Konstruktive Nachwürfe zur Bundestagswahl
von Franz Schandl
Rot-Grün ist abgewählt und Schwarz-Gelb ist nicht gewählt. Zweifellos, da gibt es dümmere Ergebnisse als dieses. Die deutsche Wirtschaft ist enttäuscht. Das freut. Neben Angela Merkel ist auch Edmund Stoiber aufgrund seines schlechten Wahlergebnisses in Bayern schwer angeschlagen. Das freut noch mehr. Selbst zusammengerechnet haben Konservative und Freidemokraten weniger Stimmprozente eingefahren als letztes Mal. Natürlich entzückt es, dass CDU/CSU und FDP die Mehrheit verfehlten, wenngleich es noch schöner gewesen wäre, die Konservativen hätten 5 Prozent mehr erreicht und die Liberalen, die unnötigste Partie von allen, wären aus dem Bundestag geflogen.
Nun sonnt sich ausgerechnet Guido in den gestohlenen Stimmen. Denn die hat er im letzten Moment der Angie abgeluchst, und zwar weil es in den Meinungsumfragen eng zu werden begann. Die zum überwältigenden Teil aus dem Westen stammenden 1,1 Millionen Stimmen, die von CDU/CSU den Freidemokraten regelrecht in den Rachen geworfen wurden, waren ein Geschenk wider Willen, eine Leihgabe, von der die Christparteien absolut nichts haben. Nicht einmal die Linkspartei holte so viele Stimmen von der SPD. Westerwelle hat sich wahrlich auf Kosten von Merkel und Stoiber satt gefressen. Das ist außerordentlich bedauerlich, weil diese Prozente jetzt als marktradikale erscheinen und gerade jene Partei stärken, die am deutlichsten einen kapitalistischen Kurs vertritt.
Schröders Entscheidung für Neuwahlen ist weniger riskant gewesen, als viele anfänglich dachten. Sein Kalkül ist aufgegangen. Besser hätte es für die in den Meinungsumfragen absolut abgeschlagene SPD gar nicht laufen können. Schröder hat nichts zu bieten, aber das macht er hervorragend. Nach dem, was sich die SPD in den letzten Jahren geleistet hat, ist das Ergebnis Spitze. In den letzten Wochen ist es Schröder gelungen, sowohl in den Revieren von CDU/CSU als auch bei der Linkspartei zu wildern. Dass er bei der populistischen Anmache mithalten kann, steht außer Zweifel. Aber auch wenn alles gegen ihn spricht, dass der Kanzler angeheitert durch die Elefantenrunde polterte, spricht schon wieder fast für ihn. Fehlte nur noch, dass er eine sozialdemokratische Alleinregierung ausrief und die anderen zur Tolerierung aufforderte.
Das politische Patt sollte einen jedenfalls nicht erschüttern. Der Schrei nach stabilen Lösungen und Verhältnissen, was soll der bringen außer unnötige Illusionen zu verbreiten. Umgekehrt: Die formale Unregierbarkeit passt ganz gut zur inhaltlichen Ratlosigkeit. Doch seien wir ausnahmsweise einmal konstruktiv. Man könnte ja die große Koalition in zwei Halbzeiten mit zwei rotierenden Halbzeitkanzlern aufteilen oder noch besser das Land wiederum in zwei Hälften spalten. Und zwar diesmal nicht in Ost und West, sondern in Nord- und Süddeutschland. Da könnten dann die sich unterschiedlich Nennenden das Ununterscheidbare veranstalten.
Leid tun müssen einem allerdings die Leute in Dresden. Die haben es noch nicht überstanden. Bis zur dortigen Wahl am 2. Oktober werden unzählige Bundespolitiker die Stadt an der Elbe überfallen und wahrlich in ein Tollhaus verwandeln. Es geht dabei weniger um umzugruppierende Mandate als um einen entschiedenen Nachschlag. Nach dieser Überdosis an Politik sind psychologische Nachbetreuungen unumgänglich, möglicherweise wird man den gesamten Wahlkreis auf Erholung schicken müssen.
Exzellent peinlich war übrigens der poetische Lemurenauflauf (inklusive Jungautoren) für Gerhard Schröder, an der Spitze natürlich der unvermeidliche Günther Grass und sein Kollege Peter Rühmkorf. Der lyrikte letztes Wochenende für die Kanzlerpartei in der TAZ Zeilen wie diese: „So weit ist die Dichtung heruntergekommen: / Sie hat mal wieder Partei genommen / und gab gegen jeden ästhetischen Sinn / ihre Stimme an die Sozis hin.“ Ist das eine Persiflage oder war der Kerl besoffen? Einerlei. Solch Dichter ist weder dicht, geschweige denn Dichter.