2. TEIL: DIE GÄNGIGEN LEITBILDER DER NACHHALTIGKEIT UND IHRE SCHWÄCHEN
Streifzüge 30/2004
von Andreas Exner & Ernst Schriefl
Wer sich im Diskurs der Nachhaltigkeit ein bisschen umhört, hört eigentlich fast immer dasselbe. Der Glaube an die „ökologische“ oder gar die „ökologisch-soziale Marktwirtschaft“ beherrscht das Feld. Dessen Botschaft lautet so: Die Gegensätze zwischen Wirtschaft und Ökologie können ausgeräumt werden. Wer diese Annahme einmal akzeptiert hat, sieht in allem Weiteren dann in der Regel kein Problem. Guten Willen immer vorausgesetzt, versteht sich.
Nachdem wir uns im ersten Teil unserer Serie einigen Grundlagen der Debatte um die Nachhaltigkeit – mit Schwerpunkt auf der Problematik des Wirtschaftswachstums – gewidmet haben, wollen wir uns im zweiten Teil die gängigen Auffassungen zur Nachhaltigkeit und zu einem ökologischen Umbau der Gesellschaft näher ansehen. Seit den Geschehnissen rund um die UNO-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 hat der Diskurs der Nachhaltigkeit in Amtsstuben und Wirtschaftsetagen Einzug gehalten. Dort wird die Debatte um ihre ursprünglich enthaltenen kritischen Aspekte immer mehr verkürzt und zunehmend auf die Legitimation neoliberaler Politik verpflichtet.
871 mal nachhaltig
Ein gutes Beispiel dafür bietet die österreichische Nachhaltigkeitsstrategie1, die, wie es in der Einleitung heißt, „von einer Arbeitsgruppe aus rund 40 Vertretern der Ministerien, Länder und Gemeinden, Sozialpartner, Interessensvertretungen und NGO-Plattformen… „, erstellt und von der Bundesregierung im April 2002 beschlossen wurde. Das Vorwort stellt den Zweck des auf 182 Seiten nachhaltig ausgebreiteten Ergebnisses unmissverständlich klar. Drei Absätze nach der bekannten Brundtland- Definition besagter Nachhaltigkeit hält die Bundesregierung fest, dass die „vorliegende Strategie einen wichtigen Beitrag zum neuen, strategischen Ziel der EU“ leiste, nämlich sich bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt (zu) entwickeln – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen. “
Die Ausrichtung der Nachhaltigkeitsstrategie an der Generallinie von Sicherung und Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit wird – noch vor allen weiteren Konkretisierungen – in einem Abschnitt über „Solide öffentliche Finanzen als Basis für eine nachhaltige Entwicklung“ weiter ausgeführt. Unter dieser Headline verstehen die Verfasser der Strategie selbstredend „solide Staatshaushalte, keine neuen Schulden“, sowie eine „steuerliche Entlastung der Bevölkerung“, wobei „der Staatshaushalt (… ) vor allem über ausgabenseitige Maßnahmen in Ordnung gehalten werden“ soll. Keine Nachhaltigkeit ohne Nulldefizit also. Dabei ergeben sich nicht zuletzt vielfältige Kombinationsmöglichkeiten des Adjektivs „nachhaltig“, das im Bericht übrigens stolze 871 Mal in Erscheinung tritt, mit Substantiven wie „Erfolg“, „Verschuldungsquote“ und „Staatsfinanzen“. Wir befinden uns augenscheinlich in bester Brundtland’scher Tradition, können sich unter der nachhaltig neoliberalen Staatsdoktrin doch „künftige Generationen auf die Lösung ihrer eigenen Probleme konzentrieren, ohne erst die Schulden ihrer Vorfahren abarbeiten zu müssen. “
Das Feld der Handlung: Lebensstil
Die Strategie gliedert sich in vier „Handlungsfelder“ – „Lebensqualität in Österreich, Österreich als dynamischer Wirtschaftsstandort, Lebensräume Österreichs und Österreichs Verantwortung“ – mit je fünf „Leitzielen“. Im Handlungsfeld „Lebensqualität“ wird für weniger bzw. anderen Konsum, für mehr Beschäftigung und eine neoliberal codierte „Anpassung“ der Sozialsysteme im Namen der „Gerechtigkeit zwischen den Generationen“, für Gleichberechtigung von Frauen und Männer, mehr bzw. andere Bildung sowie eine Bekämpfung von Armut plädiert. Bezeichnend ist die Chronologie der Strategie. Nach den einleitenden Klarstellungen, woher der Staat den Most holt, rückt sogleich der „individuelle Lebensstil“ ins Visier: „Durch Verhaltensangebote und ein Aufzeigen der Konsequenzen des eigenen Verhaltens soll allen gesellschaftlichen Akteuren ihre Verantwortung für Nachhaltige Entwicklung verdeutlicht werden.“ Die liegt zu allererst einmal darin, weniger zu konsumieren beziehungsweise den Konsum – erraten – „nachhaltig“ zu gestalten. Die Bevölkerung ist von falschem „Konsumentenbewusstsein“ zu befreien: „Im Mittelpunkt des angestrebten Wertewandels steht die Widerlegung der derzeit herrschenden Gleichsetzung von Güterkonsum mit Wohlbefinden. “
Man mag es kaum für möglich halten, doch dem Verzicht auf Warenkonsum soll auch die Warenproduktion verpflichtet sein, weshalb „auf eine möglichst hohe Teilnahme der Betriebe sowie die aktive Einbindung der Wirtschaft und hier insbesondere der Werbung als zentraler Multiplikator für Lebensstile und Konsummuster (… ) besonders zu achten“ ist. Im anschließend formulierten Leitziel Numero zwei, „Entfaltungsmöglichkeiten für alle Generationen“, werden dann Staatsfinanz und Lebensstil zusammengeführt: „Soziale Nachhaltigkeit setzt engmaschige, leistungsfähige und gerechte Sozialsysteme und die Sicherung des Generationenvertrages voraus. Leitprinzip sollte dabei die eigenständige Absicherung für alle Menschen durch das öffentliche Sozialsystem sein.“ Die Betonung liegt hier auf dem Wörtchen „eigenständig“, denn: „Dazu sind Modelle und Vorkehrungen im Bereich der Kranken-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung zu präzisieren und ergänzend auch Modelle der Eigenvorsorge weiterzuentwickeln. „. Selbst vor arbeitslosen Mitmenschen kennt die Nachhaltigkeit keine Zurückhaltung: „Um der Entstehung von Armut entgegen zu wirken, sind sowohl eine leistungsgerechte Verteilung von Einkommen und Arbeit als auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik erforderlich. “
Nachhaltig wettbewerbsfähig
Während es sich im Handlungsfeld „Lebensqualität“ neben Appellen zu individueller Verhaltensänderung und politischen Leerformeln vor allem um neoliberale Sozi- alpolitik dreht, kommt das daran anschließende Handlungsfeld auf die Ökologisierung der Wirtschaft zu sprechen. Schon der Titel sagt alles: „Österreich als dynamischer Wirtschaftsstandort. Erfolg durch Innovation und Vernetzung.“ Wir lesen: „Das übergeordnete Ziel eines nachhaltigen Wirtschaftsstandortes ist es, den heutigen und künftigen Generationen ein qualitatives und vom Ressourcendurchsatz entkoppeltes Wirtschaftswachstum, mit mehr und besseren Arbeitsplätzen, soziale Sicherheit sowie eine gesunde und intakte Umwelt langfristig zu sichern.“ Maßgeblich sei dabei die Orientierung am Modell der Sozialen Marktwirtschaft. Allerdings müssten, „um die Marktkräfte für die erforderliche Steigerung der Ressourcenproduktivität zu nutzen, (… ) die sozialen und ökologischen Kosten des Naturverbrauchs schrittweise internalisiert werden. Nachhaltiges Verhalten muss künftig auch deutliche ökonomische Vorteile bringen (… ).“ Dieser Satz bringt die grundlegende Prämisse einer ökologischen Marktwirtschaft auf den Punkt.
Die fünf Leitziele einer nachhaltigen Wirtschaft benennt der Bericht wie folgt: „Innovative Strukturen fördern Wettbewerbsfähigkeit“, “ Ein neues Verständnis von Unternehmen und Verwaltung“, „Korrekte Preise für Ressourcen und Energie“, „Erfolgreiches Wirtschaften durch Ökoeffizienz“ sowie „Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen“.
Die besten am Markt verfügbaren Technologien sollen demnach eine Ressourceneinsparung um den Faktor drei oder vier erreichen lassen. Man ist sich zwar bewusst, dass das fortlaufende Wirtschaftswachstum Einsparungsanstrengungen kompensiert, eine Lösung für dieses grundsätzliche Problem wird aber nicht einmal diskutiert. Stattdessen ergeht sich das Papier in nebulosen Formulierungen, aus denen lediglich klar wird, dass der Profit klar sein muss: „Standen bisher technologische Innovationen im Vordergrund, so schaffen integrierte Systemlösungen mehr Raum für nachhaltige Lösungen und bieten neue Chancen für österreichische Unternehmen und den Wirtschaftsstandort Österreich.“ Nachdem „nachhaltige Entwicklung (… ) nur auf Basis einer erfolgreichen und wettbewerbsfähigen Wirtschaft möglich“ ist, sei die Verwaltung an den Erfordernissen der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit auszurichten. Die Ausweitung von freiwilligen Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen zur Einhaltung umweltrelevanter Vorgaben wird angestrebt.
Der Bericht stellt fest: „Nachhaltigkeit erfordert eine Internalisierung der ökologischen und sozialen Kosten.“ Die Nachhaltigkeitsstrategie plädiert daher für die Einführung von Steuern auf den Verbrauch von Ressourcen und Energie bei gleichzeitiger steuerlicher Entlastung des „Faktors Arbeit“. Der Einsatz von weiteren Instrumenten wie Umwelthaftungspflicht und Handel mit Emissionslizenzen wäre „zu überprüfen“. Auch bestehende Subventionen sollen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit (was immer darunter nach all dem Gesagten zu verstehen sein mag) „überprüft werden“. Weiters spricht sich das Strategiepapier noch für eine ökologische Modernisierung des Verkehrswesens und die Förderung von Ethik- und Öko- Investmentfonds aus.
Unter dem Leitziel „Ökoeffizienz“ versteht die Strategie „eine weitere deutliche Steigerung der Ressourceneffizienz, die verantwortungsbewusste Schließung von Stoffkreisläufen“ sowie den „möglichst weitreichenden Einsatz erneuerbarer Rohstoffe und Energien“. Warum aber sollten wir das alles bloß in Angriff nehmen? Die Antwort: „Wird dies bei der Gestaltung von Produktionsprozessen, Produkten, Dienstleistungen und Infrastrukturen berücksichtigt, bietet sich die Chance, die Wertschöpfung und Beschäftigung im Inland zu erhöhen, regionale Standortvorteile zu nützen und Exporterfolge mit ökoeffizienten und nachhaltigen Technologien zu erzielen“. Sie „können zur Reduktion der Importabhängigkeit beitragen und werden auch damit zum Wettbewerbsvorteil Österreichs und seiner Betriebe“. Der Clou der Ökoeffizienz: „Ökologisch Sinnvolles trägt damit zum Profit der Unternehmen bei.“ Das Handlungsfeld „Österreich als dynamischer Wirtschaftsstandort“ schließt mit dem Leitziel, „nachhaltige Produkte und Dienstleistungen (zu) stärken“. Das bedeutet laut Bericht, fair gehandelte Produkte zu kaufen, Umweltgütesiegel auszubauen, im öffentlichen Beschaffungswesen die „Umweltgerechtigkeit der Leistungen“ zu berücksichtigen, eine „weniger ressourcenund energieintensive Lebensführung“ anzustreben, und im Übrigen auf die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Tourismusindustrie zu achten.
In all diese Kerben der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie schlägt auch der globalisierungskritische Flügel der Nachhaltigkeitsdebatte: So „… könnte die EU, anstatt sich archaisch an Kohlekraftwerke, Zementfabriken und Transitrechte zu klammern, ihre Kreativität und Innovationskraft auf nachhaltige Wirtschaftsbereiche lenken: ökologische Landwirtschaft, Energieeffizienz (halber Verbrauch bei gleichem Komfort), erneuerbare Energieträger (brauchen keine Emissionszertifikate), nachwachsende Rohstoffe, Kreislaufwirtschaft, intelligente Mobilitätslösungen, biologisch abbaubare Chemikalien, kompostierbare Verpackungen etc. „. 2 Dass ein zweifellos notwendiger und wünschenswerter ökologischer Umbau mit einer „dynamisch“ wachsenden Wirtschaft – insbesondere in einer langfristigen Perspektive – nicht kompatibel ist, haben wir im ersten Teil dieser Artikelserie zu argumentieren versucht.
Nachhaltig neoliberal?
Klar ist, dass die österreichische Nachhaltigkeitsstrategie, ganz in Übereinstimmung mit dem Mainstream der Nachhaltigkeitsdebatte, einen grundsätzlichen Konflikt zwischen ökologischen und ökonomischen Zielen ausblendet, ja die Umsetzung der ökologischen Reformen durchgehend mit der Sicherung bzw. Steigerung von Profit und Konkurrenzfähigkeit argumentiert. Interessensgegensätze zwischen gesellschaftlichen Gruppen werden zwar erwähnt, es wird allerdings davon ausgegangen, dass zur Erreichung von Nachhaltigkeit „Win-Win-Situationen“ herzustellen wären. Wo Zweifel an der ökologischen Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen aufkommen könnten, wird an den Staat und die KonsumentInnen appelliert und die Notwendigkeit individueller Verhaltensänderungen strapaziert. Es kann daher nicht verwundern, wenn Umweltund Landwirtschaftsminister Josef Pröll, angesprochen auf Kritik an seiner Klimaschutzpolitik, meint: „Ich verstehe diese Kritik an unserem Klimapakt nicht. Ich habe versucht, Nachhaltigkeit umzusetzen, also wirtschaftliche und ökologische Komponenten zu verknüpfen. „3
Die Nachhaltigkeitsstrategie ist ein beinahe lupenreines Programm neoliberaler Umgestaltung, in dessen Zentrum Sozialabbau, Wettbewerb, Standortsicherung und Wachstumspolitik stehen. Die wenigen ökologisch und sozial interessanten Aspekte („Gut leben“, „Teilen statt Haben“, „Geschlechtergleichstellung“… ) sind daher nicht anders als als bloße Worthülsen zu verstehen. Deren tatsächlicher Inhalt kann problemlos das genaue Gegenteil dessen sein, was wir – ein gerütteltes Maß an Blauäugigkeit vorausgesetzt – mit gutem Willen damit verbinden mögen. So ist es nicht zu weit hergeholt, die Betonung des Konsumverzichts etwa in der Rechtfertigung von Lohnkürzungen enden zu sehen; einmal davon abgesehen, dass die Nachhaltigkeitsstrategie dieses schwachbrüstige Konzept mit dem Beharren auf Wachstum, Werbung und Betriebswirtschaft schon selbst zu konterkarieren weiß. Ungeniert wird die „Sorge um zukünftige Generationen“ gegen die bestehende, solidarische Form der Alterssicherung ins Treffen geführt. Die von Isolation und Konkurrenz geprägte Struktur des bürgerlichen Gegeneinanderlebens wird dabei mit der Anrufung einer „gemeinsamen Verantwortung“ zu überspielen gesucht, womit der Nachhaltigkeitsdiskurs auch die Funktion erfüllen soll, ein sekundäres Zusammengehörigkeitsund Gemeinschaftsgefühl zu stiften, das die Nachhaltigkeitsstrategie über weite Strecken national bestimmt. Angesichts der schwierigen Aufgabe, Unvereinbares zu vereinbaren, nimmt es nicht mehr wunder, dass der Bericht Kooperation und Konkurrenz, also zwei entgegengesetzte Prinzipien, im Dienste der Nachhaltigkeit an einem Strang ziehen sieht. 4
Die österreichische Nachhaltigkeitsstrategie zeigt exemplarisch, wie es der neoliberalen Ideologie unter den Vorzeichen der ökologischen Krise gelingt, die seit den siebziger Jahren andauernden Versuche einer Lösung der Verwertungskrise des „langen Abschwungs“ mit den Zielen der Neuen Sozialen Bewegungen zu legieren; von Kreativität, Ganzheitlichkeit und Flexibilität über den Feminismus bis hin zum Engagement für die Dritte Welt und einem ökologischen Kurswechsel. Sie ist eine Illustration von „Sustainable Development als Kitt des neoliberalen Scherbenhaufens“, wie Ulrich Brand und Christoph Görg es formuliert haben. 5 Dieser Befund gilt also nicht nur für das Strategiepapier der Bundesregierung, sondern ist ein Strukturmerkmal des Nachhaltigkeitsdiskurses als solchem. Die „Sustainability“, der etwa das renommierte Forschungsinstitut SERI (Sustainable Europe Research Institute) seine Theoriebildung und Politikberatung widmet, bedeutet in ökonomischer Hinsicht schlicht „Safeguarding Competition and Prosperity“. 6 Stellvertretend für viele ist auch die Position des deutschen Klimaexperten Mojib Latif in „Hitzerekorde und Jahrhundertflut“: „Die Herausforderung der kommenden Jahrzehnte wird die Energiefrage sein. Wer bei der Entwicklung der regenerativen Energien nicht führend ist, wird die eigene wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit vollends verlieren. Wir müssen daher ein unmittelbares Interesse daran haben, auf diesem Gebiet Vorreiter zu sein. (… ) Nur wenn wir (… ) wirklich innovativ sind, haben wir die Möglichkeit, unter den Bedingungen der Globalisierung im internationalen Wettbewerb mitzuhalten und damit auch unseren Wohlstand zu sichern.“ 7 Der Dunstkreis von Attac bewegt sich in derselben argumentativen Schleife. Christian Felber, Gründungsmitglied und langjähriger Pressesprecher von Attac-Österreich, kritisiert die Klimapolitik von Martin Bartenstein wie folgt: „Die Umstellung auf ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell würde ein Vielfaches jener Arbeitsplätze schaffen, die Bartenstein mit dem Verzicht auf Klimaschutz zu retten vorgibt. Dieser Weg wäre ökologisch zukunftsfähig und global verträglich (anstatt exklusiv und terror- und kriegsbegründend). Und er wäre – Überraschung! – sogar standorttauglich, denn die EU hätte den von Bartenstein bemühten , first mover advantage'“. 8
Diese Kombination aus originär ökologischem und neoliberalem Diskurs prägt schon den 1990 erschienenen Markstein der Ökosteuer-Diskussion: „Für eine ökologische Steuerreform. Energiesteuern als Instrumente der Umweltpolitik. „9 Ein Leitmotiv der in diesem Sammelband publizierten Beiträge ist die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch frühzeitige Investition in ökoeffiziente Technologie. Ein in seiner affirmativen Offenheit besonders schlagendes Beispiel dafür gibt der Text von Hans Peter Aubauer: Die Ökosteuer „passt die Wirtschaftsstruktur an internationale Rahmenbedingungen an, die langfristig durch die Verteuerung von Energie und Rohstoffen, aber auch durch einen erbitterten Konkurrenzkampf um mehr Wertschöpfung und Innovation gekennzeichnet sein werden“. 10 Einige der Texte widmen sich dem Beitrag von Ökosteuern zur Lösung der Finanzierungskrise der Altersversorgung, die auf „demografische Probleme“ zurückgeführt wird. Ohne hier die tatsächliche Relevanz der Demografie diskutieren zu wollen, sei zumindest erwähnt, dass damit ein Argument vorweggenommen wird, das erst heute seine volle Durchschlagskraft zur Durchsetzung des Prinzips der Eigenvorsorge entfaltet. Dem Beitrag von Arthur Braunschweig ist immerhin zugute zu halten, dass er die – eigentlich nahe liegende – Möglichkeit einer Kürzung der Pensionsversicherungsleistung nicht einmal der Erwähnung wert fand. Die Notwendigkeit, Einnahmen zur Rentenfinanzierung zu lukrieren, galt dem Autor 1990 offenkundig noch als sakrosankt und wurde mithin als ein starkes Argument für die Ökosteuer betrachtet11, nach dem Motto: „Von irgendwoher muss das Geld ja kommen.“ Eines der Kernelemente neoliberaler Wirtschaftsideologie kehrt in den Artikeln immer wieder und ist nach wie vor fixer Bestandteil der Argumentation für eine Ökosteuer: Die hohen Löhne seien schuld an der Arbeitslosigkeit. Eine Absenkung der Lohnebenkosten im Zuge der ökologischen Steuerreform führe daher zu vermehrter Beschäftigung. Nicht anders lautet die heute gängige Begründung aggressiver Lohnsenkungspolitik, von Sozialdumping und Arbeitsmarktderegulierung.
An diesem Beispiel lässt sich unter anderem demonstrieren, wie der Gestus neoliberaler Konkurrenz- und Mangelideologie frühzeitig im ökologischen „Überlebensdiskurs“ der Achtziger eingeübt wird. In der alltäglichen Sicht der Käufer und Verkäufer, und erst recht in der Sicht der neoliberalen Ideologie, werden die auf den menschengemachten Zwängen der abstrakten Geld- und Warenform beruhenden Verknappungen als naturgegeben betrachtet. Im Sinne des „Survival of the Fittest“ werden sie „biologisch“ legitimiert. 12 Der Mensch sei nun einmal zum Kampf geboren, seine Lebenswelt sei primär lebensfeindlich und von Mangel bestimmt, die Konkurrenz ums Überleben in seinen Genen festgeschrieben. In einer genuin ökologischen Sicht geht es hingegen um rein stofflich-konkrete Begrenzungen oder menschenverursachte Mangelsituationen, beispielsweise die Degradation von Regenwaldgebieten, den Verlust an fruchtbarem Boden, das Schwinden von Pufferkapazitäten für Schadstoffe, das Artensterben usw. Die Zusammenführung der beiden im Grunde ganz verschiedenen Sichtweisen und Problemstellungen von Geldökonomie und Stoffökologie ergibt eine gefährliche Perspektive. Es fehlt das Verständnis für den Unterschied zwischen den abstraktgeisterhaften, finanziellen Knappheiten unserer „zweiten Natur“, und jenen konkretstofflichen Gegebenheiten der „ersten Natur“, die uns nun als „Naturkatastrophen aus zweiter Hand“ heimsuchen. Die Ursache dieser „gesellschaftlichen Naturkatastrophen“ (Robert Kurz) wird kaum je im Wirken jener „zweiten Natur“ der blinden Marktgesetze erkannt. Vielmehr werden sowohl die ökonomisch-soziale als auch die ökologische Krise so begriffen, als wären sie auf allgemeine Defizite der menschlichen Gattung und unabänderliche Naturschranken zurückzuführen.
Dem Bild von Menschen, die nach Jahren „sozialistischer Verschwendung“ nun gegeneinander um das Überleben und einen schrumpfenden Reichtumskuchen kämpfen müssen, entspricht so die ökologisch motivierte Betonung des Mangels, die Notwendigkeit des Verzichts nach Jahren „konsumistischer Verschwendung“ und das Bedrohungsszenario „überbordenden Bevölkerungswachstums“ im Süden. Beiden gemeinsam ist die Berufung auf Naturgesetze, auf angeblich objektiv bestimmbare, unabänderliche Zwänge und die ideologisch wichtige Instrumentalisierung der Biologie. „Das Boot ist voll“, so lautet denn die gemeinsame Schlussfolgerung. Die Menschenfreundlichkeit der Gesinnung erweist sich bloß noch daran, ob man lieber die Überzähligen, also „die Anderen“, aus dem Boot wirft, oder der Menschheit eine kollektive Abmagerungskur verordnet.
Anstatt die Frage einer Überwindung der Warenform und ihrer „Naturgesetze aus zweiter Hand“ zu stellen, wird das in Frage gestellt, was dieser Form und ihren Gesetzen nicht mehr gehorcht. Nicht die Form des abstrakten „Reichtums“, der als ökonomischer Wert, als Ware und als Geld erscheint, wird als tiefere Ursache der Naturzerstörung erkannt. Vielmehr wird der konkrete, fühl- und genießbare Reichtum als der eigentliche Teufel an die Wand gemalt, dem nur mit „Verzicht“ noch beizukommen sei. Aber Verzicht worauf? Die Form der Ware soll ja bleiben. Darauf zu verzichten, das fällt kaum wem ein. Keinesfalls dem Tauschwert soll es an den Kragen. Den Gebrauchswert will man da schon eher rationieren.
Dabei gerät schlussendlich völlig aus dem Blick, dass eine echte Ökologisierung nicht notwendigerweise im Verzicht auf Genuss bestünde, sondern vielfach gerade im Abschied vom Genussverzicht. Autofreie Städte etwa wären eine der größten vorstellbaren Wohltaten für die dort lebenden Bevölkerungen; der immer schnellere Kreislauf von Kaufen und Verkaufen aber erzwingt eben immer schnelleren Kreislauf der Käufer und Verkäufer. Ähnlich gegenläufige Tendenzen von profitabler Ökonomisierung und stofflich orientierter Ökologisierung sind in allen Lebensbereichen auszumachen. „Der wachsende Überfluss an Waren ist mit zunehmender Depravierung identisch. Selbst auf der Ebene der scheinbar unschuldigsten Reproduktionsbedürfnisse erweist sich Warenkonsum streng genommen immer schon als kompensatorischer Konsum. Dass jede Geldmonade ihre Einzelzelle mit einer gigantischen Infrastruktur vollstopfen muss, Einbauküchen, die auf die Versorgung von Hochzeitsgesellschaften ausgelegt sind und einen fahrbaren Untersatz unterhält, der 23 Stunden am Tag zum , ruhenden Verkehr‘ gehört, belegt weniger den enormen Reichtum der westlichen Gesellschaften denn die Erbärmlichkeit der sozialen Zusammenhänge. Eine Gesellschaft, die selbst ein so simples Bedürfnis wie das nach sauberer Wäsche nur dadurch befriedigen kann, dass jeder Einzelhaushalt seine kleine Waschfabrik betreibt, stellt sich allein damit schon ein Armutszeugnis aus. „13
Weder der dominierende ökologische noch der neoliberale Diskurs gehen von jenem Lebensreichtum aus, den wir uns laufend vorenthalten. Ihr Ansatzpunkt ist ganz im Gegenteil der Mangel, der Kampf, das Überleben, die Konkurrenz. So wiederholt sich noch im vermeintlichen Lösungsansatz und der zu ihm gehörigen emotionellen Haltung die eigentliche Ursache des Problems.
Ulrich Brand hat der Bedeutung der ökologischen Krise und der Form ihrer Thematisierung im Übergang vom sozialdemokratisch geprägten Fordismus der sechziger zum neoliberalen Postfordismus der neunziger Jahre eine ausführliche Studie gewidmet. Seine Schlussfolgerung deckt sich mit unseren Einschätzungen: „Es zeichnet sich (… ) eine dominante oder gar hegemoniale Symbolisierung der ökologischen Krise ab, die sich im Begriff der Nachhaltigkeit bzw. der nachhaltigen Entwicklung verdichtet (… ). Die dominanten Vorstellungen von Nachhaltigkeit bzw. nachhaltiger Entwicklung haben in den letzten Jahren jeglichen modernisierungskritischen Inhalt aufgegeben und sind mit den Imperativen internationaler Wettbewerbsfähigkeit und postfordistischer Restrukturierung (Flexibilisierung, Privatisierung, Sozialabbau, Globalisierung; Anm. der Autoren) weitgehend kompatibel. Am prägnantesten drückt sich die Verbindung des Imperativs internationaler Wettbewerbsfähigkeit und der selektiven Bearbeitung sozial-ökologischer Problemlagen in der Rede vom , Umweltstandort Deutschland (… ) aus. „14
Insofern der Diskurs der Nachhaltigkeit als wesentliches Instrument der Durchsetzung und Absicherung neoliberaler „Strukturanpassung“ zu begreifen ist, läge es nahe, ihn auch als solchen zu kritisieren.
Anmerkungen
1 Die österreichische Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung. Eine Initiative der Bundesregierung, 2002. http://www.nachhaltigkeit.at/strategie/pdf/st rategie020709_de.pdf
2 Christian Felber: Die Bartenstein-Innovation, „Kommentar der Anderen“, in: Der Standard, 15. Februar 2004.
3 Pröll: „Verstehe die Kritik am Klimapakt nicht“, in: Der Standard online, 19. Februar 2004.
4 Vgl. zu weiteren Beispielen für diesen eklatanten und für die Debatte typischen Widerspruch: Saral Sarkar (2001): Die nachhaltige Gesellschaft. Eine kritische Analyse der Systemalternativen.
5 Ulrich Brand, Christoph Görg (2002): „Nachhaltige Globalisierung? “ Sustainable Development als Kitt des neoliberalen Scherbenhaufens, S. 12, in: Christoph Görg, Ulrich Brand (Hrsg. ): Mythen globalen Umweltmanagements: „Rio + 10“ und die Sackgassen nachhaltiger Entwicklung.
6 SERI: Mission statement, http://www.seri.at/
7 Mojib Latif (2003): Hitzerekorde und Jahrhundertflut. Herausforderung Klimawandel. Was wir jetzt tun müssen, S. 154 f.
8 Christian Felber: a. a. O.
9 Hans G. Nutzinger, Angelika Zahrnt (Hrsg. , 1990): Für eine ökologische Steuerreform. Energiesteuern als Instrumente der Umweltpolitik.
10 Hans Peter Aubauer (1990): Mehr Arbeit und weniger Energieverbrauch. Berechnungen einer Umschichtung von Steuern am Beispiel Österreichs, S. 152, in: Hans G. Nutzinger, Angelika Zahrnt (Hrsg. ): a. a. O.
11 Arthur Braunschweig (1990): Energieabgabe und Rentenversicherung. Überlegungen und Berechnungen für die Bundesrepublik Deutschland, S. 218, in: Hans G. Nutzinger, Angelika Zahrnt (Hrsg. ): a. a. O.
12 Vgl. dazu Christoph Görg (1999): Gesellschaftliche Naturverhältnisse.
13 Ernst Lohoff (1998): Zur Dialektik von Mangel und Überfluss, in: Krisis 21/22, S. 77.
14 Ulrich Brand (2000): Nichtregierungsorganisationen, Staat und ökologische Krise. Konturen kritischer NRO-Forschung. Das Beispiel der biologischen Vielfalt, S. 151 f.