Streifzüge 37/2006
von Franz Schandl
Ein Buchtitel „Ich bekenne. Katholische Beichte und sowjetische Selbstkritik“ (vom Wiener Historiker Berthold Unfried) mag vorerst überraschen, indes, nur auf den ersten Blick spannt der Autor hier einen (allzu) weiten Bogen. Denn nichts ist naheliegender als etwa das Ritual der Selbstkritik mit der Beichte oder auch die Moskauer Prozesse mit den Hexenprozessen der Frühen Neuzeit in Verbindung zu bringen. Da wird zusammen gedacht, was zusammengehört. Unfried legt also eine Fährte, die zumindest bisher in dieser Deutlichkeit nicht gelegt wurde, wenngleich die Parallelen doch frappierend sind. Sozialistische Theorie und Praxis waren in vielen Punkten christlich vorgeprägt: Heilserwartung, Erlösung, Rechtgläubigkeit, Frömmigkeit und noch mehr kehrten in weltlichem Gewand wieder.
Freilich ist es schon bezeichnend und beklemmend, wie sehr auch kluge Köpfe sich für die Propaganda selbstbezichtigender Kritik einsetzen ließen. Stellvertretend sei etwa der sowjetische Schriftsteller Wladimir Majakowski genannt, der kurz vor seinem Freitod Folgendes dichtete: „Das Schwitzbad ist einer Rosskur vergleichbar: / Es macht die gründlichsten Heilkräfte frei. Dies Mittel bleibt Allen und Jedem erreichbar: / Selbstkritik – die Universal-Arznei! “ (Wandsprüche für die „Schwitzbad“-Aufführung, 1929/30)
Vor uns liegt jedenfalls eine kenntnisreiche Studie, die Mechanismen, Identitäten und Differenzen ihrer Forschungsgegenstände einer vergleichenden Analyse unterzieht. Die Rede ist von Selbstthematisierung, Säuberung, Geständnis, vom Zusammenhang von Kritik und Selbstkritik und immer auch von Individuum und Subjekt. Das Resümee-Kapitel des Autors findet sich übrigens auf unserer Homepage.