Ungeplante Höhenflüge
von Franz Schandl
Wie sich die Zeiten doch ändern können, ohne dass man so recht weiß, warum. Sebastian Kurz erschien als unschlagbar und Pamela Rendi-Wagner erschien als untragbar. Das war vorgestern. Jetzt sieht es ganz anders aus. Die SPÖ befindet sich im Hoch. Glaubt man den Meinungsumfragen, dann ist sie zuletzt sogar über die 30-Prozentmarke geklettert und rangiert satte 10 Prozentpunkte vor der regierenden Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Freilich sind diese Umfragen mit Vorsicht zu genießen, vor allem die Freiheitlichen werden dabei immer unterdotiert. Tatsache aber ist wohl, dass Volkspartei und Grüne meilenweit von einer gemeinsamer Mehrheit entfernt sind, sodass die Weiterführung der schwarz-grünen Koalition nach den nächsten Nationalratswahlen ausgeschlossen werden kann. Das heißt aber auch, dass wenn nichts Gröberes passiert, die Koalition bis 2024 halten wird. ÖVP und Grüne werden sich hüten, Neuwahlen loszutreten. Indes ist es schon sehr lange her, dass eine Legislaturperiode nicht vorzeitig beendet werden musste.
Die ÖVP, die sich nun schon seit 1987 an der Regierung hält, dürfte sich überhaupt schwertun, zukünftig einen Partner zu finden. Niemand will mit ihr. Man möchte die Kanzlerpartei von den Ämtern fernhalten und sie von den Futtertrögen verscheuchen. Alle haben sie satt. Nach dem sagenhaften Höhenflug unter Sebastian Kurz, ist die Volkspartei wieder dort, wo sie vor Kurz gewesen ist. Tendenz fallend. Die nächsten Wahlgänge werden diese Schwächen offenbaren. Das lässt sich auch nicht korrigieren, ein zweiter Kurz ist nicht in Sicht, und es stellt sich außerdem die Frage, ob binnen so kurzer Frist, zweimal der gleiche Coup gelingen könnte. Aktuell erscheint die ÖVP als die Skandalpartei schlechthin, stolpert von einer Anzeige in die nächste Razzia. Permanent ist ihr die Staatsanwaltschaft auf den Fersen. Die Volkspartei muss aufpassen, nicht bald als kriminelle Organisation anerkannt zu werden.
Der Aufstieg der Sozialdemokraten korrespondiert mit dem Abstieg der Christkonservativen. Votiert wird heute weniger für jemanden als gegen jemanden. So bedient man regelmäßig das kleinere Übel. Offensive Politiken betreiben heute fast ausschließlich rechte Populisten. Recht erfolgreich noch dazu. Auch in Österreich liegen die Freiheitlichen nicht schlecht. Die Affären sind zwar nicht vergessen, aber gegessen. Wenn da was war, Stichwort „Ibiza“, dann ist es ohne Belang. Schon die Bundespräsidentschaftswahl im Oktober wird das zeigen. Sowohl in der COVID-Frage als auch im Ukraine-Konflikt, ist die FPÖ die einzige konsequente Oppositionspartei, die gegenwärtig im Parlament vertreten ist. Das wird sich rentieren.
Die ökonomischen Krisen spielen allerdings der Sozialdemokratie in die Hände. Die Partei beherrscht ganz geschickt die soziale Klaviatur, und wirkt dabei durchaus glaubwürdig. Soeben hat sie das Modell einer Übergewinnsteuer für Energiebetriebe vorgelegt. Dass es jetzt wahrscheinlich zu einer Deckelung der Gas- und Strompreise kommt, wird sich die SPÖ auf ihre Fahnen heften. Von links droht ihr nicht einmal in Ansätzen Ungemach. Sie wird sich nach der nächsten Nationalratswahl aussuchen dürfen, ob sie eine Koalition mit der ÖVP bildet oder doch mit Grünen und liberalen Neos ein Bündnis eingeht. Letzteres ist wahrscheinlicher. In der Farbenlehre hieße das dann rot-grün-pink. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass beide Varianten nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügen resp. diese sogar verpassen, vor allem wenn sich das Parteienspektrum noch zusätzlich auffächern sollte.
Vor einigen Monaten noch glaubte man, Rendi-Wagner sei ein totes Pferd. Dass das mit ihr nichts wird, ja auch nichts werden kann, war medialer Konsens. Spott und Häme waren ihr sicher. Nicht selten delektierte man sich an misslungenen Auftritten. Genüsslich wurde sie vorgeführt und auseinandergenommen. Rendi-Bashing hatte Saison. Auch in der eigenen Partei bekam sie den Unwillen einiger männlicher Granden zu spüren. Dass sie nicht gleich Andrea Nahles abserviert wurde, ist hauptsächlich dem Umstand zu denken, das damals niemand den Vorsitz sollte. Insbesondere der burgenländische Landeshauptmann, Hans-Peter Doskozil, hat sich hier unzählige Male hervorgetan. Noch unlängst meinte er, es sei nicht sicher, ob die Bundesvorsitzende die SPÖ auch als Spitzenkandidatin in die nächsten Nationalratswahlen führen werde. Doch der Gegenwind ist schwächer geworden, sowohl in der Partei als auch in Medien und Gesellschaft. „Ich bin eine krisenfeste Politikerin“, sagt sie heute.
Inzwischen hat Rendi-Wagner zu ihrer Routine gefunden. Heillos überfordert, das war gestern. Das tote Pferd gilt nun als Zugpferd. Der Politbetrieb hat ihr mit „Learning by Doing“ eine adäquate Performance beschert. Rendi-Wagner hat viel geübt. Nicht, dass sie heute etwas anderes sagt als früher, aber sie sagt es anders. Die Beholfenheit ist eingekehrt. Und zäh ist sie zweifellos, das muss man ihr lassen. Vor zwei Jahren hatte sie nichts mehr zu verlieren, also blieb sie, schlechter konnte es nicht mehr werden und tatsächlich wurde es besser. Die obligate Antwort auf die Frage, ob Rendi-Wagner Kanzlerin kann, bisher meist mit „Nie und Nimmer!“ beantwortet, wurde von einem dezidierten „Warum nicht?“ abgelöst.
Sogar die parteiinternen Forderungen nach einer „Gesamtstrategie“ sind verstummt. Wenn man so gut liegt, dann muss man eine Strategie gehabt haben, oder? Nachher wird es heißen, dass sie alles goldrichtig gemacht haben. In Sekretariaten und Warrooms der SPÖ bildet man sich das bereits jetzt ein. Der Höhenflug schuldet sich aber mehr den äußeren Umständen als ungeahnten inneren Kräften. Es ist ein Blindflug, der zur sicheren Landung ansetzt. Sie wissen nicht, was sie tun, aber es wird glücken. Indes ist die SPÖ (sieht man sie sich in Ländern und Gemeinden genauer an) nicht weniger verbraucht und marod als die ÖVP.
Pamela Rendi-Wagners Chancen stehen nicht schlecht. Puncto Ukraine gibt man sich zurückhaltend. Auch die Corona-Politik – hier empfahl sie meist einen restriktiveren Kurs als die Regierung – tut dem keinen Abbruch. Noch dazu gilt die Epidemiologin als Frau vom Fach. Von Lauterbachs rigiden Positionen ist sie zwar nicht weit entfernt, doch verfügt sie zweifellos über mehr Charme und Finesse als der deutsche Gesundheitsminister. Auch wenn ihr schon mal Sätze wie „Wieviel Tote müssen noch sterben?“, unterlaufen können, ist die Tirade nicht ihr Metier. Kapriolen sind da allerdings nicht ausgeschlossen. Ursprünglich gegen die Impflicht, war sie zwischenzeitlich eine ihrer vehementesten Verfechterinnen, heute jedoch sagt sie: „Den toten Gaul Impfpflicht kann man nicht mehr reiten.“
Ein Unsicherheitsfaktor ist freilich Christian Kern, Rendi-Wagners Vorgänger als SPÖ-Chef und nach einigen Monaten glücklos gestrauchelter Kanzler. Kern hat sie 2016 als Gesundheitsministerin installiert. Und nachdem er sich 2018 in der Rolle des Oppositionsführers nicht und nicht hineinfinden konnte und genervt aus der SPÖ-Obmannschaft türmte, hat er sie sich als Nachfolgerin ausgesucht und der Partei hinterlassen. Nun lässt er schon des Längeren sticheln. Gelegentlich werden Gerüchte von den „besten Köpfen“ gestreut, die er sammeln könnte, um noch einmal selbst in den Ring zu steigen. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. In der Partei weint ihm jedenfalls niemand eine Träne nach. Es ist auch kaum anzunehmen, dass sich die meisten beim Name-Dropping Genannten auf ein solches Abenteuer einlassen würden. Mehr als den SPÖ-Wahlerfolg zu schmälern, würde Kern nicht gelingen. Überhaupt wirkt er wie die beleidigte Leberwurst, als einer, der unfähig ist, Selbstkritik zu üben und sich nicht eingestehen möchte, dass seine Zeit schon abgelaufen war, bevor sie begonnen hat. Das wird, auch wenn es wird, nichts werden.