Zar und Lipizzaner

Im Gegensatz zum Gipfel von Samara verlief der Staatsbesuch des russischen Präsidenten in Österreich in auffälliger Freundseligkeit

von Franz Schandl

Da kommt der Zar ins Land und seine Bewohner sind ganz aus dem Häuschen. Wladimir und seine Oligarchen bringen den ersehnten Geldregen, und der lässt die Herzen höher schlagen, versetzt ein Volk in heillose Bewunderung. Einem staunenden Publikum wird die Hitparade der reichen Russen präsentiert. Aufgestiegen als Günstlinge Jelzins konnten sie sich unter dessen Nachfolger aussuchen, ob sie mit diesem marschieren wollten oder widrigenfalls das Exil oder Sibirien vorzögen. Denn ob so ein Oligarch per internationalem Haftbefehl gesucht wird, hängt auch davon ab, ob der Inlandsgeheimdienst entsprechende Dokumente vorlegt. Er wird diese nicht einmal frisieren geschweige fälschen müssen. Die meisten Magnaten entschieden sich für Putin. Mehr als Geld verdienen ist für sie nicht drinnen, das allerdings dürfen sie nach Lust und Laune, solange sie den Gesamtpaten und Gewaltmonopolisten wirtschaftlich stützen.

Wladimir Putin ist in seinem eigenen Haus ja alles andere als unbeliebt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den turbulenten Jahren unter Jelzin brachte er Ruhe und Aufschwung. Die Stärke des Regimes basiert auf dem Kompromiss zwischen politischer Selbstermächtigung und ökonomischer Usurpation. Wilder Markt und starker Staat haben ein Zweckbündnis geschlossen, das von der Gesellschaft mehr als toleriert wird. Die Angst vor dem drohenden Abstieg in die dritte Liga hat in Russland einiges an nationaler Energie provoziert. Was wären auch die unmittelbaren Alternativen gewesen? Am ehesten die direkte Herrschaft der Mafia und einiger Warlords, wie sie sich Ende der Neunzigerjahre schon abzeichnete.

Der Präsident der Russischen Föderation wird geradezu geschätzt für seine harte Hand, die auch als helfende empfunden wird. Es herrscht ein Führerkult, selbst wenn es dem Staatschef an Charisma mangelt. Putin kann im wahrsten Sinne des Wortes als Reformer gelten, denn er brachte das sowjetische Restreich wieder in Form, denn er machte es via Energiereserven wieder zu einem internationalen Player. Zu Beginn seiner ersten Amtsperiode stand das Land vor dem Kollaps und drohte von seinen Rändern her zu implodieren. Inzwischen ist Russland zu einem effizienten Staat geworden. Freilich um den Preis, dass der autoritäre Übergriff und nötigenfalls auch der staatliche Terror als obligate Methoden gelten.

Der Staatsbesuch in Wien war neben dem üblichen Rahmenprogramm in erster Linie ein Stelldichein der österreichischen Wirtschaft mit den neuen Milliardären aus dem Osten. Wahrlich, da lechzten sich welche zu. „Das russische Eis ist bereits gebrochen. Denn die reichen Herren aus dem ehemaligen Zarenreich investieren in Österreich wie nie zuvor“, weiß das Boulevardmagazin News zu berichten. Zuletzt kauften sie sich beim Straßenbaukonzern Strabag und beim Autozulieferer Magna ein. Seinem Gegenüber, dem österreichischen Magna-Boss Siegfried Wolf, gilt der Magnat Oleg Deripsaka als „grader Michel“. Die Oligarchen sind in der Alpenrepublik gut verankert, vor allem Wien ist eine Drehscheibe ihrer vielseitigen Begabungen und Tätigkeiten. Einiges an Schlössern und Palais, Villen und Golfplätzen haben sie bereits en passant angehäuft. In noblen Fremdenverkehrsorten lernt man bereitwillig Russisch, um die zahlungskräftigen Gäste auch entsprechend bedienen zu können. „Es gibt Russen und Russen“, sagt der Volksmund.

Die Visite verlief nach gegenseitigem Wunsch in weitgehend gemütlicher Atmosphäre. Auch das mit den Menschenrechten erledigte man in gewohnter Manier. Wahrscheinlich hat man Putin schon vorher gesagt, dass man ihm sagen wird, was gesagt sein muss, damit die öffentliche Meinung befriedigt ist. Er soll es sich halt anhören, nicht zornig sein und darf auch ruhig sagen, dass der Westen vor seiner eigenen Tür kehren soll. So sagte man es sich rein, aber doch nicht so wirklich. Wenn Putin die Militarisierung der internationalen Beziehungen durch den Westen beklagt, dann hat er nicht weniger Recht, als wenn ihm umgekehrt diktatorische Vorgangsweisen angelastet werden. Kritik und Antikritik wirkten auf jeden Fall wie verabredet.

Auf geharnischte Attacken reagiert Putin allenfalls allergisch. So konnte man früher mit Gorbatschow, dem Generalsekretär des Zerfalls, umspringen, vielleicht auch noch mit Boris Jelzin, den man nie für voll genommen. Beim heutigen russischen Präsidenten laufen diese Angriffe jedoch ins Leere bzw. zeitigen entsprechende Retourkutschen. Anstatt von Freiheit redet jener lieber von Macht, und in gewisser Weise ist das auch ehrlicher. Was im Westen am meisten stört, ist, dass da einer in Russland regiert, der nicht unterwürfig ist. Natürlich betreibt Putin die Spaltung Europas. Was sollte er sonst betreiben? Auch Bush betreibt das. Und die Union selbst auch.

Das etwas abseitige Österreich gefällt sich dabei wie so oft in seiner Sonderrolle nicht schlecht. Werden die Töne zwischen Moskau und der EU rauer, so tangiert das in Wien kaum. Betätigen sich Merkel, Barroso und Co. als Scharfmacher, so die Österreicher als Weichspüler. Anders als die deutsche Kanzlerin in Samara hat es in Wien keinen Affront gegeben. Weswegen auch? Man entsprach der Etikette, erfüllte seine Empörungspflicht, legte jedoch keine Tretminen aus. Bereitwillig sang man das Demokratie-Gstanzl, aber damit hatte es sich dann. Mehr als die russische Demokratie interessieren investierende Oligarchen und funktionierende Gaspipelines. Was wichtig ist, das sind die Geschäfte. Der Rubel soll rollen. Nicht nur in Österreich. Russland ist der am schnellsten wachsende Exportmarkt für die Alpenrepublik. „Der Staatsbesuch Putins soll die Gewinn bringende Achse Österreich-Russland verstärken“, heißt es in einer Meldung, die in jeder Wiener Zeitung hätte stehen können. So streut man sich gegenseitig Rosen und Komplimente. Gelegentlich steigerte sich die schlawi(e)nerische Freundseligkeit bis zum Erbrechen. Doch Putin ist kein Depp, das einzige, was er küsste, war ein Lipizzaner.

Aus: „Freitag“, 1. Juni 2007

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