VERWÜRFE ZUM ÖKOLOGISCHEN DAUERLUTSCHER DER NACHHALTIGKEIT
Streifzüge 3/2003
von Franz Schandl
Wörter steigen auf und Wörter steigen ab. Manche werden erfunden, andere sterben ab. Wie jede Zeit ihre Moden kennt, so auch eine ihr typische Sprache.
Schaut man genauer hin, verraten manche Vokabel aber oft mehr von sich als ihre Kommunikatoren erkennen wollen. Insbesondere gilt das auch für die Kategorie der Nachhaltigkeit. Aus der Forstwirtschaft übernommen, wurde der Begriff 1987 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht, und zwar als eine gezielte Inauguration durch die Brundtlandt-Kommission (offiziell: „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“).
Ein „Juhu“-Wort ward geboren. Es ist auch seine Verwaschenheit, die seine Karriere so offensichtlich förderte. Da jubelt auch die von uns als Steilvorlage gebrauchte Studie: „Nachhaltigkeit ist zu einem neuen Politik-Paradigma geworden – zu einer , Leitidee für eine zukunftsfähige Gesellschaft‘, die eine bisher nicht gekannte Konsensbreite erreicht hat.“ (Hans Böckler Stiftung (Hg. ), Wege in eine nachhaltige Zukunft. Ergebnisse aus dem Verbundprojekt Arbeit und Ökologie, Düsseldorf 2000, S. 7)
Zweifellos, Nachhaltigkeit ist heute ein Begriff, der von fast allen als positive Kategorie anerkannt wird. Nachhaltigkeit, dafür lohnt es sich zu kämpfen. Nur wessen Kampf wird da geführt und wohin führt er? Manchmal wird vorgebracht, dass „Nachhaltigkeit“ eine schlechte oder unzureichende Übersetzung von „sustainability“ darstellt. Doch verrät „sustainability“ sich nicht noch eindeutiger als die Übersetzung? „Der englische Originalterminus sustainability meint im Kern: , die Funktionsfähigkeit eines Systems aufrechterhalten'“. ( S. 6) Nur, was soll da aufrechterhalten werden? Um welches System handelt es sich? Da mögen sich die einen dieses und die anderen jenes einbilden, das gesellschaftliche Betriebssystem von Kapital und Demokratie bleibt auf jeden Fall aus der Debatte ausgeklammert. Auf was es ankommt, kommt nicht vor.
Nachhaltigkeit stellt keinen einzigen ökonomischen Imperativ in Frage: Markt, Geld, Verwertung, Wettbewerbsfähigkeit, alles bleibt letztlich unbeschadet, sieht man von obligaten Kritteleien ab. „Wachstum, Vollbeschäftigung und Nachhaltigkeit sind vereinbar.“ (S. 57) Das Konzept der sustainable development setzt Kapitalakkumulation als natürliche Bestimmung, als Kreislauf des Lebens, voraus. Es geht sogar darum, diese Strukturen und Mechanismen langfristig und andauernd zu sichern, eben ihre Nachhaltigkeit zu prolongieren. Das Nachhaltigkeitsgerede inszeniert sich ja auch geradezu als Revival der uralten Werte: da ist die nervtötende Rede von Demokratie, Gerechtigkeit, Chancengleichheit, und immer wieder: Arbeit.
Primär fragen sich die Vertreter der Nachhaltigkeit wie das Abgelaufene weiterlaufen kann ohne aus dem Ruder zu laufen. Zum Ablauf selbst hält man sich bedeckt, man wendet sich dafür umso entschiedener gegen gewisse Auswüchse, Fehlentwicklungen etc. – Nachhaltigkeit meint, dass halten soll, was bisher gehalten hat. Nachhaltigkeit will, dass geht, was bisher gegangen ist. Nachhaltigkeit möchte Missstände ausschalten, aber Zustände erhalten. Sie tut gerade so, als hätte das eine mit dem anderen nichts oder wenig zu tun. Nachhaltigkeit ist also kein kritischer Begriff, sondern ein affirmativer, der jedoch versteht, sich als emanzipatorische Kategorie zu verkaufen. Nicht die Welt zu erhalten, ist das Ziel, sondern die Welt, wie sie ist, zu erhalten. Das ist freilich ein Unterschied ums Ganze. „Nur wenn, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles.“ (Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, FfM 1966, S. 391)
Selbstverständlich findet die von uns zitierte Studie zu ihrem gewünschten wie erwarteten Resultat: „Die Ergebnisse der Querschnittanalysen und die Szenarien zeigen: Eine Politik der Nachhaltigkeit bei der ökologische, ökonomische und soziale Ziele gleichzeitig berücksichtigt werden, ist machbar.“ (S. 30) Nur, warum gehorchen die Regierungen und Arbeitsmärkte nicht dieser Konzepthuberei? Warum machen sie nicht Gebrauch von solch einleuchtenden Plänen? Was verhindert?
Vielleicht sollte man doch gelegentlich über den Stellenwert solcher Studien und vor auch über den ihrer Terminologie nachdenken. Möglicherweise liegt deren Aufgabe gerade nicht darin, Vorschläge zu liefern, sondern Publikum zu beruhigen. Ihre Funktion wäre demnach eine ideologische und keine praktische. Man wird den Verdacht nicht los, dass bestimmte reizende Vokabel, prototypisch etwa der Evergreen der Demokratie, aber auch die neuen Hits wie Zivilgesellschaft und Nachhaltigkeit in erster Linie zur weltanschaulichen Therapie der gesellschaftlichen Mitglieder dienen, vor allem, und das ist die Pointe, für die nicht ganz unkritischen. Eben dazu sind diese Kosewörter des allgemein oder speziell respektierten Unsinns da. Es jargonisieren sich Gleichgerichtete.
In den gegenwärtigen Pseudodebatten tummeln sich reihenweise Füllwörter des geistigen Nonsens zur Vernebelung der Köpfe. Es drängeln sich Nullaussagen, d. h. Sätze, von denen das Gegenteil nicht behauptbar ist, auch wenn die Entwicklung permanent das Gegenteil zeitigt. Eine Nullaussage wäre etwa: „Wir sind für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, für den Abbau von Stress und Mobbing am Arbeitsplatz und für eine Ökologisierung desselben.“ Da kann man doch nicht dagegen sein? Da sind wirklich alle dafür, gleichzeitig wird aber permanent etwas anderes reproduziert. Die Frage ist nun (neben dem verdrängten Warum?): Wer ist da eigentlich schizophren? Die, die solche Allzwecksätze aufstellen oder die, die solche Verhältnisse herstellen? Doch sind „die“ und „die“ überhaupt unterscheidbar, sind „die“ und „die“ nicht dieselben? Und was folgt daraus?
Das Geschwafel kennt wahrlich kein Ende: Arbeiter werden gar von Arbeitnehmern zu „Arbeitsunternehmern“ (S. 30) aufgepäppelt. Das erhabene Kapital der Zukunft verhält sich dementsprechend nicht mehr tollwütig, sondern ganz toll: „Die Unternehmen verbessern ihre Wettbewerbsfähigkeit primär durch Produkt- und Prozessinnovationen, statt auf Kostensenkung durch Lohnzurückhaltung und einen schlankeren Staat zu setzen. An der Zielvorgabe , Gewinnmaximierung‘ ändert sich nichts, aber diese wird mit einer langfristigen Perspektive verfolgt.“ (S. 21) Dass die Unternehmen möglicherweise die lang- fristigen Gewinne gar nicht mehr erleben, weil sie keine kurzfristigen zum Investieren haben, was schert das die Nachhaltigkeit. Aber seien wir sicher, das Kapital wird, will es am Markt existieren, sich leider schon darum kümmern.
Doch vergessen wir nicht, Nachhaltigkeitskonzeptiker treten für eine „verlässlich soziale Absicherung oberhalb der Armutsschwelle“ (S. 41) ein. „Nachhaltige Arbeit“ meint dann auch „eine Arbeitsgestaltung, die die langfristige Erhaltung der Gesundheit gewährleistet und ein aktives Gesundheitsverhalten ermöglicht (Arbeits- und Gesundheitsschutz, Begrenzungen von Arbeitsextensität, Arbeitsintensität und von Zeit- und Koordinationsstress)“. (S. 33) Man fragt und ärgert sich: Wovon reden die? Oder ist das überhaupt ein ignorantes Sinnspiel für viertelkritische Nörgler, nach dem Motto: Wie hätten wir’s denn gerne? Es ist, wie wenn der Weihnachtsmann und das Milchmädchen frisch und unbedarft aufeinander losplaudern, Wünsche aufstellen und Rechnungen aufmachen, ohne auch nur eine Sekunde an Marktwirt und Marktwert zu denken.