Streifzüge 37/2006
2000 Zeichen abwärts
von Andreas Exner
Die „civil society“ pries einst John Locke. Als „bürgerliche Gesellschaft“ taucht sie auf bei Hegel. Gramsci galt die „società civile“ als Hindernis der Revolution. Die Zivilgesellschaft ist so frisch wie eine alte Socke. Dies freilich schreckt nicht in jedem Falle ab, sich ihrer zu bemächtigen. Im Gegenteil. Socken sind wichtig, Retrolook ist in. Wie erinnerlich, stieg die „Zivilgesellschaft“ auf, als die Mauer fiel. Ihre Blütezeit ist schon seit längerem vorüber. Liebhaber antiquarischer Diskurse haben sie nun behutsam aufgegriffen, ein wenig abgestaubt und parfümiert. Ihr zu Ehren veranstalteten sie in Wien jüngst eine „Konferenz Zivilgesellschaft“. Allerlei Wissenswertes war dabei zu erfahren. „Die Zivilgesellschaft ist in aller Munde“, meinten zwei in der Eröffnungsrede, „und hat ihre verbürgte Rolle, die heute niemand mehr ernsthaft bezweifelt. In Europa setzt die Zivilgesellschaft zum großen Atemholen an, frischer Wind rauscht durch die Lungen.“ Großes Atemholen, frischer Wind, rauschende Lungen – Zivilgesellschaft verleiht Flügel. Kein Wunder, blickt sie doch zurück auf Glanz und Glorie: „Ihre ersten Anfänge“ nämlich „nahm die europäische Zivilgesellschaft mit dem Spartakus-Aufstand“. Gleichwohl ist sie – Spartakus behüte – „nicht jenseits von Markt und Staat, sondern steht mitten drinnen“. Wie sich das mit Spartakus verträgt, ist nicht ganz klar, aber sei’s drum: römisches Reich und Nationalstaat, Sklaven, Herren, Bürger – das ist doch alles irgendwie dasselbe, nicht wahr? Weit besser noch harmoniert „Zivilgesellschaft“ allerdings mit „französischer Revolution“. Letztere sei es gewesen, „die den modernen Staat mit seiner Gewaltenteilung, BürgerInnen- und Menschenrechte und Markt erst schuf“, freilich ohne Binnen-I. Die „Zivilgesellschaft“ findet das ganz super: „Wir verstehen Markt und Staat als institutionelle Errungenschaften einer dynamischen Zivilisation“. Peinlich aber auch, es ist uns bis jetzt entgangen.