Nicht nur zur Allerheiligenzeit

Streifzüge 32/2004

von Maria Wölflingseder

In der Kronen-Zeitung und im Kurier fand sich zu Allerheiligen ein Inserat mit dem Titel: „Korrekte Bestatter werben nicht“. „Werbung für Bestattungen verstößt gegen unsere Sitten und Gebräuche und ist daher in Österreich verboten… Alle Religionsgemeinschaften und die Standesvertreter der Bestatter Niederösterreichs unterstützen dies…“

In Wien wurde vor 100 Jahren vom Bürgermeister Lueger das Geschäft mit dem Tod monopolisiert, weil sich 80 Betriebe regelrecht um die Leichen rauften. Es gab Prämien für die Vermittlung von Sterbenden und für gemeldete Todesfälle. Leichenschacher war an der Tagesordnung. Zu Beginn des Jahres 2004 hat die Bestattung Wien – 20.000 Begräbnisse im Jahr – nach langem Kampf Konkurrenz bekommen. Nach sieben Prozessjahren wurde der Streit vom Verwaltungsgerichtshof entschieden: Die Bestattungsgesellschaft Pax durfte in der Bundeshauptstadt endlich ihre Pforten öffnen. „Kein Bedarf“, hatte es bis dahin stets geheißen. „Der Konkurrenzkampf gehe auf Kosten der Pietät“, fürchtet Wiens oberster Bestatter. „Die Preise sind im Schnitt um 25 Prozent gefallen, wo wir aufgesperrt haben“, entgegnet der Geschäftsführer von Pax, der weitere Filialen in den Bundesländern betreibt. (Vgl. Die Presse – Economist, 20. März 2004, S. 22)

Warum sollen Privatisierung und Inszenierung vor dem Tod halt machen? Aber bis die Globalisierung so weit fortgeschritten ist und auch bei uns futuristische Verhältnisse herrschen, wird es schon noch eine Weile dauern. Einen Vorgeschmack bot im Vorjahr der Film „Grabgeflüster – Liebe versetzt Särge“ von Nick Hurran, eine rabenschwarze Komödie, very british! Im verschlafenen walisischen Nest Wrottin-Powys hat der alteingesessene, honorige Bestatter Konkurrenz aus Amerika bekommen. Christopher Walken mit einer höchst skurrilen Helmfrisur als durchgeknallter Frank Featherbed will – nomen est omen – die Hingeschiedenen nicht nur „mit einem immerwährenden Federbett verwöhnen“, sondern mit Dumpingpreisen (Sarg der Woche) und mit Mengenrabatt (buy-one-get-the-second-half-price) ganz neue Maßstäbe in der Branche der Totengräber setzen. Begräbnisse sollen in Hinkunft keine traurigen Ereignisse mehr sein, sondern die größte Show des Lebens. Geboten werden themenorientierte Begräbnisse, so eine Art Hobby-Beerdigungen je nach Vorlieben des Verblichenen. Da wird eine Totenfeier schon mal zur Las-Vegas-Show oder die Aussegnungshalle zum Schauplatz einer Broadway tauglichen Revue. Featherbed ist keine Geschäftsidee zu obskur, um seinen Konkurrenten, den etablierten Bestatter, auszustechen. Vollends geschockt sind die 5.000 Seelen von Wrottin-Powys, als eine verstorbene alte Dame, die zu Lebzeiten gerne „Raumschiff Enterprise“ geguckt hatte, mit riesigen Ohren als Schwester von Mister Spock ausstaffiert, im Space-Sarg auf dem Weg zum Planeten Vulkan das Kirchendach durchschlägt. Der hinterbliebene Gemahl erliegt fast einem Herzinfakt, aber er hat ja – gottlob! – das Sonderangebot, das Begräbnis im Doppelpack, genützt. Als das irre Duo im weißen Stretch-Limousinen-Leichenwagen in den engen Kurven des walisischen Dorfes hängen bleibt, glauben die Bewohner endgültig zu halluzinieren. Ist ja nur ein Film, denken Sie? Ich denke, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist Vergleichbares bereits möglich geworden. Denken Sie nur an alles, was Sie nie für möglich gehalten hätten und trotzdem todtraurige Realität geworden ist. Zurück zur hiesigen Praxis des Bestattungsgewerbes. „Pietätlos! „, lautet also der Aufschrei im Allerheiligen-Inserat gegen jene, die das strikte Werbeverbot ignorieren. Hm, wie könnte so viel Ehrfurcht noch besser zum Wohl der Menschheit gereichen? Vielleicht gäbe es noch mehr pietätlose Werbung anzuprangern? Irgendwann wollte man doch auch auf Kinder in der Werbung (für Nicht- Kinder-Produkte) verzichten. Und was würden die Pietätshüter gegen all den pietätlosen Wahnsinn auf der Welt überhaupt raten?

Was will es bezwecken, das Gezeter? Was ist das Pietätlose? Die Werbung würde es offenkundig machen – dass einen die Totalität der Warenförmigkeit bis ins Grab verfolgt. Auf den Plakaten der Bestattungsfirmen würde ja nicht lange nur der Firmenname prangen, sondern über kurz oder lang wohl auch der Preis, oder tatsächlich ein makabres Sonderangebot; vielleicht so: „… nur noch bis Monatsende.“

Was so eine „Leich“* kostet, ist überdies wahrlich nicht pietätvoll. Als mein Vater starb, gingen die 100.000 Schilling (über 7.000 Euro), die er kurz zuvor als Literaturpreis bekam, fast zur Gänze für sein Begräbnis drauf – ohne großen Luxus und trotz bereits vorhandenem Familiengrab.

Werbung für Bestattungsfirmen soll wohl auch noch aus anderen Gründen unterbleiben: Erstens wurde der Tod längst zum Tabu Nummer Eins in der Moderne, und zweitens soll nicht der Eindruck entstehen, für das Warensubjekt müsse, bevor es sich für immer von seiner Aufgabe drückt, von den Hinterbliebenen so etwas wie Pönale bezahlt werden.

Aber viele können die hohen Kosten heute nicht mehr bezahlen. Die Anzahl der Armenbegräbnisse nimmt immer mehr zu. Wegen der Vereinzelung der Individuuen, wegen der Auflösung von Familie und Großfamilie gibt es immer mehr Verstorbene, um deren Begräbnis sich niemand mehr kümmert. Niemand trauert um sie, niemand kann die Grabpflege übernehmen. Die – im Vergleich zur Bestattung des Leichnams im Sarg – preisgünstigere Urnenbestattung findet immer mehr Abnehmer. So ein Urnenhain – diese über zwei Meter hohen Wände mit den kleinen Tafeln, auf denen gerade noch Name, Geburts- und Sterbedatum Platz haben – erinnert jedoch weniger an einen Hain, denn an Bahnhofschließfächer. Es gibt aber auch bereits völlig anonyme – nur mit einer Nummer versehene – unzugängliche Urnenaufbewahrungen. Für diese Toten gibt es also keine sichtbare Grabstätte mehr, nichts, das an ihr irdisches Dasein erinnern würde. Solch ein Umgang mit den Toten beziehungsweise eine bloße Leichenentsorgung ist in unseren Breiten bisher nur aus Zeiten gesellschaftlicher Zusammenbrüche bekannt – wenn Pest und Cholera oder Kriege wüteten. Leben wir heute auch in einer Zeit des Zusammenbruchs? In einer Zeit, in der die Individualisierung so weit fortschreitet, dass vom Individuum nichts mehr übrig bleibt?

* „Leich“: Begräbnis, auch in Kombination mit „a schene“ (eine schöne), also: ein feierliches Begräbnis.

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