Schattenspringer der Koalition
von Franz Schandl
Die Zeit des Geplänkels und der Sondierungen ist vorbei. Seit 21. November wird nun offiziell und echt verhandelt. Sozialdemokraten, Christkonservative und liberale Neos versuchen sich an der Bildung einer Koalitionsregierung. In Haupt- und Untergruppen will man sich auf ein detailliertes Regierungsprogramm einigen. Anfang nächsten Jahres soll die neue Regierung stehen. Der eherne Zwang zu solch einer Kollaboration war nach der Nationalratswahl Ende September, offensichtlich. Sätze wie „Mich zwingt niemand, miteinander zu arbeiten“ (SP-Chef Andreas Babler) oder „Wir wollen zusammenarbeiten, wir müssen nicht“, (Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger) sind Sprüche für das eigene Publikum. An der Realität gehen diese Beteuerungen aber vorbei. Man muss.
Ein Scheitern der Verhandlungen kann man sich indes nicht leisten, bei Neuwahlen würde Herbert Kickl (FPÖ) noch einmal deutlich zulegen. Andreas Babler spricht daher artig vom „Bündnis der konstruktiven Kräfte“ und VP-Kanzler Karl Nehammer präzisiert das als ein „Bündnis der Vernunft und der politischen Mitte“. Das Budgetdefizit will man eindämmen, die Arbeitsplätze erhalten, und den Wirtschaftsstandort sichern. Und natürlich will man mutige Reformen angehen. Mehr als solche Stehsätze konnte man bisher kaum vernehmen. Da ist nichts wirklich Neues unter der Sonne, das aktuelle Ritual politischen Entertainments unterscheidet sich nicht von vorhergehenden. Lediglich die spezifische Kombination ist ein Novum.
Andreas Babler hat sich inzwischen ganz in staatsmännische Pose geworfen, seine Wortwahl weitgehend ausgewechselt. Es soll (wieder einmal) zu einer neuen Art des Regierens kommen, man werde sich gegenseitig keine roten Linien ausrichten und alle sind angehalten, über ihren Schatten zu springen. Das sind die Botschaften, die pausenlos wiedergekäut werden. In den liberalen Medien kommt dieses „weniger chaotischer Arbeiterführer, mehr gesettelter Vizekanzler“ (Der Standard) gut an und gut rüber. Brav, Andi. Sein neuer Pragmatismus wirkt geradewegs so, als hätte er eine Überdosis Konstruktivitätspillen geschluckt. Schattenspringer sind übrigens solche, die auf einmal wollen, was sie müssen. Wer zu oft über seinen Schatten springt, wird der Schatten seiner selbst werden.
Auf jeden Fall gibt es grünes Licht für eine österreichische Ampel. Auch dieser Dreier, eine Zuckerlkoalition aus türkis, rot und pink, wird sich nicht übermäßig flott, sondern eher mühselig gestalten. Bei den am Sonntag in der Steiermark abgehaltenen Landtagswahlen setzte es für Sozialdemokraten und Christkonservative ein desaströses Wahlergebnis, mit dem der gar noch nicht paktierten Koalition gleich vorab ein schwerer Schlag versetzt wurde. Die FPÖ verdoppelte sich, gewann beinahe 18 Prozentpunkte dazu, die ÖVP verlor fast 10, die SPÖ stagnierte auf niedrigstem Niveau, und die Grünen wurden halbiert. Man spricht bereits von einer „blauen Welle“. Auch virulente Skandale können die Freiheitlichen nicht mehr stoppen. Mario Kunasek, der Spitzenkandidat der FPÖ, wird kaum als Landeshauptmann zu verhindern sein.
Alexander Van der Bellen sei schuld an seinem Debakel, so der noch amtierende Landeshauptmann, Christopher Drexler (ÖVP). Dass der Bundespräsident nicht Herbert Kickl den Regierungsauftrag erteilt habe, werde in der Bevölkerung als ungerecht empfunden. Ganz falsch ist das nicht, aber es greift doch viel zu kurz. Apropos Kurz: der Ex-Kanzler scheint, folgt man aufmerksam seinen Zwischenrufen, auch ein Comeback zu überlegen.
Fad ist es nicht. Sogar eine Koalition zwischen FPÖ und SPÖ ist in der Steiermark nicht ausgeschlossen. Derweil präsentiert die FPÖ auf Bundesebene der ÖVP ein Angebot nach dem anderen. Natürlich möchte man die Ampel crashen. Vor allem bekniet man die Industriellenvereinigung, doch ihren Einfluss bei der Volkspartei geltend zu machen. Selbstverständlich haben die Freiheitlichen recht, sie stehen der ÖVP tatsächlich viel näher als dies die SPÖ tut. Man denke nur an die Wirtschafts-, an die Sozial- und an die Migrationspolitik. In vier Bundesländern koaliert man weitgehend friktionsfrei. Zwischen ÖVP und FPÖ gibt es keine Richtungsentscheidung. Das ist dieselbe Richtung. Doch Nehammer möchte Kanzler bleiben, nicht Vizekanzler unter Kickl werden.
Eine herbe Enttäuschung setzte es in der Steiermark auch für die KPÖ. Schwebten die Kommunisten im Frühjahr noch im Hoch (bis 14 Prozent prophezeiten ihnen die Meinungsumfragen), so ist man nun wieder auf das übliche steirische Format (4,4 Prozent, 2 Mandate) zusammengeschrumpft. Schon bei den Wahlen zum EU-Parlament und zum Nationalrat hatte man magere Resultate eingefahren. Konnte man vor nicht so langer Zeit in Graz, Salzburg oder Innsbruck noch als linke Alternative reüssieren, so scheint das vorerst vorbei zu sein. Der Höhenflug wurde abrupt beendet, das Momentum konnte nicht genutzt werden.
Das hätte nicht unbedingt sein müssen. Ein Schuss Wagenknecht hätte der Partei sicher gut getan. Hilde Grammel, Mitglied des Bundesvorstands der KPÖ, brachte das bereits nach den Nationalratswahlen auf den Punkt: „Persönlich habe ich es bedauert, dass wir die Kritik an den von vielen als einschneidend erlebten Corona-Maßnahmen den Rechten überlassen haben, ebenso, dass wir um Ukraine-Krieg und zum Krieg im Nahen Osten keine klaren Worte gefunden haben. Vermisst habe ich etwa eine fundierte Auseinandersetzung mit der Vorgeschichte dieser Kriege.“ (Volksstimme, Nr. 10, Oktober 2024, S.6)