„Dismissed – Die Drei-ist-einer-zuviel-Dating-Show“ auf MTV
Streifzüge 33/2005
von Martin Scheuringer
„You are dismissed“: Wem das gesagt wird, der hat sich zu wenig bemüht, oder seine Anstrengungen waren schlicht die falschen. Der Wettkampf um die Gunst der Frau bzw. des Mannes genannt Picker ist verloren. In der TV-Show „Dismissed“ des Senders MTV messen sich zwei KonkurrentInnen darin, wer eineN PartnerIn für sich gewinnen kann. (Heterosexuelle „Normalität“ wird als selbstverständlich vorausgesetzt, bringt offenbar mehr Quote). Verfolgt werden sie dabei einen Tag lang von zahlreichen Kameras und einer Regie.
An folgende Spielregeln müssen sich die Kandidaten halten: jeder der zwei Konkurrenten sucht ein „Date“ mit dem Picker aus, bei dem er möglichst gut punkten kann (Disco, Schwimmbad, Tennis, Schuhe-Einkaufen… ). Zu den Dates fahren – das Konkurrieren darf nicht unterbrochen werden – alle drei Beteiligten (für die ich im Folgenden, ich bitte um Pardon, auf Grund der Einfachheit und Faulheit immer die männliche Form einsetze). Ausnahme ist das „Time out“: Der Picker und der Werber dürfen zwanzig Minuten alleine sein. Der Werber darf sich den Zeitpunkt, an dem er diese Karte ausspielt, selbst aussuchen. Während des Tages werden die Kandidaten immer wieder zu kurzen Interviews gebeten, in denen sie ihre Lage im Kampf bewerten sollen.
Die MTV- Zuseher sehen eine auf eine viertel Stunde gekürzte Sendung, in der die Schlüsselszenen des Tages und die wichtigsten Interviewausschnitte mit den Kandidaten gezeigt werden. Diese Show wird sowohl in den USA produziert als auch vom deutschen MTV. Teilnehmen darf jeder, der einen Fragebogen ausgefüllt zum Sender schickt und ausgewählt wird. (Sendezeiten: Mo: 15-15.30 Uhr, Mo-Sa: 18.30-19 Uhr auf MTV)
Leistung
Sucht man bei der Beschreibung dieser Show einen Begriff, der alle darin auftretende soziale Praxis umfassen soll, drängt sich derjenige der Leistung auf. Leistung ist dabei der Begriff für eine spezifische Form der Praxis, welche einen vorher definierten Zweck – Eroberung des Pickers – voraussetzt. Bei ihr geht es darum, dass die Handlungen ein abstraktes, quantifizierbares Etwas an verausgabter Energie darstellen sollen. Die Quantität der Leistung wird durch den Picker von den konkreten Handlungen der Konkurrenten abgelesen. Leistung ist eine Interpretation einer beobachteten Handlung. Diese Form der Deutung bestimmt ihrerseits wieder die nachfolgenden Handlungen innerhalb der Wettkampfsituation, insofern Handlungen, die für den Picker Leistung signalisieren, belohnt werden und vice versa. Erst wenn eine Handlung sich so deuten lässt, wird sie von den anderen verstanden. So strukturiert ein abstraktes Deutungsschema die Handlungen.
Die Praxis der Konkurrenten hat einen „Doppelcharakter“: Einerseits bewirkt die Praxis etwas in der empirischen Welt („Gebrauchswert“), und andererseits dient hier die beobachtete Praxis nur als Träger für das Abstraktum Leistung („Tauschwert“). Diese ist diejenige Qualität, die es ermöglicht, alle verschiedenen Handlungen miteinander in ein bewertendes Verhältnis zu bringen. Sie ist das von den Beteiligten der Situation zu Grunde gelegte Gemeinsame, das alles sinnlich Verschiedene in ein quantifizierbares Verhältnis bringt. Das hinzugedachte Gemeinsame macht alle Praxis zu einer „sinnlich-übersinnlichen“ (Marx).
Wahrnehmen und Deuten
Die Verausgabung menschlicher Energie zum Zwecke des Beeindruckens des Pickers soll anhand der konkreten Handlungen, die von den beiden Konkurrenten gesetzt werden, von den jeweils anderen Mitspielern sowie den Zusehern abgelesen werden, und die Quantität dieser Leistung soll für den auswählenden Picker das Kriterium der Entscheidung sein. Diese Quantität ist freilich nicht exakt empirisch messbar, doch der Picker wird wohl, wenn er sich gemäß den Spielregeln des Wettbewerbs entscheidet, denjenigen Kandidaten aussuchen, der ihn in der Show für sein Verständnis von Leistung mehr umworben hat. Sein Messen passiert aus einer subjektiven Perspektive, sowohl der Maßstab als auch die Art der Quantifizierung werden vom Picker bestimmt. Jeder Kandidat erkennt anhand der Reaktionen des Pickers, welche konkreten Handlungen mehr oder weniger Leistung signalisieren, und stellt seine Praxis darauf ein.
Das bedeutet freilich nicht automatisch, dass sich die Mitspieler mit ihrem Verhalten total in diese von der Situation vorgegebenen Strukturen und die dazugehörigen Verhaltenscodices einpassen. Dennoch kann ihr Verhalten sehr wohl diesen Formen entsprechen, ohne dass die Kandidaten ein Wissen über diese Entsprechung haben. Immerhin scheinen die zu Grunde liegenden Bedingungen der Wettkampfsituation immer wieder dazu passende Handlungen hervorzubringen.
Reflexion als strategisches Denken
Als Erstes muss der Kandidat begreifen, dass er hier an einem Wettkampf teilnimmt. Dessen Regeln geben somit gleich die Bahnen vor, in denen sich das Denken der Teilnehmer bewegen soll. Beim Wettbewerb geht es um den Sieg. Diesen erlangt man durch strategisches Handeln und Denken, das auf zweierlei beruht: Es gibt einen Zweck, den es zu erfüllen gibt, und dafür gibt es Mittel, die das Erreichen desselben ermöglichen sollen. Bei „Dismissed“ ist der Zweck die Eroberung der Frau/des Mannes. Er ist von außen, d. h. von der Struktur der Situation, vorgegeben, und jedes Hinterfragen dieses Zieles würde beim Drehteam, bei den anderen Mitwirkenden und bei den Zuschauern auf Unverständnis oder gar Ablehnung stoßen. Der Zweck steht außerhalb der Reflexion, es dürfen nur die Mittel überlegt werden. Das ist die Bedingung des Spieles, auf die hin die Handlungen interpretiert werden.
Was innerhalb der vorgegebenen Wettkampfsituation zählt, ist, dass die Handlungen aus dem Interesse am Sieg heraus gesetzt werden. Die Situation zwingt alle Beteiligten zu einer bestimmten Form der Reflexion: Der Zuschauer/Mitspieler trennt bei der Beobachtung der Show die gesehenen Handlungen und die sie begründenden Motive, wobei er diese aus dem Zweck der Veranstaltung ableitet. Dieser Zweck ist ein Interpretationsfluchtpunkt: auf ihn hin soll alles, was passiert, befragt und begründet werden.
Für den Wettkämpfer selbst, also denjenigen, der umschwärmt nicht um des Umschwärmens, sondern um des Sieges willen, ist die je durchlebte Situation immer ein Mittel für den erhofften Sieg. Er verhält sich charmant, gewitzt usw. , um zu gewinnen. Alle Handlungen innerhalb des Wettkampfes bekommen erst im Falle eines Sieges Sinn und Wert, da sie dann ihren Zweck, für den sie bloß Mittel waren, realisiert haben. Der Verlierer hat sich umsonst bemüht, seine Motivation zu handeln baute auf die mögliche Einlösung eines Tauschversprechens, dass er nämlich für seine verausgabte Leistung die Gunst des Pickers erhält. In diesem Moment hat sich für den einen alle Mühsal rentiert, für den anderen war es vergebliche Arbeit, er ist überflüssig, sein Dasein sinnlos. Daher zeigt die Werbung für die Sendung den Selbstmord des Verlierers.
Zwei Typen und ein Anti-Typ
Hat man eine Strategie und handelt danach, so stellt man sich selbst als einen bestimmten Typus vor und dar: man macht von sich ein Bild, das zum Sieg führen soll. Zwei Idealtypen können dabei unterschieden werden.
Der „natürliche“ Wettkämpfer: „Alles ist ernst“:
Die Kategorie meint das strategische Konzept, sich selbst als stark, rational, geradlinig und zielbewusst zu präsentieren. Der Wettkämpfer erlebt die Situation als eine „natürliche“: Das Spiel unterscheidet sich nicht von ähnlichen Situationen im „real life“. Der Kandidat verlässt sich auf seine gewohnten Strategien, er will sich „natürlich“ geben, „ganz er selbst sein“. Er legt sich für die Show keine spezifische Strategie zurecht, er agiert so, wie er es auch „in Wirklichkeit“ tun würde.
Das Ziel der Praxis steht fest, und die Methode besteht darin, alle Tricks, die er kennt, so anzuwenden, dass sich ständig „Fortschritte“ ergeben. Seine einzige Möglichkeit Rückschläge zu verarbeiten ist das rationale Kalkül, dass auch mit Minuspunkten zu rechnen ist. – „Obwohl ich mir mit meiner Frage nach der Lieblingsstellung bestimmt einen Minuspunkt eingefahren habe, liege ich ganz klar vorne und sie wird sich sicher für mich entscheiden“, ist eine typische „natürliche“ Reflexion im Interview.
Der „intellektuelle“ Wettkämpfer: „Alles ist nur Spiel“:
Dieser Typ präsentiert sich als eloquenter, witziger Geistmensch, der ein gewisses Maß an Körperverachtung mitbringt. Er kann sich zu allem in ein Verhältnis setzen, so ist er in der Lage sich von allem Geschehen zu distanzieren. Nichts kann ihm etwas anhaben. Er reflektiert alles. Auch zu seinem Verhalten setzt er sich in ein Verhältnis und legt ganz offen seine Strategie dar. Er versucht die Wettkampfsituation als ein Spiel zu begreifen. Doch diese Interpretation steht bei ihm unter der strategischen Annahme, dass diese Art dem Picker gefällt. Man darf sich nicht einfach so mit dem Picker einen Spaß machen und ganz darauf vergessen, seinen Konkurrenten bei ihm auszustechen. Insofern reflektiert er die Umgebung zwar als eine künstlich hergestellte, doch dieses Wissen nutzt er nur für seinen Vorteil in der Konkurrenz. (Scheitert er in einem Annäherungsversuch, so bleibt ihm der Rückzug in den sozial anerkannten Elfenbeinturm des Theoretikers, von dem aus er Überlegenheit verstrahlen kann. )
Auch er macht sich nicht einfach so mit dem Picker einen Spaß und vergisst ganz darauf, seinen Konkurrenten bei ihm auszustechen.
Der Müßiggänger:
Diesen polaren Idealtypen, die sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens bewegen, kann zumindest gedanklich ein Typus entgegengestellt werden, der sich dem Wettbewerb verweigert.
Dieser Mensch steigt aus dem Wettkampf aus und sucht auch schon im Spiel Befriedigung. Sein Glück besteht im Tätigsein, in der Aktualisierung dessen, was er vermag. Durch das volle Aufgehen in der Tätigkeit ist das Bewusstsein zugleich ganz bei sich und beim „Gegenstand“. Keine abstrakte Zeit oder andere Imperative stören die Handlungen des Müßiggängers (frei nach Aristoteles). Spricht er mit dem Picker, so um etwas zu erfahren oder um Nähe zu spüren usw. Strategisches Denken lässt er bei Freundschaft und Liebe nicht zu. Er lebt von Situation zu Situation, und der Zweck seines Tuns ist ein Leben in guter Gemeinschaft („existens autem gratia bene vivendi“ Aristoteles). Dieser Typ hat meines Wissens nie bei „Dismissed“ teilgenommen.
Das Wahrnehmen in Typologien
Die Wettkämpfer müssen sich sehr schnell auf die beiden anderen Personen einstellen. Es geht darum, möglichst schnell bei dem Picker zu punkten, den Konkurrenten „alt aussehen zu lassen“. Dazu muss sich jeder ein Bild der beiden anderen machen. Das heißt, die Wettkampfsituation nötigt die Teilnehmer vor allem auf Grund der Knappheit der Zeit, die anderen in bestimmte Kategorien zu zwängen, gemäß denen der Kategorisierende dann wieder seine Praxis ausrichtet. Jeder Konkurrent macht Annahmen darüber, welcher Typ von Mensch der Picker wohl sein, was ihm gefallen könnte, und handelt diesen Annahmen gemäß. Dasselbe tut er mit dem Konkurrenten, insofern er sich fragt, in welchen Bereichen er wohl der Bessere ist, um danach seine Strategie auszurichten.
Im strategischen Handeln geben sich die Kandidaten selbst eine Identität, die möglichst gut zur Identität des Pickers passen soll. Von den Menschen, die hinter diesen konstruierten Bildern stehen, geht sehr viel verloren. Ein wirkliches Aufeinander-Eingehen und Kennenlernen ist unmöglich. Eine Typologie ist eine Abstraktion von der Wirklichkeit des gegenüberstehenden Menschen. Der Kandidat muss nicht wirklich auf den anderen Menschen eingehen, sondern er probiert sein Programm durch.
Individualität und Rolle
So spielen alle Teilnehmer ihre Rolle, einerseits die sich selbst zugeschriebene, und andererseits die ihnen zugewiesene. Diese Rolle muss bestimmte Bedingungen erfüllen: Ihr Zweck ist der Sieg bzw. die Selektion, sie auszufüllen ist ein Mittel dazu: Die Selbstdarstellung dient dazu, sich selbst als eine wohlfeile „Ware“ anzupreisen. Dazu verausgabt der Mensch, der sich in der Wettkampfsituation nur mehr als Charaktermaske wiederfindet, Energie. So sind die konkreten Handlungen, die die Charaktermaske Kandidat ausführt, nur wichtig als Mittel um zu zeigen, dass er sich um den Picker bemüht. Sie sind Verausgabung abstrakter Arbeit, das Zeigen von Leistung. Der Konkurrent kann sich desto näher dem Erfolg wähnen, je mehr abstrakte Arbeit er in sich als Ware investiert, damit seine Handlungen nicht für immer Mittel ohne Zweck und somit sinnlos bleiben.
Abgesang
Ob aus dem Date des Pickers und des Siegers eine längere Beziehung wird oder ob die beiden gleich nach dem Drehtag wieder auseinander gehen, geht am Interesse der Zuseher vorbei, erfährt niemand. Hier geht es darum, wie man sich erfolgreich gegen Mitbewerber durchsetzt. Passt die daraus resultierende „Beziehung“ nicht, so man kann man getrost wieder jemand anderen erobern, (sich) konsumieren (lassen), und das war’s dann schon auch.