Thesen zur Metakritik des Tauschs
Streifzüge 3/1998
von Franz Schandl
1. Gemeinhin erscheint der Tausch als eine eherne Konstante des Daseins. Er wird nicht gesellschaftlich eingeordnet, sondern leitet sich von einer dunklen „menschlichen Neigung“ ab, die als gegeben angenommen wird.
2. Tausch ist zu verstehen als kultureller Zwang der bisherigen Menschheitsgeschichte, er setzt sowohl ein Mehrprodukt voraus, gleichzeitig aber auch dessen Begrenzung. Den Tausch hat es historisch schon sehr zeitig gegeben, aber erst in der bürgerlichen Gesellschaft konnte er sich als herrschende Form stofflicher Kommunikation durchsetzen.
3. Ein einfaches Hin und Her ohne verbindliche Form ist noch kein Tausch. Die wechselseitige Hingabe von Gütern wird erst dann zu einem solchen, wenn diese als äquivalente Arbeitsprodukte auftreten. Tausch meint nämlich nicht den beliebigen Wechsel der Produkte, sondern ausschliesslich den durch den Wert bestimmten. Dort, wo Geben und Nehmen als aufeinandergezwungene fetischierte Form des Stoffwechsels auftritt, sprechen wir vom Tausch. Tausch resp. Geschäft bedeutet also, dass jemanden für etwas, das er weggibt, etwas gegeben wird, das er nicht hat.
4. Tausch meint, dass sich das eine im anderen auszudrücken hat. Im Tausch erfolgt also eine Gleichsetzung von Verschiedenem. Die Abstraktion von Arbeit realisiert sich im Tausch. Tauschen heisst, dass menschliche Kommunikation ihre Produkte und Leistungen nur als ein sich wechselseitig Bedingendes in Geben und Nehmen im Besonderen erfüllen kann. Das konkrete Nehmen bedingt ein konkretes Geben.
5. Der Tausch (W-W) ist die Grundform der Warenzirkulation. Durch Hinzutreten des Geldes wird dieser differenziert in ein Kaufen (G-W) und in ein Verkaufen (W-G), wobei es kein Kaufen ohne Verkaufen gibt und umgekehrt. Das Bekommen ist an ein Vorher-schon-Haben gebunden.
6. Im Kapitalismus hat alles permutabel zu werden. Austauschbar zu sein, ist die erste Erwerbsregel. Der kapitalistische Kreislauf ist ein ständiges Permutieren des Waren- und Geldflusses. Freilich staut es sich heute schon. In der Ware sucht der Gegenstand jedenfalls nicht den Konsumenten, sondern den Käufer. Das Bedürfnis des Verbrauchers ist ihm nur relevant, wenn dieser sich auch praktisch in die Rolle des Käufers versetzen kann, d.h. wenn er zahlungsfähig ist.
7. Damit die Menschen zu ihren Lebensmitteln kommen, müssen diese produziert, distribuiert und konsumiert werden. Man könnte das eherne Notwendigkeiten des menschlichen Daseins nennen. Jene müssen aber nicht getauscht werden. Der Tausch ist vielmehr gesellschaftlich aufgeherrscht, ein Zusatz, der später aber Ferment bestimmter Epochen werden sollte. Heute erscheint er wie die vorher genannten Kriterien als natürlich.
8. Die Menschen tauschen sich nicht freiwillig, sondern zwangsweise aus. Der Andere auf dem Markt, das ist immer ein potentieller Widersacher, ein „Tauschgegner“ (Max Weber). Die Existenz zwingt sie Geldbesitzer zu werden, um gesellschaftlich bestehen zu können. Ihr Denken muss danach ausgerichtet sein, Geld zu machen. Denn dieses ist erster Mentor in der Gesellschaft, es verteilt Chancen wie kein anderes Ding. Wer es hat, hat. Wer es nicht hat, hat nichts.
9. Die Marktteilnehmer werden dazu angehalten, genaue Marktbeobachter zu sein. Es geht also überhaupt nicht um den profanen Akt einer Aneignung bestimmter Güter, sondern um das Abwägen, Bewerten, Einschätzen, Vergleichen von Waren. Quasi instinktiv werden ständig Bezüge hergestellt. Das Benötigen kann sich nur realisieren über das Bezahlen.
10. Die Haltbarkeit der Produkte (oder bestimmter Details) muss tendeziell abnehmen, will die Verwertung sich nicht ad absurdum führen. Haltbarkeit ist eine Gegnerin der Wertrealisierung. Sie gestaltet sich nicht anhand technischer Kriterien, sondern entlang der Verwertungsschiene. Was meint: die Produkte sind keineswegs auf der Höhe der Zeit, sondern bloss auf der Höhe ihrer Verwertbarkeit. Die heutigen Erzeugnisse werden zusehends auf ihr Ablaufdatum hin produziert.
11. Das bürgerliche Individuum steht unter dem Zwang, sich in Wert zu setzen, (sich) zu verkaufen, um kaufen zu können. Das bedingt unzählige und aufdringliche Spielarten der charakterlichen Maskierung, sei es Bluff oder Fassade, Mode oder Werbung. Anbieten, Anpreisen, Anmachen sind bürgerliche Formen der Selbstverstellung. Es geht um Täuschung im Sinne des Tauschs.
12. Werbung bedeutet stets so etwas wie eine zugelassene Unwahrheit. Sie kann von ihrer inneren Struktur her gar nicht seriös sein, sie gefällt sich in der maßlosen Propaganda ihrer Ware. Werbung reduziert einen Gegenstand oder ein Verhältnis auf ihre marktschreierische Sequenz. Sie kennt nur ein undifferenziertes und aufdringliches Pro. Werbung ist das Gegenteil von Kritik. Sie ist Täuschung vor dem Tausch.
13. Dass gegeben und genommen werden muss, ist selbstverständlich, es ist eine platte und profane Bestimmung menschlichen Lebens. Was ansteht, das ist der Schritt von der negativen Vergesellschaftung, der abstrakten allgemeinen Arbeit, hin zu einer positiven Vergesellschaftung durch konkrete allgemeine Tätigkeiten, die danach fragen, was gewünscht wird, und dementsprechend handeln. Das Bedürfnis gestaltete sich demnach jenseits einer heute allgegenwärtigen In-Wert-Setzung, es ist eine einfach bestimmte Anforderung, nicht eine doppelt kodifizierte Angelegenheit. Der Wert hätte selbstredend als Prinzip ausgedient.