Der Gewehrsmann der Volkspartei

von Franz Schandl

Wer hätte auf ihn als ÖVP-Obmann gesetzt? Wohl niemand. Weder außerhalb noch innerhalb der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Geworden ist er es, weil aktuell niemand anderer es werden wollte, sich niemand vor-, geschweige denn aufdrängte. Nach dem Abgang von Karl Nehammer als Vorsitzender der Partei wird nun Christian Stocker folgen. Stocker, Jahrgang 1960, Vizebürgermeister von Wiener Neustadt und seit einigen Jahren Generalsekretär der ÖVP ist vom Typus her ein Funktionär der alten Schule: grob und direkt, von jedem Charme befreit, mit jeder Schamlosigkeit gesegnet.

Einer der Kanten hat, aber eben nur Kanten. Mitunter eine äußerst derbe Keule. Seine Aufgabe bestand darin, anderen blutige Nasen zu schlagen. Bisher wirkte er als Kampfhund, als der schwer bewaffnete Gewehrsmann der Partei. Zuständig für diverse Verbalinjurien. Penibel und genüsslich zählten die Medien auch seine Übergriffe, insbesondere auf seinen jetzigen Partner, auf. „Herbert Kickl ist ein Sicherheitsrisiko, und ihm fehlt jegliches Format für einen Kanzler. Seine Attacken sind haltlos, seine Aussagen faktenbefreit.“ „Eine Koalition mit FPÖ-Chef Herbert Kickl wird die ÖVP nicht eingehen.“ Das sagte der zukünftige Vizekanzler über seinen baldigen Kanzler. Stocker ist nicht weniger rechts als dieser, lediglich obligater und primitiver, nicht einmal in Ansätzen gewitzt, geschweige denn originell.

Anders als Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), der nach Nehammers Rücktritt aus allen Funktionen tatsächlich zum zweiten Mal Interimskanzler geworden ist, ist Stocker nicht als Intermezzo geplant. Er soll die nächsten Jahre als Vizekanzler und Parteiobmann wohl die minimierte Stellung wahren, er soll aussitzen oder absitzen, je nachdem. Warten auf bessere Zeiten. Sitzfleisch hat er und Heißsporn ist er keiner. „Mein Gemüt ist gut gekühlt“ meint er. Das stimmt, ja ist sogar untertrieben. Stocker gleicht eher einem Kaltmacher der politischen Konfrontation.

Da die Volkspartei nun ob der Kehrtwende bei den anstehenden Wahlen deutlich verlieren wird, musste sich jemand hergeben, der zu dieser demütigenden Geißelung und vorläufigen Talfahrt bereit ist. Einer mit einem breiten Rücken und einem Genick wie ein Stier. Der Schwenk wird der ÖVP aber nicht wegen ihres Bündnisses übel genommen. Sie wird nicht abgestraft wegen ihres Pakts mit der FPÖ, der war früher oder später zu erwarten. Sie wird abgestraft, weil sie über Monate felsenfest das Gegenteil behauptet und versprochen hatte. Parteichef Nehammer und sein Generalsekretär Stocker waren die Hauptakteure dieses Kurses. Die antreibenden Protagonisten aus Wirtschaft und Industrie freilich wollen die Partei nicht selbst übernehmen, sondern weiterhin im Hintergrund die Fäden ziehen. Das ist übrigens die Partie, die am meisten für Blau-Schwarz getrommelt hat und nun am lautesten jubelt. Slimfitte Standortideologen und joggingschlanke Sozialabbauchargen wittern Morgenluft.

Wenn Stocker jetzt gar meint, die ÖVP fürchte sich nicht vor Neuwahlen, dann ist das glatter Unsinn. In so einem Fall würde die Volkspartei unter 20 Prozent und wahrscheinlich sogar hinter die SPÖ fallen. Die Entscheidung mit Kickl zu koalieren, bedeutet auch, dass man sich unter den gegebenen Umständen unterwirft. Fragt sich bloß, was die ÖVP mit den zahlreichen Anzeigen anstellt, mit denen sie den FPÖ-Vordermann in den letzten Monaten eingedeckt hat. Die Freiheitlichen diktieren jedenfalls die Bedingungen, die ÖVP muss froh sein, Pfründe und Posten zu retten. Das traut man Stocker aber zu.

Auch wenn es die Liberalen aller Formationen nicht wahrhaben wollen: Blau-Schwarz passt gut zusammen. Gefällige Bekenntnisse zu Demokratie, Rechtsstaat und Europa wird die FPÖ schon unterschreiben und sich auch vom Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen besiegeln lassen. Im Prinzip ist das ohne Bedeutung. Bei den Werten werden sie sich sicher nicht zu streiten beginnen. Kommentatoren, die meinen, hier stellen sich zwei Kräfte gegenseitig die Rute ins Fenster, übersehen, dass die eine Seite gar keine Rute mehr hat. Stocker kann den Schlagstock nur noch simulieren. Auch Sanktionen wie es sie 2000 gegen die erste Koalition zwischen ÖVP und FPÖ gegeben hat, werden der ÖVP nicht als allfälliges Druckmittel dienen können.

Trotzdem gilt es für die ÖVP den Schein zu wahren. Hierfür dürfte der polternde Apparatschik aus der niederösterreichischen Landespartei wirklich der geeignete Mann sein. „Ich bin gekommen, um zu bleiben“, sagt er. Es ist völlig ausgeschlossen, dass die ÖVP diese Koalitionsgespräche platzen lassen kann. Dafür hat sie weder die Kraft noch andere Optionen. Ruckzuck wird das nun gehen. Die Volkspartei wird sich also unterordnen und auf Zeit spielen. Vielleicht stolpert die FPÖ ja wieder über einen veritablen Skandal. Folgen wir den aufgeschreckten Meinungserhebungen, dann sieht es für Stocker und die Seinen gegenwärtig zappenduster aus.