Streifzüge 2/2003
von Franz Schandl
Schön langsam spüren es auch die krisenresistenten Geister. Irgendwie funktioniert das alles nicht mehr. Die Portionen an Ideologie, die notwendig sind, die Wahrnehmung von der Wahrheit abzuhalten, werden größer. Doch unbarmherzig schlägt die Wirklichkeit zu.
Was wir erleben, das ist die Abwicklung sozialer Sicherungssysteme in den Zentren des Kapitals. Die Netze reißen. Nicht nur in Österreich, Deutschland oder Frankreich, sondern überall. Diese Abwicklung ist nicht politisch gemacht, gar von bösen Neoliberalen hervorgebracht, sondern entspricht den kollabierenden öffentlichen Haushalten, die ganz einfach die rechtlich verbindlichen Ansprüche nicht mehr tragen können. An dieser Einsicht führt nichts vorbei. Ob es sich um die Pensionen oder Renten handelt, die Kinderbetreuung, das Gesundheitswesen, die Arbeitslosenversicherung: diese Leistungen müssen zurückgefahren werden, weil sie nicht finanzierbar sind. Aber wohlgemerkt: Nicht nicht machbar sind diese Leistungen, sondern nicht finanzierbar, das heißt über das Medium Geld herstellbar.
Der Staat kann lediglich leisten, was er sich auch leisten kann. „Das ökonomische Dasein des Staats sind die Steuern“, sagt Marx (MEW, Bd. 4, S. 348). Dessen Stärke speist sich aus ihrem Volumen. Die außerökonomische Gewalt ist also in jeder Hinsicht abhängig vom Markt und was dieser für jenen abwirft. Dessen Fluidum, das Geld, ist ebenso seines. Der Staat kann nur beschließen, was er bezahlen kann oder irgendwann einmal bezahlen wird können. Das bedeutet aber auch, dass seine Souveränität eine gebrochene ist, sie steht unter dem Diktat der Verwertung. Politik darf entscheiden, was Ökonomie zulässt. Öffentliche Institutionen sind völlig abhängig von den produktiven Potenzen der nationalökonomischen Formation. Keine Politik kann sich darüber hinwegsetzen.
Von der Synchronität zur Asynchronität
In Zeiten des Fordismus konnte noch von einer Synchronität von Finanzen und Vorhaben gesprochen werden. Die westeuropäischen Staaten verfügten in dieser Phase über eine relative Handlungsautonomie, weil die Geldmenge in Hinsicht auf die Bedienungsbedürftigen einfach vorhanden gewesen ist. Die Gesamtwertprodukte staatlich verfasster Gesellschaften sind dazumals gestiegen, während heute die Gesamtwertprodukte absinken, bzw. überhaupt der Staat als reeller Gesamtkapitalist (nicht nur wegen der Globalisierung) verfällt.
Vor allem das Steuermonopol, einst eines der wichtigsten Mittel bürgerlicher Staaten wird porös. Die Chance sich zu entziehen, wird größer, nicht für internationale Konzerne, sondern auch für die so genannten neuen Selbständigen, die anders als die traditionellen Lohnabhängigen (aber auch Pensionisten und Empfänger von Sozialleistungen) nicht so leicht überprüfbar sind und somit beschnitten werden können. Der Typus des Normalarbeitsverhältnisses ist jedoch im Verschwinden begriffen, der atypisch Beschäftigte wird zusehends zur entnormierenden Norm.
Immer deutlicher ist der Fiskus darauf angewiesen, gerade dort etwas zu holen, wo er noch was holen kann: bei Arbeitern und Angestellten, Beamten und Arbeitslosen, Rentnern und Sozialhilfeempfängern. Da hat er nicht nur eine formelle, sondern auch eine materielle Möglichkeit reinzuschneiden. Insgesamt jedoch minimiert sich das Durchgriffsrecht des Staates. Sein Instrumentarium versagt, auch wenn er sich „heldenhaft“ dagegen wehrt und eine Reform nach der anderen abwirft. Diese führen zwar zu diversen Restriktionen, doch sie gestalten sich nicht als Dispositive der Macht, die ihren Willen den Gesellschaftsmitgliedern rigoros aufzwingen können. Eher schon sind sie Setzungen der Ohnmacht, da nützen auch keine „Aktion scharf gegen Steuersünder“ oder andere Maßnahmen.
Anstieg der Arbeitslosigkeit bedeutet sinkende Einnahmen und steigende Ausgaben für öffentliche (oder quasi-öffentliche) Haushalte. 0,2 Prozent Arbeitslose sind etwas anderes als 2 Prozent Arbeitslose oder gar 20. Folgerichtig werden diese Einrichtungen die Leistungen dumpen, um überhaupt zahlungsfähig zu bleiben. Zumutbarkeitsbestimmungen werden erhöht, die Bezugsdauer wird gekürzt, die Durchrechnungszeiträume werden verlängert, ja man denkt sogar wieder an die Aussteuer.
Der grassierende, ja inzwischen rasend gewordene Sozialabbau ist also objektiv begründet, nicht irgendeinem strategischen neoliberalen Konzept zu verdanken. Nicht diese haben jenen erfunden, sondern umgekehrt jener sie. Das liberale Triumphgeheul sollte darüber nicht hinwegtäuschen; wäre wirklich genug Geld vorhanden, hätten die Sozialdarwinisten gegenüber den Keynesianern, den Sozialdemokraten aller Lager, überhaupt keine Chance gehabt.
Das Getriebe ist kaputt. Wir sind in der Asynchronität gelandet, was meint, dass die öffentlichen Ausgaben und die öffentlichen Einnahmen sich auseinanderentwickeln, sei’s im Gesamten, sei’s im Einzelnen. Alle Maßnahmen, die heute auf der rechtlichen Ebene durchgesetzt werden oder durchgesetzt werden sollen, dienen dazu, diese wieder in Einklang zu bringen. Das jedoch hat wenig Aussicht auf Erfolg, im Gegenteil, es wird die Lage noch verschärfen. Diese Schere ist strukturell bedingt, nicht willentlich gemacht, und ist daher auch nicht willentlich, etwa durch Umverteilung, abzuschaffen.
Reform als Konterreform
In Zeiten des Fordismus war die Sozialreform die obligate Zugabe steigender öffentlicher Einnahmen, wenn auch letztlich in sozialen Auseinandersetzungen erkämpft. Die Realisierungsform sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Durchsetzung des Wohlfahrtsstaates auf einer soliden finanziellen Basis aufbaute. Der Spielraum war vorhanden, er wurde auch genutzt, ja verführte deren Träger zu der Illusion, dass es stets so weitergehen könnte.
In Zeiten des Postfordismus ist Reform zur Gegenreform, zur Konterreform geworden. Unter Reform ist heute absolut nichts Wohltätiges zu verstehen, sondern die kalte Restriktion. Spätestens seit 1989 sollten wir wissen, dass Revolution und Konterrevolution eins sein können, beide sind zu verstehen als radikale Etablierung bürgerlicher Verhältnisse. Gleiches gilt für Reform und Konterreform. Reform heute ist nur noch als Konterreform zu haben.
Der Reformbegriff ist ähnlich verräterisch wie der Revolutionsbegriff. Reform kann doch bloß meinen, die vorgefundene Form wieder zu formieren, eben zu reformieren. Dieses Zurück ist im Begriff ausgedrückt und sollte nicht überlesen werden. Insofern widersprechen sich – bezogen auf ihre strukturelle Aufgabe, nicht bezogen auf ihre konkreten Auswirkungen – Reform und Konterreform nicht. Und nur so als Notiz am Rande: Sozialreform oder Revolution? , ist heute eine völlig falsche Frage. Beides nicht!
Kritik müsste jedenfalls woanders ansetzen, nicht die Reform als Nichtreform punzieren, sondern die Reform überhaupt als ausschließlich bürgerliches Vehikel ansehen. Die sich selbst entwertende Reform ist dementsprechend zu entwürdigen. Reform ist und war immer der Versuch der Zusammenbringung ökonomischer und sozialer Verhältnisse. Die Anpassung dieser an jene. Konterreform ist nichts anderes. Erodiert die Wirtschaft, erodiert mit ihr auch das Soziale.
Die Aufgabe der Politik besteht darin, dies zu gewährleisten und zu flankieren, letztlich aber es umzusetzen. Die soziale Abwicklung ist zwar nicht politisch gemacht, also von wegen in der Politik vorgedacht und hergestellt. Die Abwicklung wird aber doch politisch erledigt. Politik ist in der bürgerlichen Gesellschaft jenes Zentrum, wo alles durchlaufen muss. Gerade deswegen wird ihr ob der offensichtlichen Aufmerksamkeit zumeist eine Kompetenz zugewiesen, die sie nicht hat, die aber doch aufdringlich so erscheint als ob sie sie hätte.
Vom Klassenkampf zur Deklassierung
Nicht nur der Wert verfällt, es verfallen auch die Klassen. Zuordnungen werden schwieriger, Individuen wechseln ihre Rollen und Charaktermasken oftmals in ungeheurem Tempo bzw. sind überhaupt hybride Gestalten. Interessen gehen auch in ihnen selbst ineinander und durcheinander. Da kann einer Lohnarbeiter sein, aber gleichzeitig als Shareholder bei einer Privatpension mitspielen. Als Produzent will eins hohe Löhne, als Konsument will eins niedrige Preise, als Kreditnehmer will eins niedrige Zinsen, als Sparer will eins selbstredend hohe. Der bürgerliche Grundwiderspruch liegt diesbezüglich in jedem Einzelnen selbst, der kapitale Imperativ lautet: billig kaufen, teuer verkaufen.
Der Klassenkampf (auch wenn er unter dem Vokabel Umverteilung oder soziale Gerechtigkeit firmiert) war eine bestimmende Kommunikationsform einer abgelaufenen Epoche. Er war stets positiv auf Arbeit, Wert und Geld bezogen. In ihm kollidierten unterschiedliche Interessen, aber Interessen, die sich innerhalb einer bestimmten Form entwickelten und abspielten. Beim Klassenkampf geht es um die Verwirklichung des Werts der Ware Arbeitskraft, um die Regulierung des Lohnsystems. Er ist das notwendige Treibmittel der In-Wert-Setzung.
Heute ist der Klassenstandpunkt nur noch ein bornierter Interessenstandpunkt, der nach keinem Jenseits fragt. Nicht einmal an den sozialen Abwehrkämpfen wird er sich hochziehen können. Das ist auch der Hauptgrund, warum die gegenwärtigen sozialen Kämpfe sich dem Inhalt nach als derart lahmarschig erweisen, so lebendig ihre Form auch zeitweilig sein mag. Soziale Kämpfe sind nicht an Klassenfronten auszurichten, sondern sie haben diese, wo sie noch bestehen zu durchbrechen. Die negative Klassenlosigkeit, die das System hervorbringt, ist durch eine positive Klassenlosigkeit zu ersetzen. Die negative Auflösung der Klassen ist weit fortgeschritten, wenngleich wir damit kein neues emanzipatorisches „Subjekt“ gewinnen, sondern bloß noch der puren Form zu huldigen haben, das heißt auf den Status der reinen Geld- und Warenmonade abgerichtet werden.
Zielführend erscheint hier der Begriff der Deklassierung. Deklassierung bedeutet, dass die Menschen aus ihren einst festen Verankerungen herausfallen. Sie verlieren die Arbeit, bleiben aber Arbeitsmonaden, sie haben zu wenig oder kaum Geld, bleiben aber Geldsubjekte, sie haben Ansprüche und Bedürfnisse, aber ihre Erfüllung ist an die Verwertung geknüpft, die immer weniger und immer wenigeren gelingt. Und wie schon oben gesagt, sie sind vieles durcheinander und dementsprechend auch viel durcheinander.
Die Deklassierung betrifft alle Klassen und ihre Schichten, eindeutige Zuordnungen gehören der Vergangenheit an. Das zeigt sich auch an dem banalen Umstand, dass die Beziehungen und Freundschaften unserer Generation kaum noch etwas mit sozialen Schranken zu tun haben, auf jeden Fall um vieles weniger als in der Ersten Republik oder auch noch in den ersten Nachkriegsjahren. „Which side are you on“, diese Frage verliert an Berechtigung und Relevanz. Nicht die Stellung in der Konkurrenz ist gefragt, sondern die Stellung gegen die Konkurrenz.
Die Deklassierung ist nicht mehr rückgängig zu machen. Es ist paradox: Die Klassenwidersprüche entschärfen sich, aber die sozialen Widersprüche verschärfen sich. Die Gemeinschaft der Klasse trägt nicht mehr, von ihren immanenten Alternativen (Rasse, Nation, Volk, Betrieb, Standort) ganz zu schweigen. Die sind noch deutlicher als die Klasse dem Arsenal der in letzter Konsequenz terroristischen Konkurrenz entsprungen. Das sind keine Auswege, sondern gemeine Abwege in die Barbarei.
Nicht zum Ausdruck hat sich der Proletarier zu bringen, sondern als potenzieller Mensch ausdrücklich gegen seine Funktion Stellung zu beziehen. Um zu sich zu kommen, muss er außer sich sein, eben sich nicht mit seinem Daherkommen und dem Sosein identifizieren, sondern dieses auf Schritt und Tritt hinterfragen, ja hintergehen. Nicht irgendein Klassenbewusstsein ist gefordert, sondern ein Denken und Handeln wider die normierten und absehbaren Schicksale. Zuweisungen sind als Zumutungen zu charakterisieren. Als negative Hüllen, nicht als positive Bestandteile. Der Nucleus des Ich ist die Attacke gegen Sich.
Gegen die Subjekthaftigkeit selbst gilt es zu rebellieren, nicht nach einem besonderen Subjekt der Umwälzung zu suchen. Das gibt es nicht, es ist auch geradezu absurd in einer bestimmten bürgerlichen Rolle den Träger der Umwälzung zu entdecken anstatt die Umwälzung der bürgerlichen Rollen zum Gegenstand zu machen. Emanzipation ergreift also nicht irgendeine spezifische, der Kapitalherrschaft unterworfene Klasse und lässt eine ihrer Charaktermasken gegen das Kapital aufmarschieren, sondern ganz anders: Nicht bestimmbare Subjekte werden die Transvolution bewerkstelligen, sondern eben die über ihre Subjekthaftig- keit hinauswachsenden Menschen. Emanzipation begänne, wenn Charaktermasken versuchen sich ihrer vorbestimmten Rollen zu entledigen. Das Subjekt kann sich nur gegen andere Subjekte setzen, das Anti- Subjekt hingegen, das eben Nicht-unterworfen- sein-Wollende, stellt das Subjekt an sich in Frage. Ideell, und wo geht auch reell.
Der Mensch muss werden können, er ist nicht vorauszusetzen. In der Warenmonade ist nur menschlich, was sich gegen das Ware- Sein sträubt und widersetzt. Transvolutionäre Selbstsetzung bedeutet: Ich will nicht! Kein Arbeiter will ich sein. Der Pflicht, mich zu verdingen, widerspreche ich. Keine Ware will ich sein. Keine Ware will ich kaufen, keine Ware will ich verkaufen. Niemand darf unter die Räder kommen. Niemand.
Von der Konkurrenz…
Die Konkurrenz ist nicht bloß ein äußerer Zwang, sondern auch der innere Modus der Subjekte. Der marktwirtschaftliche Typus wird seriell hergestellt. Die Formatierung scheint weit fortgeschritten. Nichts wird in Zeiten allgemeiner Egomanie so verhöhnt wie der Altruismus. Menschen, die sich nicht auf der Siegerstraße befinden, sollen aus unserem Blickfeld verschwinden. Da jeder sich selbst gehört, ist auch jeder für sich selbst verantwortlich. Ich bin meiner mir mich. Nicht Solidarität oder zumindest Betroffenheit ist angesagt, sondern in erster Linie Gleichgültigkeit oder im schlimmsten Fall sogar offene Aggression: „Eure Armut kotzt uns an! “
Die Frage: Wie viel verdienst Du? , muss eine ähnliche Ächtung erfahren wie etwa die Frage: Wie viele Köpfe hast Du abgeschlagen? Ihre Gemeinsamkeit liegt im Konkurrenzverhältnis, wo es darum geht, wie viel(e) jemand zur Strecke bringt. Wir hingegen wollen etwas auf den Weg bringen und niemanden zur Strecke, sondern ermöglichen, dass alle gut versorgt sind, unabhängig von ihren Einbringungen.
Solidarität war zumindest in Ansätzen etwas gewesen, was auf ein Jenseits der zwänglerischen Identität (Ich bin ich; oder im österreichischen Plural Mia san mia) verwies. Jenes besagt, dass ich für die anderen da bin, und dass sie für mich da sind. Auf der mikroökonomischen Ebene wurde durch das Versicherungsprinzip sogar das Tauschprinzip gemildert. Der Sozialstaat war aber stets nur Zusatz, nicht Gegensatz zum Markt oder gar Vorwegnahme des Sozialismus, wie der alte Reformismus unterstellte.
Robert Menasse bleibt es überlassen, zu behaupten, „dass die Idee des Sozialstaats und der sozialen Marktwirtschaft (sic! , F. S. ) nicht nur eine implizite Konsequenz der bürgerlichen Revolution ist, sondern letztlich der pragmatisch größte Schritt in Richtung einer gerechteren Welt seit der Menschenrechtsdeklaration“ (Falter 19/03, S. 14). Und dem Komparativ folgen sogleich galoppierende Superlative: „Die Idee des Sozialstaats ist die schönste, stolzeste, vernünftigste und avancierteste Idee aller Sozialutopien. Sie ist die einzige Utopie, die sich relativ weitgehend in der Praxis beweisen konnte, ohne dass auch nur einer darunter gelitten hätte“ (ebenda).
Woher denn das zu verteilende Mehrprodukt gekommen ist, was dessen historische Genese gewesen sein mag, das möchte Menasse denn besser gleich gar nicht (mehr) wissen. Vielleicht sollte man diesen Hymnus als Flugblatt auf den Fluren der Arbeitsämter verteilen, ja allen Sozialhilfeempfängern eines zusenden, damit auch ihnen Kenntnis von diesem Wunderding zuteil wird. Auf dass alle wissen, dass es ein Leiden am oder gar durch den Sozialstaat gar nicht gibt, und somit wohl als (um auch einen Superlativ zu missbrauchen) die persönlichste Überempfindlichkeit angesehen werden muss.
Indes, der Sozialstaat war immer eine fragile Notlösung gewesen, nicht Selbstbestimmung war da angesagt, sondern Abfütterung durch staatliche Fürsorge. Eben weil die Gesellschaft keinen solidarischen Bedürfnissen und Wünschen entsprochen hat, musste der Staat im Interesse des Allgemeinen einspringen. Aber dies war auch nur möglich gewesen in einigen wenigen reichen Ländern des europäischen Westens und Nordens. Der Sozialstaat war ein dem Kapital integriertes und von ihm gespeistes, zeitlich und räumlich begrenztes Phänomen. Er war Etappe, nie Ziel.
… über den asozialen Imperativ…
Der Verfall des Sozialen wird mehr oder weniger fatalistisch hingenommen. Man glaubt sowieso nichts machen zu können. Die Erfahrungen weisen in diese Richtung. Nach der ersten Aufregung verpufft der Widerstand. Das Wehren verunglückt meist im Anfangsstadium, vor allem an den antiquierten Vorstellungen und Anstalten. Derweil droht zugespitzter marktwirtschaftlicher Konkurrenzismus: Jeder gegen jeden! Der soziale Kannibalismus hat Hochsaison. Marktteilnehmer sind darauf abgerichtet, sich eben nicht nur als Arbeits- und Markt-, sondern auch als Sozialkonkurrenten zu verhalten. Man bleibt nur übrig, wenn dem anderen möglichst wenig übrig bleibt. Das Leistungsprinzip oder besser die Ökonomie der Ausgrenzung reproduziert ausgrenzende Individuen. Wem nehmen wir etwas weg? , ist deren vorrangige Frage. Was ich will, gesteh ich keinem andern zu, lautet der asoziale Imperativ.
Das leistungsbezogene Credo inszeniert sich freilich als unerschütterliche Größe: Wer will, der kann. Und wer nicht kann, will nicht. Ist ein Saboteur. Ein Schmarotzer. Ein Parasit. Ein Blutegel. Wir wollen auf unsere Kosten kommen, aber niemand darf auf unsere Kosten leben. Dass dem so sei, ist pathischer Konsens. Vom sozialdarwinistischen Topos zur rassistischen Verachtung ist es nur ein kleiner Schritt. Die Verfolgung so genannter Interessen der Eigenen ist die Verfolgung der Anderen, so das bürgerliche Kernprinzip des Rassismus.
Viele möchten sich vor der Konkurrenz dahingehend schützen, indem sie andere (Ausländer, Sozialschmarotzer, Beamte, Politiker, Spekulanten, Juden) stigmatisieren und diese aus der Konkurrenz resp. den sozialen Leistungen ausschließen oder doch abdrängen wollen. Sie möchten ihren sozialen Status sichern oder verbessern, indem nach bestimmten Merkmalen gesonderte Gruppen regelrecht und vor allem a priori abgewertet werden. Konkurrenzsubjekte verfolgen Konkurrenzsubjekte nicht bloß als Konkurrenzobjekte, sondern auch als Sündenböcke. Der Sündenbock ist der Prototyp der falschen Aufhebung der Konkurrenz in partikularen Gemeinschaften mit ausgeprägten Feindbildern.
Denken wir an die zeitweilige Überführung der österreichischen Pensionsreformdebatte in ein Gezeter über Politikerprivilegien. Zweifellos schamlose Vorrechte werden so lauthals skandiert, dass in diesem Getöse alles andere untergeht. Und alle schreien bis hin zu den noch nicht verrenteten Politikern: Welch Ungerechtigkeit! Weg mit diesen Bezügen! Zuerst die! Dann wir. Wir sollen nicht über den Sozialabbau und seine strukturelle Basis diskutieren, sondern ihn im Gegenteil regelrecht propagieren, indem wir uns dazu hergeben zu skandieren: „Die dürfen aber auch nicht ausgenommen werden.“ Opfer schreien nach Opfern. Wie ginge es uns allen besser, würden die Politiker nicht 5000 Euro Pension, sondern nur mehr 2000 bekommen. Da käme Freude auf. Schadenfreude ist die wirkliche Lebensfreude des verunglückten und unglücklichen Individuums. Auch darin offenbart sich die destruktive Potenz des Konkurrenzsubjekts.
Dass das Angegriffene ebenso wenig zu verteidigen ist wie der Angriff zu unterstützen, dürfte immer mehr zu einem Sujet unserer Zeit werden. So auch hier. Solche Attacken lenken nicht bloß ab, sie betätigen sich vielmehr als Unterstützerinnen der Kürzungen. Alle müssen bluten, die schamlosen Politiker, so wollen es Boulevard und Stammtisch, halt etwas mehr. Diese Pseudodebatten führen geradewegs dazu, dass Notwendigkeit und Ritual der Opferung ausdrücklich anerkannt werden. Die prinzipielle Bereitschaft, irgendwo einzusparen, ist flächendeckend gegeben und wird periodisch durch solche Kampagnen reproduziert. So stört auch weniger der Sozialabbau – man höre nur die Gespräche, wo alle so genau wissen, wo man denn reinschneiden könnte -, als dass man selber drankommen soll.
… zum Kannibalismus
Wer bleibt über? Wer frisst wen? Konkurrenz verschärft sich zum Kannibalismus: Und das ist auch bestechend logisch, solange nicht an der Verwertbarkeit und den Kosten gekratzt wird. Solange also die Fetische bürgerlicher Verkehrsverhältnisse unberührt bleiben, steht nicht die Machbarkeit im Zentrum, sondern stets die Finanzierbarkeit.
Die Rette-sich-wer-kann-Mentalität (die Fortsetzung von „Jeder ist seines Glückes Schmied“) entpuppt sich als das Vorhaben beim gemeinsamen Untergang des kapitalistischen Bootes als letzter oder doch zumindest später dranzukommen. Und wenn die anderen absaufen, an uns ist es noch nicht, an uns liegt es auch nicht, wir verhalten uns ganz normal. Und so helfen wir in diesem Spiel der beschleunigten Exklusion praktisch mit, unzählige über Bord zu werfen, bevor wir selbst an der Reihe sind. Das erscheint uns wie das Selbstverständlichste auf der Welt.
Die Kampfzonen erfassen ein Gebiet nach dem anderen. Kannibalistische Konkurrenz gibt es natürlich nicht nur als Individuum gegen Individuum, Betrieb gegen Betrieb, Supermarkt gegen Supermarkt, Standort gegen Standort, Staat gegen Staat, sondern zunehmend auch als ein irres Gerangel öffentlicher Körperschaften um die Beute am Bürger. Gelegentlich kommt es da freilich zu nicht beabsichtigten Folgen, kleinen und größeren Havarien. Casht die Pensionsversicherung eins außertourlich ab, geht der Kindergartenbeitrag auf Null. So ein Erlebnis der hauseigenen Wir- AG.
Und das ist kein Einzelfall: Drängt man die Leute aus dem Arbeitslosenbezug, explodiert die Sozialhilfe, erhöht man die Krankenversicherung, muss das Finanzamt passen. Vice versa. Zwingt man die Leute länger zu arbeiten, entlastet man die Pensionsversicherung, aber man belastet die Arbeitslosenversicherung und die Krankenversicherung. Für Junge wird der Arbeitsmarkt zusätzlich verstopft, Ältere werden öfters in den Krankenstand müssen wie flüchten. Usw. , usf. Die öffentlichen Institutionen benehmen sich tendenziell wie kleine, outgesourcte marodierende Banden, die nicht bloß ihren Kunden ans Fell wollen, sondern auch danach trachten müssen, anderen Banden die fälligen Tribute abzujagen.
Zwingt man die Leute ins neue Unternehmertum, dann sinken zwar die Zahlen der Arbeitslosen und die Kosten für der Arbeitslosenversicherung, aber es sinken auch die Einnahmen der öffentlichen Hand durch die Steuern. Wie will man effektiv die Abschreibeposten der vielen kleinen selbständigen Fische überprüfen? Was bei den Großen nicht gelingt, gelingt auch im Kleinen nicht. Dazu bräuchte man einen Polizeistaat, der wiederum in dieser Form nicht leistbar wäre. Aber eigentlich spricht man über solcherlei nicht.
Doch auch die Kunden sind nicht blöd und gamblen diensteifrig mit, indem sie die Banden gezielt gegeneinander ausspielen. Was aber selbst im besten Fall zur Folge hat, dass die Eigenverwaltung der kleinen Ich- AGs aufwendiger wird, will man im kannibalistischen Treiben genug zu fressen bekommen. Je besser man ist oder auch trixt, desto restrikiver müssen die öffentlichen Banden auf die privaten Banden reagieren. Die ihrerseits verfügen aber auch über Trainerstäbe von Steuerberatern, Konsumentenschützern und Interessensvertretern. In diesem Klima muss man mitunter jede Minute damit rechnen übervorteilt, gelegt und gelinkt zu werden. Die Kategorie des Vertrauens verschwindet.
Wären die Leute noch klüger als sie sind, würden etwa alle Sozialleistungen lukriert, wäre der Sozialstaat sowieso bereits bankrott. Der absolut nicht zum Thema gemachte Leistungsverzicht ist nämlich nicht von schlechten Eltern, ganz im Gegensatz zur erschlichenen Leistung. Daher geht man auch zusehends von der Bewirtungspflicht (wo der Staat von sich aus (wohl)tätig wird, z. B. bei der „Allgemeinen Familienbeihilfe“) zur Bittpflicht über. Wer nicht alle Unterlagen bringt, die Formulare korrekt ausfüllt und die Fristen einhält, hat das Nachsehen. Und es wird mühsamer und komplizierter.
Als Beispiel sei die Allgemeinen Wohnbeihilfe der Gemeinde Wien angeführt, wo nicht nur unzählige gleich auf das Ansuchen verzichtet haben, sondern wo auch viele ob mangelhafter Unterlagen von der Behörde abgewiesen werden mussten. An die zwei Drittel, denen diese Leistung laut Schätzungen der Gemeinde zustünden, können diese also nicht in Anspruch nehmen. Verzicht und Scheitern dürften gerade bei den Allerbedürftigsten eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Die zuständige Bürokratie überprüft also weniger die Bedürftigkeit der Person oder Gruppe als vielmehr deren Fähigkeit zum ordentlichen und korrekten Akt.
Insgesamt gleicht der Staat einer Maschine, die ihre „besten“ Jahre längst hinter sich hat. Schon die inflationäre Gesetzesproduktion der öffentlichen Körperschaften demonstriert die Reparaturbedürftigkeit. Eine Havarie jagt die nächste, und das nicht mehr nachkommende Flickwerk der Reformen verdichtet sich zum Reformstau. Verstärkt man ein schwaches Rädchen, brechen woanders zwei, erneuert man gar den Motor, dann hält das Werkel die Geschwindigkeit nicht durch.
Entsicherung und Prekarisierung
Aus dem versicherten Subjekt wird das verunsicherte und, da es ja irgendwie reagieren muss, das entsicherte. Vor allem so genannte atypische Beschäftigungsverhältnisse bescheren uns immer mehr prekäre Situationen. Das berechnende Subjekt kann sich auf nichts mehr so richtig verlassen, außer, dass es Ausgaben hat, die durch Einnahmen zu decken sind. Nicht das Quantum ist oft das eigentliche Problem, nein die unmittelbare Korrespondenz sicherer Einnahmen für notwendige Ausgaben ist ganz einfach nicht gegeben. Zu Monatsbeginn einen bestimmten Betrag am Konto aufscheinen zu sehen, ist immer weniger Menschen zu bieten. Prekär heißt nun nicht, dass alle schlechter gestellt werden, aber sehr wohl, dass die Gewissheit als bestimmte Größe im Abnehmen begriffen ist.
Empirisch könnte einem zur Entsicherung folgendes einfallen:
* Verfall regelmäßiger Zahlungen
* Hohe Fluktuation beim Einkommen
* Zahlungsverzögerung und Nichtzahlung bedingen demütigende Bittstellerei und Mahnwesen. So tappt eins oft in die Schuldenfalle, nicht weil eins partout zu wenig verdient, sondern weil die Außenstände so groß sind. Die auswärtige Nichtzahlung führt zu eigenen Nichtzahlungen. Interessant wären z. B. Studien, die das formelle wie das informelle Mahnwesen, diese Seuche absolut unproduktiven Daseins, von seiner zeit- lichen Dimension und seiner destruktiven Potenz her untersuchten.
* Vertragsunsicherheit: die neuen Arbeitsund Dienstverhältnisse führen zur Entsorgung des Kollektivvertrags, er wird ersetzt durch individuelle Abmachungen rein privatrechtlicher Natur.
* Die Handschlagqualität ist im Verschwinden, das Vertrauen wird brüchig. Jeder Geschäftspartner ist argwöhnisch zu verdächtigen, selbst wenn es ein guter Freund ist. Jeder gegen jeden heißt auch: Niemand traut jemandem, keiner vertraut einem. Geld zerstört Freundschaft, lautet einer der klügeren Alltagssprüche.
* Das System der Selbstbehalte bindet gewisse Leistungen direkt an die Verwertungspotenz der zu Bedienenden. Bestimmte Leistungen gibt es nur, wenn sie der Betroffene auch zahlen kann.
* Dadurch, dass zunehmend mehr Menschen trotz Krankenversicherung kein Krankengeld bekommen, ist Krankheit als physische Gefahr mit einem unmittelbaren sozialen Risiko verbunden. Auch wenn die Behandlung bezahlt wird, wird eins mit hohen Einkommensverlusten abgestraft. Anstatt den physisch Kranken solidarisch beizustehen, wird ihm monetär und psychisch zugesetzt.
Etc. –
Eine Theorie der Entsicherung ist vonnöten. Entsicherte Subjekte jedenfalls können nur überleben, wenn sie selbst beinhart agieren. Wollen sie von den (neuen) Märkten nicht ausgespuckt werden, müssen sie sich zu kleinen Konkurrenzmonstern entwickeln. Es ist nicht der freie Atem, den das bürgerliche Subjekt (der so genannte freie Bürger) atmen darf, es ist asthmatisches Hecheln. Die Angst unter die Räder zu kommen, wird größer. Es gilt daher schnell, schlau und verschlagen zu sein.
Entsichert meint aber mehr als verunsichert (nicht versichert bzw. unsicher), entsichert heißt auch, dass die flexiblen Subjekte permanent unter Spannung stehen, geladen sind, bereit sein müssen zu schießen, zumindest am Markt andere abzuschießen. Das Instrumentarium, das ihnen aufgezwungen wird, ist ein aggressives. Die Kalaschnikow ist entsichert und bei einigen wird sie nicht nur im übertragenen Sinne losgehen. Am Ende dieser Entwicklung stehen dann kollektive Bandenbildung oder individualisierte Amokläufer. Kann sich keine positive Perspektive entwickeln, werden diese regressiven Tendenzen zunehmen, ja sich zur Barbarei verallgemeinern.
Was ist nötig?
Es ist ja erschreckend wie traurig. Kaum tritt eine Bewegung auf den Plan, kann der reflektierte Beobachter schon merken, an welchen Forderungen und Ansichten sie ein- und abgewickelt wird. Aber nicht nur in der Leideform, sondern auch in der Tätigkeitsform: wie sie sich einwickelt und abwickelt. Hier gilt es Kritiker zu sein, aber nicht in einer banalen Gegensetzung der Denunziation, sondern als Befruchtung möglicher Entwicklungen. Radikal in der Sache bedeutet nicht rabiat im Umgang. Formen, Strukturen, Inhalte gilt es zu dechiffrieren wie zu diskreditieren, nicht deren Anhänger zu denunzieren. Das treibt sie lediglich weiter in die Anhängerschaft hinein. Wir wollen sie jedoch dort rausbekommen.
Kein kleinster gemeinsamer Nenner wird etwas voranbringen. Damit sind nicht einmal die Abwehrkämpfe zu führen und Verschlechterungen aufzuhalten. Notwendig wäre durchaus eine große Erzählung, aber eine Negativerzählung, die eben keinen Fetischen verpflichtet ist. Es ist also die Zeit gekommen, von vielem Abschied zu nehmen. Eine andere Welt ist möglich, heißt vor allem negativ zu benennen, was in dieser anderen Welt nicht mehr möglich ist. Die Abschaffung des Kapitalverhältnisses setzt den konsequenten Bruch mit der Logik des Irrsinns voraus. Die Akzeptanz von Markt und Tausch, von Konkurrenz und Verwertung ist zu stören und letztlich zu zerstören. Der fetischistische Ballast muss weg.
Das konventionelle Vokabular, dieser ganze Gerechtigkeits-, Sachlichkeits- und Umverteilungssermon ist ebenfalls zu entsorgen. „Soziale Gerechtigkeit ist das Thema der Stunde“ schreibt die Zeit (Nr. 23, 28. Mai 2003). Ja, leider. Anstatt über die reichhaltigen materiellen und ideellen Portionierungen zu reden, streiten wir noch immer über die adäquaten Proportionierungen entlang der Verwertungsschiene. Es ist schon ärgerlich, dass den Intellektuellen nichts anderes einfällt als der Griff in die Mottenkiste. Absolut begriffslos erklingt einmal mehr der Ruf nach (mehr) Fairness, als ob gerade die uns fehlen würde.
Auch Reizvokabel wie „Skandal“, „Schuldige“, „Opfer“, „Täter“, „Machenschaften“ führen auf Abwege. Die Politik der identitätslogischen Zuweisung ist zu überwinden. Wir alle sind (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaße) Opfer und Täter, Schuldige und Unschuldige, im Prinzip aber Funktionäre des Kapitals. Diese Struktur ist aber keine Natur, auch wenn sie als zweite Natur erscheint. Sie verfügt über uns, nicht nur weil wir uns fügen, sondern sie mit unseren Handlungen und Überzeugungen stets neu hervorbringen.
Wir müssen allerdings Abstand von der Vorstellung gewinnen, die andere Welt sei nur gegen irgendwelche Andere durchsetzbar. Vor allem die unentwegte personelle Zuweisung bringt die Leute nicht zusammen, sondern hetzt sie gegeneinander auf. Nicht die Befreiung von uns formierenden Formprinzipien steht dann an, sondern der Kampf der formbestimmten Interessen. Das Böse kennt eben nicht Name und Anschrift, wie Bertolt Brecht, ganz Kind seiner Zeit, einmal meinte, sondern bloß Logik und Vorschrift. Und wir sind die, die diese Logik und Vorschrift abzuschaffen haben. So die Aufgabenstellung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dahinter beginnt dann eine ganz andere Geschichte. Emanzipatorisches Setzen setzt Selbstkritik voraus. Wir fordern somit nicht Erfüllung, sondern Distanz von der eigenen Charaktermaske. Die Leute sollen sich ernster nehmen als ihre Rollen. Das Rollen- Ich (Dividuum nannte es Günther Anders) ist zu durchbrechen, will überhaupt so etwas wie Individuum ermöglicht werden. Das Ich darf nicht als Interessent seiner unmittelbaren Lage auftreten, auch wenn dem Sich (das unmittelbar auf die Gesellschaft Rückbezügliche) nichts anderes übrig bleibt.
Ganz kategorisch gilt es zu sagen: Leben und Kapitalismus sind unvereinbar. Eine andere Welt ist möglich, ein anderer Kapitalismus nicht. Die neue oder notwendige Sozialbewegung wird sich daran messen lassen müssen, ob sie diese Radikalität zulässt oder einmal mehr in den Schützengräben des bürgerlichen Kontinuums sich verkriecht. Wenn sie nicht darüber hinauskommt, mit den „edlen“ Werten der kapitalistischen Warengesellschaft gegen die kapitalistische Realität zu revoltieren, wird sie ein obligates Schicksal ereilen. Sie affirmierte dann ja bloß, was sie vermeintlich angreift, tut so als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun.
Der Kommunismus ist nur zu haben als eine planetarische Assoziation befreiter Individuen. Wobei Freiheit Freiheit von fetischistischer und verdinglichter Form bedeutet. Befreiung meint frei sein vom Wert und seinem ganzen Rattenschwanz, dem beschränkten Universum, das sich als ewig missversteht: Recht und Demokratie, Politik und Staat, Ökonomie und Ideologie, Tausch und Markt. Das wäre doch mal was anderes.