Bruchstücke

von Franz Schandl

Reizvokabular

Von Interesse wäre eine Phänomenologie des herrschenden Jargons und seiner aufgeladenen Worte. Derer gibt es viele, nicht nur neue, auch alte Bekannte sind dabei: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, der Liberalismus und die Werte sowieso. Man hat sie nicht nur zu akzeptieren, man hat sie zu rapportieren. Erwartet werden religiöse Bekenntnisse, die dem Jargon alle Ehre erweisen und ihn nachbeten. An Stehsätzen erkennt man die Unsrigen. Wer nicht liefert oder auch bloß verdächtigt wird, unwillig zu sein, wird zusehends aus den Debatten ausgestoßen und zur Unperson erklärt. Fragestellungen haben keine Infragestellungen zu sein, derlei Vortrag wird gar als „Relativierung“ betrachtet. Dieser superscharfe Worttorpedo stammt aus der Küche des Antifaschismus, angedeutet wird damit sogleich eine Affinität zum Nationalsozialismus. Schnell ist man heute rechts draußen, da kann man noch so links sein.

Geladene Worte sind treffende Geschosse des Unsinns. Eine geballte Ladung nach der anderen wird abgefeuert. Heißa, da geht die Post ab. Geradezu inflationär ist der Antisemitismus-Vorwurf geworden. Wer ihn vorbringt, meint die Diskussion schon gewonnen zu haben. Neuerdings wird er wieder verknüpft mit Veranstaltungs- und Einreiseverboten, denn dem Antisemitismus darf kein Platz geboten werden. Was das ist, darüber entscheidet mittlerweile die Staatsraison. Die Pranger sind aufgestellt. Sanktion will Fakten schaffen. Varoufakis – raus mit dem Schuft! Annie Ernaux – gar nicht erst einladen! Achille Mbembe – der Neger soll bleiben, wo er hingehört. Ein Bruno Kreisky dürfte heute beim Kreisky-Forum nicht mehr referieren.

Bevor man zugelassen wird, hat man den Kotau zu machen. Kritik ist möglich, aber nur innerhalb eines bestimmten Korridors. Draußen ist nichts außer Schwurbelei, Verschwörungstheorie, Antisemitismus, Querfront, Wissenschaftsfeindlichkeit. Die Rationalität hat zu siegen. Und die liberale Demokratie sowieso. Dieser regelbasierte Diskurs funktioniert durch seine Vorgaben und ist kennzeichnend für die neue Realität. Er wirft mit Reizvokabular nur so um sich. Verurteilung und Beurteilung werden zusehends eins. Die Impertinenz, mit der der kapitalistische Wertewesten sich „freie Welt“ nennt oder von einer „freien Wirtschaft“ spricht, ist bezeichnend. Da ist völlig klar, was so nicht stimmt. Im grassierenden Fieber eines Wertmanagements sind gar manche Wörter und Phrasen tollwütig geworden. Sie sind keine kritischen Kategorien, sondern assoziative Gallerte, an der man picken zu bleiben hat. Ihre serielle Multiplikation durch die Bataillone der Kulturindustrie (Medien, Politik, Kunst, Werbung, Bildung), macht es schwer, autonome Gedanken fassen zu können. Woher auch nehmen?

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Iditiotifizierungskampagnen

Dass die Kronen Zeitung inzwischen breiter aufgestellt ist als Der Standard, dass Servus TV kritischer agiert als der ORF, wer hätte sich das denken lassen? Doch es ist so. Am stromlinienförmigsten figurieren heutzutage die Frontmagazine der liberalen Journaille. Dort ist die Hetze zu Hause, dort weidet sie und weitet sich beständig aus, ziehen redaktionelle Regimenter all ihre Register. Dass jede Kritik der Corona-Maßnahmen oder des Impfzwangs als rechts gelten, daran haben heute zwei Formationen ein elementares Interesse: die Liberalen und die Rechtspopulisten. Unisono suggerieren die vermeintlichen Feinde ihren gemeinsamen Unsinn.

Die Hetze gegen sogenannte Corona-Leugner oder Putin-Versteher markieren lediglich die bisherigen Höhepunkte. Es läuft eine permanente Idiotifizierungs- und Diffamierungskampagne. Der Primitivität sind keine Grenzen gesetzt. Einmal mehr marschiert eine „freie Welt“ gegen die „autoritären Gefahren“. Ganz in der Tradition der Totalitarismustheorie geht es gegen „Ränder von rechts und links“. Der fast alle Parteien prägende Liberalismus zieht seine Grenzen stets dort, wo er sie hat. In der Feindesbildung unterscheidet sich das liberale Credo gegenwärtig nicht vom populistischen, es ist wie dieses rigoros und restriktiv. Corona oder die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten weisen derzeit in eine Zukunft, die keine ist, daher haben wir dafür Sorge zu tragen, dass jene keine hat. Dies ist einfacher als machbar.

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Erbärmliche Reste

Am schlimmsten agieren derzeit die Grünen. Während die ehemaligen Großparteien sich noch gelegentlich opportunistischen, protektionistischen und unsauberen Kompromissen hingeben und so auch zu diversen Zurückhaltungen neigen, sind die Grünen inzwischen die Partei der Überzeugungstäter geworden. Die lavieren gar nicht mehr. Sei es der Ausstieg aus dem russischen Gas, seien es die Waffenlieferungen an die Ukraine, alles trieft von Ideologie und Moral. Als Inquisitoren eines Menschenrechtsimperialismus machen sie mobil. Analysen brauchen sie keine, nach Resultaten wird gar nicht erst gefragt. Hauptsache das „Gesinnungs-Lametta“ (Paul Celan) glitzert. Seit sie in der Regierung sind, haben sie sich endgültig entpuppt als das, was sie sind, der letzte Aufguss des bürgerlichen Liberalismus. Die Grünen sind der erbärmliche Rest des demokratischen Kapitalismus.

Doch Abstrafung naht. Selbst im heiligen Land Tirol ist die diversifizierte Konterrevolution nicht mehr sicher. In der Landeshauptstadt Innsbruck wurde nicht nur der grüne Bürgermeister abgewählt, bei den Gemeinderatswahlen haben auch schlicht und einfach die Richtigen verloren: Grüne 18,9 (-5,4) Prozent, FPÖ 15,2 (-3,4), die beiden ÖVP-Listen 27 (-3) und die Neos 3,5 (-1,2). Letztere sind nun nach Salzburg auch in Innsbruck gleich aus dem Gemeinderat geflogen. Da darf man sich schon freuen, wenn die Speerspitze der Lohnnebenkostenabschaffer, Pensionsverkürzer und NATO-Aspiranten so gar nicht recht vom Fleck kommt und von den Kommunisten geradezu im Vorbeigehen überholt wird. Wahlen waren schon mal irrer und auch die Wähler waren schon mal depperter. Mal sehen.

Kürzlich haben die hierzulande Neos genannten Liberalis den Freiheitsindex erheben lassen. Dieser Index ist umso höher, je höher die Zustimmung zur EU ausfällt. Da diese nun um einige Prozent gesunken ist, ist auch jener gesunken. Man glaubt es kaum. Was soll ein seriöser Mensch mit einer Frage, ob man für oder gegen die EU ist, anfangen? Gehirnbefreite Empirie Marke dieser hat Konjunktur. Die KPÖ könnte man beispielsweise mit einem Demokratiemonitor traktieren. Der grüne Parteichef Werner Kogler tut sich ja bereits fremdschämen. Ganze Akademien und Forschungsinstitute produzieren auf diesem Niveau laufend Schrott unter der Devise: „Wissenschaftliche Studien sagen …“

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Dummvögel?

Man kommt den Rechten stets zuvor, indem man selbst anstellt, was man ihnen zu Recht unterstellt. Das Autoritäre und Restriktive ist nicht einer bestimmen Position zuzuordnen, es liegt in der Dynamik der krisenhaften Verhältnisse selbst. Frontex ist überall, Remigration detto. Dies aufzuzeigen wäre eine Aufgabe anstatt in das blödsinnige Spiel der guten Demokraten gegen die bösen Autokraten einzustimmen. Dieses nützt nicht bloß letzteren, es lenkt auch von den Machenschaften ersterer ab. In die Fratze der Etablierten soll vor lauter Fixierung auf die Kickl-FPÖ erst gar nicht geschaut werden.

Das ist wirklich eine Strategie in den Untergang. Aktuell besteht sie darin, die ÖVP anzuflehen, nicht mit der FPÖ zu koalieren. Geht es noch erbärmlicher? Wie man das inhaltlich begründen will, ist ein völliges Rätsel. Bar jeder Erkenntnis wird hier das Gegenteil von dem eingefordert, was sich aufdrängt. Die schwarz-blauen Koalitionen in Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg sind in sich absolut logisch. Da regiert, was zusammen passt. Das soll man nicht mögen, aber man sollte es erkennen. Gutmenschen müssen nicht unbedingt Dummvögel sein. Nicht?

Wenn es gegen AfD und FPÖ geht, dürften alle geistigen Dämme brechen. Da greift die liberale Mitte des staatstragenden Patriotismus selbst tief in die nationalistische Schmutzkiste: „Landesverräter“ nennt Der Spiegel die AfD-Truppe. Und gar als einen „Volksverräter“ bezeichnet die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer den FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl. Die FPÖ sei überhaupt eine „heimatverräterische Partei“. Da hat eine den Antifaschismus wohl in die falsche Kehle bekommen. Oder verwechselt sie ihn gar mit seinem Gegenteil? Es sage niemand, diese Wörter seien nicht kontaminiert. Die Frage lautet nur: Ist Sigi Maurer eine Lehrlingin, eine Gesellin oder eine Meisterin der Volksverblödung?

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Russen!

Spionage ist böse. Zweifellos. Oder? Indes, Spionage ist – solange es Staaten gibt – absolut obligat. Selbst Obama ließ das Handy von Merkel abhören. Jeder Staat hat seine Spione, und die Übergänge vom Informanten zum Agenten sind fließend. Die Empörung darüber, dass spioniert wird, ja noch dazu, dass die Russen uns ausspionieren, ist so dumm, dass es dümmer gar nicht mehr geht. Wer hätte das gedacht? Da befindet man sich nicht nur laut Baerböckin im Krieg und wundert sich, dass hier alle Register der Feindaufklärung und Feindbekämpfung gezogen werden. Sauer ist man in EU-Landen aber vor allem darüber, dass dieses Russenpack logistisch aufgeholt hat.

Ja sogar die Wahlen wollen sie beeinflussen, die Russen. Sowas. Jedem denkenden Menschen müsste klar sein, dass das russische Interesse aktuell nur so funktionieren kann, Strömungen, Kräfte und Meinungen zu fördern, die die offizielle westliche Kriegsbegeisterung schwächen. Dafür nehmen (nicht nur!) Putin&Co Geld in die Hand, schleusen Agenten ein, heuern Egistos und Wirecard-Burlis an, stören Datensysteme, versuchen über diverse Kanäle Informationen einzuholen und über ebendiese Desinformation zu verbreiten. Was ist daran überraschend, noch dazu, wo Krieg gärt? Die Logik, dass diese Logik nicht sein darf, solange diese Logik herrscht, entbehrt jeder Logik. Das ist nicht übler als umgekehrt. Dass die Wertekrieger des Wertewestens nie und nimmer wo Wahlen beeinflussen wollen oder gar bunte Revolutionen anzetteln, das glauben doch nicht einmal die gut gefütterten Brotköpfe der Journaille.

An der Spionage ist nichts verwerflicher als am Staat selbst. Solange dieser existiert, gehört jene dazu. Von Fake zu Fake sei gesagt: Jeder Staat will durch mannigfaltige Agententätigkeiten Wahrheiten einheimsen und Unwahrheiten aussetzen. Dafür ist dieser Aufklärung auch jedes Mittel der Verdunkelung recht: Lüge, Intrige, Halbwahrheit, Erpressung, Diebstahl, Mord, das gehört zum Repertoire erweiterter Kriegsführung. Die Aufgedeckten sind jedenfalls weniger als die Nicht-Entdeckten. Daran wird sich auch nichts ändern. So geht Außenpolitik. Spionage ist nichts anderes als investigativer Journalismus auf der Ebene von Staaten und Firmen, Banken und Banden. Wer’s nicht glaubt, möge uns die substanzielle Differenz zwischen Agenturen und Geheimdiensten erklären.

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