Streifzüge 39/2007
von Reinhard P. Gruber
Vorbemerkung von Maria Wölflingseder
Der steirische Schriftsteller Reinhard P. Gruber feierte im Januar seinen 60. Geburtstag. Vor fast zwanzig Jahren erschien sein Buch „Nie wieder Arbeit – Schivkovs Botschaften vom anderen Leben“ im Residenz Verlag. 2003 wurde es bei Droschl in der Werkausgabe neu aufgelegt. Darin finden sich treffsichere Passagen zur Arbeitskritik, wie man sie selten zu lesen bekommt. Viele aktueller denn je! Nur dass Arbeitslose sich nicht um ihre materielle Existenz zu sorgen bräuchten, hat heute keine Gültigkeit mehr. Das ist paradoxerweise einer der Gründe, warum die Menschen sich heute regelrecht selbst versklaven und die Erkenntnisbereitschaft auf einem neuen Tiefpunkt angelangt ist. Gleichzeitig steigt nicht nur in rechten Kreisen die Empfänglichkeit für populistische, nationalistische und rassistische Argumentationen á la „die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze“ weg oder wie das weit verbreitete Schreckgespenst „China“.
Jede Arbeit ist zuviel
Jeder, der arbeitet, will, dass die Welt so bleibt, / wie sie ist. / Jeder, der nicht arbeitet, will eine schönere Welt. / Die schönere Welt, die durch Arbeit erarbeitet/ werden kann, haben wir schon. / Die schönere Welt, die durch Nichtstun entsteht, / haben wir noch nicht. / Jede Welt, die wir bis jetzt kannten, / war eine Arbeitswelt. // Jetzt machen wir die Welt, die wir nicht kannten: / unsere!
In Wirklichkeit ist euer Problem nicht die Arbeitslosigkeit. Euer Problem heißt Arbeit. Nicht die reale Arbeit, zu der habt ihr ein denkbar schlechtes Verhältnis – ihr verflucht sie aus Leibeskräften, sobald ihr euren Arbeitsplatz einnehmt, Tag für Tag. Euer wahres Problem ist der Begriff der Arbeit, das Bild der Arbeit, die Vorstellung, die Idee von Arbeit, die in eurem tiefsten Innersten sich verankert hat: Frei von Arbeit zu sein, könnt ihr euch gut vorstellen, daraufhin arbeitet ihr; aber arbeitslos zu sein, diese Vorstellung schnürt euch die Kehle ein. Arbeitsfrei zu sein, das ist das Privileg, das ihr anstrebt; arbeitslos zu sein, das ist der Horror, dem ihr entkommen wollt. (… )
Jetzt, gegen Ende des Jahrhunderts, tritt ein, wird sichtbar eine sonderbare Statistik, die nie ein Arbeiter je zuvor in der Geschichte zu Augen bekam: Die Wirtschaft erholt sich, die Konjunktur wächst, die Umsätze steigen wieder – und doch wächst die Zahl der Arbeitslosen. Immer weniger Arbeitsplätze garantieren offenbar ein immer schneller werdendes Wirtschaftswachstum! Schon jetzt ist absehbar, dass der Großteil der Arbeit, der traditionellen Lohnarbeit, den die Menschen bislang verrichteten, ersetzbar ist – alles, was ersetzbar ist, ist wert, ersetzt zu werden! – ersetzbar durch Arbeitsmaschinen. (… )
Arbeitsmaschinen, die den Menschen die Arbeit wegnehmen, sind der Beweis dafür, der unwiderlegbare Beweis, dass Menschen bisher als Arbeitsmaschinen eingesetzt wurden. … Den Unternehmern in den Regierungen eurer Vergangenheit und Gegenwart ist es gelungen, entfremdete Arbeit verinnerlichen zu lassen – die Arbeiter selbst haben ihren Lebenszweck darin gesehen, als Arbeitsmaschinen zu funktionieren. Maschinen tragen übrigens keine Verantwortung, bemerkte Schivkov. Und heute noch, Schivkov zeigte seine Zunge in eine Richtung, die nur er kannte (wir werden es nie erfahren), geben die mächtigsten Institutionen eurer Länder zynisch – weil ihnen jede Zukunftsorientierung fehlt – die Parole aus: Unser Ziel bleibt die Vollbeschäftigung! Zwangsarbeit für alle – weil wir nicht wissen, wie wir das Volk sonst beschäftigen können. (… )
Arbeit nimmt euch die Mühe der Selbsterkenntnis ab, welche die Mühe der Selbstkritik ist – und die Freizeit, das kurzweilige Freisein von Arbeit, nimmt euch diese Mühe nochmals ab. Und das wollen sie: dass ihr keine Mühe habt bei der Arbeit an euch selbst, sondern nur bei der Arbeit für sie. … Auch eure Freizeit ist Arbeit für sie: Sie ist Arbeitsbeschaffung, sie schafft Beschäftigung für die Freizeitindustrie. … Eure Freizeit ist der verlängerte Arm der Arbeit. Eure Freizeit hält die Arbeit in Schwung, eure Freizeit verhindert ebenso wie eure Arbeit die Erkenntnis des Zustands, in dem ihr euch befindet. Hättet ihr die Freizeit nützen können – dürfen! -, um euch eure Situation als Arbeiter klar zu machen, dann wärt ihr nicht wieder in eure Arbeit zurückgekehrt! Dann hättet ihr eure Freizeit genutzt – als Be-freiungs-zeit. Dann hättet ihr euch von der kapitalistischen Perversion, die im selben Maße eine sozialistische Perversion ist und eine christliche Perversion, längst gelöst: dass ihr Freizeit benötigt und benützt, um „Kraft“ zu tanken, damit ihr eure Arbeit wieder mit „Lust“ aufnehmen könnt. „Arbeitsfreude“ ist das mieseste Produkt, das die Gehirnwäsche je hervorgebracht hat. Jeder, der es Gehirnwäsche nennt, den lacht ihr aus; das sicherste Zeichen für Gehirnwäsche liegt vor, wenn Zweifel lächerlich gemacht werden. Wenn sich das Nicht-Denken herausnimmt zu sagen: Nicht-Denken ist besser als denken. (… )
Hättet ihr einen zweiten Kopf außerhalb eurer Knochenkugel mit dem Fressloch am oberen Ende des Körpers – hättet ihr Augen, mit denen ihr euch aus geziemender Entfernung betrachten könntet, ich meine, hättet ihr eine andere Perspektive außerhalb eurer Perspektivlosigkeit: ihr könntet gebannt und entsetzt und angewidert feststellen, dass alles an euch klappert, dass alles sich dreht und wendet und schraubt und lärmt für das große Ziel der Zahlenveränderung auf euren Lohnstreifen, von der ihr euch die Lebensveränderung erwartet. (… )
Der Tag, an dem ihr Kapitalisten seid – das Scheinziel, das euch die wahren Kapitalisten verpasst haben -, wird nie kommen. Ihr werdet die gewesen sein, die auf dem Weg zum Glück verreckt sind. (… )
Ob ihr es wollt oder nicht -/ es kommt der Tag, / an dem ihr aufhören werdet zu arbeiten: / weil ihr sonst ersticken müsstet. // Wer arbeitet, versaut die Welt; / es wird nur noch eine kurze Zeit sein, / bis eure Regierungen dahinterkommen: / Wer nicht arbeitet, tut mehr/ zur Erhaltung der Luft und des Wassers/ und des Bodens und der Tiere und der Pflanzen/ als der, der arbeitet. / Und zwar in jedem Fall. // … Der Tag muss kommen, an dem/ die Arbeit so verpönt ist/ wie die Pest. / Hat sie euch nicht die Pest gebracht, die Arbeit?
* Aus: Reinhard P. Gruber: Nie wieder Arbeit, Droschl Verlag, Graz 2003.