Lavieren statt eskalieren
von Franz Schandl
Kaum ein Land ist abhängiger von russischen Gaslieferungen als die Alpenrepublik. Das betrifft sowohl die Industrie als auch die Privathaushalte. Indes ist Österreich mit dem importierten Erdgas immer recht gut gefahren. Vor allem ökonomisch. Erst 2018 hat man deswegen längerfristige Lieferverträge mit Moskau abgeschlossen, die nunmehr als aberwitzig gelten, vor allem was Laufzeiten und Ausstiegskriterien betrifft. Vor vier Jahren galt das aber als vorzüglicher Deal, kritisiert nur von der US-Administration, die solch Abhängigkeit stets geißelte, und diese durch eine andere ersetzen wollte.
Österreich war seit 2014 ein Vertreter der westlichen Sanktionspolitik. Offiziell – inoffiziell war man seit Anbeginn dagegen. Primär erfüllt man hierzulande seine Empörungspflicht. Wollen tut man nicht, aber müssen tut man schon. Am Liebsten hätte man eine rasche Rücknahme der Maßnahmen, etwa gleich der vor kurzem vollzogenen Demontage der Impfpflicht. Erst letzte Woche stellte der Präsident der Wirtschaftskammer und vormalige ÖVP-Wirtschaftsminister, Harald Mahrer, die EU-Sanktionen in Frage. Der Sturm der Entrüstung folgte prompt.
Österreich macht mit beim Wertgeschwätz der Wertegemeinschaft, Österreich lässt aus, wenn es darum geht, weitere Schritte zu setzen. Von Enthusiasmus keine Spur. Man ist Gefangener der eigenen Politik, macht gute Miene zum bösen Spiel. Eigentlich möchte man eine Ruhe haben und nicht belästigt werden. Bundeskanzler Karl Nehammer bemüht sich jedenfalls redlich wie unredlich, all diese Widersprüche zu verschleiern, um den medialen Standgerichten zu entgehen. Das ist in Zeiten unseliger Frontpropaganda keine Lösung, aber doch schon fast wieder eine Leistung. Lavieren statt eskalieren, ist die Devise. Gerne wäre man ein Mäuschen, um zu hören, was Putin von Nehammer bei Telefonaten und Treffen wirklich zu hören bekommt. Auf jeden Fall dürfte es nicht die obligate Drohbotschaft sein, Marke: „Wir wollen deinen fossilen Dreck nicht, aber wehe, wenn du ihn nicht mehr lieferst.“
Dass man in Österreich nun in Braunkohle und Erdöl die „neuen“ Alternativen zu Erdgas sieht, ist nicht nur ein ökologischer Rückschritt, es ist auch kaum realistisch. Die Reinstallation stillgelegter Kraftwerke ist mühsam, teuer und aufwendig. Und das Öl, das das Land importiert, kommt zu einem großen Teil aus Kasachstan. Es muss erst durch die Russische Föderation transportiert werden, bevor es seinen russischen Ausfuhrhafen erreicht. Putin, schlagfertig wie er ist, hat den kasachischen Erdölhahn gleich mal für einige Wochen zugedreht, um der Republik Österreich zu demonstrieren, dass es nicht so einfach ist, einfach umzudisponieren. Teurer wird es auf jeden Fall. Einmal mehr hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Überhaupt erweist sich der russische Präsident als schlauer, als seine Kontrahenten erlauben.
Aktuell ist es unmöglich, aus der Sanktionsspirale auszusteigen, daher dreht man sie weiter. Paket für Paket wird geschnürt. Die Maßnahmen schaden vor allem den eigenen Bevölkerungen. Sie wirken anders als sie sollen. Die Dynamik der Inflation wurde, wenn auch nicht durch dieses Verhalten ausgelöst, so doch durch dieses beschleunigt. Im Herbst wird dann die Teuerung erbarmungslos zuschlagen und das blindwütige Gerede von Freiheit und Werten einen noch größeren Dämpfer bekommen. „Russia is winning the economic war“, so der britische Guardian. Ausgeschlossen ist das nicht. Die EU-Staaten und insbesondere Österreich stecken in einem tiefen Dilemma. Politisch ist man nie auf der Höhe der Herausforderungen. Eine Verliererin des Ukrainekonflikts steht jedenfalls bereits fest: die Europäische Union. Interne Konflikte und insbesondere die komplexen Beitrittsdebatten werden sie zusätzlich schwächen.
Die EU hat sich (anders als die USA oder Russland) in eine aussichtslose Lage manövriert, die moralisch zugekleistert und ideologisch übertüncht wird. Man will nicht sehen, was los ist, weil los zu sein hat, was man sehen will. Die beschworene Einheit ist eine der Beschlüsse und keine der Umsetzung. So wies erst letzte Woche das Kieler Institut für Weltwirtschaft nach, dass die Kluft zwischen zugesagten und tatsächlich geleisteten Unterstützungen an die Ukraine groß ist. Trotz allem Getöse dürfte das eine korrekte Einschätzung sein.