Streifzüge 39/2007
KOLUMNE Unumgänglich
von Franz Schandl
Dass der Westen alles darf, ist völlig unhinterfragt. Diskutiert wird bloß, ob er es soll. Militärisches Eingreifen (mit und ohne UNO-Beschlüssen) geht in Ordnung, ist allgemeines Credo, es fragt sich nur, ob es im Augenblick opportun ist. Dass diese Arroganz in den Metropolen gar nicht einmal mehr auffällt, spricht Bände. Alleine die Selbstverständlichkeit, mit welcher der Okzident aufgrund menschenrechtlicher und ökonomischer Überlegenheit handelt, d. h. schikaniert, interveniert, bombardiert, zeigt an, wie anmaßend dessen Politik ist. Das Irre, das etwa bei Ahmadinejad sofort ins Auge sticht, fällt bei den hiesigen Exponenten erst gar nicht auf. Wenn Chirac über eine Atombombe Richtung Teheran nachdenkt – kein Problem.
Der Fundamentalismus des weißen Mannes und seiner demokratischen Werte geht so. Und er reicht bis weit hinein in die Linke: „Kritik am Kapitalismus ist gut und schön, aber wenn’s darauf ankommt, weiß man doch, was man an ihm hat“, verkündete Günther Jacob nach den Anschlägen des 11. September (Konkret 11/2001). Und da es jetzt darauf ankommt, erleben wir eine Welle nach der anderen, wo die Kämpfer von einst sich in die westliche Phalanx einreihen. „In der Stunde der Gefahr lassen wir das Abendland nicht im Stich“, so könnte ein leicht abgewandeltes sozialdemokratisches Motto aus dem Jahre 1914 lauten. Wer nicht folgt, ist sowieso ein Schurke.
Nach Saddam Hussein und Osama Bin Laden ist nun Ahmadinejad als nationalsozialistischer Wiedergänger entlarvt. Den Sachverhalt etwas komplexer zu denken wird als Verharmlosung und Appeasement, als Antiamerikanismus und Antisemitismus diffamiert. Da schnappen die Bezüge ein und die Tickets werden ausgestellt. Nicht reale Handlungen und Gefährdungen werden besprochen, sondern wildeste Szenarios, die freilich oft nichts anderes sind als halluzinierte Analogien abseits aller realen Kräfteverhältnisse und Entwicklungen. Der Konjunktiv ist hoch im Kurs, sodass er mühelos jeden Indikativ ausschaltet. Was ist schon die Wirklichkeit gegen die Projektion? Es könnte sein, dass – und daher!
Das Problem Ahmadinejads ist nicht, dass dieser aus einer konventionellen politischen Logik ausschert, das Problem ist vielmehr, dass er sie konsequent anwendet. Atomkraft und Atombombe sind als apokalyptische Technologien immanenter Bestandteil des kapitalistischen Systems. Da gibt es keinerlei kulturelle Berührungsängste. Die Zeiten, wo Atomtechnologie als unislamisch galt, sind jedenfalls vorbei. Der Antisemit im Präsidentenamt muss weg, zweifellos, aber wer ihn wegbombt, erschafft bloß viele solcher Ungeheuer. Was kann seine prophylaktische Bekriegung bewerkstelligen außer einen Flächenbrand? Oder will man das?
Was mediale Schlagzeilen betrifft, ist Vorsicht geboten. Man denke nur an Saddams Massenvernichtungswaffen. Es gab sie nicht, aber vielleicht hätte es sie geben können. Zum Zeitpunkt des Eingreifens log man aus voller Überzeugung. Die propagandistischen Muster erinnern an jene des Kalten Krieges. Mittels der unseligen Totalitarismusformel wurden nach 1945 das Dritte Reich und das damalige Reich des Bösen, die Sowjetunion, in eins gesetzt. Nazi-Vergleiche stehen überhaupt auf der Tagesordnung. Nicht nur Israels Politik wird auf unsäglichste Art und Weise mit den Nazis verglichen, auch umgekehrt: jeder muslimische Irrläufer ein Hitler. Es ist eine ungezügelte Begriffslosigkeit, die sich allerorten lautstark äußert. Wenn man auch sonst nichts weiß, wer Freund und Feind ist, das weiß man.
Transposition meint, dass es aufgrund der sich aufschaukelnden Gefahrenlagen notwendig ist, einen Standpunkt jenseits der Konfliktebenen zu beziehen. Das ist nicht zu verwechseln mit Äquidistanz oder Ignoranz. Es schließt konkrete Solidarisierungen mit Opfern nicht aus. Solidarität gilt nicht Völkern, Kollektiven oder Staaten, sondern betroffenen Individuen, kurzum den leidtragenden Menschen in diesen Auseinandersetzungen. Transposition bezeichnet weder Partei noch Neutralität, sie versucht sich eben nicht im vorgegebenen Koordinatensystem zu verorten, sondern will darüber hinaus die Destruktivität der Konfrontationen selbst zum Gegenstand machen. Sie ist die ideelle Negation des Konflikts, die sich an der reellen Negation betreibt. Sie will ihre Fragen stellen und nicht die gestellten beantworten. Sie will nicht Flaggen hissen, sondern die Fahnen einrollen. Kurzum: Schwächt alle Fronten! Raus aus den Schützengräben!
Ob die Transposition durchzuhalten ist, ist indes fraglich. Ist das aber nicht der Fall, dann steht die Linke (wie es für einige Dritte-Welt-Länder schon zutrifft und es sich auch im Westen ankündigt) vor einem historischen Desaster. Sie hätte sich dann nämlich als eigenständiger Faktor nicht nur marginalisiert, sondern unmöglich gemacht, weil sie der Barbarisierung nichts Eigenständiges entgegenzusetzen hat. Wer die Unterstützung eines vermeintlich kleineren Übels akzeptiert, wird Übles rechtfertigen und auch Ungeheuerliches decken. Im ausgerufenen Kampf der Kulturen ist jede grundsätzliche Parteinahme praktizierende Kapitulation.