Gedanken zum „Solidarische Ökonomie“-Kongress in Berlin
von Andreas Exner
Der Erfolg kam überraschend. „¿Wie wollen wir wirtschaften? „, so lautete die Frage. 1.400 gaben ihre Antwort – doppelt so viele Leute wie erwartet. Sie pilgerten Ende November zum Kongress gleichen Titels an der TU Berlin. Die Frage stand im Raum. Programmatisch war die Antwort: solidarisch soll es sein.
Was aber soll Solidarische Ökonomie eigentlich heißen? Berlin hatte dazu einiges im Angebot. Wer wollte, konnte wählen: zwischen Genossenschaften á la brasilienne oder auf alt arbeiterbewegt, zwischen Tauschkreisen und Gemeinschaftsgärten, oder zwischen Regiogeld, einem Leben ohne Geld oder einem mit einem Grundeinkommen und noch vielem mehr, von Fair Trade bis hin zu Wohnprojekten und Freier Software. Der bekannte Politikwissenschaftler Elmar Altvater zählt dazu gar gleich den ganzen „Dritten Sektor“. – Nach einem gemeinsamen Nenner sucht eins hier lange. Das verwundert, ist aber doch nicht ganz verwunderlich. Vorderhand sollte der Kongress nämlich, so die Homepage (www. solidarische-oekonomie. de), den Begriff der Solidarischen Ökonomie besetzen, und zwar mit linken Positionen. Folglich meint Solidarische Ökonomie alles, was den neoliberal- kapitalistischen Imperativen mehr oder weniger widerspricht und irgendwie nach Wirtschaft aussieht. Das ist bekanntlich nicht gerade wenig, was durchaus zweierlei bedeutet. So hat Altvater zwar Recht, nichts weniger ist die Solidarische Ökonomie als der „lebendige Zweifel an der These vom Ende der Geschichte, an dem es , keine Alternativen‘ mehr gäbe“, wie der Mitherausgeber des Kongress-Readers „Solidarische Ökonomie“, der noch vor der Veranstaltung im VSA-Verlag erschienen ist, festhält. Allerdings beweist die Solidarische Ökonomie nicht zweifelsfrei, dass tatsächlich sie auch schon die Alternative ist zu history as usual.
Hype oder Hope
Es wäre aber auch vermessen, exakt daran die Solidarische Ökonomie zu messen. Ein Begriff, der eine Debatte initiieren will muss nicht unbedingt begreifen. Er soll vor allem einmal greifen. Und das tut er offenbar. Sven Giegold von Attac, Mitglied des Organisationsteams, verwies darauf, dass der Kongress die Begriffspräsenz im Internet sprunghaft hochgetrieben hat. Auch die Zahl der Kongressbesuche sprach für sich. Eine andere Frage freilich ist, ob, wer vom Kongress sich angezogen fühlte, dort auch das angesprochen fand, was eins grad eben suchte. Und noch eine andere wäre schließlich, ob das, was hier nach Alternative aussah, tatsächlich eine ist oder wenigstens einmal werden kann. Was die erste Frage angeht, so lässt sich nur vermuten; die zweite ist schon um einiges leichter zu beantworten; und beide hängen sie zusammen.
Nun konkrete Praxisprojekte gedanklich aufzublättern zwecks Nachweis, dass sie entweder ihre Ideale an den Markterfolg verraten oder aber um ihrer Ideale willen die Existenz des Marktes sträflich ignorieren, dass sie – ob profitabel oder kostendeckend oder keins von beidem – auf jeden Fall nichts an global kapitaler Herrschaft ändern, ja strukturell auch gar nicht ändern können wäre möglich. Nur Sinn würde es wenig machen. Denn die Solidarische Ökonomie ist zuerst einmal ein Diskurs, kein fest umrissenes Praxisfeld. Was dieser Diskurs repräsentiert ist ersichtlich weniger spannend als das, was er eröffnet. Mehr als das Vehikel ist von Interesse, wohin es fahren kann.
Sagen wir so: nach einer neuen Gründerwelle sieht es derzeit nicht gerade aus. In Berlin haben sich keine Hundertschaften solidarischer Jungunternehmenden eingefunden. Mag sein, dass die Neugründungen von Genossenschaften in den kommenden Jahren zunehmen. Auch ist es nicht unwahrscheinlich, dass nun, nachdem die Tauschkreisidee mehr oder weniger gestrandet scheint, das Projekt von Regionalwährungen an Zulauf gewinnt. Diese quasi technische Seite der Solidarischen Ökonomie war aber kaum das einzige Motiv der 1.400 in Berlin. Ich möchte durchaus vermuten: sie hielten das in ihrer Mehrheit nicht einmal für zentral. Es war wohl nicht die Parole Solidarität, die hinter dem Ofen noch hervorlockt, und auch nicht das seriös und handfest klingende Wort „Ökonomie“, sondern vielmehr die Fragestellung des Kongresses, qualitativ neu im Kontext der globalisierungskritischen Bewegung – „¿Wie wollen wir wirtschaften? “ hieß sie. Doch meinte sie eigentlich nicht viel mehr, also vielmehr die Frage, wie wir eigentlich leben wollen?
Wir, ein unbekanntes Wesen
Das wäre nun in der Tat eine alles entscheidende Frage. Die Neuordnung der Finanzmärkte ist Thema für ein Tischgespräch von NGO-Professionals. Wer daran glaubt, der spendet. Die Frage danach, wie wir leben wollen, ist dagegen eine, die Emanzipation bedeuten kann. Sicherlich, der Begriff der Solidarischen Ökonomie ist von theoretischer Warte aus nicht besonders glücklich. Ökonomie behauptet er implizit als überhistorisch; so als war „die Ökonomie“ schon immer. Mit der an sich inhaltsleeren Formel „solidarisch Wirtschaften“ soll ihr bloß der kapitale Zahn gezogen werden. Diese Hoffnung führt freilich in die Irre. Systematische Warenproduktion, allgemeiner Geldverkehr und Kapitalbewegung sind keine Konstanten menschlichen Zusammenlebens, sondern deren historisch spezifische Formen. Die Ökonomie des Aristoteles hat mit der unsrigen nichts zu tun.
Wer die Zwänge dieser Formen mit solidarischer Emphase überblendet, landet letztlich in den Fängen der Moral. Das ist zumindest schade. Denn eigentlich wäre doch zu sehen, dass auch ein solidarisches Unternehmen, also etwa ein selbstverwalteter Betrieb im Eigentum der Arbeitenden, rentabel produzieren muss und letztlich in Konkurrenz zu anderen, womöglich sogar „solidarischen“ Unternehmen steht. Solange es einen allgemeinen Reichtum gibt in Gestalt des Geldes – der Ausdruck abstrakten ökonomischen Werts -, solange wird es sowohl Drang als auch Zwang zur Akkumulation eben dieses monetären Reichtums geben. Wo nichts etwas gilt ohne zu gelten als Geld und Geldgewinn, da hilft auch Solidarität nicht sehr viel weiter als bis zum nächsten Markterfolg … allenfalls. – Willkommen im Kapitalismus.
Wichtiger als diese Kritik aber dürfte sein, dass die Rede von der Solidarökonomie die Frage nach dem eigenen Leben, seinen Wünschen, Leiden, Beziehungen, Kräften verdeckt. Es scheint wie ein fernes Echo des Neoliberalismus, ja wie ein unwillkürlicher Versuch der Linken, das Soziale ihrerseits zu ökonomisieren, eine Solidarischen Ökonomie in das Firmament ihrer Begriffe einzusetzen, wo es doch offenkundig um uns selber, unser je eigenes, tiefstes Streben geht. – Weit wichtiger als zu wissen wie man eine Genossenschaft gründet, deren Bilanz mit schwarzen Zahlen füllt oder gar wie man, die Ich-AG lässt grüßen, „gemeinsam selber Arbeitsplätze schafft“ – eine Hoffnung, die in mancher Wortmeldung zum Vorschein kam -, ist allemal noch die Frage wie und wofür wir eigentlich leben. Dies ist im Diskurs der Solidarischen Ökonomie durchaus angesprochen. Ob auch ein Gespräch zustande kommt, das darauf Antwort geben kann, bleibt vorerst offen.