Notizen zum gesellschaftlichen Stoffwechsel – Teil 1
Streifzüge 37/2006
von Franz Schandl
„Henry Ford hat kürzlich hundert Millionen Dollar für die Errichtung einer Schule gestiftet, die er die Schule der Zukunft nennt. , Ich habe so lange Autos fabriziert‘ erklärte er, , bis ich den Wunsch bekam, nunmehr Menschen zu fabrizieren. Die Losung der Zeit ist Standardisierung. ‚ – – Die erste Musterschule Fords, die ihre Tätigkeit bereits begonnen hat, nimmt nur Knaben im Alter von 12 bis 17 Jahren auf. Verpönt sind Sprachen, Literatur, Kunst, Musik und Geschichte. – – Die Lebenskunst müssen die Schüler lernen, sie müssen verstehen, zu kaufen und zu verkaufen – – “
(Karl Kraus, Der Fordschritt (1930); Schriften, Band 20, Frankfurt am Main 1994, S. 162.)
Was passiert beim Kauf? Wessen Gestalt ist er? Was geht in uns vor? Was machen wir da? Was stellen wir an und wie?
Gemeinhin erscheint der Tausch als die reine Unmittelbarkeit, als die logische, ja ontologische Form von Geben und Nehmen. Gleich Essen, Bewegen, Schlafen. Als ausdifferenziertes Tauschen wäre das Kaufen (und Verkaufen) dann nichts anderes als eine höhere oder feinere Ausprägung dieser Unmittelbarkeit. Es tritt der Markt dazwischen und mit ihm das Geld, mit dem man auf die Waren zugreift. Aus Ware-Ware (W-W) wird Ware-Geld-Ware (W-G-W). Als Transaktion beschreibt Einkaufen G-W und Verkaufen W-G. „Die Momente der Warenmetamorphose sind zugleich Händel des Warenbesitzers – Verkauf, Austausch der Ware mit Geld; Kauf, Austausch des Gelds mit Ware, und Einheit beider Akte: verkaufen, um kaufen zu können“, schreibt Karl Marx. (MEW 23: 120)
Jede Ware hat einen Tauschwert und man bezahlt den Tauschwert, um den Gebrauchswert zu erhalten. Man kauft nicht den Tauschwert, sondern den Gebrauchswert, indem man sich des Tauschwerts entäußert. In der Sphäre der realen Konsumtion gilt es, den Artikel oder die Leistung sukzessive zu verbrauchen, d. h. sie gehen in die Reproduktion der Konsumenten ein, um deren weitere Produktions- und Geschäftsfähigkeit zu fördern. Dass die Produktion Konsumtion ist und Konsumtion Produktion hat Karl Marx auch sehr instruktiv beschrieben, und zwar in der „Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie (vgl. MEW 13: 622ff. ). Das aber nur am Rande.
1.
Kaufen ist keine Tätigkeit unter anderen, sondern die zentrale Aktion des gesellschaftlichen Stoffwechsels, der wir als Aktivisten zur Verfügung stehen. Permanent. Schon das Kleinkind übersetzt: „Das will ich haben! “ in „Das will ich kaufen! “ Was wir kaufen, können wir uns vielleicht aussuchen, dass wir kaufen jedoch nicht. Die Frage nach dem Warum wirkt fast abwegig – und zweifelsfrei sie verrückt auch die ganze Sichtweise.
Die Aufgabe besteht darin, etwas als etwas anderes zu deuten und in einem Dritten zu erkennen, indem man es in einen Maßstab presst, der scheinbar reine Quantität hat. „Im Geld ist alle Verschiedenheit der Waren aufgelöst, weil es eben die ihnen gemeinsame Äquivalentform ist.“ (MEW 24: 50) Geld ist der Äquivalentmacher der Waren. Nicht bloß durch es, sondern in ihm sind alle ausdrückbar. Geld ist nicht „als Instrument zu fassen; es ist die Form des Kapitals“. (MEW 25: 442) Die Gewalt liegt in der Struktur des Zirkulationsverhältnisses, nicht in den Inhalten, die sie transportiert. Die sind, wird erstere akzeptiert, tatsächlich frei. Was meint, dass im Regelfall niemandem die Abnahme von Waren aufgezwungen wird bzw. diese einem vorenthalten werden können. Das ist lediglich eine Frage des Geldes. Wer zahlen kann, kann alles haben, was käuflich ist.
Was Geld von allen anderen Waren unterscheidet, ist, dass es sich durch Entäußerung verwirklicht (vgl. etwa MEW 42: 154). Es wird konsumiert durch Weggabe. Die realisierte Kraft des Geldes drückt sich aus in seiner absoluten Flexibilität. Es kann nicht für sich selbst stehen, sondern letztlich nur für anderes. Es beherrscht alles, auch wenn es selbst zu nichts taugt. Ein Rock bleibt ein Rock auch ohne Geld, während Geld ohne Rock und alle seine nahen und fernen Verwandten gar nicht erst existieren könnte. Die objektive Tendenz des Geldes besteht also nicht in der Schatzbildung, sondern in der Verwertung im Kauf.
Nicht Güter sind an Produktionsstätten abzuholen oder einfach an Verteilungsstellen zu entnehmen, sondern Waren am Markt zu erwerben. Wenn wir etwas brauchen oder wollen, müssen wir es kaufen. Mittel der Aneignung ist das Geld. Kaufen meint Geld gegen Ware einzutauschen. Der Käufer muss daher über Mittel verfügen, um sich als solcher am Markt zu behaupten. Aus der Herausforderung folgt ja noch nicht die Verwirklichung. Käufer sein ist jedenfalls keine in der Natur angelegte Eigenschaft, sondern eine kulturelle Normierung, die zu einem Anspruch an alle geworden ist. Da ist nichts Ewiges an ihm.
2.
„Die wirkliche Zirkulation stellt sich zunächst dar als eine Masse zufällig nebeneinander laufender Käufe und Verkäufe. Im Kauf wie im Verkauf stehen sich Ware und Geld stets in derselben Beziehung gegenüber, der Verkäufer auf Seite der Ware, der Käufer auf Seite des Geldes.“ (MEW 13: 79) „Zur Zirkulation gehört wesentlich, dass der Austausch als ein Prozess, ein flüssiges Ganzes von Käufern und Verkäufern erscheint.“ (MEW 42: 126) Die Frage, ob jemand flüssig ist, macht durchaus Sinn. Tausch ist die Flüssigkeit, in der alle schwimmen. Nicht wenige gehen unter und manche saufen ganz ab.
Durch den Kauf erschafft sich die Warengesellschaft immer wieder aufs Neue. Er ist der Zu- und Abfluss alltäglicher Reproduktion. So „erscheint die Zirkulation als ein schlicht unendlicher Prozess. Die Ware wird gegen Geld ausgetauscht; das Geld wird gegen die Ware ausgetauscht und dies wiederholt sich bis ins Unendliche. … So wird Ware gegen Ware ausgetauscht, nur dass dieser Austausch ein vermittelter ist. Der Käufer wird wieder Verkäufer, und der Verkäufer wird wieder Käufer.“ (MEW 42: 127) Das schier ewige Leben als W-G-W ist „ein unendlich verschlungenes Kettengewirr“ (MEW 13: 75). Die Welt des Geschäfts verbindet jeden mit jeder und alle mit allen, aber anonym. Es ist eine ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit, die uns das Kapital aufherrscht. Ob ein Cent aus einem Waffendeal oder dem Verkauf eines Gartenschlauches stammt, das weiß letztlich niemand.
Und wenn die Kette an ihren schwachen Gliedern reißt, ist das gemeinhin kein Grund zur Freude, denn damit bricht nicht bloß der Markt ein, nein es stockt auch der Stoffwechsel. Läuft etwas schief, sind viele negativ betroffen. So wollen auch alle, dass nichts schief läuft. Selbst die, die den Markt nicht wollen, tun alles, um sich in ihm und daher ihn zu ermöglichen. Praktisch sind alle dafür. Sie pflegen ihre Arbeitskraft, hegen ihre Waren und zahlen entsprechende Preise. Sich marktkonform zu verhalten, ist keine Frage des freien Willens, sondern umgekehrt: Der freie Wille, eine Erfindung des Marktes, ist stets auf ihrer Seite.
3.
Was brauche ich? oder Was will ich? kann nicht das uns leitende Kriterium sein, sondern: Was kann ich mir leisten? Die Grundfrage des bürgerlichen Subjekts lautet: Wie komme ich zu Geld? Jeder von uns stellt sich zwangsweise die Frage, wo es denn solches zu holen gibt. Andauernd geht es darum, Geld aufzustellen. Gleich einem Süchtigen ist das Subjekt auf der Jagd nach dem Stoff. Zu Geld kommen kann es nur, wenn es etwas zu verkaufen hat oder von anderen Verkäufern bzw. von der Allgemeinheit (Staat) alimentiert wird.
Das Güterzukommen im Kapitalismus ist keine Frage einfachen oder freien Begehrens, sondern eine Entscheidungsfrage entlang der finanziellen Potenz. Nicht Wollen und Brauchen sind ausschlaggebend für den Zugriff, weder das bloße Verlangen noch die krude Vorhandenheit, sondern das monetäre Vermögen. Wobei Wollen und Brauchen selbst keine unschuldigen Wörter sind, die eben einem individuellen Gefallen folgen. Das Profane, das sie ausdrücken, ist ein Zerrspiegel desselben, kontaminiert a priori, sodass nicht zu sagen ist, was daran ein „echtes“ Bedürfnis ist. Vielleicht ist heute sogar die Frage danach eine falsch gestellte.
Das Seiende kommt zu uns über das über das Seiende Hinausgehende. Die Dinge des Lebens müssen durch das Nadelöhr des Geldes. Zur Befriedigung dient nicht das, was da ist oder aufgebracht werden könnte, sondern lediglich das, was im Wert ideell gedoppelt und durch einen Preis reell abgelöst werden kann. Der Gegenstand wird nicht in erster Linie dafür hergestellt, damit er Bedürfnisse bedient, sondern weil mit ihm Geld gemacht werden kann. Kaufen befriedigt die Verwertung, die Versorgung der Menschen ist nachrangig.
Nicht die Konsumtion regelt Distribution und Produktion, nein die Warenzirkulation als Retorte der bürgerlichen Gesellschaft und eben ganz spezifische Form der Distribution reguliert Produktion und Konsumtion. Produziert wird, was verkäuflich ist und konsumiert wird, was gekauft wird. Zwischen Herstellung und Verbrauch eines Produkts oder einer Leistung hat sich etwas Seltsames geschoben, das von Verzehr und Erzeugung her betrachtet eigentlich überflüssig ist, aber doch sich zum Meister derselben aufschwingt. Und das mit gebieterischer Macht.
Ohnedies stellt sich die ketzerische Frage, wer eigentlich wem gehört: Dem Besitzer das Geld oder dem Geld der Besitzer? Kehren wir das Aktiv ins Passiv und betrachten wir die Sache mal andersrum. Jeder Geldbesitzer ist nämlich auch ein Geldbesessener, seine Gedanken kreisen fortwährend um ES. Er will es erwerben, er will es vermehren, er will es ausgeben, er will es verzinsen, er will es arbeiten lassen, er will damit kaufen, er will es vererben, er hat Angst um es, er könnte betrogen werden um es, es könnte entwendet werden u. v. m. ES hält ihn auf Trab, denn es könnte auch weggaloppieren. Geld verlangt nach Anlage. Wie ein Stachel sitzt das Geld im Subjekt. Die Verfügung folgt dem Gefüge und sie ist umso erfolgreicher, je entschiedener eins sich zu fügen versteht. Es ist die absolute Unterwerfung, die oftmals das Vorwärtskommen bedingt. Manche nennen das Karriere.
4.
Beim Einkaufen geht es darum, dass ein Geldhaber sich in einen Geldausgeber transformiert. Es handelt sich dabei jeweils um die gleiche Person in einem anderen Aggregatzustand. Geldausgeber kann einer nur sein, der Geldhaber ist. Er ist dazu solange im Stande, solange er über Geld verfügt oder ihm dieses vorgeschossen wird. Ein Kredit behauptet in diesem Realszenario nichts anderes, als dass der Kreditgeber vom Kreditnehmer meint, dass dieser das Darlehen einmal zurückzahlen wird können.
Mit dem Geld macht der Geldgeber als Käufer den Geldnehmer als Verkäufer gefügig. Geld ist der rationelle Grund, eine Ware preiszugeben. Der Austausch wird so zu einer unpersönlichen Kommunikation, wo im Regelfall allein die verdinglichte Beziehung über Geben und Nehmen entscheidet. Die substanzielle Kraft des bürgerlichen Subjekts liegt in seiner Kaufkraft. Sie entscheidet über die Teilhabe an Produkten und Dienstleistungen. Sie erscheint als das Vermögen schlechthin. Um kaufen zu können, muss man Eigentümer von Geld sein oder von etwas, das sich in Geld verwandeln lässt (Grundbesitz, Arbeitskraft, Kapital, Anspruch auf Sozialleistungen).
Bürgerliche Freiheit hat ihren Ausgangspunkt in den Rechten und Pflichten der Käufer resp. Verkäufer, freilich versetzt jene nicht alle in die Befähigung, dem Status auch zu entsprechen. Dann treten Geldmonaden ohne Geld auf den Plan. Zu den schlimmsten Dingen gehört es, nicht mehr markttauglich zu sein. Nicht kaufen zu können heißt, nicht gesellschaftsfähig zu sein. Man wird zum so genannten Sozialfall. Entwertet und verachtet, im besten Falle bemitleidet.
Wo die Abhängigkeit vom Geld oberstes Gesetz ist, ist auch die Autonomie jedes Subjekts wiederum nur über Geld zu bewerkstelligen. Wenn jemand von sich stolz verkündet: „Ich bin unabhängig“, meint er auch: „Ich habe genug Geld“. Freisein heißt sich freikaufen zu können. Ibsens Nora sagt im gleichnamigen Stück, und zwar im Ersten Akt, wo sie noch an das gemeinsame Glück mit ihrem Advokaten glaubt: „Ja, es ist doch wunderbar, tüchtig viel Geld und keine Sorgen zu haben. Nicht wahr? “ Unabhängigkeit ergibt sich, indem man die Abhängigkeit ganz entschieden für sich zu nutzen versteht. Das verstehen alle und wiederum auch nicht. Aber nicht weil es ihnen an Verstand mangelt, sondern an Geschäftstüchtigkeit. Daher ist beides richtig: Der bürgerlichen Freiheit liegt ebenso wie der wirklichen Unfreiheit das Geld zugrunde.
5.
Eine inverse Sicht der Dinge hat überhaupt so ihre Vorteile. Warenhunger ist nicht bloß der Hunger der Kunden nach den Waren, sondern primär jener der Waren nach den Kunden. Kriegt ein Kunde eine Ware nicht, dann geht jener nicht unter. Findet jedoch die Ware keinen Kunden, dann ist es um sie geschehen. Sie muss also an ihn ran, sie muss ihn haben. Die Aggressivität, die vorerst einmal auf der Seite des Verkäufers liegt, der die Ware los werden will, muss in eine wechselseitige transformiert werden. Und das ist durchaus eine Frage der Anmache, und demonstriert auch, warum gerade die Werbung zu einem bestimmenden Faktor in der Ökonomie geworden ist. Und sie ist mitnichten auf diesen Bereich beschränkt, sie hat inzwischen alle Sphären, ja intimen Zonen der Gesellschaft erobert. Nur was wirbt, lebt!
Animation ist das erste Gebot der Ware und des Kapitals. Dem Haben-Wollen wird durch die Werbung nicht nur nachgeholfen, in immer mehr Fällen wird es durch die Reklame erst erzeugt. Es gleicht einer gebieterischen Illumination. Die Ware ist stets indiskret. „Der wirkliche Konsument wird zu einem Konsumenten von Illusionen. Die Ware ist diese wirkliche Illusion und das Spektakel ihre allgemeine Äußerung.“ (Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels (1967), Berlin 1996, S. 38). Indes, sich diesen Illusionen hinzugeben fördert die realen Geschäfte. Ware funktioniert als Surrogat par excellence.
Die stimulierende Ästhetik der Werbeindustrie vermittelt einem, wo es lang geht, was schick und in ist. Wir wissen erst, was wir wollen, wenn wir wissen, was wir zu kaufen haben. Dann wissen wir es allerdings ganz genau. Was beim Geschäft letztlich zählt, ist das Ergebnis, was Anlass gewesen ist, wird im Moment des Vollzugs egal. Shoppen funktioniert nicht ohne eine allgegenwärtige Beeindruckung. Der sind wir ausgeliefert, werbefreie Räume und Zeiten gibt es kaum noch. Unsere tägliche Dosis ist eine Überdosis, die alle süchtig machen soll. Einkaufen hat zusehends weniger mit einer Erledigung oder Besorgung zu tun, es wird zum Selbstläufer. Die Notwendigkeit steten Vollzugs wird zum Bekenntnis aufgewertet. Der Kauf dient nicht mehr als Mittel zum Zweck, sondern wird Selbstzweck. Shoppen wird zum Erlebnis, zum Event. Kauflust nennt sich das, gelegentlich auch Kaufrausch.
6.
Damit die Waren nicht verfallen, haben wir ihnen verfallen zu sein. Nicht seine Erwartung treibt den Käufer, sondern seine Haltung. Er tut, was man von ihm verlangt, nicht wonach er verlangt. Diese Differenz ist ihm allerdings nicht bewusst. Es ist keineswegs mehr das berüchtigte Gebrauchswertversprechen, das die Leute motiviert und abholt, es geht zusehends um den Herdentrieb an sich, dem man sich in diversen Kauftempeln hinzugeben hat. Gegen diesen unentwegten Antrieb ist niemand resistent, es bedarf manchmal (sich) kasteiender Zurückhaltung, sich ihm zu entziehen. Natürlich verwechselt sich hier wie so oft das soziale Getriebe mit einem Trieb, indem es sich als solches inszeniert und seinen Ideologen kaltschnäuzig erklären lässt, dass der Markt der menschlichen Natur entspricht.
Gut ausgerüstete und dotierte Bataillone der Kulturindustrie sind heute dafür abgestellt, Appetit zu machen, um das Verlangen der Waren nach den Kunden in eines der Kunden nach den Waren zu transformieren. Ziel ist es, aufregend zu machen, was nicht anregt, geschmackvoll zu finden, was nicht schmeckt, überzeugend zu halten, was unsinnig ist – kurzum anzuhimmeln, was einen anhimmelt, vor allem aber nach dem zu gieren, was nach einem giert. Man denke etwa an diverse Anschaffungen, die wir keineswegs brauchen, ja nicht einmal brauchen können, wo aber der Preis, der inzwischen schon Kampfpreis heißt, uns nahe legt, zuzuschlagen: So billig wie heute bekomme ich das nie wieder. Da kann es dem gierigen Käufer schon passieren, dass er Artikel kauft, obwohl er dieselben schon hat, aber in der Hitze des Kaufs nicht schnallt, dass dem so ist.
Die Ware, die kein krudes Ding ist, sondern ein vertracktes soziales Verhältnis, kann ihren gesellschaftlichen Auftrag nur adäquat erfüllen, wenn sie nicht bloß käuflich ist, sondern wenn sie auch verkauft wird. Sie muss alles daran setzen, dass dieser Fall eintritt. Das vermag sie allerdings nicht alleine zu bewerkstelligen, sondern bedarf ihres Personals der Warenhüter, all der gesellschaftlichen Käufer und Verkäufer, somit aller. Diese stehen nicht nur in einem Dienstverhältnis zur Ware, sondern Kauf und Verkauf sind ihre Lebenswelt, in der sie sich bewegen. Sie sind immer im Dienst und stets zu Diensten.
Es ist einfach nicht so, dass ein Produkt zum Menschen will, oder dass der Mensch ein Produkt möchte, sondern dass verdinglichte Warenbeziehungen fortwährend kommunizieren. Man ist in einem Kreislauf gefangen und auch das Denken oder besser vielleicht: das Registrieren ist befangen in dieser mächtigen Form „ewigen“ Handelns, das nichts anderes als ein Handeln zu sein hat. Schon die sprachliche Doppelung des Begriffs für Unterschiedliches demonstriert die eminente Bedeutung dieses Terminus: Tun hat Handeln zu werden. – Unablässig!
7.
Der Markt ist nicht der Ort gemeinsamer, also kommunistischer Erfüllung, sondern der Raum gegenseitiger Abgleichung, ein Platz, wo der kommerzielle Wettbewerb absolut gesetzt wird. Da treten Konkurrenten an, nicht Freunde auf. Die schmerzhafte Trennung der Konsumenten von den Produkten wird dort nicht aufgehoben, sondern Produkte werden als Waren freigekauft.
Das uns entgegenkommende Produkt wird nicht als Gut geschätzt, sondern als Ware wahrgenommen. Selbst wo es nicht positiv angenommen wird („Wie kann ich es kaufen? „), sondern bloß negativ („Was kann ich mir ersparen? „). Geld und Wert sind schon im Kopf der Leute, die am Markt als Käufer und Verkäufer, und eben nicht als profane Personen auftreten. Der Mensch wird nicht erst im Kaufakt zum Käufer, sondern er erfüllt in diesem Moment nur seine gesellschaftliche Funktion, die er immer hat, auch dann, wenn er sie gerade nicht ausübt. Er ist als Käufer formiert, selbst dort, wo nicht unmittelbar der Markt regiert. Das kommerzielle Wesen betrachtet die Welt durch das Auge von Kauf und Verkauf. Seine Aufgabe als Kunde besteht darin, kundig zu sein, sich in der Warenwelt auszukennen. Warenkunde hieß dementsprechend einmal ein Unterrichtsfach.
Es ist jedenfalls nicht so, dass am Anfang ein Begehren sich ungebrochen äußert und erst dann seine Beschneidung durch die Geldmenge greift. Das hieße doch, dass Menschen den Gegenstand des Verlangens zuerst als Gut und dann erst als Ware auffassen. So ist das nicht! Die selbstverständliche Pflicht liegt darin, jedes Produkt und jeden Dienst in den Dimensionen des Preises (und des Preisvergleiches) zu beurteilen und diese mit den eigenen finanziellen Potenzen zu konfrontieren.
Wenn wir die Waren betrachten, denken wir den Tauschwert nicht bloß mit, wir begreifen und betätigen, ja empfinden ihn. Das ist ein synthetischer Vorgang. Und dieser gleicht nicht nur einem sozialen, sondern einem organischen Reflex, der den Instinkten nahekommt, und daher sich auch als solcher einschätzt. Die Kalkulation in den Geschäften folgt dem Gespür alltäglichen Handelns, den vielfachen Erfahrungen, die jedermann mit der Warenwelt so hat. Im Einkauf findet so einerseits viel mehr statt als Produktbeachtung, andererseits viel weniger, weil eins sich nicht und nicht auf das Produkt zu konzentrieren vermag.
In letzter Instanz nimmt der Käufer als Käufer nicht sinnliche Möglichkeiten wahr, sondern monetäre Gelegenheiten. Wir sind weitgehend unfähig, etwas aufzufassen, ohne die Kosten zu denken. Unser Denken ist ein Denken in Preisen, ein primitives Reflektieren in und von Werten. Was das kosten wird? Was das wohl gekostet haben mag? Oder: Wie komme ich selbst auf meine Kosten? Permanent umschwirren solch ungemütliche Gedanken unseren Geist und verwandeln ihn in eine Rechenmaschine, wo die Kosten stets wichtiger sind als die Folgen der Handlungen.
8.
Können alleine kann gar nichts. Die Eignung der Menschen zum Konsum und die Eignung der Produkte zum Gebraucht-Werden, verbunden mit einer vernünftigen Zuteilung, das alles ist heute weder ausreichend noch ausschlaggebend. Die Eignung muss einer besonderen Aneignung unterworfen werden. Die Eignung zur Nahrungsaufnahme reicht keineswegs aus, essen zu dürfen. Um Brot zu essen oder auch Traktor zu fahren muss es einen Eigentümer geben, der das tut oder es anderen gestattet. Annahme, Betätigung, selbst Sättigung verlangt einen Rechtstitel. Bedürftigkeit oder Wille sind im Normalfall solche nicht. Das ist noch immer, ja immer mehr die Bezahlung.
Reichtum im Sinne eines glückenden Lebens ist aber nicht eine Frage des Maßes, sondern eine der Güte. Nicht das ewige Mehr ist das Ziel, sondern das sinnliche Erleben befriedigender Momente, kurzum: der Genuss. Natürlich ist ein bestimmtes (aber keineswegs verallgemeinerbares) Quantum die notwendige Basis, um den Mangel zu überwinden, aber die beständige Steigerung disqualifiziert jedes Maß durch Vermessenheit ins Unmaß. Menge vergrößert Chancen bloß, wenn es die räumlichen und zeitlichen, die psychischen und physischen Kapazitäten gibt, jene zu fassen.
Je mehr CDs jemand hat, desto geringer werden pro CD die Möglichkeiten, dass diese auch gehört werden. Man schließt mit solch besitzanzeigendem Eigentum nicht nur andere davon aus, sondern letztlich auch sich selbst. Das zeitigt eine paradoxe Pointe: Je mehr man hat, desto weniger hat man davon. Also verlangt man nach mehr, um noch weniger zu haben. Der uns stets bedrängende Komparativ ist Folge dieses immanenten Wachstumswahns. Der Hunger nach Waren wird umso größer, je weniger er mit ihnen gestillt werden kann.
Es gibt auch ein sich disqualifizierendes Haben, das ist dann der Fall, wenn die Habe sich nicht zur Verwendung eignet, sie unkonsumiert bleibt. Als gekaufte Waren haben sich diese zwar verwertet, aber sie werden nicht genutzt, sie verstellen einfach Platz oder verderben. Man hat sie, ohne etwas davon zu haben. Aber alleine die Einbildung, ausschließlich über sie verfügen zu können, steigert Selbstwertgefühl und Stellenwert des bürgerlichen Subjekts. Die reale Verfügung wird hier durch eine fiktive ersetzt. Ab einer gewissen Größe ist Reichtum unrealisierbar, unwirklich dahingehend, dass er von seinen Inhabern in keiner Weise mehr genossen werden kann. Gekauftes und Genuss sind nicht einmal hintereinander eins. Auch hier spalten sich Wert und Reichtum.
„Wofür gibt Gerhard Randa sein Geld aus? „, fragte die Kronen Zeitung den langjährigen Chef der Bank Austria, und Randa antwortete: „Meistens fehlt mir fürs Geldausgeben die Zeit. Nur am Flughafen, wenn ich warten muss, schlage ich zu. Dann kaufe ich Krawatten, die ich nie trage, Bücher, die ich nie lese, und CDs, die ich nie höre.“ (Kronen Zeitung, 5. Dezember 2004) Besser kann man Armut durch Reichtum kaum noch beschreiben.
Besitz soll nicht als Inklusion von Möglichkeiten verstanden werden. Wer auf der Mannigfaltigkeit beharren und auf den Genüssen des Lebens insistieren will, darf diese nicht in das enge Korsett des Privateigentums zwängen. Dieses verhindert mehr, als es erlaubt. Es schließt nicht einmal die davon nicht Ausgeschlossenen nicht aus. Recht beschneidet die Verfügung nicht nur negativ. Der Eigentumstitel sagt also wenig über den Effekt. Ein Zuviel führt in den Stau oder den Überdruss. 500 Krawatten und 400 Hemden können von ihren Besitzern nicht mehr entsprechend genutzt werden. Ebenso 16 Yachten oder 1000 Häuser. Da weiß man nicht einmal, was man hat, geschweige denn, wie man es konsumieren kann. Letzteres wird auch als Kapital angelegt. Aber damit ist die Obszönität nicht beseitigt.
9.
Links steht der Gebrauchswert (Menge, Titel, Marke), rechts der Tauschwert, charakterisiert durch eine Zahl mit Komma, die den genauen Preis ausweist. Rechts unten sind die einzelnen Posten dann zusammengezählt. Die Rede ist vom Kassenbon. Die entsprechende Summe ist jedenfalls zu entäußern, um in den Besitz der Lebensmittel zu gelangen. Die Rechnung ist nicht bloß eine Bestätigung, sondern auch ein Zeugnis, das dem Käufer Rechenschaft über seinen Einkauf gibt, damit er die finanzielle Zweckmäßigkeit seines Tauschhandels überprüfen kann.
Wenn der Käufer die Ware ansieht, was sieht er? Und wie sieht er sich selbst, wenn er sich als Käufer ansieht, oder sieht er sich als solcher gleich gar nicht an? Sind Sachlichkeit, Rationalität, Konstruktivität vielleicht gar Zwangsvorstellungen, Halluzinationen? Beim Kauf geht es ganz wild zu in den Ganglien: Nicht „Was ist zu haben? “ ist die Frage, sondern „Was kann ich mir leisten? “ Der Gebrauchswert der Ware muss mit dem ähnlicher Waren verglichen werden. Die Ware ist bezüglich der eigenen Kaufkraft zu veranschlagen. Sie muss aber auch zum Warensortiment in Bezug gesetzt werden, das der Warenkäufer erwerben will. Was braucht man notwendiger? Was ist unverzichtbar? Was ist leistbar? Daraus folgen Reihungen und Entscheidungen. Weiters: Welches Produkt ist billiger? Welches Produkt lebt länger? Was sagen die Erfahrungen? Welches gefällt resp. schmeckt besser? Die Ware muss schließlich zur gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit in Beziehung gesetzt werden. Entspricht der Preis dem Wert, kurzum: Ist der Artikel preiswert? Diese und viele andere Fragen stellt der Warenkäufer sich dauernd. Er braucht sie gar nicht auszuformulieren. Sie behaupten sich sowieso. Ständig gilt es, Preise zu vergleichen, Listen zu studieren, Sonderangebote zu suchen. Obgleich diese einem ja entgegenfliegen, öffnet man die Wohnungstür oder das Postfach. Billig davonkommen, (sich) teuer verkaufen, ist die Devise.
Was wir brauchen, um erfolgreich zu sein, ist: Kalkül! Kalkül! Kalkül! Die Waren- und Geldmonade ist darauf abgerichtet, permanent zu kalkulieren. Das funktioniert quasi automatisch. Wir handeln wie im Affekt, weil Handeln zu einem Affekt geworden ist. Jeder Käufer wird so zu seinem Geldbörsenspekulanten. Einkaufen ist eine ungemein komplexe Angelegenheit, es erscheint nur nicht als solche, weil es kaum eine andere Gewohnheit gibt, die so vertraut ist. Hier regiert die Allmacht der Konvention.
Mit Geld umgehen zu können, gehört zu den gefragtesten Eigenschaften. Unzählige Spezialberufe haben sich da im Lauf der Zeit herausgebildet: Börsenspekulanten, Steuerberater, Versicherungsmakler, Bankangestellte, Kassierinnen, Mahnabteilungen, Finanzbehörden etc. – Es wäre ziemlich interessant zu erheben, wie hoch der Prozentsatz an menschlicher Gesamttätigkeit dafür ist. Wir würden vermuten, es ist der Großteil. Der direkte Dienst am Geld als Gelddienst ist zum vorherrschenden Beruf geworden. Die Gesellschaft mag sich säkularisiert haben, doch noch nie gab es so viele Priester und Orden, siehe oben. Derlei quantitative Forschung findet sich freilich kaum. Cui bono?
10.
Im Kaufen offenbart sich tagtäglich die fetischistische Bezüglichkeit der Menschen zu ihren Leistungen und Produkten. Sie nehmen diese nicht direkt wahr und an, sondern indirekt. Der Zugang erfolgt über ideelle und reelle Umwege. „Wenn die Tauschwerte in den Preisen ideell in Geld verwandelt werden, werden sie im Tausch, im Kauf und Verkauf, reell in Geld verwandelt, gegen Geld umgetauscht, um sich als Geld dann wieder gegen Ware umzutauschen.“ (MEW 42: 124). Käufer und Verkäufer bestimmen Kosten und Preise, auf einer quantitativen Skala, die von all den nützlichen Dingen abstrahiert, aber sie doch als konkrete Summe auszuweisen versteht. Erst dann erfolgt eine Aneignung über den Markt mittels eines Rechtsgeschäftes.
Die prägende Sonderstellung des Werts offenbart sich darin, dass der Waren- und Geldfetisch mit geradezu drückender Vehemenz auf den gesellschaftlichen Gliedern, egal ob Exponenten oder Exponaten lastet. Ob man an Gott glaubt oder bestimmte Utensilien beim Sex verwendet – dem kann eins sich auch entziehen! Waren nicht zu kaufen und mit dem Geld nicht zu hantieren, das kann man sich hingegen nicht erlauben. Auch wenn dies gar nicht verboten ist, hört da die Freiheit auf. Ins Gotteshaus und in die Peepshow wird man allemal gelockt, aber hineingezwungen wird niemand; ins Kaufhaus und in die Bank jedoch schon. Ob reell oder virtuell, ist da ganz egal. Dazu bedarf es weder eines Befehls noch einer Aufforderung, ja nicht einmal eines Hinweises. So wenig wir davon auch wissen, wir wissen alle, was zu tun ist.
Teil 2: „Vom Verkaufen“ folgt in der nächsten Ausgabe der Streifzüge.
1. Juli 2006