In den Fängen des Netzes
Streifzüge 3/2002
von Franz Schandl
„Begierde sei Trieb mit dem Bewusstsein des Triebes.“ Spinoza, Die Ethik
„Das Netz ist ein geknüpftes oder geflochtenes Maschenwerk, dessen Fadenlegungen an den Kreuzungsstellen z. B. durch Verknotungen so festgehalten werden, dass sie regelmäßige, meist rhombenförmige Maschen bilden. Wie das Quadratnetz in der Kartografie als System von sich schneidenden Linien zur Orientierung dient, so bilden unterschiedlich lockere Netzstrukturen auf der Haut oder einem textilen Untergrund reizvolle Raster, die den erotischen Effekt des Gefangenseins simulieren.“ Gerda Buxbaum
Angezogen ausgezogen
Der Reiz des Netzes liegt in den auseinander gegezogenen Maschen. Netz sagt nur aus, dass die Maschen des Gewebes nicht so eng geknüpft sind, dass sie das Darunter unsichtbar machen. Sie betonen es vielmehr. Sie offenbaren das darunter Liegende, ohne es freizugeben. Ein nackter Körperteil ist nackt, doch der genetzte Körperteil ist nicht nicht nackt. Doch nicht nicht nackt ist nicht nackt. Und wiederum doch!
Das Netz unterläuft das strikte Entwederoder. Es sträubt sich. In seiner Grundform besticht es als dialektisches Kleidungsmuster. Es lässt schlicht und einfach keine eindeutige Antwort zu, ob frau denn jetzt angezogen oder ausgezogen sei. Beides ist wahr und doch falsch, noch dazu in Gleichzeitigkeit. Es ist nicht die nackte Selbstverständlichkeit oder auch Unverschämtheit, die sich zeigt, sondern die verpackte Überkenntlichkeit, die sich da demonstriert. Netzstrümpfe überdeterminieren die Beine, Netzbodies überdeterminieren den Oberkörper. Der Leib gerät im Netz als Übertriebener außer sich.
Doch das gilt nur für die unmittelbare Umgebung. Schon in einigen Metern Entfernung lösen sich etwa die Maschen des Netzstrumpfes im eigenen Dickicht auf, lassen im Blick keine Raster mehr unterscheiden. Der Netzstrumpf erscheint als Normalstrumpf, nur in der Nähe sind seine Zwischenräume erkennbar. Das Netz ist ein kurzsichtiges Produkt.
Bei all dem stellt sich sogleich die Frage, ob das dem entspricht, was Kant „das künstliche Spiel mit dem Sinnenschein“ (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798), Werkausgabe, Band XII, Frankfurt am Main 1991, S. 440) bezeichnet hat. Ob das Netz also Blendwerk ist? Es hat schon was davon. Letztlich ist es aber weder Täuschung noch Betrug. Blendwerk ist nur etwas, das nicht hält, was es verspricht. Das Netz jedoch hält einiges und auch einiges aus. Die Feste seiner Gewobenheiten birst nicht bei genauerer Sichtung. Die Ambivalenz der offenen Maschen lässt keine eindeutige Entlarvung zu.
Durchsichtig undurchsichtig
Weiß man alles, verliert es den Reiz, weiß man nichts, weiß man nicht, wovon man hätte wissen können. Irgendwo dazwischen haben sich Körper und Netz in schlüpfriger Trance als undurchsichtige Durchsichtigkeit gefunden. Dies Verdunkelnde hat im Reich der Sinne seine Notwendigkeit. Der Anspruch auf Andeutung und Geheimnis ist im wahrsten Sinne der Sinnlichkeit sinnvoll. Lust und Öffentlichkeit sind keine Zwillinge; werden sie dazu gemacht, bleibt – von der Pornographie bis zu diversen medial aufgemachten Bettgeschichten – ein schaler Beigeschmack.
Wo es dunkel wird, darf ihre Couleur nicht fehlen. Schwarz ist die dunkelste Farbe, die wir je hatten. Die Farbe des Netzes ist daher schwarz. Doch das Netz ist im Prinzip nicht einfärbig, es lässt den Teint durch seine Zwischenräume durchschimmern, setzt ihm aber Konturen, die der Körper je nach Bau mehr oder weniger zu dehnen vermag. Dunkles Netz und helle Haut sind da eine Symbiose eingegangen. Die Frau ist Trägerin dieses zu sich findenden Kontrastes. Das Netz steht für den abendländischen Schleier.
Regelmäßig unregelmäßig
Die Abstände der Maschen, obwohl gleich, gestalten sich durch die Unebenheiten der genetzten Leibesflächen in Verschiedenartigkeit. Das Regelmäßige erfährt durch die eigentümliche Figur seiner Trägerin entscheidende Modifikationen. Das Netz figuriert umgekehrt als Modulation des Körpers nach innen wie nach außen. Es gewährleistet die Anpreisung der Abweichung durch die Norm. Die Masche ist so und doch nicht. Sie ist an sich gleich, am Körper aber in seiner ultimativen Gestaltung für sich ungleich. Ausdehnungen und Einstülpungen kommen ganz nachdrücklich zur Geltung, sind Ausund Eindrücke in einem. Sie setzen einen erotischen Imperativ.
Das Regelmäßige wird in Verbindung mit dem Körper zum Unregelmäßigen, es drückt sich aus. Dort, wo das Fleisch üppiger ist, zieht es die Fäden auseinander, dort, wo der Körper weniger aufträgt, bleiben die Maschen eng beieinander. Hell sind die Oberschenkel, dunkel die Fesseln, hell die Schultern, dunkel die Arme, hell die Waden, dunkel die Taille, hell die Arschbacken, dunkel die Kniekehlen, hell die Brüste, die je nach Größe mehr oder weniger aus dem Netz drängen. Die ganzen Differenzierungen des konkreten Körpers stimulieren ob ihrer Details und Aspekte. Wobei dann noch Licht und Blickwinkel ihr Übriges tun. Netz meint sinnliche Zuspitzung.
Die Differenz bei der Helligkeit zwischen den Waden einerseits und den Fesseln andererseits ist bei Netzstrümpfen um vieles größer als bei normalen Strümpfen. Netzstrümpfe machen prallere Oberschenkel, da die Hautfarbe durch die Dehnung der Maschen mehr durch sie hindurchsteigt. Weit- und Engmaschigkeit ist Folge des Körperbaus und nicht des Netzes, in dem dieser steckt. Das trifft für normale Strümpfe viel weniger zu, sie machen ein gleichförmigeres Bein, kaschieren und nivellieren mehr als sie hervortreten lassen. Im Netzstrumpf hingegen disponiert sogar jede besondere Bein-haltung eine spezifische Be-inhaltung des äußeren Blicks.
Wäre da noch die Spitze. Sie ist ja eine Abart des Netzes, Verunregelmäßigung desselben durch unterschiedliche Netzeinheiten. Nicht der Körper setzt daher den Akzent am Stoff, sondern der Stoff akzentuiert schon vor. In der aristokratischen Spitze will das Produkt dem Körper die Nachdrücklichkeit nicht ganz überlas- sen. Die Spitze ist differenziertes Netz, der Strumpf ist integriertes Netz. Und wenn dann noch die Naht naht, dann nähert sich die Zuspitzung der letzten Spitze.
Fangend gefangen
Reizwäsche realisiert freilich nur den Reiz, sie schafft ihn nicht. Sie bringt zur Geltung, was im Körper steckt, aber doch aktuell einen Treibsatz benötigt. Dessous versetzen den Körper durch das Aufeinanderziehen von Natur- und Kunststoff in Aufruhr. Netz bedeutet ein Aus-sich-heraus- Drücken, das in-sich-bleibt. Gerade darin liegt ein ausgesprochen hohes Maß an Spannung.
Netz und Fleisch, Masche und Haut werden nicht als metaphysische Teile, sondern als dialektische Einheit wahrgenommen. Im Blick sind sie untrennbar geworden. Was man sieht, ist etwas anderes, als das, was darüber und darunter ist. Es imaginiert sich eine neue Dimension. Diese Einbildungskraft ist eine übersinnlichsinnliche Potenz. Das unwesentliche Material generiert durch seine Auflage einen wesentlichen Blick. Es steigert die Aufmerksamkeit. Netz und Haut verhalten sich nicht sachlich zueinander, sondern bilden eine frivole Bezüglichkeit, behaupten sich als Instanz der Erotik.
Beim Netz geht es immer vorrangig um das in der Branche so bezeichnete „Eye Catching“. Ein vieldeutiger und doch entsprechender Begriff, denn niemand kann sagen, wo da die abhängige und die unabhängige Variable ist. Auge und Körper sind sich Bedingung, nicht kausaler Monolog. Schließlich ist der Blick, der das Bild herzieht auch jener, den der Körper hinzieht. Über- und Untertitel unseres Aufsatzes drücken diesen scheinbaren Widerspruch deutlich aus. Man fängt mit den Augen und ist doch gleichzeitig durch das Objekt gefangengenommen. Der Voyeur ist niemals nur ein Fänger, er ist auch stets ein Gefangener. Das Fangen wird zu einem Verfangen. Das Netz zu seinem Verfängnis. Das Subjekt macht sich in den Momenten der Augenblicke selbst zur objektiven Größe. Der Blick verliert in seiner Übersteigerung seine Freiheit.
Das Auge, es weidet. Netz transformiert die Flüchtigkeit des unbestimmten Schauens in bestimmtes, aber doch bewusstloses Blicken, oftmals geradezu Starren. Das Ende der Indifferenz bedeutet das Ende der Autonomie. Man kann sich leicht im Netz verheddern. Es ist also die Frage zu stellen, ob nicht der Schauer ebenso im Netz hängt wie die Beschaute. Im wahrsten Sinne des Wörter wäre das Netz Gefängnis und Verhängnis in einem. Den Schauer erfasst wirklich der Schauer. Was heißt, der Aktive gerät ins Passive. Je intensiver sich der Blick gestaltet, desto mehr ist das der Fall.
Eine Divison, die da meint, feinsäuberlich in ein männliches Subjekt und in ein weibliches Objekt zu trennen, dürfte doch etwas kurze Beine haben. Dabei wird nur ein Blickwinkel zugelassen, groteskerweise der männlich-okzidentale. Alle anderen Dimensionierungen und Möglichkeiten werden vernachlässigt. Auch ist der Passiv nicht bloß eine Leideform, sondern eine Empfänglichkeitsweise, der frau sich auch ganz bewusst aussetzen will. Wenn sie will. Das bewusste Aussetzen ist ein Einsetzen. Und da ist keine stoffliche Grundbeschaffenheit, aus der automatisch Unterdrückung und Fremdbestimmung folgt.
Natürlich bedeutet Netz auch Fesselung, weist somit eine sadomasochistische Bezüglichkeit auf. Doch auch die bedingt keine prinzipielle Absage, sondern ist eine Frage der Dosierung von Möglichkeiten. Wenn Sexualität mit Fesselung und Entfesselung adäquat zu spielen versteht, so spricht aber auch schon gar nichts gegen sie. Wogegen man sich jedoch explizit aussprechen sollte, ist etwa die Behauptung Camille Paglias, die sogleich davon ausgeht, dass „Sexualität eine rituelle Fesselung braucht“, weil „gesellschaftliche Unterdrückung die sexuelle Lust erhöht“. (Die Masken der Sexualität, München 1995, S. 54) Für bestimmte Konstruktionen (vor allem in den diversen Stockwerken bürgerlicher Sexualität) soll das gar nicht bestritten werden, wohl aber, dass besondere Aspekte einfach als kategorische Daseinssubstanz der Lust ontologisiert werden. Ansonsten gilt es ganz profan festzuhalten: Spüren kann nur, wer auch spuren kann. Wobei das selbstredend nicht geschlechtsspezifisch oder als einseitige Hierarchie misszuverstehen ist.
„Mir wird getan“ ist nicht identisch mit „Mir wird angetan“. Keine Äußerungsform darf sachlich reduziert werden – und das tut zweifellos die Pornographie ebenso wie ihre Gegnerschaft -, sondern erheischt erst die Beurteilung, nachdem die Gesamtkonstellation abgeklärt wurde. Außerdem ist es doch gut, wenn sich eins für ein anderes etwas antut. Prinzipielle Vorkorrekturen haben hier keinen Platz. Freilich muss das Genehme angenehm sein, um angenommen zu werden.
Sinnlich übersinnlich
Netz am Körper meint die Inszenierung eines Versteckspiels. Es betreibt, ja hintertreibt den Leib. Wahrlich, es geht um das Weiden der Sinne, vornehmlich um das Sehen, dann das Tasten und Spüren, aber auch das Riechen, Schmecken und sogar (auch wenn das umstritten ist) um das Hören.
Netz figuriert als Transformator der Lust. Es strahlt aus am eigenen Trägerkörper, sowie am Gegenüber. In der Berührung wird jenes zum Transporteur, das Spüren konzentriert sich fortan nicht auf die unmittelbare Stelle der Berührung, sondern es drängt darüber hinaus. Die Maschen lenken das Tasten weiter. Die Spürfläche wird größer, die Intensitäten variieren stärker, die Zeitintervalle dehnen sich. Das Netz dient als Verzerrer der Berührung. Seine Fäden leiten über und ab.
Das Netz bringt den Kontakt nicht auf den Punkt, sondern dieser tastet sich über die Maschen weiter. Es wird mehr gestreichelt als gestreichelt wird. Die Berührung setzt sich nach außen hin verlaufend fort. Der Strahl der Reibung wird aber – je größer die Entfernung vom Ausgangspunkt – immer schwächer. Bestimmte Zonen des Körpers können durch das Netz besser stimuliert werden als andere. Berührung breitet sich anders aus. Elektrifizierung ist leichter machbar. Auch ein Lufthauch verebbt viel langsamer, er zieht unter den Maschen förmlich hindurch. Das Netz verlagert den Hauch in lokaler und temporaler Absicht. Es vergrößert Ort und Zeit des Spürens.
Unsinnig ist allerdings die Verdoppelung, d. h. Netz auf Netz. Hier ist dann eindeutig zuviel aufgetragen, der Körper vermag sich in diesem zweifachen Dazwischensein nicht mehr am anderen Körper zu ertasten. Der allerletzte Hauch der Haut verliert sich in der Verdoppelung. Was vorher Steigerung gewesen ist, wird nun Minderung.
Zum Geschmack gilt es nur zu sagen: es schmeckt nicht anders als es schmeckt. Der Zungen Genuss ist da sogar entmutigend: dem Stoff schmeckt man seine Leblosigkeit sofort an. Will man den Schweiß oder den Saft schmecken, dann wirkt das Material, als seltsame Hürde der Verkostung, eher störend.
Interessanter, weil intensiver ist da schon der Geruch, der sich über das Material (Baumwolle, Seide, Polyamid, Elasthan) partiell bricht und verändert. Das Netz verhindert nämlich ein ordentliches Ausdampfen des Körpers. Wenn dieser schwitzt, bleibt der Schweiß hängen. Das Netz schweißt den Körper ein, der schweißt. Wenn es heiß ist, pickt das Netz förmlich am Körper. Es staut sich.
Unbegriffen begriffen
Das Gedränge von Fleisch und Stoff suggeriert nicht nur Gefangennahme, sondern auch Aufdringlichkeit. Eben weil das Fleisch stets aus dem Netz möchte. Und gelegentlich dringt es ja auch durch die Zwischenräume. Das Netz ist zwar anliegend, aber doch differenziert es sich an den Körperstellen: Bestimmte Hautpartikel sind höher als das Netz, andere sind gleichauf, andere liegen tiefer. Bei bestimmten Stellen, z. B. am Knie, entsteht gar so etwas wie ein Reptilienpanzer, eben weil sich die Haut durch das Netz presst. Dies unterstellt Härte, Kraft, Undurchdringbarkeit. Dieser Panzer ist aber anders als der alte Fischbeinpanzer bloß noch ein fiktionaler.
Der Körper ist der Inhalt des Netzes, das Netz setzt seine Form. Doch das ist schon zu einfach: Was theoretisch als klare Trennung er- klärbar ist, wirkt praktisch als Einheit für sich. Der Stoff imprägniert und materialisiert sich am Leib. Es geht um die zugerichtete Prägnanz des Beines, des Rückens, der Arme, der Lenden, der Schenkel, der Schultern, der Brüste, der Taille. Netz ist eine symbolische Begreifung, eine Masche imaginärer Kommunikation. An den Mann gebracht ist sie in allgemeiner Form (d. h. besondere Situationen ausgenommen) keine Aufforderung, sondern schlichtweg eine Anforderung. Dass sie vielfach als Überforderung auftritt, sagt einiges über dieses Geschlecht aus. Das genau ist ein Punkt, wo Lust allzu oft in Belästigung umschlägt.
Das Besondere an der meisten die Frauen formierenden Unterwäsche, der transparenten wie der intransparenten, ist ihr hautenges Verhältnis zum Körper, geradeso als wollte man die Differenz von Person und Kleidung nicht akzeptieren. Was beim Mann Nebensache, ist bei der Frau Hauptsache: die ständige Dekoration des Individuums. Übertrieben könnte es so formuliert werden: Anders als der Mann trägt die Frau keine Kleidung, sondern sie ist sie, weil in sie gesetzt, gezwängt, gepackt.
Was gegenwärtig stattfindet, ist nun die Kolonisierung des Frauenkörpers durch das Netz. Es bezieht nicht nur die Beine, sondern spannt seine Feldzüge über alle Weiten und Ebenen und Höhen des Körpers. Keine Region, zu dem es nicht vorzudringen versteht. Vor allem in der feinen Form der Verstrumpfung scheint es kaum aufzuhalten zu sein. Das Netz auf den Beinen ist allerdings akzeptierter als am Oberkörper. Oben hat es noch immer etwas leicht Anrüchiges an sich. Es ist etwas anderes, das genetzte Bein zu zeigen als den genetzten Rücken oder gar Busen. Diese spezifische Anrüchigkeit ist aber ebenso gesellschaftlich konstitutiert, folgt keinen natürlichen Vorgaben.
Die Form, wo das Netz sich zweifellos verallgemeinert und durchgesetzt hat, ist der Damenstrumpf. Dieser ist zur verbindlichen und ersten Beinbekleidung eines Geschlechts geworden. Weiblicher Identifikationsstoff sozusagen: Beinverpackung als Beinenthüllung. Er ist Bezeugung und Betonung. Frau gilt als die optische Option des okzidentalen Mannes. Ihre Disponierung ist seine Disposition.
Kritisch unkritisch
Im Unterschied zum Korsett oder Mieder engt der Netzbody nicht oder nur unmerklich ein. Nicht Steifheit ist sein Kennzeichen, sondern Elastizität. Das Netz strafft den Körper, ohne ihn a priori zu strafen. Das Netz verdeutlicht, was demokratisierte Unterwäsche ist. Freilich bedarf es andererseits der demokratischen Modellierung des gleichgemachten weiblichen Normkörpers. Alle sollen so ausschauen, wie fast niemand ausschaut, und auch nicht ausschauen kann. Die Demokratie ist das proportionale Diktat.
Es geht also um die Proportionierung des Frauenkörpers. Das Herrichten hat freilich etwas vom Abrichten an sich. Die moderne Geschichte der Mode legt nahe, dass Mann und Transparenz sich ausschließen. Netzleibchen wirken bei Männern daher äußerst unpassend. Transparent hat die Frau zu sein. Sie wird aufgeputzt und geschmückt, ihr Leib wird geschnürt und beengt, ihr Körper in Segmente eingeteilt. Nicht zufällig spricht die Männerwelt vom Weibsstück oder vom Frauenzimmer. Als objektiviertes Es hat sie ins Netz zu gehen und im Netz zu sein. Das Netz ist die obligate Grundform weiblicher Dessous.
Geschlechtsspezifisch gefragt wird nach Abgrenzung, Einteilung, Sortierung, Zuweisung. Jean Baudrillard schreibt: „Die Erotisierung besteht also immer im Hervorheben eines Körperfragments durch einen Querstrich, durch eine Trennungslinie, in der phallischen Phantasmatisierung dessen, was jenseits dieser Linie in der Position des Signifikanten liegt, und in der gleichzeitigen Reduktion der Sexualität auf den Status eines Signifikats (eines repräsentierten Wertes).“ (Der symbolische Tausch und der Tod, München 1991, S. 158)
Beim Netz geht es auch um die Erhöhung des sexuellen Marktwerts der Frau durch die spezifische Ausstaffierung diverser Körperzonen. Diese Attraktivierung ist keine unbestimmte – eben weil es so ist -, sondern gleicht der Werbung aufs Haar. Sie ist nicht bloß Ausdruck, sondern am Austausch interessiert, sie konkretisiert sich nicht nur am Leib, sie abstraktifiziert sich auch für den Markt. Wir geben uns nicht hin, wir tauschen uns aus. Wir sind auf den äquivalenten Zweck trainiert. Was habe ich davon? , ist unsere intuitive Fragestellung, sie ist wahrlich in Fleisch und Blut übergegangen, sodass sie gar nicht mehr als vorbestimmte auffällt.
Die Trennung von Gebrauchs- und Tauschwert kann in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft auch nur eine relative sein. Der Gebrauchswert muss sich letztlich am Markt orientieren, will er konsumiert werden. Wobei hier kein unschuldiges Bewusstsein durch den Markt drangsaliert wird, sondern dieses schon präformiert ist. Im Tausch fetischiert sich das Verhältnis der Geschlechter als ein stets gebrochenes, eben als eine konkurrenzistische Gemeinschaft von Warenbesitzern und Warenherzeigern. Niemand kann behaupten, Beziehungen unbeeinflusst von dem zu gestalten.
Der symbolische Gebrauchswert des Gegenstands ist gesellschaftlich vorprogrammiert. Die Spielräume sind hier kleiner als die individualisierte, aber doch kollektivierte männliche Begierde vermutet. Die subjektive Selbstbestimmung ist von einer objektiven Formbestimmung nicht zu trennen. Form verwirklicht sich als Uniformierung des männlichen Blicks und als Uniform der Frau. Reizwäsche ist auch dieses. Das Netz passt fraglos in unsere Zeiten sexueller Inszenierung.
Praktisch unpraktisch
Das Produkt ist ohne reales oder fiktionales Objekt nichts, allerhöchstens der Stoff erstarrt zum reinen Fetisch. Ein Netzbody oder der Netzstrumpf wird ohne Trägerin zu einem bloßen Fetzen, der – anders als andere Kleidungsstücke – keine eigene Ästhetik entwickeln kann. Ihn um seiner selbst zu beobachten, ist außerordentlich langweilig. Ernest Borneman hat in seinem „Lexikon der Liebe“ (Wien 1984) unter dem Stichwort Fetischismus (S. 381ff. ) verschiedene Typen desselben herausgearbeitet. Wir unterscheiden hier zwischen einem leibhaftigen und einem leblosen Fetisch. Der leibhaftige haftet wirklich am Leib, ist von ihm abhängig, der leblose hat sich schon verselbständigt. Ist der eine Zusatz, so der andere Ersatz.
Beim Netz tendiert aber auch die obligate Funktionalität sowieso gegen Null. Im hauchdünnen transparenten Strumpf transzendiert sich ein Kleidungsstück vollends, die ursprünglichen Komponenten des Schutzes vor Kälte, Hitze, Feuchtigkeit etc. sind ausgelöscht. Ihre Brauchbarkeit folgt außergewöhnlichen Kriterien.
Was gilt es noch zu sagen? – Handhabung und Pflege unseres Gegenstandes sind relativ einfach. Der Netze Haltbarkeit hält sich jedoch aufgrund der Fragilität des Materials in Grenzen. Doch wenn ihre Benutzung dasselbe tut, werden sie schon einige Jahre alt. Gewaschen werden können sie auch. Das Netz ist in der Anschaffung nicht teuer, es braucht kaum Raum und auch die faktischen Unterhaltskosten sind niedriger als sein potentieller Unterhaltungswert. Sittsame Freunde sind damit leicht zu verwirren. Strümpfe eignen sich ganz ausgezeichnet zum Fesseln (jetzt in seiner wortwörtlichen Bedeutung von Anbinden), zum Einbrecher spielen mit den Kindern und zum Schuhe putzen. Dorthin überträgt das Faszinosum seinen letzten Abglanz. Bis seine Tage gezählt sind, sind seine Möglichkeiten äußerst vielfältig.
Doch es gibt auch Nachteile. Das übermäßige Schwitzen an heißen Tagen wurde bereits erwähnt. Die Wahrscheinlichkeit von Blasen durch die unterschiedlichen Reibungshöhen in den Schuhen ist bei Netzstrümpfen ebenfalls etwas größer. Vor einem aber sei mit dem „Wiener Blatt“ vom 18. Februar 1991 ausdrücklich gewarnt: „Bis zu 15 Meter lang kann eine Damenstrumpfhose werden, wenn sie mit dem Abwasser in die Wiener Hauptkläranlage gelangt und dort in den Grob- und Feinrechen kommt. Sie kann dann Rohre verstopfen, Messergebnisse verändern, ja sogar Pumpen und Motoren beschädigen.“ Bei der Entsorgung gilt es also aufzupassen. Doch wozu haben wir eine Mülltrennung.