Make Villages Not War!
von Franz Nahrada
Seit dem 24. Februar 2022 wird nicht nur in der Ukraine gebombt und geschossen, sondern es brechen auch über Generationen mühsam aufgebaute geistige Gebäude, mühsam gewonnene Einsichten und Weltsichten wie Kartenhäuser zusammen. Gerade noch eben wussten viele, dass die bestehende politische, soziale und ökonomische Ordnung der Welt ein hundertprozentig garantierter Weg ist, unsere planetaren Probleme nicht zu bewältigen und am Projekt der Menschheit zu scheitern. Gar nicht so wenige meinten auch, dass diese Ordnung am Zusammenbrechen ist, dass nur ein globales kooperatives Projekt der totalen Transformation hier noch Abhilfe schaffen kann. Und einige wussten schon, dass der Zusammenbruch von den Rändern des warenproduzierenden Weltsystems ausgeht, dort wo sich die Verluste und Schäden akkumulieren und mittlerweile nicht nur das Leben von Menschen, sondern den planetaren Stoffwechsel schlechthin zerstören. Und sie wussten auch, dass eine hegemoniale Weltordnung darüber wacht, dass das alles so bleibt, dass überlegene Gewalt die Bedingung aller Geschäfte ist und diese Weltordnung darauf basiert, dass aller natürliche und gesellschaftliche Reichtum weltweit der Vermehrung des Kapitals dienlich zu sein hat.
Sehr viele wussten zumindest das: dass im Falle des Misslingens der wechselseitigen Benutzung von Staaten die Aufkündigung des Zustands namens Frieden, in dem alle Kriegsgründe geschaffen werden, immer eine Option ist. Dass Staaten Armeen unterhalten und im Fall des Falles alle von ihnen eingerichteten Privatverhältnisse und Privatbefindlichkeiten durch staatliche Verfügung aufzuheben imstande sind. Dass Staaten für die Erhaltung ihrer Macht, die die ultimate Bedingung aller Geschäfte ist, diese Geschäfte auch unterbinden können, allen gesellschaftlichen Reichtum samt Leib und Leben ihrer Untertanen zur Verteidigung zwangsverpflichten, mit brutaler Gewalt Gehorsam im Inneren erzwingen und jeden Einwand zum Hochverrat erklären können.
Und ausgerechnet das absehbare „präventive“ Aufbegehren eines staatlichen – nämlich des russischen – Selbstbehauptungswillens, der im Besitz der dazu nötigen Gewaltmittel inklusive Atombomben ist und dem sein lokaler Imperialismus vulgo „Einflusssphäre“ durch konsequente Einkreisungspolitik über Jahrzehnte bestritten wurde, der russische Einmarsch in die Ukraine also, scheint diese Einsichten zu Fall zu bringen! Ausgerechnet deswegen, weil einen das staatlich sanktionierte Morden erschüttert, soll es die einzig angemessene Reaktion sein, tief im Innern für die eine – nämlich die „liebe Nato“, wie Jungmädchen auf der Wiener Demo skandierten, und gegen die andere – „Monster Putin“ – Seite zu sein? Man erfährt, was die Privatperson im Krieg zählt, nämlich gar nichts, und wünscht dem Krieg nicht das sofortige Ende, sondern die intensivierte Fortsetzung mit richtigem Ausgang? Gehts noch? Plötzlich soll die bestehende Weltordnung, die wir in den letzten Jahrzehnten in aller Brutalität zuschlagen sahen, eine positive Bedingung für all das sein, was sie gerade mit aller Wucht von der Tagesordnung absetzt, weil sie sich weder von „Sustainable Development Goals“ noch von sonstwas abhängig macht. Aggressiver als je zuvor – zumindest seit den sechziger Jahren – werden wir aufgefordert Partei zu ergreifen fürs Benzin-ins-Feuer-Werfen, Waffen liefern und ja keinen Kompromiss mit „Putin“ auch nur für wünschenswert zu halten. Schlussien mit Russien!
Eines steht fest: Aufrüstung wird den Frieden nicht sichern, sondern uns endgültig daran hindern, unsere Lebensweise auf diesem Planeten entscheidend umzubauen. Ernsthaft: die Zeit der Weltmächte, die sich in überreichlichem Maß Gewaltmittel verschafft und deren Einsatz auch schon durchgeplant und vorbereitet haben, um auf einer finalen Stufe als „Kollateralschaden“ ihrer kriegerischen Kollision einen Großteil der Menschheit umzubringen und die Lebensbedingungen auf der Erde zu zerstören – eine „Eskalation“, von der beide Seiten versichern, dass sie nie stattfinden darf und mit der genau so ständig gedroht wird – diese Zeit der Weltmächte müsste vielmehr raschest zu Ende gehen, bevor es endgültig zu spät ist. Weil es keine größere Gefahr für Natur und Mensch gibt als den Kampf der Imperien, ihre Ansprüche, ihre Geschäfts- und Gewaltmittel und ihre totale Rücksichtslosigkeit in ihrer wechselseitigen Konfrontation. Stattdessen sehnt sich jetzt Hinz und Kunz nach einer „Weltmacht Europa“! Angeblich weil es ja so „alternativlos“ ist! Und um das Maß voll zu machen, sind es ausgerechnet Linke und Grüne, die im vollen Bewusstsein ihres Duchblickertums und ihrer überlegenen Werte die größten Scharfmacher geben.
Ich habe mich seit Jahrzehnten aus der organisierten und auch diskursiven Linken zurückgezogen, weil ich der festen Ansicht bin, dass es für die Überwindung des herrschenden Bewusstseins nicht ausreicht, sich die Defizite der bestehenden Ordnung vor Augen zu führen. Kritik bleibt ohnmächtig, wenn sie nicht mit einer Vision und einer pragmatischen Perspektive zur Umsetzung dieser Vision verbunden ist. Und die Vision wie die Kritik müssen von Sachkenntnis, von wissenschaftlichen Einsichten verbunden mit einer soliden Vorstellungskraft getragen sein. Sie müssen die Wurzeln des Zukünftigen, seine Keimformen im Bestehenden einbeziehen, genauso wie sie die Defizite, die noch zu erledigenden Aufgaben für die zu bauende Welt im Blick haben müssen. Sie müssen eine starke und überzeugende Grundgestalt aufweisen, die Lösungen für eine ganze Welt tragen kann. Und sie müssten mit allen Mitteln der politischen Kunst,von Diplomatie bis hin zum gewaltfreien Widerstand, in die Welt gebracht werden.
Diese Grundgestalt besteht für mich in der planetaren Kooperation für die Arbeit am Lokalen, wie sie das scheinbare Oxymoron von den „globalen Dörfern“ ausdrückt. Nur die zunehmende Aufmerksamkeit auf die Gestaltung des Lokalen, unserer Lebensräume, ist die einzige langfristige Friedensperspektive, die diese Welt hat. Denn wenn wir unsere Nachbarschaft, unser Dorf, unsere Gemeinde und unsere Region als stellvertretend für eine Zelle oder ein Zellgewebe in einer gesunden Erde sehen und darauf hinarbeiten, ein Beispiel zu geben, dann tragen wir dazu bei, dass überall Modelle eines guten Lebens für alle entstehen können. Noch nie konnten wir besser gemeinsam als globales Gehirn an der Lösung der mannigfaltigsten lokalen Probleme arbeiten, und noch nie lag es so nahe, alles Wissen zu teilen, weil sich damit alle Gemeinschaften und Gesellschaften auf der Welt immer besser und intensiver nach innen entwickeln können. In diesem Sinn: Make Villages, Not War! We will rebuild a peaceful world from the grassroots !