher James E. Katz untergräbt dies die elterliche Autorität, weil Vereinbarungen immer weniger verbindlich würden, und es schwäche das Selbstbewusstsein der Kinder, weil sie, statt Probleme selbst zu lösen, die Eltern anrufen würden.
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Alle diese Beispiele zeigen, wie das Mobiltelefon auf den genannten Ebenen die Beweglichkeit der Lebens- und Arbeitsverhältnisse reflektiert und gleichzeitig vorantreibt. Die Anstrengung und Dichte der Arbeit steigt immens, die Zeitersparnis ist bestenfalls „gefühlt“. Denn zur „Mobilitätsspirale“ kommt eine Kommunikationsspirale: Die Automotorisierung ermöglicht zwar, immer weitere Strecken immer schneller zurückzulegen, weil aber die Distanzen immer länger werden, bleibt der Zeitaufwand derselbe. In gleicher Weise wird, je mehr Kommunikationskanäle es gibt (E-Mail, Chat, Face2Face-Gespräche, Fest- und Mobiltelefon, Skype), die vom Individuum fordern, die eigene Erreichbarkeit effizient zu organisieren, der Zeitaufwand für das persönliche Kommunikations-Management desto größer.