Neue Studien zur Internationalisierung des Kapitals und deren Folgen
von Stephan Grigat
Nach der Welle reaktionärer, Gemeinschaftssinn verordnender Aufrufe zur Zivilisierung des Kapitalismus und einer Flut populärwissenschaftlicher Pamphlete zum „Terror der Ökonomie“ und zur „Globalisierungsfalle“, zum Kasino-, Turbo- und Raubtierkapitalismus, versuchen nun seriösere Verlage mit differenzierteren Publikationen an die Öffentlichkeit zu treten.
Die in letzter Zeit erschienenen kritischen Abhandlungen zu Globalisierung und Neoliberalismus verfahren in der Regel nach dem selben Muster. Zunächst werden auf hunderten von Seiten die Entwicklungen von Ökonomie und Politik seit den 70er Jahren aufgezeigt, wobei jeder Befund ein s Argument für die Abschaffung des Kapitalverhältnisses, für eine praktische Kritik von Ökonomie und Politik liefern würde, um dann am Ende der Untersuchung bestenfalls gerade mal noch einem radikalen Reformismus oder schlimmstenfalls einer besseren Verwaltung der falschen Totalität das Wort zu reden. Die Debatte über die zunehmende Internationalisierung des Kapitals ging einher mit der Wiederkehr eines reformistischen Politizismus und der theoretischen Wiederbelebung des angeblich grundsätzlichen Widerspruchs zwischen Markt und Staat. Von Staatssozialistinnen und -sozialisten aller Schattierungen wird dem bösen, antisozialen, kapitalistischen Markt der gute, regelnde und soziale Staat gegenübergestellt.
Globalisierung und Klassenkampf
Um so beachtlicher ist die Studie von Bernd Röttger, der sich mit Nachdruck gegen eine derartige Konstruktion einer Dichotomie von Markt und Staat wendet und bereits im Untertitel seines Buches auf die politische, also vor allem staatliche Konstitution des Marktes hinweist. Gegen eine auf den Markt fixierte „gesellschaftlich voraussetzungslose Kritik“1 hält Röttger fest, daß im Rahmen bürgerlicher Vergesellschaftung grundsätzlich von einer politischen Regulation in ökonomischen Prozessen auszugehen ist.
Röttger würdigt und kritisiert sowohl die klassische Regulationstheorie wie auch die ersten Ansätze zu einer globalen politischen Ökonomie. Insbesondere bei der klassischen Regulationstheorie konstatiert er trotz der propagierten analytischen Einheit von Ökonomie, Politik und Ideologie eine unüberwundene Staatsfixierung. Röttger sieht aber in beiden Konzeptionen Anknüpfungspunkte für die Analyse des globalen neoliberalen Umbruchs, wenn diese theoretischen Ansätze stärker als bisher mit Gramscis Konzept des erweiterten Staates verbunden werden.
Vor diesem theoretischen Hintergrund analysiert Röttger die spezifischen Grundlagen und Verlaufsformen der euro-kapitalistischen Regulation, als deren Ergebnis er „ein komplexes System von , Schützengräben und , Befestigungsanlagen neoliberaler Transformation“ erblickt, das den „Umbruch von der fordistisch gesellschaftlichen zur neoliberal kapitalistischen , Regulation“ (S. 194) absichert. Er untersucht den Erfolg des „Modell Deutschland“ wie auch dessen mögliche Transformation nach der Wiedervereinigung im Rahmen einer grundlegend neuen transnationalen „Macht- und Hegemonialkonfiguration“ (S. 173). Zum einen ist dabei zu bemängeln, daß Röttger die postfaschistischen ideologischen Elemente, die zum Erfolg dieses Modells nicht unwesentlich beigetragen haben, kaum berücksichtigt. Zum anderen ist es fraglich, ob die von ihm richtig konstatierten großdeutschen Weltmachtbestrebungen nach der Wiedervereinigung gerade, wie Röttger das versucht, mit Bezug auf Jürgen Habermas, dem Protagonisten der linksliberalen Variante des deutschen Nationalismus, kritisiert werden können.
Bemerkenswert ist Röttgers Abschlußkapitel, das bei den meisten linken Globalisierungskritikern „Perspektiven marxistischer Politik“ heißen würde, bei ihm aber den verheißungsvollen Titel „Perspektiven marxistischer Kritik der Politik“ trägt. Röttger, früher Mitherausgeber der inzwischen eingestellten Zeitschrift „links“, erkennt, was mit den staatsfetischistischen linken Marktkritikern passiert: „klagende Linksintellektuelle werden in institutionelle Formen der Politik involviert, die bereits in ihrer Struktur neoliberal oder neonationalistisch geschliffen sind.“ (S. 198) Nicht zuletzt durch die „sich in Gestalt besserer Geschäftsführer darbietende Kritik“ (S. 200) dieser Intellektuellen bilden sich „politisch-ideologische Formen, in denen die postfordistisch gewendeten Sozialdemokratien und Gewerkschaften in den neoliberalen Regulationszusammenhang eingebunden werden können.“ (S. 198) Der idealistisch-politizistische Reformismus integriert tendenziell die radikalere Kritik und endet zielsicher bei der Affirmation.
Zur Reformulierung eines emanzipatorischen Projekts empfiehlt Röttger eine Rückbesinnung auf den Klassenkampf. Diese ebenso eindeutige wie einseitige Orientierung entspringt aus seiner traditionalistischen Interpretation der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. In seinen theoretisch-begrifflichen Einleitungskapiteln hat er als deren Kern die Offenlegung des „Klassencharakter(s) der Produktionsweise“ (S. 59) ausgemacht. Das zentrale Element der Marxschen Theorie sei die Kritik am „Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital und damit der Produktion von Mehrwert“ (S. 60). Daß Klassen und Mehrwert in der Marxschen Kritik bereits abgeleitete Kategorien sind und sich im „Kapital“ vor der Entwicklung dieser Begriffe die gesamte Wertformanalyse befindet, scheint Röttger nicht zu interessieren. Bei ihm ist zwar ständig von der gesellschaftlichen Totalität die Rede, aber anstatt die Wertform als zentrales konstituierendes Element dieser Totalität zu benennen, redet er nur von Klassen und Hegemonie, obwohl sich gerade im Klassenkampf wie auch im Kampf um Hegemonie immer wieder die Wertförmigkeit der Gesellschaft artikuliert.
Röttger ist zuzustimmen, wenn er gegen geschichtsmetaphysische Vorstellungen daran festhält, „daß die emanzipatorischen Lösungsformen nicht aus der Krise der bürgerlichen Gesellschaft selbst erwachsen“ (S. 205). Wenn er aber gegen solche Vorstellungen von einem Automatismus postuliert, daß die Emanzipation von „der Rekonstruktion der Terrains des Klassenkampfs“ (ebd. ) abhängig ist, so muß dem entgegengehalten werden, daß die Möglichkeit zur Befreiung heute vermutlich eher dadurch offen gehalten wird, daß das Terrain der radikalen Kritik, deren Gegenstand gerade auch die ideologische Form des Klassenkampfs zu sein hat, rekonstruiert wird.
Globalisierung und linke Politik
Ein unlängst erschienener Sammelband faßt die Beiträge zur Konferenz „Weltwirtschaft und Nationalstaat zwischen Globalisierung und Regionalisierung“ zusammen, die 1996 in Frankfurt am Main stattgefunden hat. Die Initiativgruppe Regulationstheorie, in der sich mehrere junge Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler zuammengefunden haben, stellt in ihrem Einführungsbeitrag fest, daß „die unkritische Rede von der Globalisierung zu einem wesentlichen Element ideologischer Herrschaft avanciert (ist). „2 Sie fassen zentrale Momente der zunehmenden Internationalisierung des Kapitals zusammen und verweisen auf die damit einhergehenden Transformationen im Bereich der Politik.
Bob Jessop faßt in einem umfangreichen Beitrag seine bereits an anderer Stelle formulierten Thesen zur Zukunft des Nationalstaats zusammen. Nach Jessop kommt es nicht zu einer Auflösung des Nationalstaats oder zu einem Bedeutungsverlust nationalstaatlicher Regulation, sondern zu einer Transformation vom keynesianisch geprägten Wohlfahrtsstaat zu einem schumpeterianischen Workfare-Regime.
Elmar Altvater untersucht im Anschluß an seine gemeinsam mit Birgit Mahnkopf verfaßte und bereits nach kurzer Zeit zum Standardwerk avancierte Globalisierungsstudie3 den Fetischismus des Geldes. Altvater weist auf eine tendenziell zunehmende Fetischisierung des Geldes, das er als „sozial konstruiertes substanzloses Nichts“ (S. 102) charakterisiert, hin, die er mit der veränderten materiellen Gestalt des allgemeinen Äquivalents erklärt. Implizit zielt er damit in die gleiche Richtung wie David Harvey, der in seinem Beitrag unter anderem zeigen will, wie im Zeitalter der Globalisierung „soziale Beziehungen zwischen Menschen auf immer größerer Stufenleiter in soziale Beziehungen zwischen Dingen umgewandelt werden können.“ (S. 38)
Danièle Leborgne konstatiert in der augenblicklichen Krisensituation die Existenz zweier Wachstumsmodelle. Auf der einen Seite versuche das postfordistische Modell die positiven Elemente des traditionellen Fordismus beizubehalten und gleichzeitig neue Möglichkeiten zu erschließen, während auf der anderen Seite das neotayloristische Modell eine konsequente Politik der Deregulierung und Kostensenkung betreibe. Leborgne hält die postfordistische Variante sowohl für zukunftsträchtiger als auch für sozial verträglicher. In Ländern wie der BRD und Österreich, die sich im Gegensatz etwa zu den USA und Großbritannien nicht deindustrialisieren würden, hält er durchaus befangen in traditionellen Vorstellungen von Politik Vollbeschäftigung auch in Zukunft für möglich.
Die n Aufsätze des Sammelbandes setzen sich mit den Auswirkungen von Globalisierung und Regionalisierung anhand einzelner Länder und Regionen auseinander. Makoto Itoh untersucht die Veränderungen in der japanischen Wirtschaft und deutet auf Ansätze für eine neue linke Opposition jenseits der traditionellen Gewerkschaften in Japan hin. Ngai Ling Sum kritisiert zum einen den Eurozentrismus der Regulationstheorie und analysiert zum anderen die Wachstums- und Regulationsmodelle der „ostasiatischen Nachzüglerkapitalismen“ (S. 167). Jacob Torfing untersucht vor dem Hintergrund von Bob Jessops Staatsanalyse und ausgehend von einer gramscianisch anmutenden Kritik an liberalen und traditionell-marxistischen Wohlfahrtsstaatstheorien die bisherigen, die gegenwärtigen und die zu erwartenden Transformationen des skandinavischen Wohlfahrtskapitalismus anhand des dänischen Beispiels. Den Abschluß des Bandes bildet eine Untersuchung von Jane Jenson über Klasse, Geschlecht und Gleichheit sowie über die verschiedenen Staatsbürgerschaftsregime im Fordismus und im Postfordismus.
Alle Beiträge des Sammelbandes bieten wertvolle Analysen zu den nationalen und internationalen Veränderungen, die seit dem Umbruch der kapitalistischen Weltwirtschaft zu Beginn der 70er Jahre zu beobachten sind. Fast allen Aufsätzen ist aber auch anzumerken, daß hier Analyse von vornherein mit dem Vorsatz betrieben wird, daß am Ende Perspektiven für emanzipative Politik herauskommen müssen, anstatt daß zuerst einmal nach der strukturellen Problematik emanzipativer Politik gerade angesichts der Globalisierung gefragt wird. Würde Altvater seine Kritik des Fetischismus, der der kapitalistischen Vergesellschaftung immanent ist, ernstnehmen, müßte er die Aufhebung der Warenproduktion proklamieren. Statt dessen zerbricht er sich, wie gewohnt, über die bessere Regulierung der Märkte den Kopf. David Harvey hat zwar jede Menge Einwände gegen einen linken Populismus, will sich letztlich aber doch „auf die popularen Kämpfe einlassen“ (S. 46). Die Initiativgruppe Regulationstheorie teilt Harveys Einschätzung, daß die „vielfältigen, zersplitterten sozialen Kämpfe auf lokaler oder nationaler Ebene ( ) implizit antikapitalistisch“ (S. 23) seien. Worin so ein „impliziter Antikapitalismus“ besteht oder wohin er führen kann, wird aber nicht thematisiert. Die Initiativgruppe weiß zwar unter Bezugnahme auf den Buchbeitrag von Jane Jenson von der Spaltung der Lohnabhängigen mittels Rassismus und Nationalismus zu berichten. Für die strukturellen Affinitäten zum Antisemitismus, die auch bei vielen linken Kritiken der Globalisierung existieren, interessieren sie sich jedoch nicht. Gerade diese Affinität macht aber die Schwierigkeit einer positiven Bezugnahme auf die „popularen Kämpfe“, in denen aus einer strukturellen Affinität schnell eine inhaltliche wird, aus.
Globalisierung und radikaler Reformismus
Nachdem Joachim Hirschs letzte Studie zu Globalisierung, Staat und Politik4 sowohl im deutschsprachigen Raum als auch international viel diskutiert wurde, hat der ID-Verlag nun einen Band mit Artikeln und Vorträgen, die der Frankfurter Uni-Professor und langjährige Aktivist des Sozialistischen Büros größtenteils in Lateinamerika gehalten hat, vorgelegt. Thematisch zielt die nun vorliegende Veröffentlichung in die gleiche Richtung wie schon das frühere Buch. Hirsch analysiert die Transformationen von Staat, Demokratie und Politik im internationalisierten und vernetzten Kapitalismus.
„Globalisierung“ kritisiert er als einen „schwammigen Begriff“, der sich durch eine „erhebliche Unschärfe“5 auszeichnet und den Blick auf das verstellt, was das Wesen der unter diesem Begriff subsumierten Vorgänge ausmacht. Seiner Einschätzung nach, bei der die ebenfalls vorhandenen Aspekte von Zwangsläufigkeit in der gegenwärtigen Entwicklung etwas unterbelichtet bleiben, ist die Globalisierung als eine „Strategie des Kapitals zur Lösung der Fordismus-Krise“ (S. 22), als „Projekt des kapitalistischen Klassenkampfs“ und daher als „politische Strategie“ (S. 24) zu verstehen. Dieser Strategie entspricht die Transformation vom keynesianisch geprägten Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat. Hirsch richtet sich ähnlich wie Bob Jessop gegen die Vorstellungen von der Schwächung oder gar vom Verschwinden des Staates im Zuge einer fortschreitenden Liberalisierung. Ebenso wie Bernd Röttger beharrt er darauf, daß gerade auch der „freie Markt“ „in hohem Maße staatlich-politisch, durch Herrschaft und Unterdrückung eingerichtet und gesteuert“ (S. 36) ist. Wie andere Globalisierungstheoretiker und -theoretikerinnen auch konstatiert Hirsch eine Transformation vom „Welfare-State“ zum „rigiden Workfare-State“, dem in der BRD der Übergang vom „Modell Deutschland“ zur „Deutschland GmbH“ entspricht. Eine der auffallendsten Kontinuitäten zwischen dem fordistischen Sicherheitsstaat und dem nationalen Wettbewerbsstaat sieht er in der massiven innerstaatlichen Aufrüstung. Einen Unterschied erblickt er darin, daß sich die Politik im nationalen Wettbewerbsstaat zunehmend von „materieller zu ideologischer, autoritär-populistisch, nationalistisch und rassistisch unterfütterter Integration“ (S. 81) verlagert. Unabhängig davon verweist er aber zu recht auch darauf, daß der Nationalstaat ungeachtet seiner empirischen Konkretion strukturell auf Rassismus, Nationalismus und auch Sexismus basiert.
Was Hirschs Arbeiten der letzten Zeit besonders interessant macht, ist seine scharfe Kritik an den Zivilgesellschaftskonzepten in den neueren demokratiepolitischen Debatten, und seine damit einhergehende Ablehnung der unkritischen Bezugnahme auf NGOs als emanzipatives Potential. In früheren Schriften schien es oft so, als würde Hirsch bei seinen Ausführungen zu den Perspektiven linker Politik stets hinter seine eigene Kritik zurückfallen. Zwar ist auch im vorliegenden Buch etwas nebulös von „alternative(n) Netzwerke(n)“ (S. 61), wahrer Demokratie statt der bestehenden und wirklicher Zivilgesellschaft im Gegensatz zur bekannten die Rede, aber diesmal hat Hirsch merklich darauf geachtet, daß sein Konzept eines „radikalen Reformismus“ nicht als Absage an die soziale Revolution mißverstanden werden kann. Das ist schön, bedeutet aber nicht, daß an seiner am Althusser-Schüler Nicos Poulantzas orientierten Vorstellung von einer Politik, „die sich in und mit dem Staat zugleich gegen ihn ( ) richtet“ (S. 98) nichts mehr zu kritisieren wäre. Es scheint so, als würde er hier seine an anderer Stelle mit Nachdruck vorgebrachte prinzipielle Ablehnung des Staates als Mittel zur Emanzipation zumindest relativieren.
Ausgehend von einer sympathischen Abneigung gegenüber postmodernen „Ansätzen“ wendet sich Hirsch gegen das Eskamotieren der Marxschen Kritik in der zeitgeistigen soziologischen und politologischen Theorie und wettert in diesem Zusammenhang unter anderem gegen die Neuorientierung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Seine Kritik gilt aber auch der verbliebenen Linken, die glaubt, im Kampf gegen den „Neoliberalismus“ neue Gemeinsamkeiten zu finden oder alte wieder herstellen zu können, ohne ihre kapitalismustheoretischen Defizite zu beheben.
Über die gegenwärtigen Möglichkeiten der Emanzipation ist sich Hirsch unsicher. Einerseits meint er, daß angesichts der permanenten Krise eines hochtechnisierten und vernetzten Kapitalismus die „, antikapitalistische Revolution wahrscheinlich noch nie so klar auf der Tagesordnung (stand) wie heute“. Andererseits ist er sich darüber bewußt, daß „die ideologische Hegemonie der kapitalistischen Lebensform noch nie so fest in den Köpfen verankert (war) wie heutzutage“. (S. 148) Über die westdeutsche Linke der 70er und 80er Jahre, der er heute attestiert, nur „gelegentlich“ und „meist eher gezwungenermaßen“ (S. 163) ernsthaft systemfeindlich agiert zu haben, macht er sich ebenso wenig Illusionen, wie über die gegenwärtigen Möglichkeiten linker Praxis. Über Solidaritätsarbeit im internationalen Maßstab schreibt er beispielsweise, daß sie notwendiger sei denn je, sie sich aber angesichts dessen, daß sie an den grundlegenden ökonomisch-sozialen Strukturen kaum etwas zu ändern vermag, ihre Hilflosigkeit immer wieder neu eingestehen muß. Dennoch wehrt er sich gegen pessimistische Anwandlungen: „Schließlich bleibt zu berücksichtigen, daß ungeachtet aller Krisen, Fragmentierungen, Gegensätze und Zersplitterungen die Menschen sich immer noch wehren, nach wie vor Revolten stattfinden und Widerstand geleistet wird wenn auch in manchmal nach traditionellen Mustern wenig verständlichen und bisweilen auch rückwärtsgewandten Formen.“ (S. 155) Wenn man sich bewußt macht, wie diese „rückwärtsgewandten Formen“ konkret aussehen, könnte man das, was Hirsch hier als Hoffnungsschimmer präsentiert, ebenso gut als Bedrohung auffassen.
Auch wenn sich in Hirschs Buch beispielsweise Ansätze zu einer Auseinandersetzung mit klassischen Imperialismus- und Dependenztheorien finden, denen er zu recht gravierende Mängel attestiert, verzichtet er explizit auf eine Darstellung des theoretischen Hintergrunds seiner Ausführungen. Das Buch ist gemessen an den behandelten Gegenständen und Zusammenhängen in einer relativ leicht verständlichen Sprache gehalten. Man kann es als eine Art „Volksausgabe“ von Hirschs 1995 erschienenem „Nationalen Wettbewerbsstaat“ bezeichnen. Das hat einerseits den Vorteil, daß es als Einführung aus regulationstheoretischer Sicht in die aktuellen Diskussionen über Globalisierung, Zivilgesellschaft und Staat gelesen werden kann. Andererseits wird einiges dadurch auch ungenau. Sein vor drei Jahren erschienenes Werk zeichnete sich unter anderem dadurch aus, daß in ihm versucht wurde, den Begriff des Staatsfetisch unmittelbar aus dem Warenfetisch zu entwickeln und somit zwei grundlegende soziale Formen, in denen Verdinglichung im Kapitalismus zum Ausdruck kommt, miteinander in Beziehung zu setzen. In seinem neuen Buch findet sich kein an Marx orientierter Fetischbegriff mehr. Als Fetische werden dort nur mehr ganz allgemein Wörter bezeichnet, die „häufig gebraucht, aber meist nicht genau verstanden“ (S. 15) werden.
Stephan Grigat ist Politikwissenschaftler.
Anmerkungen
1 Röttger, Bernd: Neoliberale Globalisierung und eurokapitalistische Regulation. Die politische Konstitution des Marktes. Münster 1997 (Westfälisches Dampfboot, 252 Seiten, 39,80 DM, 291 Schilling), S. 10.
2 Becker, Steffen/ Sablowski, Thomas/ Schumm, Thomas (Hg. ): Jenseits der Nationalökonomie? Weltwirtschaft und Nationalstaat zwischen Globalisierung und Regionalisierung. (Argument-Sonderband Neue Folge AS 249) Berlin Hamburg 1997 (Argument, 250 Seiten, 29,80 DM, 218 Schilling), S. 7.
3 Altvater, Elmar/ Mahnkopf, Birgit: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. Münster 1996 (Westfälisches Dampfboot).
Siehe dazu Grigat, Stephan: Geldfetisch und Zivilgesellschaftsfetischismus. in: „Unitat“, Nr. 3, 1998, S. 15.
4 Hirsch, Joachim: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus. Berlin Amsterdam 1995 (Edition ID-Archiv).
Siehe kritisch dazu Landgraf, Anton/ Nele, Karl: Vom globalen Kapitalismus zur „wahren Demokratie“. „Der nationale Wettbewerbsstaat“ von Joachim Hirsch. in: „Bahamas“, Nr. 19, 1996, S. 21 ff.
5 Hirsch, Joachim: Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat. Berlin 1998 (ID Verlag, 170 Seiten, 28 DM, 205 Schilling), S. 8.