Kurzer Prozess?
Von Franz Schandl
Worum es geht? Konkret geht es um den Vorwurf in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt zu haben. Dort stehen Zeugen unter Wahrheitspflicht. Was Kurz angekreidet wird, kann man allerdings kaum unter die Rubrik eines gröberen Vergehens einordnen. Substanziell ist an der Sache weniger dran als der Hype nahelegt. Die immer wieder vorgelegten und vorgelesenen Chats zeigen wie führende Kreise der türkisen ÖVP ticken. Doch das hätte man ohnedies wissen können. Das Sittenbild mag verheerend sein, aber interessiert das, abseits des Getöses, wirklich?
Viele meinen, dass Kurz nach diesem Verfahren wohl endgültig erledigt sein könnte. Indes, eine Verurteilung ist alles andere als sicher. Dieser Schuss kann auch kräftig nach hinten losgehen. Der letzte große Fall der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen den ehemaligen Grünmandatar Christoph Chorherr endete mit einer peinlichen Niederlage. Alle Angeklagten mussten freigesprochen werden. Zur Zeit erfüllt der Prozess eher die Funktion, Kurz stetig Aufmerksamkeit zuzuführen, mehr als es jede Eigen-PR bewerkstelligen könnte. Die Popularität des Ex-Kanzlers wird am Köcheln gehalten.
Vergessen wir nicht: Sebastian Kurz wurde nicht politisch demontiert, sondern er wurde juristisch so lange sekkiert, bis er im Oktober 2021 sichtlich entnervt als Kanzler das Handtuch geworfen hat und von allen Funktionen zurückgetreten ist. Schadenfreude sollte sich in Grenzen halten, auch wenn es den „Richtigen“ getroffen haben mag. Primär war es einer dieser digitalen Unfälle, die sich in letzter Zeit häufen. Kurzens ÖVP-Knaben (hauptsächlich Männer und sehr jung) hatten unterschätzt, dass sie da, einmal offen gelegt, in Folge auch offen gelegt werden können. Ohne die geleakten Chats und abgenommenen Handys würde Kurz heute noch im Kanzleramt sitzen und die ÖVP ihrem Wunderwuzzi zu Füßen liegen. Dies mag man bedauern, aber man sollte es nicht bestreiten.
Die böse Wahrheit ist, dass Kurz an Akzeptanz verloren hat, nicht weil er dieses oder jenes angestellt hat, sondern weil er damals vor einer Kampagne in die Knie gegangen ist. Die Methode Netanyahu, was meint: Ignorieren-Attackieren-Prolongieren, hat er gar nicht erst ausprobiert. Das war von seiner Seite aus betrachtet vielleicht ein Fehler, sieht man sich etwa an, wie das Phänomen Donald Trump nach wie vor reüssiert. Man darf gespannt sein, welche Taktik Kurz nun einschlagen wird. Wenn er etwas zugibt, also nachgibt, dann werden seine politischen Perspektiven sich nicht verbessern. Schwäche wird nicht goutiert. Kurz selbst scheint zu schwanken, ob er sich eine Offensive zutrauen soll oder nicht. Vor allem auch: wer trägt sie aktiv mit? Gleich zu Prozessauftakt bemühte er sich jedenfalls die Gerichtsbühne in eine Politbühne umzubauen und seine Opferrolle zu unterstreichen.
Das Narrativ der Kurzcompany lautet ungefähr so: Die Linken (für sie SPÖ, Grüne, Liberale) stecken mit Medien, Staatsanwaltschaft und Gerichten unter einer Decke und wollen den armen Basti fertigmachen. Das ist natürlich eine Schauergeschichte. Was aber stimmt, ist, dass viele seiner Gegner immer noch ganz auf ihn fixiert sind, sich wie ein negativer Fanclub verhalten: „Kurz muss weg!“, ist ihr bedeutendster Slogan, eine Parole, die ihrem Objekt an Dürftigkeit zweifellos gleichkommt. Es gibt jedenfalls keine Debatte über das System Kurz, was es gibt, ist die schräge mediale Inszenierung, wo Heldenverehrung und Heldensturz sich wechselseitig aufschaukeln. Die Frage, ob nicht durch die inflationäre Anrufung der Gerichte zu viel Justiz in die Politik gerutscht ist, ob das Verhältnis zwischen Exekutive, Legislative und Judikative nicht zusehends aus den Fugen gerät, die wird gar nicht erst gestellt. Die gesellschaftlichen Konfrontationen werden sich diesbezüglich weiter zuspitzen, die Kampagnen verschärfen. In der politischen Arena ist der Teufel los. Akteure und Einflüsterer werden sich allesamt nicht mehr einbremsen, ja sie werden sich nicht einmal mehr einkriegen können!
P.S.: eine verlängerte Fassung des Artikels ist auch in der Printausgabe von „Die Presse“ am 10. November 2023 erschienen.