Herunterfallende Fassaden

Zur Causa Kampl

von Franz Schandl

Hätte er geschwiegen, der Siegfried Kampl, wer würde ihn schon kennen, den Bürgermeister aus dem kärntnerischen Gurk. Erst als er in der österreichischen Länderkammer, dem Bundesrat, Wehrmachtsdeserteure als „zum Teil Kameradenmörder“ bezeichnete und die „brutale Naziverfolgung“ nach 1945 beklagte, war der unauffällige Abgeordnete zum medialen Ereignis geworden.

Das ist er noch immer. Zuerst dachten alle, der von seiner Partei, Haiders BZÖ, erzwungene Rücktritt würde die Causa Kampl bereinigen, doch seit einigen Tagen ist alles anders. Da er sich durch eine Rede des aktuellen SP-Bundesratsvorsitzenden beleidigt fühlte, hat er es sich wieder überlegt. In einem mit 30. Mai datierten Schreiben erklärt er: „Ich ziehe mit heutigem Datum meine vom 17. Mai 2005 gemachte Bundesratsverzichterklärung zurück. Somit bleibt mein Bundesratsmandat aufrecht.“ Ja, Siegfried Kampl will nicht nur nicht gehen, er will sogar noch aufsteigen. Lediglich eine Verfassungsänderung beim Bestellungsmodus des Bundesratspräsidenten, wie sie nun von der ÖVP vorgeschlagen und von den anderen Parteien mitgetragen wird, kann verhindern, dass er im zweiten Halbjahr 2005 turnusmäßig eines der höchsten Staatsämter erklimmt. Diese Änderung einer Verfassungsbestimmung ist zwar Anlassgesetzgebung pur, aber nur so können noch größere Peinlichkeiten vermieden werden. Und Kampls Nachfolger, dem Kärntner BZÖ-Bundesrat Roland Zellot, der nun Bundesratspräsident werden soll, wird man einschärfen: „Halt ja die Pappen! “

Der demokratische Scherbenhaufen ist perfekt. Die Affäre hat sich nicht erledigt sondern ausgeweitet. So wollte der Kärntner Landtagspräsident Jörg Freunschlag seinem Parteifreund zu Hilfe eilen und meinte, es habe nach dem 2. Weltkrieg zwar keine „brutalen Naziverfolgungen“ gegeben, sehr wohl aber „Nazi-Verfolgungen“. Das sei „ein Faktum“. Kampl wurde aber von Freunschlag auch kritisiert, nämlich so: „Er hat sich und dem Amt keinen guten Dienst erwiesen.“ Und: „Man muss zuerst nachdenken, was man in solchen Situationen sagt.“ Das wird sich inzwischen auch Freunschlag selbst denken, der sich zwar im Kärntner Landtag für seine Aussagen entschuldigt hat, aber ebenfalls von einem Rücktritt nichts wissen will. Weder Kampl noch Freunschlag noch Gudenus (das ist jener FPÖ-Abgeordnete, der alle paar Jahre mal die Existenz von Gaskammern bezweifelt) denken daran, aus ihren Ämtern zu scheiden.

Man soll sich nicht einbilden, dass Kampl ein parlamentarischer Ausnahmefall ist und seinesgleichen nur im BZÖ oder in der FPÖ anzutreffen sind. Dieser weit verbreitete Typus sieht den Krieg und die Nachkriegszeit ungefähr so: Bis 1945 war es in der Ostmark ganz friedlich, die Jungen waren zwar an der Front, aber im Hinterland lebte man recht gut. Dann kamen auf einmal urplötzlich fremde Truppen ins Land, vor allem Russen, raubten die Schweine, stahlen die Uhren und verfolgten die braven Familienväter als Nazis. Die Kampls weigern sich beharrlich auch nur irgendeinen historischen Zusammenhang wahrzunehmen. Sie leben in einem absoluten Unschuldsbewusstsein und weisen jede Verantwortung von sich: Opfer seien sie gewesen! Natürlich haben sie in der Zwischenzeit einige antifaschistische Formeln gelernt, aber diese empfinden sie als ausländisches Diktat, dem sie sich nur widerwillig unterwerfen. Und manchmal halten sie es einfach nicht aus, dann bricht es aus ihnen hervor…

Der orange lackierte Haider hat mittlerweile verstanden, dass mit solchen Aussagen zusehends weniger Erfolg zu erzielen ist, daher versucht er, obwohl diesem Lager entstammend und ihm verbunden, die Finger davon zu lassen. Dieses taktische Kalkül opfert auch die Gefährten. Haider scheint zu wissen: Die Alten sterben aus und die Jüngeren sind indifferent, wollen davon nichts hören, weder den volksgemeinschaftlichen Unsinn noch die „antifaschistische“ Heuchelei, aber auch nicht die Kritik an alledem. Die Begeisterung für die Feierlichkeiten in „rot-weiß-rot“ hat sich bisher in Grenzen gehalten, auch wenn die Medien kontrafaktisch etwas anderes vermitteln, eine Sonderbeilage der nächsten Sondersendung folgt. Nicht wenigen Leuten erscheint dieses Spektakel als Flucht in die Geschichte, wo die mangelnde Perspektive hinter einer großen Retrospektiven-Show verschwindet.

„Die Glaubwürdigkeit des Gedenkjahrs 2005 steht und fällt mit der Frage, ob Kampl zurücktritt oder nicht“, sagt SP-Chef Alfred Gusenbauer. Indes, nicht das beschworene Ansehen ist das Problem, sondern die verbreitete Sichtweise. Im Prinzip ist das Gedenkjahr bereits gefallen. Kampls Verhalten verdeutlicht nur, was schon vorher klar gewesen ist. Die Inszenierung ist misslungen. Vielleicht ist das auch besser so. Und vielleicht sollte der theatralischen Betroffenheit und Bestürzung eine nüchterne Analyse der Bewusstseinslagen der Nachkriegsgeneration folgen. Daran besteht allerdings kaum Interesse, denn das würde die kolportierte Erfolgsstory doch entscheidend relativieren.

Das Jubeljahr tendiert zum Fiasko. Derweil hat man die Fassade so schön herausgeputzt und dann blättert sie gleich ab, werden die braunen Flecken sichtbar. Was das offizielle Österreich vertuschen wollte, wird von den freiheitlichen Kameraden, ob blau oder orange, schonungslos ausgesprochen. Die Verdrängung der Verdrängung, der Schritt von der Lüge zur Verlogenheit hat sich offenbar blamiert. Teile der Fassade sind herunter gefallen. Der Verputz liegt am Trottoir. Es staubt gehörig.

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