Streifzüge 39/2007
KOLUMNE Rückkopplungen
von Roger Behrens
„Ein Kreis schließt sich. Nach sechzehn Jahren Blumfeld hat Autor, Sänger und Gitarrist Jochen Distelmeyer in Absprache mit den übrigen Bandmitgliedern Andre Rattay (Schlagzeug), Vredeber Albrecht (Keyboards) und Lars Precht (Bass) beschlossen, die Band aufzulösen.“ Mit diesen Worten wurde am 22. Januar 2007 auf der bandeigenen Homepage das Ende der nach einer Kurzgeschichte von Franz Kafka benannten Musikgruppe bekannt gegeben. Es ist nicht das erste Ende von Blumfeld, bereits 2005 hatte Distelmeyer – inoffiziell – einen Schlussstrich gezogen, und die mehrfachen Umbesetzungen der letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass sich das kollektive Projekt Blumfeld längst in das Ein-Mann-Unternehmen aufgelöst hatte, unter dessen Vorzeichen die Band von Beginn an stand. So verwundert es auch nicht, dass Distelmeyer die Auflösung bekannt gibt in seiner Funktion als „Autor, Sänger und Gitarrist“ und „in Absprache mit den übrigen Bandmitgliedern“ (wobei man „übrigen“ auch als „übrig gebliebenen“ lesen kann). Die auf den ersten Blick etwas unbeholfen wirkende Metapher vom sich schließenden Kreis ist unterschwellig zumindest strategisch geschickt gewählt: Sie suggeriert, dass hier a) etwas mit Notwendigkeit passiert, was b) bereits am Anfang beabsichtigt war. Auch durch solche Formulierungen versucht die Band den Status zu retten, den sie längst verloren hat: kein Wort davon, dass die letzte Musik, die von Blumfeld zu hören war, objektiv, aber auch gemessen an den Ansprüchen der Band nur als schlechter Witz auf eine ebenfalls schlechte Idee gelten konnte. Stattdessen verweist nun der Kreis, der sich hier schließt, auf eine Entität, auf die Einheit des künstlerischen Werkes, und zwar im Sinne einer ästhetischen Autonomie, die mit dem romantischen Ideal des Genies einhergeht. Dazu gehört, dass die Bandauflösung mit der Veröffentlichung einer Werkschau verbunden ist: „Ein Lied Mehr – The Anthology Archives Vol. 1“; die auf „zunächst 3.000 Stück limitierte“ Box enthält fünf CDs: die ersten drei Alben der Band (, Ich-Maschine‘, , L’Etat Et Moi‘ und , Old Nobody‘, jeweils mit Bonusmaterial), eine CD mit unveröffentlichten Songs und Outtakes sowie das „lang erwartete erste Live Album der Band , Live in Wien‘ mit 14 Songs aus 15 Jahren“; schließlich gibt es noch ein „liebevoll neu editiertes Textbuch , The Words'“. Wie immer bieten sich bei Blumfeld Assoziationen an, bei denen man sich nicht immer wünscht, dass sie ernst gemeint wären, bei denen man gleichfalls auch nicht immer glauben mag, dass sie beabsichtigt sind: Der Textbuchtitel klingt nach Sartres autobiografischen , Les mots‘, ein Rückblick auf das Lebenswerk eines Autors, der sich explizit als Künstlerpersönlichkeit versteht. – Und das erste Denkbild, das zum Titel , Anthology‘ einfällt, ist die gleichnamige Sammlung, welche von den Beatles in drei Teilen zwischen 1995 bis 2003 veröffentlicht wurde (immerhin fünfundzwanzig Jahre nach ihrer Trennung); dass ebenso Blumfeld zunächst eine , Vol. 1′ herausbringen, lässt erahnen, dass es hier um eine künstlerische Gesamtausgabe gehen soll (und Fans werden sich dann nicht nur über Aufnahmen der Blumfeld-Vorgängerband Die Bienenjäger, sondern auch und vor allem Der Schwarze Kanal freuen). – Das zweite Denkbild zum Titel ist spitzfindiger, feiner: Eine Anthologie ist eine Gedichtsammlung und bedeutet wörtlich, nach griechisch , ánthos‘ und , légein‘ „Blütenlese“ oder „Blumensammeln“…
Die „Anthology“, die auf dem eigenen Label Blumfeld-Tonträger erscheint, dürfte schnell vergriffen sein; auch sind schon einige Konzerte der Abschiedstournee fast ausverkauft: Das Ende der Band bringt wenigstens ökonomischen Erfolg, der die ästhetischen Fehlschläge der letzten Jahre, insbesondere der letzten Platte , Verbotene Früchte‘, vergessen lässt. Die Band präsentiert sich dabei mit ungebrochenem Selbstbewusstsein: „Mit , Ein Lied Mehr – The Anthology Archives Vol. 1′ veröffentlichen Blumfeld als die wohl stilprägendste Band hiesiger Popkultur den ersten Teil ihrer mit aufwendigem Bonusmaterial versehenen Werkschau. … Ob innigst geliebt oder verzweifelt gehasst, haben es Blumfeld wie keine andere Band verstanden, das Publikum beständig in Staunen zu versetzen, und ihre herausragende Position in der hiesigen Musiklandschaft zu unterstreichen.“ – Die hiesige Popkultur und Musiklandschaft ist die deutsche, und dass Blumfeld allein schon dieses Adjektiv vermeiden, gehört zu den Resten eines politischen Programms, für das gerade diese Band einst bedeutend war; doch diese Politik beschränkt sich eben auch auf das außermusikalische Statement und ist aus dem Umgang mit dem künstlerischen Material merkwürdig verschwunden – im August 2004 hatte es in einer Stellungnahme geheißen (die man im Internet noch findet), dass die Band für „Populismus und Vaterlandsliebe jedweder Art nach wie vor nicht zur Verfügung“ stehe. Gleichzeitig ist aber über die letzte Platte und die Bandauflösung mit schwärmender Empathie in fast ausschließlich den Organen berichtet worden, die in den letzten Jahren in konzertierter Aktion den neuen, popkulturell vollkommen kompatiblen Nationalismus definiert haben – und zwar eben auch mit der Gruppe Blumfeld. Sein Publikum kann man sich nicht aussuchen, und über die Dummheit der Menschen hat wohl gerade die schlaue Kunst keine Gewalt. Sowohl politisch als auch ästhetisch ist aber interessant, dass die politische Emphase von Blumfeld kaum in der Musik ihren Ausdruck fand, sondern in dem zum Programm erhobenen Wunsch der Musiker, dass man sich eben doch das Publikum aussuchen können müsste, dass vor allem die schlaue Kunst doch die Dummheit besiegen und beseitigen solle. Der Popjournalist Thomas Groß hatte für dieses Programm 1992 anlässlich einer Besprechung der beiden Alben , Reformhölle‘ von Cpt. Kirk &. und , Ich-Maschine‘ von Blumfeld den Namen „Hamburger Schule“ gefunden. Fünfzehn Jahre später ist daraus Blumfelds Selbstbeschreibung als „wohl stilprägendste Band hiesiger Popkultur“ geworden. Dass Blumfeld stilprägend gewesen sein sollen, ist Lüge, nicht weil sie es nicht gewesen wären, sondern weil sie in einer Zeit versuchten, aus einer kollektiven Idee einen individuellen Stil zu modeln, als es so etwas wie „Stil“ kategorisch nicht mehr gab.
Was mit „Stil“ verwechselt wurde, ist „Ausdruck“; und da unterlag Blumfeld, beziehungsweise Distelmeyer, seiner eigenen Ohnmacht, indem ausgerechnet das nachgerade vergöttert wurde, was schon auf der ersten Platte als Fetisch fungierte: das „Ich“. Durch Kolportage, Zitation, Montage und Textcollage wurden aus diesem Ich musikalisch-formal Viele (wie es deutlich das , L’Etat Et Moi‘-Cover zeigt), doch musikalisch-inhaltlich vereinsamte dieses Ich – zum selbst ernannten Gott. In dem Video zu , Tics‘ – im Arrangement der herausragende Song der Platte , Verbotene Früchte‘ – tritt die Band als Trickfigurengruppe auf, und Distelmeyer läuft als Puppenjesus („ich trag mein Kreuz“) seinen christdemokratischen Text singend durch ein imaginäres Schanzenviertel (jener gentrifizierter Stadtteil, von dem die Rede ist: „Ich seh‘ die Hütten und Paläste, / zwischen Crack und Milchkaffee. „). Zum Schluss setzt die Gotteshand, die dem realen Distelmeyer gehört, die Sängerpuppe auf einen Verstärker; das sich selbst setzende Ich. Das Feuilleton pariert so etwas mit Einverständnis: Am propagierten Individualismus trainiert das progressiv sich wähnende Halbbildungsphilistertum seinen eigenen Individualismus. Als Befreiungstheologie ist „linke Popkultur“ ohne weiteres akzeptabel.
Dagegen ist bei Blumfeld die andere Seite stark zu machen, die Musik einer Band, die „Ich“ gesungen hat, nicht um dies – wie zuletzt – zu beschwören, sondern gerade um den Bann des bürgerlichen Individualismus aufzuheben, mit einer Art schwachen messianischen Kraft, die bei Stücken wie , Verstärker‘ und , Pro Familia‘ hörbar wird; wobei der Musiker sich eben nicht als Genie versteht, sondern als Produzent. Dabei ging es gerade darum, den Kreis, der jetzt wieder geschlossen sein soll, aufzubrechen; das Private ist das Politische und vice versa, das hieß ja Anfang der neunziger Jahre nicht nur, wozu es dann wurde, den eigenen Lebensstil als Politik zu inszenieren, sondern grundsätzlicher: die Erkenntnis in Praxis umzusetzen, dass das Private für sich eine ebenso falsche Idee ist wie das Politische an sich, dass beides auf Ideologie im Sinne des notwendig falschen Bewusstseins hinausläuft, welches angesichts der falschen Zustände nur als richtiges Bewusstsein erscheint. Dass Blumfeld in diesem Sinne bei zahlreichen Gelegenheiten für soziale Projekte sowie bei antirassistischen und antifaschistischen Aktionen aufgetreten sind, war großartig und wichtig, hat aber mit der Musik und der spezifischen ästhetischen Stärke Blumfelds nichts zu tun: Indessen sind und bleiben Blumfeld signifikant, weil sie schon mit den ersten Songs als Problem der Linken thematisierten, was in der Linken als Problem verdrängt war: Liebe, also „Freundschaft, Sex und Zärtlichkeit“; amüsant ist zudem, dass viele der „linken Fans“ dies bis , Old Nobody‘ weder gemerkt haben noch wahrhaben wollten und sich eigentlich erst mit den Blumfeldschen Liebesliedern abgefunden hatten, als diese – wie dann auf den letzten zwei, drei Platten – auf ein spießiges Poesiealben-Niveau heruntergeschraubt waren.
Kein Lied mehr, das einen festhält. Die letzten Blumfeldstücke, welche es schafften, das Publikum in Staunen zu versetzen, sind , Wir sind frei‘ (wegen der Bläser und dem discomäßig entrückten Text), , Armer Irrer‘ (wegen „Ba-Baaa-Ba-Ba-Baaa“) oder , Neuer Morgen‘ (wegen der Synthiestreicher und der Sprechtextzeile „Da vorn spielen Kinder mit ’nem Ball“) – 2003 auf , Jenseits von Jedem‘. Damals war allerdings klar, dass hier längst ein Kreis geöffnet ist, der nicht mehr geschlossen werden konnte: Schon seit , Testament der Angst‘ von 2001 hörte man Blumfeld nicht nur im Vergleich zu „den alten Blumfeld“, sondern insbesondere im Vergleich zu all den anderen Bands im weitesten Umfeld, die über die Jahre wichtig wurden oder sich wichtig machten, und zwar vor allem auch prätentiös musikalisch wichtig machten. „Hamburger Schule“ war jetzt endgültig ein Label, hatte jede Ironie verloren, passte endlich zu einer Idee von Pop als nationalökonomischem Standortfaktor: Musikstadt Hamburg. Auch die sogenannte Kulturlinke war in der Neuen Mitte angekommen und fand hier ihre Bühne, auf der ein „Popdiskurs“ als Dauervorstellung aufgeführt werden durfte: als politische Farce im Namen des Pop-Beauftragten der sozialdemokratischen Regierung Siegmar Gabriel oder der Deutschpop-Expertin Antje Vollmer, als ästhetische Tragödie im Namen der vielen Bands und Musiker, die sich aufgefordert fühlten, ihre Musik zum Sprachrohr für ihre Weltanschauungen, Meinungen und Ressentiments zu machen. Die Politisierung der Kunst misslang, weil das Politische selber nur noch eine ästhetische Phrase war. Sie misslang darüber hinaus auch und vor allem deshalb, weil die Kunst der Politisierung zum reinen Selbstzweck und ihr kritisch-reflexiver Impuls pseudoradikal, eben im Namen des Politischen, verdünnisiert wurde. Hamburger Schule bedeutete und bedeutet in der Deutschpop-Neuauflage noch immer, nicht über die Musik zu diskutieren, sondern über ein mit Floskeln des Popdiskurses aufgeladenes Musikantentum (Singer/Songwriter). Im Fall von Blumfeld gilt es irgendwie als journalistischer Chic, sich zu den vermeintlichen Inhalten der Texte und ihrer Absichten zu verhalten – „ob innigst geliebt oder verzweifelt gehasst“ -; die eigentlich spannende Debatte über den Umgang mit dem musikalischen Material, über Arrangements, Sounds, Instrumente, ästhetische Konzepte blieb in den Übungsräumen und Kneipen hängen.
Eine Band, die dagegen diese Debatte offen geführt hat und mit jeder Platte fortsetzt, ist Kante (zur Erinnerung: Peter Thiessen spielte ehedem bei Blumfeld Bass). Lediglich verwiesen sei auf das neueste Album , Kante plays Rhythmus Berlin‘, eine Hommage an das Berlin der Avantgarde, der Swing-Ära und des politischen Entertainments: Die Band spielt acht Stücke nach Texten von Thiessen, die dieser für die gleichnamige Revue , Rhythmus Berlin‘ im Friedrichstadtpalast geschrieben hat.
Es gibt aber auch – leider weniger bekannte – Bands, denen solche Materialreflexion am albernen Popdiskurs vorbei gelungen ist, die nicht auf ihre künstlerische Meinung angewiesen sind, weil sie die Musik für sich sprechen lassen: Bereits 2003 haben Go Plus, die es schon seit 1991 gibt, nach , LA Montanara‘ (1996) und , Largo‘ (1998) ihr drittes und bisher letztes Album , Go Plus‘ veröffentlicht, welches völlig zu Unrecht etwas überhört wurde. Hinzuweisen ist besonders auf die Instrumentalpassagen, die der insgesamt klug durcharrangierten und musikalisch überlegten Platte eine unbedingte Aktualität verleihen.
Diese beiden Tipps nur als offenes Ende, eben ohne den Kreis zu schließen. Kein Lied mehr, und doch macht alles weiter.
Blumfeld, , Ein Lied mehr. The Anthology Archives Vol. 1′, 5CD (Blumfeld-Tonträger, 2007).
Kante, , Kante plays Rhythmus Berlin‘, CD (Labels, 2007).
Go Plus, , Go Plus‘, CD (Kitty-Yo, 2003).