Geistiges Eigentum

Rechtsfetisch sui generis

Streifzüge 31/2004

KOLUMNE Immaterial World

von Stefan Meretz

Willkommen zum Streifzug durch die Welt der immaterialen Produktion! In den nächsten Ausgaben dieses Magazins werde ich meine Sicht auf Entwicklungen und Theorien im weiten Feld der immaterialen Produktion vorstellen. Alle Kolumnen erscheinen parallel online bei www.opentheory.org/immaterial_world und können dort diskutiert werden.

Thema der ersten Kolumne ist ein „Unding“ im doppelten Sinn: das geistige Eigentum (engl. Intellectual Property).

Der Begriff „Geistiges Eigentum“ bezeichnet staatlich verliehene Monopolrechte zur Verwertung nichtstofflicher Güter. JuristInnen sprechen vom Immaterialgüterrecht bzw. im englischen Sprachraum auch vom Exklusionsrecht – was der Sache am nächsten kommt.

Unter dem Begriff „Geistiges Eigentum“ werden sehr unterschiedliche Rechtsgüter gefasst: So beziehen sich Patente – ursprünglich ausschließlich – auf Erfindungen im Sinne stofflich-technischer Realisationen, während Urheberrecht, Markenrecht etc. den nicht-stofflichen Bereich der Ideen, Literatur, Software etc. abdecken. Auf Seiten des Patents kommt es jedoch zunehmend zu „Übergriffen“ auf den Bereich der „Ideen“ und bloßen „Entdeckungen“: So sollen aktuell Algorithmen, euphemistisch als „computer-implementierte Erfindungen“ bezeichnet, oder Gen-Sequenzen, die man analog wohl „natur-implementierte Erfindungen“ nennen müsste, auch in der EU patentierbar gemacht werden.

Mit dem Begriff „Geistiges Eigentums“ wird das körperliche Sachenrecht auf „Nicht-Körper“ übertragen. „Geistiges Eigentum“ und abgeleitete Begriffe wie „Softwarepiraterie“, „Raubkopie“ etc. sind Kampfbegriffe zur Durchsetzung der Verwertungslogik. Sie werden daher von KritikerInnen auch als „immaterielle Monopolrechte“ bezeichnet.

Besitz und Eigentum

Das körperliche Eigentum moderner Fassung ist ohne die bürgerliche Rechtsform nicht vorstellbar, doch es entspringt ihr nicht. Das nichtstoffliche Eigentum hingegen ist einzig rechtsförmig konstituiert. Zum Verständnis ist es sinnvoll, sich den Unterschied von Eigentum und Besitz klar zu machen. Besitz ist die rechtsförmige Abstraktion des realen Gebrauchs einer Sache. Eigentum hingegen ist die rechtsförmige Abstraktion im Verhältnis zum Besitz und sozusagen eine Abstraktion zweiter Ordnung im Verhältnis zur Sache. Während Besitz also begrifflich eine soziale Praxis fasst – der Mieter ist Besitzer des Mietobjekts, der Dieb ist Besitzer des geklauten Guts – meint Eigentum die rechtliche Verfügung über die praktische Verfügung über die Sache: Vermieter des Objekts, Eigentümer des Diebesguts. In Praxi wird zwischen Eigentum und Besitz jedoch kaum unterschieden, weil Eigentum und Besitz im Umgang mit stofflichen Gütern oft zusammenfällt. Dort ist klar: Beim Warentausch findet ein Eigentums- und Besitzwechsel statt.

Anders bei nichtstofflichen Gütern, die Waren sind. Hier kommen wichtige Unterschiede zu stofflichen Gütern zum Tragen. Nichtstoffliche Güter verbrauchen sich durch Nutzung oder Weitergabe („Kopie“) nicht. Ökonomisch kommt es zu keinem technischen, sondern nur zu einem „moralischen“ Verschleiß („Veralten des Guts“). Die Natur nichtstofflicher Güter ist von vornherein gesellschaftlich. Nichtstoffliche Güter existieren nur durch Weitergabe, Kommunikation, Nutzung. Jeder kann sie besitzen und da es keine physischen Schranken gibt, kann niemand vom Besitz ausgeschlossen werden, sie sind genuin unknapp. Eigentum als Rechtsform hat also im Unterschied zum körperlichen Ding hier keine „naturale Grundlage“, sondern muss erst juridisch konstruiert werden – ein Rechtsfetisch sui generis.

Das Eigentumsregime nichtstofflicher Güter existiert ausschließlich rechtsförmig. Es dient dazu, künstlich Knappheit zu erzeugen. So fußt die Warenform nichtstofflicher Güter auf der strikten Trennung von Eigentum und Besitz. Damit findet beim Kauf und Verkauf kein Eigentums-, sondern nur ein Besitzwechsel statt, wobei Besitz hier nur die Form einer „Erlaubnis“ (Lizenz) hat, das nichtstoffliche Gut zu nutzen.

Fiktion des isolierten Einzelnen

Der Fetischcharakter des „Geistigen Eigentums“ ist besonders wirkmächtig. Er beruht auf der Vorstellung eines genialen individuellen Erfinders, der gleichsam aus dem isolierten Privathirn etwas Neues schafft. Diese Vorstellung entspricht der bürgerlichen Denkform des isolierten Individuums, das erst auf dem Markt mit anderen in Austausch tritt. Diese Denkform ist dabei keine bloße Fiktion, sondern realabstraktive Verallgemeinerung des isolierten Einzelnen in der warenproduzierenden Gesellschaft. In der immaterialen Produktion ist diese Vorstellung jedoch praktisch hinfällig geworden. Kreative Leistungen sind immer Resultat eines sozialen Prozesses, auch wenn es Einzelne geben wird und muss, die den Prozess kondensieren und in ein „Resultat“ transformieren.

Zusammen mit der Denkfigur des genialen Einzelnen wird auch die Wirkmächtigkeit des „Geistigen Eigentums“ brüchig. Genial ist nicht mehr, wer ein gutes Ergebnis produziert, sondern wer Prozesse schafft und befördert, die gute Ergebnisse produzieren. Herausragende Beispiele sind die freie Enzyklopädie Wikipedia und die Freie Software-Bewegung. Individuelle Personen spielen hier eine herausragende Rolle, jedoch nicht als Untergeordnete unter einem abstrakten Sachzwangprozess, als Subjekte im Wortsinne, sondern als Menschen, die genau „ihr Ding“ machen. Ihre Entfaltung ist Voraussetzung für die Entfaltung der anderen und umgekehrt. Der Begriff des „Geistigen Eigentums“ wirkt hier nur lachhaft, aber auch als ernst zu nehmender Angriff zur Einfriedung der freien Produktion.

Weil die nichtstoffliche Ware nur rechtsförmig existiert, ist sie leicht angreifbar – besonders, wenn sie digitaler Form ist. Mit der Loslösung des Inhalts von seinem Träger und in ihrer Existenzweise als Kopie, die identisch mit dem Original ist, kann sie überall „abgegriffen“ werden. Folglich müssen die Verwerter an drei Fronten aufrüsten: der Ideologie, die Grundlage des Begriffs „Geistiges Eigentum“ ist und eine Kopie „Raub“ nennt, der Rechtsform durch globale Vereinheitlichung des Copyright-Regimes im Rahmen des TRIPS-Abkommens und der Technik durch Rückbindung der Inhaltskontrolle an eine stoffliche Form, nämlich der Hardware, dem sog. Digital Rights Management.

Ziel muss es sein, den Begriff „Geistiges Eigentum“ zu destruieren und entwertete Freiräume zu verteidigen.

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