Die Zukunft ist plural
von Peter Wahl
Nach den Mobilisierungserfolgen von Genua und Barcelona steht in der globalisierungskritischen Bewegung eine Diskussion über ihre weitere Entwicklung an. Beim zweiten Weltsozialforum in Porto Alegre wurden bereits kontroverse Debatten über zukünftige Strategien geführt. Soll die Bewegung vor allem auf die , große‘ Politik und auf Institutionen wie WTO und IWF Einfluss nehmen? Oder hat sie vorrangig eine grundsätzliche Gesellschafts- und Ökonomiekritik zu leisten?
Die globalisierungskritische Bewegung bezieht ihre Dynamik bisher aus der Kritik, Ablehnung und Anklage des transnationalen Manchesterkapitalismus. Auf Dauer läuft sich bloße Negation jedoch tot, wenn es nicht gelingt, ein alternatives Projekt zu formulieren, das eine mindestens ähnliche Überzeugungskraft ausübt wie die Kritik an der Globalisierung. Damit steht die Frage nach der programmatischen Positionierung der Bewegung auf der Tagesordnung.
Erste Ansätze dieser Diskussion haben sich artikuliert, so z. B. im Anfang 2002 verabschiedeten Manifest von ATTAC Frankreich (siehe u. a. www.attac-netzwerk.de), in einem Papier, in dem Walden Bello von der thailändischen NGO „Focus on the Global South“ kurz vor dem Weltsozialgipfel in Porto Alegre den Begriff „De-Globalisierung“ in die Debatte warf, sowie in einem Text von Susan George, in dem sie das Konzept eines , globalen Gesellschaftsvertrags‘ ins Spiel bringt. Während sich einige Medien sofort sensationslüstern auf die Unterschiede in den Papieren stürzten, um Spaltungslinien auszumachen, gehen die Beteiligten unaufgeregt damit um. Sie betrachten ihre Texte als Beiträge zu einer Debatte, die erst am Anfang steht und die Bewegung noch lange begleiten wird.
Wenn es richtig ist, dass die globalisierungskritische Bewegung zum einen noch in der Formierung und zum anderen per definitionem internationalistisch ist – und das heißt eben auch, dass sie politische und kulturelle Vielfalt zu respektieren hat – dann ist es selbstverständlich, immer wieder Kontroversen auszutragen. Eine emanzipatorische Bewegung ist heute nur noch als plurale denkbar. Ideologische Homogenität ist historisch überholt, auch wenn die Sehnsucht danach bei manchen immer wieder durchscheint.
Vom Umgang mit dieser Herausforderung hängt die erfolgreiche Weiterentwicklung der Bewegung ab. Traditionalistische Kategorien wie „Reform“ und „Revolution“ oder „gemäßigt“ und „radikal“ definieren das Problem von vorneherein so, dass die Auseinandersetzung in den sattsam bekannten Sackgassen der letzten hundert Jahre enden muss: Die einen kandidieren für den Bundestag, die anderen fallen in sektenhafte Bedeutungslosigkeit zurück, und die Masse flüchten genervt von Ideologiedebatten wieder ins Private. Das in solchen Debatten zu Tage tretende Schubladendenken taugt allenfalls als Identitätspolitik.
Demgegenüber wäre es notwendig, im Sinne von Brechts Maxime „Nicht an das gute Alte anknüpfen, sondern an das schlechte Neue“ die vorhandene Bewegung genau zu analysieren. Wir sollten darüber nachdenken, wie Politisierungsprozesse unter heutigen Bedingungen ablaufen, wie Bewusstsein und politische Handlungsfähigkeit entstehen. Dabei sind z. B. Faktoren wie die diskursiven Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft zu berücksichtigen und die Tatsache, dass Öffentlichkeit fast nur noch als medial vermittelte existiert. Man hat sich klar zu machen, wie soziale Bewegung funktioniert und wie sie in der gegebenen Situation Dynamik, Stärke und Einfluss entfalten kann.
Wichtige Fragen in dieser Diskussion (die hier keineswegs beantwortet werden können) wären u. a. : Welchen Stellenwert haben programmatische Diskussionen und die Fixierung entsprechender Ziele überhaupt für eine Bewegung? Für welchen Zeithorizont werden Programme formuliert? Wie entsteht Kohärenz zwischen tagespolitischen Forderungen, mittelfristigen Etappenzielen und grundsätzlichen Wertorientierungen? Wie löst man das Spannungsverhältnis zwischen mobilisierender Popularität und sachlicher Triftigkeit von programmatischen Forderungen (z. B. Tobinsteuer)? Wie tiefgehend, differenziert und konkret werden Alternativen entwickelt, wie allgemein und trivial bleiben sie?
Bei programmatischen Debatten gilt es zu unterscheiden zwischen dem, was wünschbar ist, und jenem, was zum jeweiligen Zeitpunkt realisierbar erscheint. Wobei Wünschbarkeit nichts Beliebiges ist. Auch wenn einige in der globalisierungskritischen Bewegung sich den idealen Kommunismus, das anarchistische Reich der Freiheit oder eine andere Variante vom Ende der Geschichte wünschen, heißt das noch lange nicht, dass auch die Bewegung als solche dies will. An dieser Stelle kommt die Demokratiefrage ins Spiel. Es wäre ein ebenso undemokratischer wie wirkungsloser Avantgardismus, wenn eine Handvoll weiser Männer die Ziele einer sozialen Bewegung von einem gedachten Endpunkt her definierte – z. B. die Zerschlagung des Kapitalismus -, um diese Ziele den unwissenden Massen dann nur noch beizubiegen. Die programmatischen Ziele einer Bewegung müssen das Bewusstsein zumindest einer Mehrheit der Bewegung reflektieren. Die Zukunft der Linken ist also nicht nur plural, sie muss auch demokratisch sein. Auch dies sollten wir aus historischen Fehlern gelernt haben.
Auf der anderen Seite kann das, was heute gerade noch realisierbar ist, nicht dogmatisch festgeschrieben werden. Durch eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse, durch geschickte Integration von Regierungsseite können die Forderungen der Bewegung schnell veralten. Dann muss neue Dynamik her. Programmatische Arbeit muss ein zukunftsoffener Suchprozess sein – so wie die Konstruktion eines Alternativprojekts nur als gesellschaftlicher Prozess, als Bewegungspraxis möglich ist.
In diesem Lichte ist es zunächst sekundär, ob man den IWF und die Weltbank abschaffen oder reformieren will. Wichtiger ist, ob man mit solchen Widersprüchen produktiv umgehen kann, ob sie in den Bahnen eines möglichst herrschaftsfreien Diskurses bearbeitet werden können. Es gehört zum Konzept von ATTAC, genau dafür den Rahmen zu bieten. ATTAC ist ein Raum, wo politische Lern- und Erfahrungsprozesse ermöglicht werden, wo unterschiedliche Strömungen emanzipatorischer Politik miteinander diskutieren und zu gemeinsamer Handlungs- und Aktionsfähigkeit zusammenfinden. Das mag für manchen zu bescheiden sein. Aber mehr ist derzeit nicht drin.
Peter Wahl ist Mitglied des Koordinierungskreises von ATTAC Deutschland.
Offensive Herrschaftskritik
Von Ulrich Brand
Die Debatten darüber, wie die weitere Liberalisierung der Finanzmärkte verunmöglicht werden kann, sollten nicht als „reformistisch“ denunziert werden, auch wenn es sich um „defensive“ Auseinandersetzungen handelt. Andererseits sollten diese Kämpfe aufgrund ihrer Orientierung an der „großen“ Politik auch nicht als die einzig wirklich wichtigen interpretiert werden. Denn das reproduziert ein Verständnis, demzufolge „Politik“ die Angelegenheit von Staat, Parteien und Verbänden ist. In der Realität sieht es aber anders aus: Viele Entscheidungen werden nicht – oder erst in letzter Instanz -„von oben durchgedrückt“. Sie sind vielmehr Ausdruck von gesellschaftlichen Kämpfen um Hegemonie. Emanzipatorische Politik bedarf daher der Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse.
Sicherlich entsteht die derzeitige globalisierungskritische Konjunktur deswegen, weil Akteure wie ATTAC am bürgerlichen Politik- und Staatsverständnis anknüpfen. Menschen politisieren sich heute z. B. aufgrund der unternehmensfreundlichen staatlichen Politik. Dies darf jedoch nicht zum fast ausschließlichen Bezugspunkt der Bewegung werden. Diese Gefahr sehe ich beispielsweise bei Susan George, Vizepräsidentin von ATTAC Frankreich. Die Stoßrichtung ihrer Ansätze läuft auf gegenseitige Machtkontrolle im Sinne von checks and balances hinaus: Die Neoliberalen sollen zurückgedrängt und eine „neue, modernisierte und globalisierte keynesianische Strategie“ ermöglicht werden. Damit denkt George politische Veränderung von oben und in bestehenden Bahnen. Nicht zufällig ist ihr wichtigstes strategisches Element ein „weltweiter Gesellschaftsvertrag“, in dem es vor allem um eine neue Entwicklungspolitik geht.
Auch im aktuellen Manifest von ATTAC Frankreich scheint auf, dass staatliche Politik vor allem über Öffentlichkeitsarbeit und die Stärkung nationaler Parlamente sowie deren Kontrolle durch die Bewegungen verändert werden soll. Der ungleich komplexere Prozess, Herrschaftsverhältnisse in verschiedensten Lebensbereichen abzubauen, gerät dabei aus dem Blick. Aus der Perspektive eines radikalen Reformismus ist hingegen fest zu halten, dass die Gesellschaft vor allem außerhalb des Staates und der eng mit ihm verknüpften Zivilgesellschaft verändert werden kann – durch emanzipative, post-kapitalistische Orientierungen und Praxis. Wenn die derzeit entstehende Bewegung ihren Anspruch auf eine , andere Welt‘ ernst nimmt, dann geht es nicht (nur) um Macht, schon gar nicht nur um staatliche, sondern um eine andere Form von Gesellschaftlichkeit.
Die dazu nötigen „offensiven“ Prozesse der Herrschaftskritik und der Selbstbestimmung sind zwar für die bürgerlichen Feuilletons uninteressant. Aber erst ein anderes Politikverständnis, nach dem Motto „das Private ist politisch“, schafft jenes rebellische Bewusstsein, dem es nicht nur um alternative Expertise, Macht in NGOs oder mehr Demokratie im Sinne eines größeren Einflusses der Parlamente geht. Die , andere Welt‘ entsteht vielmehr in neuen alltäglichen Lebensformen, im Abweichen von der Normalität. Dazu zählen auch geistreiche Formen des sich Lustigmachens über die Inszenierungen der Staatsmänner. Der größte Erfolg des Weltsozialforum in Porto Alegre lag in der Botschaft: Hier die bunte Schar lebensbejahender Menschen, dort in New York das Grau-in-Grau der Verwalter der Welt.
Bewegungen wachsen nicht nur, weil sie „klare“ Forderungen haben. Die Menschen kommen nicht wegen der Tobin-Tax zu ATTAC, sondern weil sich dort etwas bewegt. Es muss daher keine „programmatischen Ziele einer Bewegung“ geben, wie Peter Wahl meint. Die Bewegung gibt es ja gar nicht, sie setzt sich aus unterschiedlichen Spektren zusammen. Warum können diese nicht unterschiedliche Ziele haben? Bei Wahl klingt entgegen dem eigenen Postulat das Strategien-Entwerfen für die „große“ Bewegung durch.
Die Forderungen der globalisierungskritischen Bewegung müssen nicht unbedingt „realpolitische“ Kraft entfalten, sondern Denk- und Handlungshorizonte öffnen. Eine in diesem Sinne politisierbare Forderung wäre jene nach der Abschaffung der großen Institutionen wie WTO oder IWF. Auch wenn sie zunächst unrealistisch klingt, können mit ihr Argumente über die Verfasstheit des internationalen Systems transportiert werden. Denn eine , andere Welt‘ ist mit WTO und IWF nicht möglich. Diese hochgradig vermachteten Organisationen suggerieren, dass Probleme „von oben“ und mit Hilfe des Kapitals gelöst werden. Mit der Forderung nach ihrer Abschaffung könnten jene Kräfte delegitimiert werden, die meinen, die Institutionen seien reformierbar.
Weltweite Machtverhältnisse stellen sich natürlich nicht allein über IWF und Co. her. Doch sollten diese Apparate nicht unterschätzt werden: Sie haben nicht nur materielle Macht, sondern sind auch „organische Intellektuelle“ des Neoliberalismus. Sie stellen die hegemonialen Verhältnisse immer wieder her, indem sie Kritik partiell aufnehmen und zur Beibehaltung grundlegender Machtverhältnisse nutzen. Aus einer radikalen Reformperspektive wäre ihre Abschaffung Teil der Veränderung bürgerlich-kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse und ihrer neoliberalen Ausformung. Ähnliches will auch das Konzept der „De-Globalisierung“ von Walden Bello. Es geht ihm gerade nicht um die falsche Alternative von Protektionismus versus wirtschaftliche Außenorientierung, sondern um die Abschaffung der desaströsen internationalen Zwänge, die lokale Entwicklung unmöglich machen.
Gegenüber der breiten Öffentlichkeit ist es sinnvoll, die Gemeinsamkeiten der globalisierungskritischen Bewegung(en) herauszustellen. Intern sollten jedoch kritisch-solidarische Diskussionen um divergierende Perspektiven geführt werden. Der undogmatische radikale Flügel kann dabei verhindern helfen, dass die am hegemonialen Politikverständnis orientierten Teile der Bewegung zur „außerparlamentarischen Sozialdemokratie“ werden.
Ulrich Brand (Uni Kassel) ist in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) aktiv und Mitglied des wissenschaftlichen Beirates von ATTAC Deutschland.
Die Welt ist (k)eine Ware
Von Ernst Lohoff
Der Antiglobalisierungsprotest hat sich als Bewegung gegen den Neoliberalismus formiert. Zwar gehen die Vorstellungen, wie die herrschende Ordnung zu kritisieren sei, im Protestspektrum weit auseinander. Auch darüber, wie der Weg in eine menschlichere Gesellschaft aussehen könnte, herrscht nicht gerade Einigkeit. Alle aber erkennen im neoliberalen Traum vom totalen Markt einen Alptraum.
Diese Engführung auf Neoliberalismuskritik erklärt die erstaunliche Resonanz, die der Protest in den letzten Jahren gefunden hat. Sie stellt ihn gleichzeitig aber vor grundsätzliche Orientierungsprobleme. Denn obwohl die Politik der kapitalistischen Mächte und internationalen Organisationen keinen Millimeter sozialer oder ökologischer geworden ist, droht dem Protest nun die vertraute Frontstellung abhanden zu kommen. Die offizielle Politik ist nämlich längst dabei, bei der wirtschaftspolitischen Steuerung vom klassischen neoliberalen Projekt abzurücken. Angesichts des Absturzes der New Economy haben nach Japan auch die USA das Steuer herumgerissen. Um dem Rückschlag geplatzter spekulativer Blütenträume auf die Realökonomie gegenzusteuern und einen Entwertungsschock zu verhindern, bleibt der Bush-Regierung nur der Griff in die keynesianische Instrumentenkiste. Das Zinssenkungsstakkato der amerikanischen Zentralbank und das explodierende Haushaltsdefizit stehen für eine kuriose Wendung: Die Fortsetzung der börsenkapitalistischen Dynamik mit genau jenen steuerungspolitischen Mitteln, mit deren Hilfe ATTAC sie abbremsen wollte.
Wenn der ATTAC-Sprecher Bernhard Cassen verkündet, „nie war Bush näher an ATTAC als heute“ („Die Zeit“, 19.10.01), dann ist seine Freude ziemlich kurzsichtig. Die börsen-etatistische Wendung der Politik demonstriert keineswegs, dass eine Rückkehr zum Keynesianismus der Nachkriegszeit prinzipiell möglich wäre oder gar schon eingeleitet würde. Vielmehr steht sie für eine hilflose Krisenverwaltung, die sich bedenkenlos über ihre eigenen Dogmen hinwegsetzt, solange damit die Kapitalverwertung in Gang gehalten werden kann. Jeder Versuch aber, dieser Krisenverwaltung ein „humanes Antlitz“ zu verleihen, hat schon verloren, weil er deren Prioritäten und Kriterien anerkennen muss. Dass das Geld in die Finanzmärkte gepumpt wird und nicht in den sozialen Sektor, ist keine willkürliche politische Entscheidung, sondern folgt der inneren Logik eines Systems, das auf Gedeih und Verderb am Tropf des „fiktiven Kapitals“ hängt, weil seine Grundlage, die Verwertung lebendiger Arbeitskraft, unwiderruflich erodiert.
Ein besseres Leben lässt sich daher nicht mehr als Abfallprodukt staatlich regulierter kapitalistischer Modernisierung erkämpfen. Eine Bewegung, die sich den Kopf darüber zerbricht, wie der Weg zu einem „besseren“, „sozial regulierten“ und „nachhaltigen“ Globalismus aussehen könnte, jagt einem Phantom nach und lähmt sich selber. Der Praxisimpuls des Antiglobalisierungsprotests ist ebenso berechtigt wie gefährlich. Er führt schnurstracks in die Sackgasse, wenn er sich auf die Vorgaben der Politik einlässt und nur Forderungen zulässt, die sich als mit Markt und Staatlichkeit kompatibel verkaufen lassen. Vorwärtstreibend ist er dagegen, wo er an konkreten Phänomenen die Verheerungen zum Thema macht, die sich aus den Imperativen der Ökonomisierung und der betriebswirtschaftlichen Rationalität ergeben. Ob im Gesundheitswesen, bei der Frage der Altersversorgung oder in den Beziehungen zur Dritten Welt – überall lässt sich zeigen, dass es die schlechteste aller denkbaren Lösungen ist, alles in Ware zu verwandeln.
Dass bei der ATTAC-Basis die Forderung nach der Tobin-Steuer an Beliebtheit verloren hat und Themen wie die Privatisierung des Rentensystems oder die Repression gegen Arbeitslose in den Vordergrund kommen, ist zu begrüßen. Was könnte falsch daran sein, dem neoliberalen Projekt gerade auf dem Terrain entgegenzutreten, auf dem es weiterläuft? Jede Illusion über das Reformpotential des Staates steht dabei jedoch im Weg. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse bei der Gesundheitsversorgung, der Ernährung oder beim Wohnen kann nur noch gegen die Logik der ausbrennenden Kapitalverwertung und ihre politische Verwaltung durchgesetzt werden. Es gilt den stofflichen Reichtum, die Produktions- und Existenzmittel dem Zugriff von Markt und Staat zu entreißen.
Gemessen am Selbstverständnis des globalisierungskritischen Spektrums hat es etwas Paradoxes, dass etatistisch-keynesianische Konzepte in der Diskussion den Ton angeben. Wie kann eine Strömung, die sich zu Recht als transnational versteht, ausgerechnet auf den Nationalstaat als Akteur setzen? Warum will ein Protest, der Vielfalt als positiv begreift, mit dem Staat den großen Vereinheitlicher wieder in seine Rechte eingesetzt sehen? Die große Stärke des Antiglobalisierungsprotests liegt weniger in den provisorischen Antworten, die der eine oder die andere parat zu haben glaubt, als vielmehr in den aufgeworfenen Fragen. Das aus Chiapas stammende Motto „Preguntando caminamos“ (fragend gehen wir) taugt als Motto für den Protest insgesamt. Die falsche etatistische Antwort freilich erschwert diese Art von Fortbewegung.
Den Weg, auf dem die Weltgesellschaft der Diktatur der betriebswirtschaftlichen Verrücktheit und dem Terror der Ökonomie entkommen kann, kennt niemand und kann niemand vorab kennen. Den einen Weg gibt es wohl gar nicht, sondern viele Pfade, und ihre Entdeckung ist wesentlich eine praktische Tat. Über die herrschende Ordnung aber lässt sich eine Menge sagen, vor allem eins: die Vielfalt, auf die sich der Protest so viel zu gute hält, kontrastiert heftig mit der Monotonie warengesellschaftlicher Zurichtung. Zwar sind die Erscheinungsformen des Markttotalitarismus so unterschiedlich wie die Voraussetzungen, auf die er in verschiedenen Weltteilen und auf den verschiedenen gesellschaftlichen Terrains trifft. Das Prokrustesbett betriebswirtschaftlicher Rationalität, dem alles unterworfen werden soll, ist aber immer das Gleiche. Dem Antiglobalisierungsprotest ist diese Einsicht nicht neu. Das unschuldige Sätzchen „die Welt ist keine Ware“, bringt sie auf den Punkt. Reichtum und Vielfalt der Weltgesellschaft lassen sich nur im Kampf gegen den negativen Universalismus der Warenform entfalten.
Ernst Lohoff ist Redakteur der Zeitschrift „Krisis“ (www. krisis. org)