Streifzüge 41/2007
2000 Zeichen abwärts
von Franz Schandl
„Noch leise ruft er: , Liebe Eltern, ich habe euch doch immer geliebt‘, und ließ sich hinabfallen. In diesem Augenblick ging über die Brücke ein geradezu unendlicher Verkehr.“ – So endet Franz Kafkas Erzählung „Das Urteil“ (1916).
Was sagt uns dieser letzte Satz? Dass die Welt nicht einmal einen Moment innehält, als Georg Bendemann sich stürzen lässt? Dass sein Fall nur ein Fall wie jeder andere ist? Dass Leben ein Fallen ist? Unser Held zu den Gefallenen gehört? – Das alles auch. Aber nicht nur das, sondern mehr noch. Es ist der Geschäftstrieb, von dem diese Erzählung handelt, und von dem Scheitern an ihm, gar nicht in erster Linie ökonomisch – die Geschäfte haben sich „ganz unerwartet entwickelt“ -, sondern vor allem menschlich. Der Verkehr ist so eine Metapher für den Geschäftsverkehr, ja weiter noch die gesellschaftliche Verkehrsform, für die Unablässigkeit des objektiven Getriebes und der subjektiven Triebigkeit. Letztlich haben sie auch das Verhältnis der Bendemanns zerstört, der Vater verurteilt den Sohn „zum Tode des Ertrinkens! „. Georg vermag am Ende seines jungen Lebens nur noch zu resignieren, obwohl ihn das Größte erfüllt hat, was einen Menschen erfüllen kann, die Liebe. Doch was ist die Liebe gegen das Geschäft und seinen Verkehr?
Die Schlichtheit unseres Satzes steht nur in scheinbarem Widerspruch zum Gewicht der Aussage. Kafka verdichtet die ganze Erzählung. Kafka, so scheint es, ist einmal mehr vorgedrungen in ein Land, das noch niemand betreten hat, obwohl wir alle dort sind. Alles verliert sich an ein Un. Dieses Un freilich ist alleine nichts, aber woran es sich knüpft, das gehört ihm. Was bleibt, ist dieses Unaufhaltbare wie Unaushaltbare, gemeinhin auch Unsagbare, zuletzt Unlebbare, das eben da im Unendlichen des Verkehrs untergeht. Der Tod des Einzelnen unterbricht nichts. Man wird eine Leiche aus dem Fluss bergen und sagen: Er hat es nicht ausgehalten. Und auch in diesem Moment wird ein unendlicher Verkehr über die Brücke gehen.