Rechter Lebenswandel?

von Andreas Exner

Astrologie und Homöopathie, Positives Denken und Tai Chi. Die so genannte Esoterik ist längst Teil der Alltagskultur. „Ganzheitlich“ will die Esoterik sein, und eine „Alternative“. Doch was ist sie wirklich?

Ende der 1960er Jahre hatten die Hippies den Beginn eines „Age of Aquarius“ prophezeit. Das „New Age“ sollte im Zeichen von Autonomie, von Hierarchieabbau und von „Ganzheitlichkeit“ stehen. Eine astrologische Konstellation geriet zum Symbol für den Wunsch nach einer neuen Ordnung der Gesellschaft.

Alles Gute kommt aus Indien. Die 1968er-Bewegung brachte das Leiden an der Sinn- und Sinnenleere des „etablierten Lebens“ mit einer Kritik der neuzeitlich-westlichen Kultur und einem ökologischen Krisenbewusstsein in Verbindung. Der Fragmentierung in die Sphären von Arbeit und Freizeit, von Gefühl und Vernunft, von Familie und Öffentlichkeit wurde die Suche nach einer „Ganzheitlichkeit“ des Lebens entgegengesetzt. Diese Bewegung reichte von der Befreiung des eigenen Körpers bis zu einer vielfach romantisierenden Hinwendung zur Natur. Der kulturanthropologischen Literatur entnahm sie ebenso Anregungen wie der konstruktivistischen Kritik der Wissenschaft. Ein regelrechter Exodus führte in Richtung Fernost und in die Tiefen meditativer Erfahrungen. Anknüpfend an den Okkultismus des 19. Jahrhunderts erlebten auch vormoderne kulturelle Praxen des Westens ein Revival. Vor allem die US-amerikanische Hippie-Bewegung bereitete damit den Boden für die heutige Esoterik.

Negativ leben, positiv denken. Die 1968er reagierten auf erste Verwerfungen im Zuge der Erschöpfung des Nachkriegs- Wachstums und zielten zugleich auf eine radikale Transformation der Gesellschaft ab. Mit ihrem Scheitern wurden Elemente jener Strömungen zu Bestandteilen der neoliberalen Hegemonie. In deren Zentrum steht die Individualisierung der Konkurrenz und die permanente Selbstzurichtung im Namen von Profit und Arbeitskraftverkauf. Selbstbestimmung pervertierte sich so zur Ideologie der Ich-AG und der Kampf gegen das normierte Dasein mündete in dessen „totale Flexibilisierung“.

Der aus Teilen der 1968er-Revolte erwachsene Esoterikmarkt bedient in diesem Rahmen ausgesprochen widersprüchliche Bedürfnisse. Kommen darin zum einen zwar legitime Sehnsüchte nach einer herrschaftsfreien Gestaltung sozialer Beziehungen und gesellschaftlicher Naturverhältnisse zum Ausdruck, so hält er zugleich auch ein Arsenal an Ideologien und Techniken der Selbstzurichtung und der Privatisierung des sozialen Elends bereit. Das einstige Bestreben einer Veränderung des „individuellen Bewusstseins“ als integraler Bestandteil sozialer Emanzipation ist damit zum Positiven Denken der Managementseminare, AMS-Kurse und der Lebenshilfeliteratur degeneriert. Das Human Potential Movement ist zum Self- Management verkommen, das von der sozialen Bedingtheit seelischen Leidens nichts mehr wissen will. Die offene „spirituelle“ Suche nach einer nicht-repressiven Weise von Selbst- und Naturerfahrung ist vielfach einer Legitimation der „Sachzwänge“ der „zweiten Natur“ des Marktes gewichen. Das sozial produzierte Leiden kann dann einem „schlechten Karma“ zugeschrieben werden, die Sehnsucht nach einer versöhnten Natur in der Unterwerfung unter eine angebliche „natürliche Ordnung“, die mal eher konkurrenzistische, mal eher harmonistische Züge trägt, ersatzweise Befriedigung finden. Und die bloß romantisch- subjektivistische Ablehnung „westlicher Wissenschaft“ führte zur Entsorgung rationalen Argumentierens überhaupt.

Jenseits von „Esoterik oder Ratio“. Esoterisch ist, was sich dem Korsett der aufgeklärten Rationalität versperrt. Am legitimen Bedürfnis nach der Erfahrung dessen, was diese Vernunftform der Herrschaft des berechnenden, objektivierenden Verstandes unterwerfen will und abspaltet, wird am Esoterikmarkt verdient. Esoterik gerät damit zur Branche. Dagegen sind Aufklärung und „westliche Wissenschaft“, die das esoterische Bedürfnis ja erst erzeugen, nicht in Anschlag zu bringen. Vielmehr ginge es um eine Kritik der „objektiven Erkenntnis“ ebenso wie um eine Entwicklung herrschaftsfreier Weisen von Natur-, Selbst- und Sozialerfahrung. Solange das Regiment allerdings die Ware und die ihr entsprechende entsinnlichte Vernunftform führen, haben diese Erfahrungsweisen nur begrenzten Spielraum.

Erschienen in: Progress, Magazin der Österreichischen HochschülerInnenschaft, 5/05

image_print