Streifzüge 32/2004
von Maria Wölflingseder
Das erste Gleichbehandlungsgesetz trat in Österreich seit über 25 Jahren in Kraft. Damals wurde der Familienvorstand seiner juristischen Privilegien enthoben. Bis dahin konnte der Mann als Oberhaupt der Familie den Wohnort bestimmen und der Frau die Berufstätigkeit verbieten. Er war alleiniger Zeichnungsberechtigter bei Passanträgen, Lehrverträgen u. ä. für die Kinder und hatte „väterliche Gewalt“ über seinen Nachwuchs. Seither sieht das Gesetz gleiche Rechte und Pflichten für beide Geschlechter vor. Was die realen gesellschaftlichen Verhältnisse anbelangt, stimmt die Bilanz ein viertel Jahrhundert später nicht gerade hoffnungsvoll. Frauen sind in der Politik, im Wissenschaftsbetrieb, in traditionellen Männerberufen noch immer stark unterrepräsentiert und in leitenden Positionen kaum zu finden. Nur sechs Prozent der UniversitätsprofessorInnen sind Frauen, damit liegt Österreich in Europa hinter der Türkei und Portugal. In der Privatwirtschaft steigt der Einkommensunterschied zwischen Mann und Frau und insbesondere bei Frauen die Anzahl der working poor.
Seit 1. Juli 2004 gibt es das neue Gleichbehandlungsgesetz, das zwei Antidiskriminierungs-Richtlinien der EU umsetzt. Niemand darf auf Grund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Weltanschauung, Alter und sexueller Orientierung benachteiligt werden. Der Diskriminierungstatbestand Behinderung wird in einem eigenen Behinderten- Gleichstellungsgesetz geregelt werden. Das Gleichbehandlungsgebot gilt für Arbeitsverhältnisse aller Art, die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen. Das Gleichbehandlungsgebot für Arbeitsverhältnisse zum Bund, zu einem Land, einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband ist in Sondergesetzen geregelt. Obwohl auch hier die Lage schlecht ist, haben Frauen und Behinderte im öffentlichen Dienst dennoch bessere Chancen als in der Privatwirtschaft.
Das Gebot zur Gleichbehandlung ist nicht auf das Arbeitsverhältnis alleine beschränkt. Es gilt auch für das Arbeitsumfeld (z. B. Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung) sowie hinsichtlich des Diskriminierungstatbestandes der ethnischen Zugehörigkeit auch außerhalb der Arbeitswelt (Sozialschutz, soziale Vergütungen, Versorgung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen, Wohnraum).
Nur ein Romeo darf noch geschlechtsspezifisch gesucht werden
Eine weitere Errungenschaft: Stellenausschreibungen dürfen nur mehr geschlechtsneutral und ohne Altersangabe erfolgen. Der erstmalige Verstoß gegen das Gebot zur nicht diskriminierenden Stellenausschreibung ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Verwarnung zu ahnden, bei weiteren Verstößen wird eine Geldstrafe bis zu 360 Euro verhängt.
Eine der wenigen Ausnahmen: etwa wenn das Burgtheater eine Besetzung für den Romeo sucht, betont die Gleichbehandlungsanwältin Alexandra Knell.
Für alle, die sich dennoch ungleich behandelt fühlen, gibt es die unabhängige Gleichbehandlungskommission, die mit Rat und Tat zur Seite steht. Was aber sollen nun zum Beispiel Arbeitslose nach der 300sten erfolglosen Bewerbung machen, wenn ein oder mehrere Kriterien der Benachteiligung auf sie zutreffen? Sollen sie die 300 Firmen klagen? Auf diese Frage ließen sich die beiden vor Optimismus nur so strotzenden Anwältinnen Ingrid Nikolay-Leitner und Alexandra Knell in einem Radio-Gespräch1 nicht ein. Sie beteuerten jedoch, das Gesetz sei nicht nur bezüglich sexueller Belästigung, bezüglich gleichen Entgelts für gleiche Arbeit, bezüglich übergangene Beförderung, bezüglich Kündigung aufgrund des Alters, sondern auch bezüglich der Einstellung von Arbeitskräften recht wirksam. Mehrmals verwiesen sie auf die tollen Erfahrungen in den USA – dort gebe es das Gleichbehandlungsgesetz ja schon seit 40 Jahren. Sie schränkten aber ein, aus den Stellenanzeigen würden die Alters- und die Geschlechtsangaben nicht sofort verschwinden, aber jetzt handle es sich um eine Gesetzesverletzung, für die eine Geldstrafe riskiert wird. Da erhärtet sich der Verdacht, es gehe in erster Linie weniger um die tatsächliche Veränderung der gesellschaftlichen Realität, als vielmehr darum, dass Kriterien wie Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft etc. nicht mehr genannt werden – ganz political correct. Ein Personalchef kann im Zweifelsfall eine Einstellungsentscheidung immer mit dem persönlichen Qualifikationsprofil rechtfertigen. Misserfolg wird also weiterhin individualisiert.
Wer hat etwas davon, wenn Firmen nun 1000 statt 300 Bewerbungen auf eine Stellenausschreibung bekommen? Man stelle sich nur die vergeudeten Stunden, Tage und Monate vor, die Arbeitslose der gesetzlich vorgegaukelten Gerechtigkeit wegen mit dem Verfassen völlig aussichtsloser Bewerbungsbriefe verbringen. Selbst wenn das Gesetz tatsächlich die gewünschte Wirkung hätte, die Arbeitsplätze würden sich dadurch nicht vermehren. Es könnte höchstens eine „gerechtere“ soziale Verteilung der Arbeitslosigkeit bewirken.
Hoffnungen weckt das neue Gesetz trotzdem. Etwa bei den über 50-jährigen Arbeitslosen, organisiert im Verein „Grau und Schlau“ in Salzburg. Mit dem Gleichbehandlungsgesetz pochen sie hartnäckig auf ihr Recht auf Arbeit.
Übrigens, die Moderatorin der Radiosendung hat den beiden Gleichbehandlungsapostelinnen bezüglich ihrer Hymnen auf die hoch gelobten Erfahrungen in den USA keine einzige Gegenfrage gestellt. Aber vielleicht zogen die beiden professionellen Optimismusversprüherinnen nur die Gleichheit unter Weißen in Betracht. Mir ist nur bekannt, dass in den USA Körperbehinderten mit mehr Rücksichtnahme auf ihre spezifische Situation rechnen können als bei uns, aber bezüglich ethnischer Gleichheit sieht es mehr als finster aus! Die Lobeshymnen der Gleichbehandlungsexpertinnen und der fehlende Widerspruch der ORF-Journalistin sind inferior, ja, ein Hohn angesichts der tristen sozialen Realität von Schwarzen und Hispanics in den USA. Im nebenstehenden Kasten sind einige Fakten aufgelistet.
„Vier Klassen der Diskriminierung“
Sogar Politikerinnen von den Grünen und der SPÖ zweifeln an der Wirksamkeit des Gesetzes. Alexandra Bader in ihrem Bericht, dem die Tagung 25 Jahre Gleichbehandlungsgesetz voranging: „Johanna Dohnal (Anm. : ehem. erste Frauenstaatssekretärin, SPÖ) schließt sich der Kritik von … Terezija Stoisits (Anm. : Abgeordnete der Grünen) und anderen an einem Regierungs-Antidiskriminierungsgesetz an, durch das , vier Klassen der Diskriminierung‘ geschaffen wurden (Anm. : , Die Bundesregierung hat mit ihrem neuen Gesetzesentwurf auf einen einheitlichen Schutz vor Diskriminierung für alle Opfergruppen bewusst verzichtet und unterschiedliche Schutzniveaus für Lesben und Schwule, Frauen und Männer, Rassismusopfer und andere geschaffen. ‚ Stoisits2). Dabei werden teils auch Maßnahmen ausgehebelt, die Frauendiskriminierung sanktionieren und die Gleichbehandlungsanwaltschaften mit Aufgaben überladen, durch die sie wohl weniger zu ihrem eigentlichen Bereich kommen. Nach wie vor sind Frauen als öffentlich Bedienstete besser vor Diskriminierung geschützt als in der Privatwirtschaft und auch ein Antidiskriminierungsgesetz ändert nichts daran, dass frau allenfalls gegen Benachteiligung in der Arbeitswelt vorgehen kann. „3
Terezija Stoisits kritisiert außerdem die mangelhafte Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien: „Die von der EU vorgeschriebene Beweislasterleichterung zugunsten des Diskriminierungsopfers, die notwendige, unabhängige und mit Ressourcen ausgestattete Anlaufstelle zur Unterstützung der Opfer, die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit von Bundesbediensteten in der Gleichbehandlungsanwaltschaft und vieles mehr sind durch dieses Gesetz schlicht nicht gegeben. „4
„Mehr Recht schafft nicht mehr Rechte“
Bei aller Wertschätzung der unermüdlichen Bemühungen von Frauen, die sich für frauengerechtere Verhältnisse einsetzen, aber wäre es nicht endlich an der Zeit, dieser mit enormem Aufwand betriebenen Fassadenkosmetik, die Fortschritt der sozialen Verhältnisse verheißen soll, die Maske vom Gesicht zu reißen? Wer sich einredet, mit derlei Gesetzen sei eine grundsätzliche Verbesserung zu erreichen, frönt wohl einem Zynismus, der oft jenen vorgeworfen wird, die innerhalb dieses Gesellschaftssystems keine emanzipatorische Entwicklungsmöglichkeit mehr sehen. Es gilt also in der Kritik tiefer zu schürfen.
Das Recht auf Gleichbehandlung, das Recht auf Arbeit, das Recht auf sauberes Wasser, das Recht auf gesunde Ernährung – sie werden permanent vollmundig proklamiert, aber Gleichbehandlung, Arbeit, sauberes Wasser, gesunde Ernährung sind dennoch immer weniger gegeben und auch nicht einklagbar. Da können sich noch so viele Bürgerinitiativen, GrünpolitikerInnen oder was weiß wer noch alle den Mund fusselig reden und die Füße wundlaufen: Ein kleiner Kratzer im Lack eines fremden Autos wird gerichtlich verfolgt, aber der Verkehrs- und Fluglärm oder das Gift im Essen – zwar als gesundheitsschädigend erwiesen – sind nicht gerichtlich ahndbar. Oder: Menschen, die kleiner als einen Meter fünfzig sind, haben überhaupt kaum eine Chance auf einen Job; wann gibt es für diese endlich ein eigenes Gesetz? Oder wer denkt schon an Probleme, die Menschen haben, deren Körperbau geringfügig von der Norm abweicht – für sie wird es immer schwieriger Kleidung zu kaufen. Als Betroffene stolperte ich kürzlich über einen Leserbrief zu diesem Thema. Für Übergrößen gäbe es einen Markt, aber für Kleine (die keinem Bügelbrett ähneln) nicht, bekäme die Leserbriefschreiberin immer zu hören; wo bleibt ein Gesetz für diese Minderheit? An diesen Beispielen wird sichtbar, wie wenig das Recht der Wirklichkeit je gerecht werden kann. Der Versuch, mit rechtlichen Mitteln gegen Diskriminierung vorzugehen, ist nichts anderes als ein Hase- und Igel-Wettlauf.
„Mehr Recht schafft nicht mehr Rechte. Aber weniger Recht auch nicht. Juristische Lösungen dieses Dilemmas sind nicht in Sicht. Diese Krise des Rechts ist keine nur ihre Disziplin betreffende, d. h. eine innere Krise, sie ist ein gesellschaftliches Phänomen. Sie kann somit auch nicht mit den Instrumentarien des Rechts gelöst werden. Der Rechtsstaat zerbricht nicht an irgendwelchen äußeren Feinden, sondern an seiner Logik. Auf das Recht können wir uns nicht mehr verlassen, es verlässt uns vielmehr. „5
Recht taugt nicht nur nicht so recht zur Herstellung menschenwürdiger Verhältnisse, sondern setzt die Trennung der Menschen von ihren Existenzgrundlagen und Verwirklichungsmöglichkeiten strukturell voraus.
„Subjektive Rechte braucht es nur dort zu geben, wo diese nicht als objektive Selbstverständlichkeiten erscheinen. , Ein , Recht‘ auf Leben, Nahrung, Wohnung usw. aber ist an sich absurd; es macht nur Sinn in einem gesellschaftlichen Bezugssystem, das seiner Tendenz nach all diese elementaren Grundlagen menschlicher Reproduktion eben nicht gerade selbstverständlich voraussetzt, sondern im Gegenteil ständig objektiv in Frage stellt. ‚“6
Das erste Gleichbehandlungsgesetz reagierte auf eine veränderte soziale Wirklichkeit; angesichts der Nachfrage an weiblicher Arbeitskraft beseitigte es juristische Bestimmungen, die zur Frauenerwerbstätigkeit nicht mehr passten. Die geschlechtliche Differenzierung wurde auf der gesetzlichen Ebene abgeschafft, ohne dass deswegen die reale geschlechtsspezifische Benachteiligung verschwunden wäre. Im neuen Gleichbehandlungsgesetz werden nun aber diese und noch mehr Kategorien wieder eingeführt und festgeschrieben: Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Weltanschauung, Alter und sexuelle Orientierung. Und bald werden noch viel mehr Benachteiligte Gleichbehandlung einfordern, manche tun das bereits: zu Große, zu Kleine, Über- und Untergewichtige, Linkshänder, psychisch Kranke, Nichtraucher, Abstinenzler, Allergiker, von Lärm Kranke usw.
Die Absurditätsspirale bohrt sich immer weiter in den Paragraphendschungel, während die Betroffenen immer mehr auf der Strecke bleiben. Bezüglich Umweltgefahren wurde es schon weitgehend erkannt: Je größer und umfassender sie werden, desto weniger können Verantwortliche ausgemacht werden – all den gegenteiligen beflissenen Beteuerungen zum Trotz. Wen wundert es, wenn die Menschen ohnmächtig resignieren. Vielleicht tangieren die Ungereimtheiten des Gleichbehandlungsgesetzes kaum jemanden, weil sich ohnehin keiner etwas Großartiges davon erwartet?
Anmerkungen
1 Von Tag zu Tag, Ö1-Sendung mit Ingrid Nikolay-Leitner und Alexandra Knell vom 15. Juli 2004.
2 Terezija Stoisits: Mangelhafte Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien (OTS 0169 vom 1.7.2004).
3 Alexandra Bader: 25 Jahre Gleichbehandlungsgesetz – kritische Frauenbilanz der Grünen.
4 Terezija Stoisits: a. a. O.
5 Franz Schandl: Finale des Rechts – Hypothesen über das Absterben eines abendländischen Formprinzips, in: krisis 26, Bad Honnef 2003, S. 153.
6 Ebenda (resp. Robert Kurz zit. nach Franz Schandl), S. 155.