Die ruinöse BAWAG-Affäre führt zur Entmündigung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
„Freitag“ 19, 12.5.06
von Franz Schandl
Vor einem Jahr noch hätte man die Geschichte der BAWAG, der „Bank für Arbeit und Wirtschaft“, der Rechtsnachfolgerin der 1922 gegründeten Arbeiterbank, als Erfolgsstory schreiben können. Vor allem seit Beginn der Neunziger Jahre ist es mit dem im Besitz des österreichischen Gewerkschaftsbundes stehenden Institut stets bergauf gegangen.
Dieser Aufstieg war eng verbunden mit dem Namen Flöttl. Walter Flöttl war damals Chef der Bank und sein Sohn Wolfgang, ein in Harvard ausgebildeter Börsenfachmann, investierte in Übersee. Es lief wie geschmiert: Senior schickte Geld und Junior vermehrte es. Zwar gab es Unregelmäßigkeiten und Verdächtigungen, etwa dass Wolfgang Flöttl in dubiose Geschäfte in der Karibik verwickelt sei. Indes, die Akkumulation glückte, die Kasse stimmte und so verstummte bald jede Kritik. Solange Geld über die BAWAG in die Gewerkschaftskassen floss, wollte man auch dort gar nicht so genau wissen, welche Aktionen und Transaktionen hier stattfinden.
Da mochten die Gewerkschaftsbeiträge schwinden, solange Umsätze und Profite der BAWAG sich prächtig entwickelten, war alles in bester Ordnung. Mit dem Kauf der Österreichischen Postsparkasse im Jahr 2000 war man zur viertgrößten Bank des Landes geworden. Auch die meisten Überweisungen der Republik liefen nun über die BAWAG. Für die infrastrukturelle Ausstattung der Gewerkschaft war bestens gesorgt. Der ÖGB war wirklich zu einer Trade-union, zwar nicht im gängigen, aber im wahrsten Sinne des Wortes geworden.
Das erste Mal ins Schlingern geriet das Institut 2001 als Flöttl junior fast eine halbe Milliarde Euro am internationalen Finanzmarkt „ehrlich verzockte“. Da war Gefahr im Verzug, doch die Verantwortlichen eilten zum Eigentümer, ließen sich die Verluste vom mittlerweile zurückgetretenen Gewerkschaftspräsidenten Fritz Verzetnitsch besichern und schönten ein bisschen die Bilanz, damit einen die Bankenaufsicht in Ruhe lässt. Die Sache schien erledigt und sie wäre bis heute nicht aufgefallen, wäre es Ende 2005 nicht zur REFCO-Pleite gekommen.
Zuerst behauptete man Opfer zu sein. Man sei dem „raffinierten Gauner“ Philip Bennett aufgesessen, als man knapp vor dem Zusammenbruch der Broker-Firma REFCO gutes Geld an den bösen Mann in den Vereinigten Staaten überwiesen hatte. Nachher stellte sich freilich heraus, dass der ÖGB auch direkt über eine Stiftung in Liechtenstein Anteile an der REFCO hielt. Hochrechnungen sprechen bereits von bis zu 40 Prozent. Jetzt wollen sowohl Gläubiger als auch Aktionäre ihr verlorenes Geld von der BAWAG und vom ÖGB zurück. Eine Klage folgt inzwischen der nächsten. 1,1 Milliarden Dollar an BAWAG-Geldern sind in der USA eingefroren und für etwaige Entschädigungen sichergestellt.
Glaubte man anfangs diese Krise noch aus eigener Kraft zu bewältigen, also mit Gewerkschaftsgeldern sanierend eingreifen zu können, so stellte sich das zuletzt als unmöglich heraus. Das alles war eine Nummer zu groß geworden. Die Bank stand Ende April vor dem endgültigen Aus. Man hat sich nicht nur kurzfristig übernommen, man hat alles verspielt. Die, die über Heuschrecken schimpfen, sind durch Heuschreckengeschäfte Opfer der Heuschrecken geworden.
Blieb also nur noch der Gang zu Vater Staat, um dort die gnädige Bitte vorzubringen, die Bank doch zu retten. Dieser erfüllte das Ansinnen prompt, wenn auch auf geradezu gerissene und beschämende Weise. Unter Blitzlichtgewitter war am 2. Mai die gesamte schwarz-orange Regierungsspitze in der BAWAG-Zentrale einmarschiert: Kanzler, Vizekanzler, Minister, und selbst Haider war aus Kärnten herbeigeeilt. Die demonstrative Eröffnung von roten BAWAG-Sparbüchern inszenierte und genoss man als Akt einer Demütigung: Symptomatisch ein Foto, wo der smarte Finanzminister Karl-Heinz Grasser seinem Gegenüber, dem abgekämpft wirkenden sozialdemokratischen Wirtschaftsprofessor und neuen BAWAG-Chef Ewald Nowotny die Hand reicht und dabei süffisant grinst. Das Bild spricht Bände: Wir sind obenauf, aber wir lassen euch leben.
Ohne Hilfe der Regierung wäre der Konkurs der BAWAG unvermeidlich gewesen und der ÖGB wohl bis auf die Unterhose gepfändet worden. Daher bedankte man sich artig und versprach auch alle Auflagen und Bedingungen zu erfüllen. Die haben es allerdings in sich. De facto wird der Gewerkschaftsbund enteignet: Die BAWAG muss zur Gänze verkauft werden. Der ÖGB darf nicht einmal eine Sperrminorität von 25 Prozent behalten. Ebenso sind alle Anteile an der Österreichischen Nationalbank billigst zu veräußern und die gesamte Finanzgebarung innerhalb weniger Wochen offen zu legen. Auch der sagenumwitterte Streikfonds wird in Zukunft der Aufsicht der Nationalbank unterstellt. Der ÖGB wird regelrecht perlustriert und entmündigt.
Freiwillig hätte der ÖGB diesen Eingriffen nie zugestimmt. Doch jetzt ist ihm gar nichts anderes übrig geblieben. Die Weichen des Gewerkschaft sind neu gestellt, aber nicht von ihr. Selbstverwaltung, das war gestern. Am Abend des 1. Mai 2006 hat der ÖGB nichts weniger als seine Kapitulationsurkunde unterzeichnet. Im Eilzugstempo wurde am 8. Mai in einer Sondersitzung des Nationalrats ein BAWAG-Sicherungsgesetz beschlossen. Der Bund hat darin eine zeitlich befristete Ausfallshaftung für die BAWAG in der Höhe von 900 Millionen Euro übernommen. Das hat zweifellos zur Beruhigung der Situation beigetragen. Doch noch ist die Sache nicht ausgestanden, da nicht ganz klar ist, ob diese staatliche Unterstützung nicht geltendem EU-Recht widerspricht.
Finanziell erledigt, psychisch angeschlagen, organisatorisch zurechtgestutzt, so könnte man den Zustand des ÖGB umschreiben. Da nie mehr Gewinne der BAWAG an ihn fließen, wird es im Gewerkschaftsbund zu einem empfindlichen Personalabbau und zu Gehaltskürzungen kommen. Wie unzählige Kunden der BAWAG den Rücken kehren, so verlassen auch viele Mitglieder den ÖGB. Dessen Handlungsfähigkeit ist extrem beschnitten. Gewerkschaftsintern wird sogar überlegt, den ÖGB aufzulösen und neu zu gründen.
Schüssels Eingreifen wird hierzulande als großer Coup beurteilt, ja als „historischer Sieg“ über die Gewerkschaften. Triumphalistisches Geheul wie „Jetzt wird die Streik-Kassa ausgeräumt“ überlässt man dem neoliberalen „Wirtschaftsblatt“, offiziell gibt sich die schwarze Reichshälfte zurückhaltend: Nein, man werde die Bank nicht in den Wahlkampf zerren, nein, man werde den ÖGB schonen. Aber sagen, dass die Roten nicht wirtschaften können, dass Marx Murx ist, das wird man schon dürfen. Und wie man es darf. Dass hier Marktwirte an der Marktwirtschaft gescheitert sind, Spekulanten an der Spekulation, wen interessiert das? Suggeriert wird eine „rote Sauwirtschaft“, wo korrupte Bonzen und Funktionäre als „Möchtegernkapitalisten“ sich wieder mal was Ungeheuerliches geleistet haben.
Wer erfolgreich spekuliert ist ein Held, wer erfolglos ist, ein Fall fürs Kriminal. Wieder einmal nimmt eine Affäre ihren obligaten Verlauf. Im medialen Getöse der Aufgeregtheiten und Schnellschüsse geht jedes analytische Begreifen der Vorgänge verloren. Seien wir sicher, es wird sich soviel tun, dass sich am Ende wiederum gar nichts getan hat. Der Ruf nach personellen Konsequenzen ist stets ein Ruf zur Opferung und kein Schritt zur Änderung. Der eigentliche Skandal ist, dass dieser als Abweichung gieriger Buben inszeniert wird, nicht als fehlgeschlagene Ausgestaltung kapitalistischer Geschäftstriebe.
Auch der neuen Gewerkschaftsspitze fällt nichts anderes ein, als ihren gestrauchelten Präsidenten als Buhmann und Hauptschuldigen aufzubauen. Bescheinigte man ihm bis vor einigen Tagen noch Integrität, ja lobte sein Verantwortungsbewusstsein beim Rücktritt, so will man ihm nun alles in die Schuhe schieben. Der tiefe Fall des ehemaligen ÖGB- und auch langjährigen EGB-Präsidenten Fritz Verzentnitsch drückt sich darin aus, dass er als Leitender Sekretär nicht nur gekündigt, sondern fristlos entlassen wurde. Dieser unfreundliche Akt zeugt jedoch mehr von Panik als von Kalkül. Verzetnitsch will nun vor dem Arbeitsgericht seinen Rauswurf bekämpfen und hat juristisch gute Chancen. Auch dieser Umstand verdeutlicht, dass die sozialdemokratischen Gewerkschafts- und Parteifunktionäre absolut nichts mehr im Griff haben. Da ist Schadensmaximierung angesagt.
Ob die Sozialdemokratie unter diesen Voraussetzungen im November die Nationalratswahl gewinnen kann, ist äußerst zweifelhaft. Noch dazu steht eine linkspopulistische Kandidatur ins Haus: Der EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin (einst Spiegel-Redakteur und Autor des Bestsellers „Die Globalisierungsfalle“) will in den Nationalrat. Die Fürsorge der mächtigen Kronen Zeitung, die einst Haider galt, gilt jetzt ganz Martin. Fast wöchentlich darf er dort eine Kolumne publizieren. Da geht es naturgemäß gegen Filz und Verschwendung, gegen Bürokratie und Brüssel. „Die EU und die BAWAG haben vieles gemeinsam“, schreibt er. Schon bei den letzten Europawahlen konnte seine Liste 13 Prozent erreichen. Zweistellig wird das Ergebnis zur Nationalratswahl nicht werden, aber wenn Martin 5 bis 7 Prozent erntet, ist das ein beachtliches Ergebnis. Er wird zwar auch einstige Haider-Wähler einsammeln, vor allem aber in sozialdemokratischen Revieren wildern.