Elmar Altvaters ökologische Kapitalismuskritik bleibt auf halbem Wege stehen
Streifzüge 37/2006
von Bruno Kern
Elmar Altvater ist einer der wenigen namhaften Ökonomen hierzulande, die die ökologischen Bedingungen der Ökonomie mitbedenken und ernsthaft in ihre Analysen einbeziehen. Das ist äußerst verdienstvoll. Viele „linke“ Ökonomen scheinen ja mit den viel gescholtenen Neoliberalen zumindest eine Voraussetzung zu teilen: dass sich die Produktion im luftleeren Raum abspielt, dass die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und die begrenzte Tragfähigkeit der Ökosysteme allenfalls als Randbedingungen in die Ökonomie mit einfließen. Die naive Wachstumsgläubigkeit ist immer noch unabhängig vom sonstigen politischen Standort, ob sie nun in der neoliberalen oder neokeynesianischen Spielart auftritt. Man lese nur einmal die Programmatik der Linkspartei. Die Lösung der Probleme (vor allem der Massenarbeitslosigkeit) verspricht man sich von der Ankurbelung des Massenkonsums, ohne zu erwähnen, dass dies nur um den Preis eines noch größeren Ressourcenverbrauchs und einer beschleunigten Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen zu haben ist – es sei denn, man geht davon aus, die Menschen würden ihr zusätzliches Geld in so etwas Immaterielles wie Museumsbesuche oder Seelenmessen investieren.
Angesichts dieses Befundes ist Altvaters Buch ein höchst notwendiger Denkanstoß. Bedauerlich nur, dass er in Halbherzigkeiten stecken bleibt. Viele richtige Einsichten werden einfach nicht konsequent genug zu Ende gedacht. Allein die Titelformulierung ist in dieser Hinsicht aufschlussreich: Das auf dem Buchumschlag in großen Lettern verkündete „Ende des Kapitalismus“ wird sofort durch den „Relativ“-satz relativiert: wie wir ihn kennen. Also doch weiter auf kapitalistischen Pfaden, ein Kapitalismus mit „ökologischem Antlitz“?
Seit Karl Marx ist die Linke davon ausgegangen, dass der Kapitalismus an seiner eigenen inneren Widersprüchlichkeit scheitern wird. Seit Karl Marx hat dieser Kapitalismus jedoch immer wieder seine Anpassungsfähigkeit bewiesen, wenn sie auch einen hohen Preis hatte. Die Widersprüche konnten immer wieder erfolgreich (im Sinne der Selbsterhaltung des Systems) ausgelagert werden. Die Kehrseite ist hinlänglich bekannt: der Ausschluss immer größerer Bevölkerungsmassen aus jedem sozialen und ökonomischen Zusammenhalt, wachsendes Elend in der Dritten Welt, ein sich verschärfender Arm-Reich-Gegensatz hierzulande und eine gnadenlose Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Die erstaunliche Überlebensfähigkeit des Kapitalismus führt Altvater auf die einmalige Dreier-Konstellation zurück: kapitalistische Produktion vereint mit europäischer Herrschaftsrationalität und vor allem der fossilen Energiebasis. Trotz seiner Erfolgsgeschichte aber ist der Kapitalismus zum Scheitern verurteilt. Er wird sich jedoch nicht im Netz seiner eigenen inneren Widersprüche verfangen, sondern vielmehr einem „äußeren Anstoß extremer Heftigkeit“ erliegen. Das Zeitalter der fossilen Energien ist zu Ende, vor allem die Ressource Erdöl hat vermutlich ihren Höhepunkt bereits überschritten. Das Ende der fossilen Energien bedeutet aber den Todesstoß für den Kapitalismus – „wie wir ihn kennen“.
Auf ein paar Seiten zeigt Altvater prägnant und überzeugend auf, warum kapitalistische Produktionsweise und fossile Energie so gut zusammenpassen (S. 85ff). Die Verfügbarkeit unabhängig von Ort und Zeit, die Konzentration und Zentralisierung, die Mobilität … all das kommt dem kapitalistischen Rentabilitätskalkül auf geradezu ideale Weise entgegen. Erneuerbare Energiequellen (Wind, Sonne, Biomasse… ) genügen diesen Kriterien nicht mehr. Ihr Einsatz setzt völlig andere, dezentrale, Strukturen voraus. Die heutigen Produktionsstrukturen sind also nicht vereinbar mit dem unausweichlichen Umsteigen auf erneuerbare Energien.
Dies alles ist leicht einzusehen, jedoch viel zu kurz gedacht. „Alternative Energiequellen stehen zur Verfügung“, schreibt Altvater, und betet damit jenes naive Credo nach, das uns mittlerweile sattsam bekannt ist. Nicht nur der Prophet der Solarenergie, Hermann Scheer (SPD), nicht nur die Bündnisgrünen, sondern inzwischen auch große Ölkonzerne wie BP versuchen uns derzeit glaubhaft zu machen, erneuerbare Energien seien praktisch grenzenlos vorhanden, man müsse sie nur „anzapfen“. Unterschlagen wird dabei ein wesentlicher Punkt: Die heute eingesetzten erneuerbaren Energien verdanken sich selbst der noch bestehenden fossilen Energiebasis. Die Anlagen, die uns erneuerbare Energien überhaupt erst erschließen (z. B. Photovoltaik-Kraftwerke etc. ), die technischen Voraussetzungen und die gesamte Infrastruktur, deren auch die erneuerbaren Energien bedürfen, wurden selbst mit Hilfe von fossiler Energie hergestellt. Die „erneuerbaren“ sind also zur Zeit „Parasiten“ der fossilen Energiequellen. Der Ökonom Georgescu-Roegen hat eine äußerst wichtige Unterscheidung getroffen: Er differenziert zwischen „machbaren“ und „lebensfähigen“ Energien. Windräder, Photovoltaikanlagen etc. liefern während ihres Betriebes Energie, ohne natürliche Ressourcen zu verbrauchen und die Umwelt zu belasten. Sie sind also durchaus „machbar“. Als „lebensfähig“, d. h. reproduzierbar, würden sich erneuerbare Energien erst dann erweisen, wenn die entsprechenden Anlagen, die notwendige Technik und die Infrastruktur zur Verteilung und Nutzbarmachung ebenfalls ausschließlich mit Hilfe von erneuerbarer Energie erzeugt werden könnte. Das ist aber lange nicht der Fall und wird mit Sicherheit in der Größenordnung des heutigen Energieverbrauchs nie der Fall sein. Altvater sind diese Gedanken bekannt. In früheren Veröffentlichungen (z. B. „Der Preis des Wohlstands“) führt er Georgescu-Roegen selbst als Kronzeugen an. Umso erstaunlicher ist es m. E. , dass er diesen wichtigen Zusammenhang hier nicht erwähnt.
Natürlich geht auch Altvater nicht davon aus, dass das heutige Niveau des Energieverbrauchs beibehalten werden kann und lediglich aus erneuerbaren Quellen gespeist werden müsse. Natürlich spricht auch Altvater von einem notwendigen absoluten Absenken des Energieverbrauchs durch Suffizienz und Energieeffizienz. Aber er führt genau dies nicht genauer aus, was es ihm ermöglicht, die wahre Dimension des Problems zu verschleiern: Wenn man – wie etwa Schmidt-Bleek – davon ausgeht, dass die Industrieländer ihren Energie- und Ressourcenverbrauch um 90% bis zum Jahr 2050 (ausgehend vom Bezugsjahr 1990) senken müssen, dann würde das bei einem unterstellten Wirtschaftswachstum vom 2% im Jahr eine Steigerung der Effizienz um das 27fache (! ) bedeuten! Damit sind wir in der Tat beim Kern des Problems, dem Altvater so beharrlich ausweicht: Nachhaltigkeit und die Stabilisierung unseres Energie- und Ressourcenverbrauchs auf einem Niveau, das die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet, bedeutet in letzter Konsequenz, dass unsere Wirtschaft nicht nur nicht mehr wachsen darf, sondern schrumpfen muss! Und genau dies ist mit einer kapitalistischen Produktionsweise nicht mehr zu vereinbaren! (Dazu verweise ich auf Saral Sarkars Buch „Die nachhaltige Gesellschaft“ bzw. auf die Broschüre von Saral Sarkar und Bruno Kern, „Ökosozialismus oder Barbarei“; nähere Informationen dazu auf der Website der Initiative Ökosozialismus: www.oekosozialismus.net) Es bedeutet das Ende des Kapitalismus überhaupt, und nicht nur des Kapitalismus, wie wir ihn kennen.
Die letzten Seiten von Altvaters Buch sind die spannendsten und aufschlussreichsten. Hier leuchtet in vielen knappen Bemerkungen ein Problembewusstsein auf, das man im Buch insgesamt vermisst. Hier spricht Altvater deutlich von den Grenzen der Substituierbarkeit fossiler durch erneuerbare Energie. Hier spricht er aus, dass das bloße Setzen auf mehr Energieeffizienz nicht aus der Sackgasse herausführt, dass die größere Effizienz unter den Bedingungen der alten Produktions- und Konsummuster durch einen absoluten Mehrverbrauch überkompensiert wird. (Ein schöner Beleg dafür, den Altvater jedoch nicht erwähnt, ist die Steigerung des Anteils von Strom aus erneuerbaren Quellen während der rot-grünen Regierung: Ziemlich exakt in derselben Größenordnung war ein Strommehrverbrauch zu verzeichnen, das heißt, gerade das Vorzeigeprojekt der Grünen hat ökologisch überhaupt nichts gebracht. ) Hier formuliert er, dass das Prinzip Suffizienz, also das Prinzip des „Genug“, im Kapitalismus gar nicht greifen kann. Altvaters Buch endet da, wo die eigentliche Diskussion erst beginnen muss.
Ein Verdienst von Altvaters Buch ist es sicher, dass er Debatten aufgreift, die in Deutschland – im Gegensatz etwa zu den westeuropäischen Nachbarländern – noch nicht so recht angekommen sind, z. B. die Peak-Oil-Debatte, also die Frage, wann der Höhepunkt der Erdölförderung erreicht sein wird, was wir seriöserweise über die noch vorhandenen und sinnvollerweise erschließbaren (das heißt mit einer positiven Energiebilanz! Altvater spricht erstaunlicherweise nur von den monetären Kosten) Ressourcen sagen können etc. Dies alles ist bei Altvater hervorragend zusammengefasst. Es ist ja wirklich kaum noch zu fassen, mit welcher Selbstsicherheit Politiker jeder Couleur, Wirtschaftsvertreter und Gewerkschafter „business as usual“ betreiben, als ob das Ende des fossilen Zeitalters nicht unmittelbar bevorstünde. Angesichts der wegbrechenden fossilen Energiebasis werden uns die tagespolitischen Debatten von heute um Renten- und Gesundheitsreform in zehn Jahren völlig lächerlich erscheinen. Wenn Altvaters Buch auch nur dieses Problembewusstsein weckt, dann hat es viel erreicht.
Einen großen Teil seines Buches widmet Altvater auch dem derzeit augenscheinlichsten inneren Widerspruch des Kapitalismus, nämlich der Entkoppelung der monetären Ebene von der realwirtschaftlichen. Was hier etwas überrascht, ist, dass Altvater die Szenarien eines drohenden weltweiten Finanzcrashs, wie ihn etwa Robert Kurz mit nicht so schnell von der Hand zu weisenden Argumenten plausibel macht, überhaupt nicht diskutiert. Kann man wirklich so einfach über diese Diskussion hinweggehen? Dieser Teil des Buches bleibt auch eigenartig beziehungslos zu Altvaters eigentlichem Thema.
Was die politische Praxis betrifft, blieb bei mir der bittere Nachgeschmack, dass die allgemeine Ratlosigkeit, von der auch Altvater nicht frei ist, durch einen wenig hilfreichen Theorieüberhang verschleiert wird. Nachdem die Leser sich mit so abstrakten Dingen wie „Äquivalenz, Reziprozität, Redistribution etc.“ gequält haben, wissen sie noch weniger als vorher, wo aussichtsreiche Handlungsansätze zu finden wären, welche praktischen Schritte unternommen werden könnten, auf welche Tendenzen und politischen Konjunkturen man setzen könnte, worauf sich soziale Bewegungen bei ihrer Suche nach Alternativen wirklich konzentrieren müssten. Altvater zeichnet die Vision einer „solaren Gesellschaft“ und suggeriert, dass einer erneuerbaren Energiebasis auf der Ebene des menschlichen Zusammenlebens solidarische, partizipative und demokratische Strukturen entsprechen. Aus seinem Text geht aber überhaupt nicht klar hervor, ob er die erneuerbaren Energien als Vehikel einer neuen, solidarischen Gesellschaft begreift oder ob eher umgekehrt alternative, solidarische Strukturen die nötige Schubkraft entwickeln können, um das nötige Umsteuern zu bewirken. Altvater weiß, dass das Ende der fossilen Energie einen tiefgreifenden Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt bedeutet. Was das konkret heißt, lassen seine Sätze mehr erahnen, als dass er es klar ausspräche – als ob er vor der Konsequenz seiner Gedanken selbst immer wieder erschräke: dass nämlich unsere Industriegesellschaft selbst zur Disposition steht.
Weitere Texte zur Thematik finden sich auf der Website der Initiative Ökosozialismus: www. oekosozialismus. net
Elmar Altvater, Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, Münster (Verlag Westfälisches Dampfboot) 2005.