Streifzüge 37/2006
KOLUMNE Unumgänglich
von Franz Schandl
Dort, wo der Klassenkampf sich als Alternative zum Kapital versteht, missversteht er sich selbst. Als Formierung ist er dazu da, jenes in Bewegung zu halten, indem er die Interessen der Ware Arbeitskraft vertritt. Sei es puncto Arbeitslohn, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, soziale Sicherheiten oder Reproduktionsmöglichkeiten. Der Klassenkampf ist eine Agentur des Kapitals und der Kampf selbst eine primitive Form des Zusammenstreitens.
Dass das Leben Kampf ist, ist wahr, aber traurig. Aus der Notwendigkeit von Kämpfen ist keineswegs auf die Befürwortung des Kampfes zu schließen. Im Gegenteil, es gilt ihn zu überwinden, nicht zu erneuern. Nicht zu wenig wird gekämpft, sondern viel zu viel. Das gute Leben ist jenseits des Kampfes. Natürlich geht es nicht an, sich gefallen zu lassen, was einem zugemutet wird. Aber sich an dieser zwanghaften Reaktion zu erfreuen, sie gar zu einer Art Sinn des Lebens aufzublasen, ist ein Kurzschluss, wenn auch ein objektiv notwendiger.
Um nicht falsch interpretiert zu werden: So lange Kapitalismus ist, wird das so bleiben. Aber es stellt sich die Frage, mit welchem Bewusstsein Konfrontationen sich gestalten. Gemeinhin ist es die Identifizierung mit den Interessen der Rolle, und gemeinhin wirft der Radikalismus dem Sozialdemokratismus vor, diese Identifizierung zu wenig weit zu treiben. Viele radikale Linke meinen, sie seien deswegen besonders revolutionär, weil sie stets einer Verschärfung und Zuspitzung des Kampfs das Wort reden. – Werch Illtum! Klassenkampf, soziale Bewegung und Politik sind konstitutionelle Größen des bürgerlichen Systems. Da mögen sich deren Träger gelegentlich etwas anderes einbilden und da mag auch vorkommen, dass nicht jeder Aspekt integrierbar ist.
Keine Politik ist möglich sagt vorerst etwas über die konkreten Politiken; es sagt weiters, was von der ganzen Politik als Formprinzip zu halten ist, und es sagt schlussendlich; dass trotzdem etwas möglich ist – man beachte das Klebeetikett, wo tatsächlich steht: Keine Politik ist möglich. Noch einmal: Nicht die Möglichkeit menschlichen Wirkens oder Schöpfens wird durchgestrichen, wohl aber die vorgegebene Form, in der sie sich zu gestalten hat. Das freilich leuchtet vielen nicht ein. „Keine Politik ist unmöglich“, lässt uns etwa der sympathische Martin Birkner in der letzten Ausgabe der Gundrisse (Nummer 18) trotzig ausrichten. Bezeichnenderweise in einem Artikel, dessen martialischer Titel „Kampffeld ohne Kampf“ Militanz und Uniform gleich mitspüren lässt. Da riecht es förmlich nach Schützengräben und Klassenfeinden. Rotfront, Genosse!
Derweil schreibt Birkner: „Der Staat war nicht, ist nicht und wird eines niemals sein: Gegenpol zum Kapital“. Richtig! Warum soll aber dann ausgerechnet für die Politik gelten, was puncto Staat nicht gilt? Ist Politik nicht „Orientierung auf den Staat“? Politik und Staat unterscheiden sich doch bloß so wie die Verallgemeinerung von der Allgemeinheit. Folglich fordert der eben zitierte John Holloway auch „Antipolitik“ ein. Das fordern wir auch. Die „nicht-parlamentarische und nicht-parteienförmige Politik“ (Birkner) ist hingegen keine Perspektive. Die Befangenheit in der Form, dieses „innerhalb der Schranken der Politik Denkens“ (Marx) ist zu überwinden. Die relative Autonomie der Politik ist ein Spielraum für Unverbesserliche und Unentwegte. Statt Politik spiele ich aber lieber Tarock.
Selbstverständlich wird es auch weiterhin positive Bezüge auf Staat und Politik geben. Aber das heißt nicht, dass man diese Not in aller Wendigkeit zum Lebensinhalt erklären muss. Was an Politik heute wohl wohler als übel noch machbar ist, ist (zumindest in Österreich) mit der Person Ernest Kaltenegger ganz gut umschrieben. Das dürfte das Maximum innerhalb des sich minimierenden Minimums der Politik sein. Die steirischen KPÖler wissen da gar nicht, was sie kapiert haben. Die Crux liegt allerdings darin, dass sie ihre Bescheidenheit sofort wieder ideologisieren und als kommunistisches Programm ausgeben.
„Der kapitalistische Staat war niemals jenseits des Kapitalverhältnisses“, so Birkners Credo. Wieder richtig! Aber Gleiches gilt nicht nur für Politik, sondern ebenso für soziale Bewegungen. Letztere entpuppen sich stets als Motor kapitalistischer Modernisierung. Überschüssige Momente haben nach den Phasen der Inauguration ausgespielt. Soziale Bewegung meint Intensivierung, Verdichtung und Beschleunigung eines bürgerlichen Modernisierungsprogramms. Sie folgt einem Denken in Defiziten und Komparativen. Soziale Bewegung handelt als ein Kollektivsubjekt des Kapitals. An der Tagesordnung steht daher Kritik derselben, nicht die nochmalige Anbetung des konkurrenzistischen Unwesens. Ein Fetisch mehr ist zu verabschieden. Transvolution ist Antibewegung. Antibewegung könnte bedeuten, sich der schwierigen Aufgabe zu stellen, sich nicht in und nicht nach den vorgesetzten Bewegungsgesetzen zu bewegen. Und wo es dennoch geschieht, nichts anderes zu behaupten.
Wir sollten in erster Linie an uns denken, aber nicht als Betätiger der uns zugewiesenen Rollen, sondern als Menschen, die eine Welt gewinnen wollen, ohne dass sie dabei verdrängen und rauben, zerstören und vernichten. Das ist doch schon was.