Ein sozialdemokratisches Gesamtkunstwerk

ABSOLUTER BÜRGERMEISTER. Michael Häupl und die Wiener SPÖ stehen vor einem historischen Wahltriumph

von Franz Schandl

Am Sonntag wird in Wien zwar gewählt, die absolute Mehrheit der SPÖ ist aber ungefährdet. Es scheint nur mehr eine Frage des Ausmaßes zu sein: Werden es bloß 50 Prozent (was unwahrscheinlich ist) oder 55 (was zu erwarten ist) oder noch mehr (was nicht ganz ausgeschlossen ist)? Der Abstand der Sozialdemokraten zur nächstgrößten Partei, der Wiener ÖVP wird wohl über 30 Prozent betragen. Michael Häupl ist am Zenit seiner Karriere. Ein Platz in der Ahnengalerie langdienender sozialdemokratischer Wiener Bürgermeister ist ihm sicher. Elf Jahre sind es ja schon, zwanzig könnten es werden.

Wahlergebnisse 2001
SPÖ 46,9 %
FPÖ 20,2 %
ÖVP 16,4 %
Grüne 12,4 %
KPÖ 0,60 %

Was tut Häupl, dass er so erfolgreich ist? Bekannt ist er für sein resolutes Auftreten, dass ihm immer Aufmerksamkeit beschert. Er ist absolut nicht schmähstad, d. h. er ist unterhaltsam, versteht seine Pointen zu setzen und hat die Lacher meist auf seiner Seite. Der Schmäh rennt, und er kommt an. Michael Häupl kann vieles und er kann mit vielen. Sein Repertoire reicht vom polternden Populisten über den sachkundigen Experten (er ist promovierter Biologe) bis hin zum Kritiker des Neoliberalismus. Der Herr Bürgermeister gefällt sich in verschiedenen Rollen: vom hemdsärmeligen Fiaker bis zum feinsinnigen Intellektuellen. Dialektisches Geschick ist ihm nicht abzusprechen. Häupl ist für den Beitritt der Türkei zur EU, hält aber die Türkei noch nicht für EU-reif. Häupl bekundet natürlich Sympathien für das garantierte Grundeinkommen. Ohne sich klar festzulegen, meint er, darüber werde man reden müssen. Bei ihm wirkt das differenziert und ehrlich, nie opportunistisch.

Inhaltlich ist er kein Mann von New Labour. Blair oder auch Schröder stehen ihm fern. Für ein 2003 von Häupl herausgegebenes Buch mit dem bezeichnenden Titel „Alternativen zum Neoliberalismus im Zeitalter der Globalisierung“ hat Oskar Lafontaine ein Geleitwort beigesteuert. Erst vor einigen Tagen betonte der Bürgermeister einmal mehr: „Was Lafontaine etwa über Wachstumspolitik sagt, da stimme ich ihm vollkommen zu. Was ich Lafontaine vorwerfe, ist seine Illoyalität gegenüber der Partei.“

Ist Häupl gar ein linker Sozialdemokrat? Das nun wieder nicht, auch wenn sein Weg in der Partei links außen begonnen hat. Aber das trifft für die meisten sozialdemokratischen Spitzen zu. Was die linken Kritiker angeht, verhält er sich fürsorglich, allzu viel aufmucken dürfen sie aber nicht. Die Partei hat kein linkes Profil, aber doch linkes Flair. Links von ihm braucht er, der als Student fast in der KPÖ gelandet wäre, nichts und insbesondere diese nicht zu fürchten. Die Kommunisten können froh sein, wenn sie in ein paar Bezirksräte einziehen, von der in der Bundeshauptstadt gültigen 5-Prozent-Hürde sind sie meilenweit entfernt.

In der realen Alltagspolitik ist die Wiener SPÖ eine ausgesprochen wirtschaftsfreundliche Partei, die eine geradezu intime Nähe zu führenden Wirtschaftsvertretern und Unternehmensverbänden pflegt. „Gemeinsam haben wir sehr viel für die Wiener Wirtschaft erreicht“, sagt etwa der Ex-Wirtschaftskammerchef von Wien, Walter Nettig, über seinen Freund, den roten Bürgermeister. Ausgezeichnetes Einvernehmen herrscht auch mit dem größten Boulevardblatt des Landes, der Kronen Zeitung, und ihrem Herausgeber Hans Dichand.

Michael Häupl gilt zurecht als der mächtigste Mann in der SPÖ. Alfred Gusenbauer, der Bundesparteivorsitzende, steht und fällt mit seiner Unterstützung. Vom Typus her gehört Häupl jedoch nicht zu den unsicheren Kantonisten. Es ist davon auszugehen, dass die Loyalität hält, auch wenn er gelegentlich lautstark herumgrantelt. Häupl ist kein Hasardeur, seine Machtpolitik ist stets eine berechnende, keine unberechenbare. Anders als etwa Jörg Haider ist er nicht von sich besessen. Er ist manchmal grob, aber nicht kaltschnäuzig. Anders als bei Wolfgang Schüssel oder seinem Finanzminister Karl-Heinz Grasser, hat man das Gefühl, dass Häupl die Leute mag. Und sie ihn. „Seine Wiener“ verwöhnt er gern mit Brot und Spielen.

Wien ist zweifelsfrei eine sehr gut verwaltete Millionenstadt, die kaum wo einen unaufgeräumten oder gar heruntergekommenen Eindruck hinterlässt, sieht man von den lästigen Hundstrümmerln ab. Die Wasserqualität ist top, die Müllabfuhr ebenso. Der öffentliche Verkehr ist gut ausgebaut und auf modernstem Niveau. Die Stadt funktioniert aber nicht nur, sie hat ein breitgefächertes kulturelles Angebot und viel Natur zu bieten. Direkt vor der Haustür liegen der Wienerwald und die Donauauen.

Bei den kommunalen Sozialleistungen braucht Wien den Vergleich nicht zu scheuen. Da gibt es eine großzügige Wohnbeihilfe, geförderte Kindergärten- und Hortplätze u. v. m. Die Schulden der Gemeinde halten sich in Grenzen, was nicht zuletzt Handlungsspielräume eröffnet. In einem von einem englischen Forscherteam veranstalteten internationalen Ranking hinsichtlich Lebensqualität belegt Wien nach dem kanadischen Vancouver Platz Zwei. Die österreichische Hauptstadt ist zwar nicht billig, zumindest teurer als Berlin, aber halbwegs erschwinglich.

Selbst durch die Misere betreffend Spitäler und Altenbetreuung konnte die Opposition nicht punkten. Mit Werner Vogt hat Michael Häupl einen der prononciertesten Kritiker des Gesundheitssystems zum Pflegeombudsmann ernannt und damit wieder einmal Gespür bewiesen. Konkurrenz braucht die Häupl-SPÖ sowieso nicht zu fürchten. Die Christlichsozialen haben sich in Wien immer schwer getan, die letzten beiden Male war die ÖVP sogar hinter der FPÖ gelandet. Die Freiheitlichen haben sich inzwischen gespalten, aber dafür sitzen den Schwarzen nun die Grünen im Nacken. Allerdings haben die entgegen den Prognosen soeben in der Steiermark als auch in Burgenland Verluste hinnehmen müssen. Das ist zwar in der Hauptstadt nicht zu befürchten, aber mit den großen Zugewinnen oder gar mit dem zweiten Platz dürfte es nichts werden. Sie werden auch in Wien unter ihren Erwartungen bleiben.

Die Ökopartei wirkt auch extrem farblos. Selbst in der Kommunalpolitik war man schon reger. Man hat das Gefühl, dass die Partei nicht kämpft. Die Werbelinie setzt weitgehend auf Lifestyle. Um ja nicht in den Verdacht von selbst gestrickten Pullovern und Herrgottsschlapfen zu geraten, probiert man sich seit Jahren in Maßanzügen und Business-Kostümen. Die Spitzendkandidatin Maria Vassilakou mag fesch sein, aber insgesamt wird signalisiert, dass die Grünen im System angekommen sind und dazugehören. Worin sie sich von anderen unterscheiden sollen, wird immer unklarer.

Abschließend muss man sich freilich die Frage stellen, ob das sozialdemokratische Gesamtkunstwerk, diese Festung Wien-Häupl-SPÖ nicht Produkt einer späten (auch ökonomisch bedingten) Ausnahmesituation ist und somit nicht als Prototyp für andere europäische Großstädte angesehen werden kann. Was würde wohl der Wiener SP-Chef dazu sagen? Wahrscheinlich dies: „Nicht böse sein, ich mag selbstkritisch sein, aber nicht blöd. Ich setze mich im Wahlkampf nicht hin und betreibe Selbstanalyse. „

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