Sozialdemokratische Kreuzwege
von Franz Schandl
Ursprünglich begann mein Beitrag so:
Und wieder ist es knapp geworden. Wären nur 20 Stimmen der Delegierten vom burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil zum Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler gewandert, hätte dieser das beispiellose Scharmützel um den Parteivorsitz gewonnen. 53 zu 47 Prozent, lautet das Ergebnis, das der außerordentliche Parteitag der SPÖ am letzten Samstag da abgeworfen hat. Doskozil hat sein Ziel zwar erreicht, aber er ist gerade mal durchgekommen, mehr nicht. Äußerst mühsam schleppte er sich ins Ziel. Beide Quoren, sowohl jenes der Mitgliederbefragung als auch jenes vom Parteitag waren nicht überzeugend.
So lautete der erste Absatz eines Artikels, den ich entsorgen musste, denn am Montag Nachmittag kam die Botschaft, dass das Resultat nicht stimme, ja dass es umgekehrt sei, weil man in einer Excel-Tabelle die Personen falsch zugeordnet hatte. Nicht Doskozil sondern Babler hat diese Wahl gewonnen und ist daher der neue Vorsitzende der SPÖ.
Zweifellos beeindruckte der als Rebell gehandelte Babler in den letzten Wochen mehr als der ehemalige Landespolizeikommandant. Babler bewies auf jeden Fall mehr Gespür für die Delegierten, ihm flogen der Herzen mehr zu als dem Burgenländer, wesentlich geschickter zog er die emotionalen Register. Trotzdem waren viele seiner Stimmen weniger Stimmen für ihn als Stimmen gegen Doskozil. Es gibt bisher auch kein Babler-Lager, höchstens einige linkssozialistische Zeltlager. Inhaltlich stehen sich etwa Doskozil und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig näher als Ludwig und Babler. Und doch unterstützte Ludwig Babler. Das hat atmosphärische Gründe. Je mehr Doskozil agierte, desto mehr Gegner zog er sich zu. Die Geister, die er beschwörte, haben sich gegen ihn gewandt. Schon das matte Ergebnis bei der Mitgliederbefragung hätte stutzig machen sollen. Doskozil war da bereits auf dem absteigenden Ast. Die Dynamik sprach für Babler, der ganz ohne Hausmacht und dezidierten Rückhalt in den Parteiapparaten sich für diese Kandidatur entschieden hatte. Doch die Kader sind wund, sie haben keine Schlagkraft mehr und abgestimmt wurde geheim.
Knapp vor dem Parteitag lancierte man ein antikommunistisches Attentat, schließlich war Babler jahrelang Exponent der leninistischen Stamokap-Theorie, und wenn man so will, Exponent einer imaginären SPÖ-ML. Ziemlich retro. So wurde ein Video aus dem Jahr 2020 abgespult, wo Babler in rüder Manier über die EU herzieht, er bezeichnet sie als „das „aggressivste außenpolitische Bündnis, das es je gegeben hat“, sie sei sogar noch „schlimmer als die NATO“. Mehr hat er nicht gebraucht, um das Empörungsorchester ins Fortissimo zu versetzen. Durchgeknallte Medien halluzinierten gar ein neues Ibiza. Indes, das geht nicht mehr so rein wie in den vorangegangene Jahrzehnten. Die Wahlerfolge der KPÖ in Graz und in Salzburg demonstrieren, dass die Zeiten sich ändern. Außerdem sagt niemand, was an solchen Aussagen falsch sei. Was der Traiskirchner Bürgermeister da von sich gab, ist aber nicht gestattet, derlei ist einfach unzulässig. Anton Pelinka, gesamtliberaler Politikwissenschafter der alten Garde nannte es „geschichtsvergessen, naiv, unpolitisch und kindisch“. Da schrammte einer knapp an der Exkommunikation vorbei. Die oft gestellte Frage „Wie EU-kritisch darf ein SPÖ-Chef sein?“, ist leicht zu beantworten: Gar nicht! Aber nicht wenige Parteifreunde plädierten für Gnade. Er wird es schon lernen. Puncto Ukraine ist er bereits brav auf Linie. Auch das Bundesheer will er inzwischen nicht mehr abschaffen.
Der Parteitag endete für die SPÖ somit in einem Desaster sondergleichen. 600 Stimmen nicht korrekt auszählen zu können, das kriegt sonst niemand hin. Die „Passionsgeschichte der Sozialdemokratie“ (Franz Schuh) geht in die nächste Runde. Aktuell ist der neue Vorsitzende im Parteivorstand und im Parlamentsklub in der Minderheit, fast alle Landesorganisationen unterstützten offiziell seinen Gegenspieler. Geschick kann man Andi Babler jedenfalls nicht absprechen. Organisatorisch und taktisch dürfte der neue Mann seinen Kontrahenten weit überlegen sein. Fad wird das nicht.