von Markus Mohr
Johannes Agnoli, der sich selbst nie so wichtig nahm, qualifizierte in seiner 1998 erschienenen Aufsatzsammlung „1968 und die Folgen“ das Bemühen der „diversen Kraushaar“ als eine „Abwertung und Verleumdung all dessen, was von links kommt und vor allem in der 68er-Revolte gipfelte“. Glaubt man nun einem jüngst von dem Italien-Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Rainer Blasius großformatig publizierten Tratsch über eine Tagung zu den „Krisenzeiten von 1968 bis 1973“ im deutsch-italienischen Zentrum Villa Vigoni am Comer See (FAZ vom 12.12.2006), dann scheint Dr. Wolfgang Kraushaar sich erneut darum bemüht zu haben, das Agnolische Diktum zu bestätigen.
In einem Vortrag unter der Themenstellung „Die Entstehung außerparlamentarisch agierender oppositioneller Gruppen und ihre Wirkung auf Politik, Gesellschaft und Kultur“ wusste dieser u. a. brav einige biographische Details aus dem Leben von Johannes Agnoli zu rapportieren. Eine gewisse Dramatik in der Darstellung kann dabei dem als „68er-Veteranen“ vorgestellten Doktor vom Hamburger Institut für Sozialforschung nicht abgesprochen werden: „Was in den achtziger Jahren über Agnolis Jugend nur als Gerücht verbreitet wurde, sei nach seinem Tod im Mai 2003 , zur Gewißheit geworden‘. … Als Redakteur einer Schülerzeitung und Anführer eines faschistischen Jugendverbandes (verfasste Agnoli) Hymnen auf Mussolini, sodass sein Name sogar auf einer Hinrichtungsliste der Partisanen stand. Wegen seiner Bewunderung für das , Dritte Reich‘ meldete er sich 1943 freiwillig zur Waffen-SS und wurde bald darauf Soldat der deutschen Wehrmacht. Als Gebirgsjäger mit dem germanisierten Namen Johannes Aknoli war er bei der Partisanenbekämpfung in Jugoslawien im Einsatz. “
Diese Details aus der verwickelten Biographie Johannes Agnolis können seit Jahren leicht in der kleinen biographischen Skizze von dessen Ehefrau Barbara Görres Agnoli nachgelesen werden (Konkret-Verlag 2004). Sie ist im Text frei von allen Gerüchten und jeder Dramatik, konzentriert sich auf wesentliche Stationen dessen Lebens und führt daran eine zum Teil engagierte Auseinandersetzung. Doch derart Lakonisches scheint nicht die Sache des FAZ-Protokollanten noch die des Dr. Kraushaar zu sein, denn weiter steht zu lesen: „Über seine Vergangenheit habe Agnoli seine politischen Mitstreiter , offensichtlich in Unkenntnis‘ gelassen.“ Das ist an verlogener Gemeinheit nur schwer zu überbieten. Auch wenn Dr. Kraushaar unterstellt werden kann, dass er sich auf die von Barbara Görres Agnoli verfasste biographische Skizze gestützt hat, scheint er dies aber doch gleich wieder vergessen zu haben.
Der zweite Teil der durch die Brille der FAZ referierten Einfälle Kraushaars kapriziert sich dann auf die politikwissenschaftlichen Abhandlungen Agnolis, dessen „Grundgedanken“ der Referent „in Italiens präfaschistischer Ära“ ausmacht. Agnoli habe dann in der Zeit der Großen Koalition in der Bundesrepublik „das Bild vom Parlament als einer massenwirksamen Fiktion benutzt, um es grundlegend zu delegimitieren und damit Platz für eine nicht weiter konkretisierte Herrschaftsform als Alternative zu machen“. Was schert es da den „68er-Veteranen“, der als ein später Mitläufer des SDS-Ortsverbandes Frankfurt gelten kann, dass sich brillante Überlegungen zu einer Fiktion der parlamentarischen Repräsentation seitenlang bei dem sozialdemokratischem Rechtgelehrten Hans Kelsen, den Schöpfer der Österreichischen Bundesverfassung, nachlesen lassen, der von Agnoli übrigens auch zitiert wird.
Der primitive Anwurf der Kontaktschuld ist hier die überaus billige Methode von Herrn Dr. Kraushaar, über die er nicht hinauskommt. Agnoli waren die Berührungspunkte der rechten und linken Demokratiekritik in der Tat bewusst, er hat sie sogar durchgearbeitet, anstatt einen einfältigen Grenzstrich zwischen dem bösen Denken einer politischen Rechten und dem vermeintlich guten Denken der politischen Linken zu ziehen. Als erwachsener Mann hat sich der Politikwissenschaftler Agnoli der Linken nicht eingeordnet, sondern hat zu denen gehört, die sie politikwissenschaftlich angeordnet haben wie der Magnet die Metallspäne. Und ausgerechnet dem furios negativen Herrschaftskritiker Agnoli mit dem Anwurf bekleckern zu wollen, er habe damit Platz für eine „nicht weiter konkretisierte Herrschaftsform als Alternative“ machen wollen, dementiert sich an der Sache und auch an der Person selbst.
Doch für den Ankläger ist es damit nicht genug. Agnoli persönlich soll es gewesen sein, der durch die „Stigmatisierung des Staates und Klassenkampfrhetorik … nicht wenige der von der Apo ausgegangenen Anstöße , aufgezehrt‘ und , politisch ein ganzes Jahrzehnt lang in die Irre‘ geführt“ haben soll. Sogar die „von der RAF herbeigeführte Krise der inneren Sicherheit“ wird von diesem auch noch dem Genossen Agnoli zugeschrieben. Auch wenn es Dr. Kraushaar vor seinem Delinquenten so graust, dass er kaum noch etwas begreift: In den Spalten der FAZ hält er – ohne es zu merken – eine Laudatio auf die schwarze Katze Agnoli, hinter der alle – dumm, wofür Kraushaar sie heute hält – hergelaufen sein sollen!
Zu vermuten steht, dass die Kraushaarschen Einfälle im Jahre 2006 nicht wesentlich über das hinausgehen, woran er bereits auf einer im Jahre 1985 in West-Berlin abgehaltenen Tagung gescheitert ist: Agnoli mit beliebigen Analogien und Denunziationen – nun sekundiert von der FAZ – das Linksfaschismus-Ticket anzuhängen. Agnoli hat hier bereits 1986 einem weitsichtig in Anführungsstrichen geschriebenen „Wolfgang Kraushaar aus Frankfurt“ den munter gestimmten Bescheid in einer lehrreichen Abhandlung erteilt.
In einer Stellungnahme zu der FAZ-Kolportage zu den wie üblich unsauber-kreativen Kraushaarschen Quellenrecyclings äußerte Rudolf Walter die Vermutung, dass „so kurzschlüssig und grob“, wie sich die FAZ die Geschichte zurechtgelegt habe, eben jener Dr. Kraushaar „seine theoriegeschichtlichen Analogien nicht gemeint haben“ dürfte. (taz vom 15.12.2006)
Dieser Hoffnung kann man begründet widersprechen. Dr. Kraushaar, der 1998 die „Unterwanderung“ der Studentenbewegung mal nicht durch den Faschismus, aber doch durch die Stasi beklagte und damit rückwirkend auf einen Prozess der Säuberung reflektierte, kann heute als der Couponschneider am intellektuellen und praktischen Wirken außerinstitutionell operierender linksradikaler Aktivisten der 60er und 70er Jahre gelten. Mit diesen macht er unter dem Signum dessen, was er als aktuelle Anti-Extremismus-Staatsräson begreift, frei von allen Regeln rabiat kurzen Prozess. Mit der vom erwachsenen Agnoli meisterhaft verkörperten Praxis von Geduld und Ironie ist dem intellektuell alles entgegen zu halten.