„Nachhaltigkeit“ und Kapitalismus

Ein Diskussionsbeitrag zu Franz Schandl, Sustainability in Streifzüge 3/2003

von Klaus Schramm

„Zerschlägt die Bundesregierung den Sozialstaat, macht sie das auch im Namen der „Nachhaltigkeit““, argumentiert Franz Schandl in der ‚jw‘ vom 22.12. und versucht so, gleich zu Beginn den Begriff „Nachhaltigkeit“ in ein „rot-grünes“ Zwie-Licht zu rücken. Doch nicht alles was „Rot-Grün“ in den Mund nimmt, ist deswegen schon faul. So wird der Sozialabbau in Deutschland, der ja als „Reform“ und als „Agenda 2010“ verkauft wird, eben von „Rot-Grün“ auch mit dem Erhalt des Sozialstaats begründet. Müssen wir nun also auch den Begriff „Sozialstaat“ als Kampfbegriff entlarven?

Leider erwähnt Franz Schandl nur kurz, daß der Begriff „Nachhaltigkeit“ ursprünglich aus der Forstwirtschaft kommt, geht nicht auf seinen Inhalt ein und versucht ihn statt dessen dadurch zu diskreditieren, daß er darauf hinweist, welche Kreise ein offensichtliches Interesse daran hatten, ihn in der öffentlichen Debatte zu pushen. Ganz zurecht schließt er daraus, daß „Nachhaltigkeit“ im Kampf der Begriffe und damit ums öffentliche Bewußtsein, benutzt wurde, um unterschwellig den Erhalt des Systems positiv zu konnotieren. Gemeint ist von dieser Seite selbstverständlich das Wirtschaftssystem, der Kapitalismus.

Nebenbei kritisiert Franz Schandl – ebenfalls durchaus zu recht – wie diffus der Begriff „Nachhaltigkeit“ in der Regel benutzt wird. Was er dabei übersieht, ist allerdings, daß diese „Verwaschenheit“ gerade dazu nötig ist, den Begriff entgegen seiner ursprünglichen Stoßrichtung einzusetzen. Dabei läßt sich „Nachhaltigkeit“ kurz und prägnant definieren: Es darf nur soviel Rohstoff (Holz) einem System (Wald) entnommen werden darf, wie im selben Zeitraum wieder nachwächst und dieser Gleichgewichtszustand muß aktiv aufrechterhalten werden. Daß dieses Wirtschaftsprinzip nicht in den Kapitalismus paßt, zeigt sich allein schon daran, daß Waldbewirtschaftung hierzulande noch weit überwiegend in feudaler oder bäuerlicher Hand ist. Einerseits interessiert sich kein kapitalistisches Unternehmen für Waldbewirtschaftung, andererseits sind die Wälder – soweit in privatem Besitz – in der Hand von Leuten, die sich zumindest in diesem Bereich immer noch von Traditionen statt vom Wirtschaftsprinzip der Gewinnmaximierung leiten lassen.

Betrachen wir dies einmal genauer: Das entscheidende Kriterium für eine Anlage – ob Geldanlage oder Investition in eine Produktionsanlage oder sonstwas – ist der Amortisationszeitraum. Niemand investiert heute Geld, wenn die Amortisationszeit länger als 7 Jahre ist. Je nach Risiko muß sie erheblich darunter liegen. Orientierungspunkt ist dabei eine Geldanlage mit 10 Prozent Jahreszins, die sich zwischen dem siebten und achten Jahr verdoppelt. Wer hingegen für sein Geld Baumsamen kauft und einen Wald anpflanzt, muß aus kapitalistischer Sicht verrückt sein. Die Fichte, die hierzulande schnellwüchsigste Bauart, benötigt bis zur Ernte 80 bis 100 Jahre. Die Eiche 180 bis 300. Auch Investitionen in alternative Energiegewinnung kommen bei Amortisationszeiträumen von 20 Jahren und mehr nur mit Hilfe von Zuschüssen oder Subventionen zustande. Idealisten sind, wenns ums Geld geht, in dieser Gesellschaft nur im Promillebereich zu finden.

So klar es also auf der Hand liegt, daß Nachhaltigkeit und Kapitalismus niemals zusammen passen, so seltsam erscheint es, daß sich die Linke bisher so wenig für dieses Thema interessiert hat. Hier rächt sich, daß zumindest ein Teil der Linken nach dem Zusammenbruch des „realexistierenden Sozialismus“ keine Notwendigkeit für einen wirtschaftstheoretischen Diskurs erkennen wollte. Und die Linke in der Ökologiebewegung, die einmal Ansätze für eine Weiterentwicklung linker Wirtschaftstheorie geleistet hatte, wurde über die Jahre in alle Winde zerstreut und marginalisiert. Und so ist die Linke heute gerade auf ihrem ureigensten Terrain, dem der Wirtschaftstheorie, völlig konfus und schwankt in ihrer Mehrzahl zwischen einem kapitalismuskonformen Keynesianismus à la Lafontaine und nostaligischen Visionen von einer Wiederauferstehung der bürokratisch gelenkten Staatswirtschaft.

Beiden Richtungen gemeinsam ist ein unerschütterlicher Glaube ans Dogma des unendlichen Wirtschaftswachstums. Gerade der Begriff „Nachhaltigkeit“ bietet dagegen einen Ansatzpunkt zur Entwicklung eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems, das auf dem Grundprinzip des Gleichgewichts basiert. Auch ohne ökologische Katastrophen kann das Ende des Kapitalismus schneller kommen als wir ahnen oder hoffen. Auch der Zusammenbruch des Ostblocks kam praktisch über Nacht. Selbstverständlich ist es nicht sinnvoll, im Elfenbeinturm wirtschaftstheoretische Utopien bis ins Kleinste auszutüfteln. Zumindest aber solch grundlegende Fragen wie denn ein Wirtschaftssystem gestaltet werden müßte, das mit dem Prinzip „Nachhaltigkeit“ vereinbar wäre, und einige tragfähigen Konstruktionen müßten entwickelt werden. Denn die Wirtschaft wird auch das Fundament jeder kommenden Gesellschaftsordnung sein und diese bestimmen.

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