Das autoritäre Bedürfnis
von Franz Schandl
AUS AKTUELLEM ANLASS
Der Artikel ist – wechselt man einige Namen und Begebenheiten aus – heute noch so aktuell wie 2016. Daher sei er hier präsentiert und auch noch auf die Nummer 69 der Streifzüge aus dem Jahr 2017 zum Thema „Populismus“ verwiesen. Vor allem auch als Kontrast zu den gängigen Betrachtungen des linksliberalen Mainstreams. Wir bitten um Beachtung und Weiterleitung.
In der Alpenrepublik schickt sich die FPÖ Heinz-Christian Straches an, zur stärksten Partei des Landes aufzusteigen. Voraussehbare Skandale oder auch die offensichtliche Unfähigkeit des freiheitlichen Personals werden diese Entwicklung jedenfalls nicht stoppen können. Letzteres stört kaum und gegen ersteres geriert sich die FPÖ als Opfer und wird von ihrem Publikum auch so wahrgenommen. Gewählt wird aber erst 2018, sollte die SPÖ-ÖVP-Koalition nicht vorher zusammenbrechen.
Die Auseinandersetzungen laufen hierzulande permanent nach dem gleichen Muster ab, sodass sie kaum noch interessieren geschweige denn aktivieren. Die Strategien scheinen verbraucht und so verwundert es inzwischen wenig, dass nach den Christlichsozialen nun auch die Sozialdemokraten in Gemeinden und Ländern Bündnisse mit den Freiheitlichen eingegangen sind. Vereinzelt auch die Grünen. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Die mediale Aufregung ist diesbezüglich stets größer als die reale. In Österreich etwa regieren die Freiheitlichen in den meisten Bundesländern mit, Kärnten haben Haider und seine Nachfolger dabei fast in den Bankrott geführt. Aber das alles tut dem Aufstieg keinen Abbruch. Ein Typ mag verunglücken, aber der Typus gedeiht weiter.
„Wir müssen unser Heimatrecht verteidigen und schützen“, sagt Strache. Was das heißt, liegt auf der Hand: Grenzen zu und vor allem eine noch restriktivere Auswahl der Eingelassenen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es gerade dadurch zur Eskalation an den Grenzen oder in den Flüchtlingsquartieren kommt, vor allem, wenn Österreich oder gar Deutschland den Orbán machen. Aber selbst diese Differenz ist eine graduelle, hört man relevanten Politikern in ÖVP oder auch SPÖ genauer zu.
Eine Periode österreichischer Nachkriegspolitik geht zu Ende. Was kommt, weiß niemand, auch die Akteure nicht. In der heimischen Bürokratie ist man bereits emsig am Werk betreffend die Umstellung auf ein Regierungsszenario jenseits der alten SPÖ-ÖVP-Seilschaften. Einerseits ist Überwintern angesagt, man versucht sich einzubunkern und die eigenen Pfründe und Privilegien irgendwie abzusichern, andererseits wird man sich wundern, wer da nicht aller gegebenenfalls Farbe und Richtung wechseln wird, sollten die Freiheitlichen wieder einmal über die Zuteilung der Futtertröge entscheiden. Denn auch hier erwiesen sie sich in der Koalition mit Wolfgang Schüssel (ÖVP) um einiges exzessiver als die von ihnen oft zurecht Kritisierten.
Überall herrscht Ermattung. Auch die Populisten können diese bloß überspielen. Ratlosigkeit wird durch Großmäuligkeit ersetzt. Sie gebiert Typen wie Haider und Berlusconi, Strache und Le Pen, Orbán und Kaczyński. Und alle wahren Finnen und echten Deutschen jubeln den ihrigen zu. Aber vergessen wir dabei nicht, die Mehrheit schlittert nicht nach rechts, sie ist vielmehr aus der Politik ausgeschieden, erwartet sich dort nichts mehr. Interessanter wäre es, die Politikverdrossenen in den Fokus zu rücken, jene, die sowohl in allen herkömmlichen aber auch populistischen Varianten keine Perspektive erblicken.
Modern und synchron
Der Populismus ist nicht unterentwickelt und vormodern, er verkörpert vielmehr die aktuelle Stufe der kulturindustriellen Inszenierung des öffentlichen Lebens. Er ist deswegen anschlussfähig, weil er mit ihr synchron ist. Die Kommerzialisierung des politischen Sektors ist der Treibsatz des Populismus. Seine Demagogie ist nichts anderes als die liberalisierte Reklame, sein Auftreten erinnert frappant an die Serienstars in den Soap-Operas, seine Rede ist das Gerede des Stammtischs. Es herrscht ein Universalismus des Kurzschlusses.
Praktische Politik ist heute kaum noch ohne Populismus zu haben. Nach welchen Kriterien sollte hier kategorisch differenziert werden? Populismus ist nicht Alternative, sondern Verschärfung. Ein Komparativ des Dagewesenen. Übles soll durch Übleres ersetzt werden. In all seinen bekannten Varianten bedeutet er: Mehr Ausländerfeindlichkeit, mehr Korruption, mehr Ignoranz, mehr Primitivität, mehr Homophobie, mehr Sexismus, und (trotz sozialer Demagogie) mehr soziale Ausgrenzung. „Österreich kann nicht das Sozialamt der ganzen Welt sein!“, lässt Straches Generalsekretär Herbert Kickl verlauten. Das sind Sprüche, die deswegen reingehen, weil sie von den Angesprochenen tagtäglich selbst ausgesprochen werden. Da fühlen sie sich erkannt und nicht gegängelt. Sie brauchen so nicht verhetzt zu werden.
Die zentrale Frage ist und bleibt: Woher rühren die populistischen Bedürfnisse? Wie entstehen und manifestieren sich diese Gemütslagen und Stimmungen, die den Populismus disponieren? Was konfiguriert die Exponate, was macht aus einer Herde eine Horde? Warum kippt das Unbehagen ins Ressentiment? Antworten darauf sind rar, gesucht werden sie meist und vorschnell in historischen Analogien. Diese Referenz soll auch gar nicht abgestritten werden, aber ihre Bedeutung ist geringer als man meint.
Der Populismus fällt aber nicht vom Himmel, sondern entsteht ganz urwüchsig aus der bürgerlich-kapitalistischen Welt. Es sind die restriktiven Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen, die diese in kleine aggressive Konkurrenzmonster verwandeln. Unmenschlich gehalten, verhalten sie sich unmenschlich. Das entschuldigt sie nicht, aber es erklärt einiges mehr als moralische Appelle und didaktische Übungen bewirken. Diese prallen an den potenziellen Wählern ab, weil sie gar kein Sensorium dafür haben, was wiederum kein persönliches Manko ist, sondern ein gesellschaftliches Defizit. Gefragt sind autoritäre Autoritäten: Gehorcht werden muss. In der biederen Herde steckt jedenfalls schon die wütige Horde. Wollen die Liberalen die Herde fromm und zahm halten, so wollen sie die Populisten aufstacheln. Beide Male geht es um die Kontrolle der Gefolgschaft.
Sieht man genau hin, wird deutlich, dass Liberalismus und Populismus mehr gemeinsam haben als sie trennt. Beide beschwören die große Konvention, sie sind pro Arbeit, pro Privateigentum, pro Leistung, pro Konkurrenz, pro Standort, pro Markt, pro Automobilisierung, pro Werbung, pro Kulturindustrie. Die einen möchten mehr global und marktradikal deregulieren, die andern wollen es mehr nationalistisch und staatsinterventionistisch regeln. Die Leitwerte sind Konsens.
Es ist geradezu grotesk. Wir bekommen mehr von dem, wovon wir schon mehr als genug haben. Die obligate Macht erscheint vor diesem Spiegel wie ein adrettes Brautpaar aus Konservativen und Sozialdemokraten, uns stets verkündend: Wenn wir nicht weitermachen dürfen, kommen die. Das schreckt noch immer, aber es schreckt immer weniger. Hinter der Verteidigung von Menschenrechten und Demokratie verbirgt sich die Verteidigung von Kapital und Herrschaft, wie sie auch die vier Grundfreiheiten der EU auf wundersame Weise zementieren.
Links wie rechts?
Der Populismus ist identitätspolitisch aufgeladen, er redet wenig über Strukturen, aber umso mehr von Schuldigen. Selbst ist da eins nie und nimmer verstrickt, sondern beleidigt, benachteiligt, unterdrückt. Man inszeniert sich als das ledige Opfer äußerer Machenschaften. Abstellen, Aufräumen, Ausmisten – schon wäre die Welt in Ordnung. Auch ein linker Populismus würde nur die Feindbilder austauschen. Der Demagogie der Rechten ist mit keiner linken beizukommen. Das heißt nun nicht, dass diese gleich sind, aber in der Form sind sie zweifellos ähnlich gebaut, beide setzen auf Gefolgschaft und nicht auf Selbstbestimmung. Führerschaft geht vor Autonomie. Fans sind gefragt.
Den Linkspopulisten erscheint der Populismus als reine Form, die man mit beliebigen Inhalten füllen kann. Doch, wenn der Populismus auf Volksvorurteile setzt, was will dann eine emanzipatorische Kraft mit ihm anstellen können? Das populistische Instrumentarium ist außerordentlich beschränkt, und niemanden ist geholfen, wenn man an diesen Beschränkungen wie Beschränktheiten anknüpft. Populismus ist mehr als ein Stil.
Chantal Mouffe fordert gar die „Rücksichtnahme auf die irrationalen Gefühle der Bevölkerung“. Was heißt Rücksichtnahme? Anerkennung? Was soll da alles akzeptiert werden? Einmal mehr riecht das sehr danach, dass man die Leute unbedingt dort abholen muss, wo sie sind. Das ist stets schief gegangen, denn es bestärkt die Stereotype anstatt sie zu erschüttern. Die Relevanz, die man dadurch gewinnt, ist nicht essenziell, sondern lediglich akzidentell. Mouffes Propagierung des ewigen Kampfes „Wir“ gegen die „Anderen“, will keine Überwindung desselben, sondern eine Fortsetzung der Konfrontation mit gleichen Mitteln aber anderen Siegern. Es wird nicht mehr gefragt: „Warum?“, sondern gleich „Gegen wen?“. Die elementaren Fragen bleiben ausgeklammert, einmal mehr geht es um Verteilung und Macht. Da wird keine Hegemonie gebrochen. Da ist nichts Neues unter der Sonne. Elite und Volk sind nicht so auseinander wie Mouffe meint. Im Gegenteil. Sie sind sich in ihren Ansätzen einiger als uns allen lieb sein kann.
Andererseits ist der Populismus-Vorwurf auch zu einer billigen Totschlagformel geworden. Alles was abweicht, kann mit dem Terminus belegt und damit denunziert zu werden. Jede Attacke gegen Modernisierung und Globalisierung soll fortan als populistischer Dünkel diskreditiert werden. Wer vom „System“ spricht, gilt bereits als Extremist, wer gar eine „Systempresse“ entdeckt, ist als Freiheitsfeind zu entlarven. Und gegen die USA etwas zu sagen, kann nur als Antiamerikanismus gelten. Wenn dann die kapitalistische Demokratie noch zur „offenen Gesellschaft“ geadelt wird, kippt Kritik endgültig in die Affirmation.
Doch nur, weil es viele Vorurteile gibt, ist nicht jedes Unbehagen schon als Ressentiment zu entlarven. Eben das genau verfolgt der liberale Mainstream und sein linker Appendix. Die Linkspopulisten kommen da gerade richtig. Da kann man sich mächtig aufpudeln und abreagieren. Im Hintergrund rauscht ein von der Totalitarismustheorie angetriebener Wasserfall aus Gülle. Suggeriert wird die Gefährlichkeit von Rändern, von linken und rechten Radikalismen, während ausgerechnet die politische Mitte sich als gemäßigte und extremismusfreie Zone abfeiert. Die „unheilige Allianz“ nennt sie der österreichische Politikwissenschafter Anton Pelinka. Wie zweckmäßig!
Der linksbürgerliche Rationalismus versucht deswegen auch immer wieder den Menschen die Angst auszureden, nicht einmal jammern und sudern sollen sie, positives Denken ist Gebot der Stunde. Die Angst jedoch ist den Leuten nicht abzusprechen, sie wäre vielmehr konkret zu fassen und zu bestimmen, damit sie nicht als abstraktes Gefühl hängen bleibt und eine schier endlose geistige wie mentale Hilflosigkeit die schrägsten Ansichten und Antipathien entstehen und gedeihen lässt.
Keineswegs ist zu folgern, dass Emotionen im öffentlichen Diskurs nichts zu suchen haben, sie von vornherein verdächtig sind. Revolutionäre Momente in der Geschichte waren immer hochemotional und hochdramatisch. Die Enormität solcher Ereignisse ist ohne einen Aufschwung empathischer Gefühle gar nicht herstellbar. Aus den Vorbehalten gegenüber den Affekten ist nicht zu schließen, dass auf Emotionen zu verzichten wäre. Dass Emotionalisierung Unsinn ist, ist Unsinn. Wie diese mentale Hürde allerdings zu nehmen ist, ohne in den Beschränktheiten des gesunden Menschenverstands unterzugehen, das ist die spannende Frage und bedarf wohl auch einiger praktischer Versuche. Freilich ist diese Aufgabe kaum erkannt, geschweige denn gestellt.
Die Auseinandersetzung zwischen Linksliberalen und Linkspopulisten führt nicht weiter. Beide Varianten flankieren eine Entwicklung, auch wenn sie unterschiedliche Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Propaganda stellen. Beide repräsentieren eine Art Neosozialdemokratie, die nur an unterschiedlichen Ecken der alten Tante andockt. Es ist dies eine gestrige Debatte, alles andere als auf der Höhe der Zeit. Da werden Schlachten geführt, in denen nichts mehr entschieden wird. Während die Linkspopulisten zumindest spüren, dass es so nicht mehr geht, meinen die Linksliberalen, dass es nur so weitergehen kann. Geben die ersteren falsche Antworten, so die letzteren gar keine mehr, da mögen viele Einwände gegen ihre Kontrahenten durchaus zutreffen.
(18.4.2016)