Rasender Reigen

von Franz Schandl

Schon wieder ging etwas zur Ende, bevor es begonnen hatte. Seit Mittwoch sind nun auch die Gespräche zur Bildung einer blau-schwarzen Koalition zwischen Herbert Kickls FPÖ und Christian Stockers ÖVP eine Fußnote der Geschichte. Kickl musste nach dem offensichtlichen Scheitern seinen Regierungsbildungsauftrag zurücklegen. Das Bündnis ist geplatzt. Was nun kommt, ist ungewiss.

Die letzten Wochen waren geprägt durch ein hohes Quantum an Unprofessionalität und einem Mangel an Vertrauen. Kickl verwechselte die Gespräche mit Befehlsausgaben und maximalen Forderungen. Über die Medien richtete man sich ständig Unfreundlichkeiten aus, ja leakte entgegen den Abmachungen sogar umfangreiche interne Papiere, wenn es einem in den Kram passte. Das ging wohl auf das Konto der ÖVP. Die beharrte ihrerseits auf ihren in Jahrzehnten aufgebauten „angestammten“ Machtpositionen. Schlüsselressorts wollte sie keine hergeben. Das altbekannte Spiel „Wahlen verloren, Verhandlungen gewonnen“, ging aber diesmal nicht auf. War die FPÖ zu gierig, so die ÖVP zu geizig.

Besonders irrwitzig ist der Kurs der ÖVP. Zuerst wollte sie mit der FPÖ, aber nur ohne Kickl, dann verhandelte sie mit der SPÖ und den liberalen Neos, dann wollte sie Kickl doch zum Kanzler küren um jetzt sagt sie wieder, es sei kein Staat mit ihm zu machen. Nun will man abermals mit den Sozialdemokraten das Gespräch suchen, aber, wenn möglich ohne deren Parteivorsitzenden, Andreas Babler. Das alles wird das Klima nicht verbessern und vor allem der Volkspartei nicht gut tun. Aber eines gilt freilich weiterhin: es wird keine Regierung ohne ÖVP geben. Die Arithmetik ist ein treuer Bundesgenosse der Konservativen. Indes fragt man sich in der Zwischenzeit, wer wird abgefackelt oder fackeln sich alle schon gegenseitig ab? Die allseits beschworene Konstruktivität ist jedenfalls eine Mär. Sie dient ausschließlich der Beschwörung.

Der wahre Skandal wäre aber der Koalitionsvertrag der beiden potenziellen Koalitionspartner gewesen. Wenn man die geleakten Protokolle liest, dann gute Nacht. Da tanzen Marktradikalismus und Sozialabbau, Geschwindigkeitswahn und Xenophobie den rasenden Reigen. Was die Europäische Union betrifft, darf man sich zwischen finsterster Abwehr (FPÖ) oder glühendstem Fanatismus (ÖVP) entscheiden. Das alles wird ornamentiert mit den sogenannten Werten, zu denen sich alle bekennen müssen, ansonsten spielt es wehrhafte Demokratie. Was dort unter den Stichworten Kampf gegen Extremismus und Antisemitismus zu finden ist, lässt schaudern. Es ist ein Katalog der Zumutungen, fabriziert von konservativen und reaktionären Überzeugungstätern.

Das Instrumentarium der Politik wirkt ausgeleiert und überzeugt kaum noch. Das gilt nicht nur in Österreich. Es ist nicht nur eine Krise politischer Formationen, es handelt sich um die Krise des gesamten politischen Orbits. Hier gibt es Grenzen, die nicht in den persönlichen Animositäten und Defiziten der Akteure liegen. Geht überhaupt noch, was einst gegangen ist? Wird Österreich zusehends unregierbar? Man sollte es so deuten. Kickl setzt jedenfalls auf Neuwahlen und die anderen werden versuchen, noch einmal einen ihrer kaum tragfähigen Kompromisse zu zimmern. Man eilt von Scheitern zu Scheitern. Das wird sich in Zukunft nicht ändern. Was aktuell vielfach als Erleichterung wahrgenommen wird – Kickl ist schließlich nicht Kanzler geworden, die FPÖ ist nicht an der Regierung – ist lediglich eine Verzögerung.