Tot oder marod?
von Franz Schandl
Sind die so dumm oder stellen die sich absichtlich so blöd an? Diese Frage drängt sich tatsächlich auf, beobachtet man die aktuelle Auseinandersetzung um die Parteispitze. Will die SPÖ sich abwickeln? Dann ist das die richtige Strategie. Früher galt: Die Organisation organisiert und die Funktionäre funktionieren. Doch inzwischen scheint alles dysfunktional geworden zu sein. Der Apparat agiert weniger robust als chaotisch. Sitzungen erinnern an basisdemokratische Gehversuche der frühen Grünen, wo Formfragen zu elendslangen Debatten führten, und zum Schuss alle geschlaucht, aber niemand zufrieden ist.
Es ist weniger die Schärfe des Zwists, die auffällt, als der konzentrierte Dilettantismus, der hier Platz gegriffen hat. Von Professionalität keine Spur. Die Vorsitzfrage ist der SPÖ völlig entglitten. „Wir bieten seit Monaten eine erbärmliche Darstellung“, urteilt der Ex-Bürgermeister von Wien, Michael Häupl. Und das strömungsübergreifend. Wobei der Terminus „Strömung“ übertrieben ist. Es sind eher temporale Zweckbündnisse, die hier ein durchaus intrigantes Spiel aufführen. Das Beherrschen einfachster organisatorischer Regeln scheint Geschichte zu sein. Die Spieler beherrschen nichts mehr, nicht einmal sich selbst. Besonders empfindlich reagiert gerade der Heckenschütze der letzten Jahre. Nachdem Rendi-Wagner und ihr Mentor, der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig sich erfrecht hatten, verbal zurückzuschlagen, beklagt sich Österreichs bekanntester Polizeisozialist in geradezu weinerlichem Ton: „Die hauen mich, die haben mich gehaut!“ Na sowas. Verletzte gibt es nun denn zuhauf, stellt sich nur noch die Frage, wer am Ende tot oder bloß marod ist.
Was ursprünglich nach einem Duell zwischen der Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner und ihrem Herausforderer, dem burgenländischen Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil ausgesehen hat, ist zu einem Dreikampf geworden. Andreas Babler heißt der Überraschungskandidat. Der Bürgermeister von Traiskirchen, der gerne als linker Flügelmann etikettiert wird, ist allerdings ein Flügelmann ohne Flügel. Denn ein solcher Flügel existiert nicht, sieht man von einigen links blinkenden Genossinnen und Genossen ab. Indes gibt es an der Parteibasis nicht wenige, die sowohl Rendi-Wagner als auch Doskozil eins auswischen wollen. Die werden, sofern sie wählen, für Babler votieren. Er wird ein besseres Ergebnis erzielen als er Zustimmung hat.
Babler wird aber nicht den Corbyn machen, auch wenn er in diesem Streit gut abschneiden sollte. Babler ist weniger ein Symptom des Aufbruchs als ein Ausreißer des Niedergangs, einer, der bisher auch immer von der nächsthöheren Parteietage limitiert worden ist. So vergönnte man ihm nach seinem erfolgreichen Vorzugsstimmenwahlkampf in Niederösterreich nicht einmal ein Landtagsmandat, sondern schob ihn in den unbedeutenden Bundesrat ab. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass niemand eine absolute Mehrheit zustande bringt. Den jeweiligen Unterstützern fällt es nicht leicht sich zu sortieren, geschweige denn zu formieren: Wer protegiert wen? Wer hält sich bedeckt? Wer agiert hinterrücks? Wer wartet ab? Wer zahlt drauf? Die Stimmungen bei den Parteimitgliedern ist außerdem schwerer einzuschätzen als im Wahlvolk insgesamt. Es ist nicht auszuschließen, dass Minderheiten besser mobilisieren als Mehrheiten.
Bis 10. Mai kann nun per Brief und im Netz gewählt werden. Ende Mai soll das Ergebnis feststehen. Ein Parteitag am 3. Juni soll die Vorentscheidung absegnen. Bis dahin treibt man die Sozialdemokratie durch die mediale Arena. Das Getöse ist groß. Das Schauspiel interessiert mehr als das Resultat. Die nächsten Wochen werden turbulent. Die Nervosität steigt. Bruchlandungen sind nicht ausgeschlossen. Es ist schwer zu sagen, welche Dynamik substanziell ist und welche nur der unmittelbaren Aufregung und Inszenierung folgt. Ob das Procedere zu einer Klärung führt, ist ungewiss. Im Windschatten stabilisiert sich übrigens die Volkspartei auf niedrigem Niveau. Der weitere Abstieg scheint gebannt. Aller Voraussicht nach werden SPÖ und ÖVP bei den nächsten Nationalratswahlen um den zweiten Platz rittern. Der Vorsprung der Kickl-FPÖ hat sich inzwischen kontinuierlich vergrößert.