Wenn Müntefering klassenkämpft, wird alles falsch
von Franz Schandl
Jetzt hat er es ihnen aber reingesagt, der Franz Müntefering. Indes, wenn der SPD-Vorsitzende behauptet: „Manche Finanzinvestoren verschwenden keine Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten“, dann ist das schlichtweg falsch. Denn das gilt letztlich nicht für manche, sondern kategorisch für alle. Diese Charaktermaske ist so. Das Ziel der Wirtschaft (nicht nur der Finanzinvestoren! ) ist es nicht Arbeitsplätze zu schaffen, sondern Gewinne zu erzielen. Wenn das mit weniger Arbeitsplätzen besser geht, wird es mit weniger Arbeitsplätzen angestellt. Manager haben eine finanzielle Verantwortung gegenüber ihrer betriebswirtschaftlichen Einheit, aber keine soziale gegenüber der dort vernutzten Arbeitskraft, geschweige denn betreffend anderer potenzieller Arbeitskraftbesitzer. Nicht einzelne Teile des Kapitals verhalten sich „wie ein Heuschreckenschwarm“, das Kapital ist ein Heuschreckenschwarm. Und die Heuschrecken sind wir alle, die in diesem kannibalistischen Konkurrenzsystem mitspielen (müssen) und ihm dienen.
Nicht einmal Münteferings Rhetorik ist antikapitalistisch. Er betont ja auch selbst in seinem Interview mit „Bild am Sonntag“, dass er nur „diese Form des Kapitalismus“ nicht will. Den Kapitalismus, den will er schon. Was sonst darf so einer wollen? Keine Frage. In den Übeln des Kapitals sieht er nicht eine destruktive Gesamtstruktur am Werk, sondern einzelne böse Willenskräfte. Müntefering sagt nicht zur Abwechslung mal was Richtiges, er bedient Ressentiments. Mit Kritik am Kapitalismus hat das nichts zu tun, das ist Gerede, stumpf und dumpf.
Populismus projiziert reale Anliegen auf oberflächliche Reize und Reflexe. Er unterstellt stets, dass jemand etwas hintertreibt. Irgendjemand macht dann die soziale Marktwirtschaft kaputt. Dass die Marktwirtschaft made in Germany wie anderswo vielleicht überhaupt ein kaputtes System ist, geht dabei unter. Münteferings Wortwahl ist populistisch, er macht Schuldige aus, zeigt auf sie hin und schimpft. Er sagt nicht, wie etwas funktioniert, und warum. Wie könnte er auch, er ist Sozialdemokrat. Elend produziert elendes Bewusstsein. Die Sozialdemokraten sind beleidigt, weil das Kapital sie nicht einmal mehr als Verschönerungsverein zulassen will.
Wenn Wirtschaftsvertreter meinen, Müntefering „vertiefe wieder das Misstrauen in Marktwirtschaft und Wettbewerb“, dann ist das ebenfalls falsch. Im Gegenteil, der SP-Vorsitzende stärkt das Grundvertrauen in das Kapital, indem er von ihm ablenkt, unliebsame Zustände beklagt und unbeliebte Vertreter ausmacht. Aber Liberale zucken schon aus, wenn nur irgendetwas abweichend erscheint. Natürlich weiß man in den bürgerlichen Redaktionen, dass das alles nur ein taktisches Manöver darstellt. Es handle sich „um eine dem nordrhein-westfälischen Wahlkampf geschuldete Worthülse“, so die Süddeutsche Zeitung am Montag, aber „die Worte wecken Erwartungen“. Eben, genau darum geht es: Man soll keine Erwartungen mehr haben dürfen. Das ist ausnahmsweise eine Wahrheit.
Solange dieser wundersame Glaube an die glorreichen Kräfte des Markts nicht überwunden wird, wird sich nichts Entscheidendes ändern können. Es ist absolut unerträglich, dass das Auskommen der Menschen sich als Abhängigkeit vom Kapital gestaltet, dass sie als große aber auch kleine Konkurrenzmonster zu Heuschrecken ihrer selbst werden. Das, was die Menschen erschüttert, zu erschüttern, ist die dringendste Aufgabe.