SoLaKo – Solidarische LandwirtschaftsKooperative
von Dirk Raith
Jede SoLaWi ist individuell – die SoLaKo vielleicht etwas individueller: Hier kooperieren mehrere Betriebe, die Ernteteiler*innen händeln weitgehend die Organisation und sie bekommen dafür ein öko-solidarisches „Vollsortiment“ (fast halt) – in Summe ein kleines, feines, regionales Ernährungssystem, das da im Grazer Umland floriert.
Die Grundidee einer SoLaWi/ GeLaWi/ CSAist vielleicht geläufig: Verbraucher*innen finanzieren die Produktion auf einem Hof und erhalten dafür die Produkte. Klingt unspektakulär, macht aber einen großen Unterschied. Für Patrick Huiber, Mitbegründer und aktuell Obmann der SoLaKo, ist es ein „Paradigmenwechsel, weil man weg geht von ‚Ich produziere etwas und verkaufe das‘ hin zu ‚man betreibt gemeinsam Landwirtschaft‘.“ Und „gemeinsam“ heißt, dass man nicht nur die Ernte, sondern dann und wann auch das Risiko teilt, dass es keine gibt. Damit verwischen sich die Rollen: Konsument*innen werden zu Ernteteiler*innen, aber auch zu Teilhaber*innen. Sie können mitbestimmen, was und wie auf „ihrem Hof“ produziert wird – und sich auch an der Arbeit beteiligen. Auch das Verhältnis zwischen Geld und Gut löst sich auf: Was Ernteteiler*innen vorfinanzieren, ist nicht der Preis für eine Ware, sondern eine Investition in eine andere Art der Landwirtschaft, die man gemeinschaftlich bestimmt und entwickelt. Aus einer Transaktion wird quasi eine Interaktion: Während Markthandeln (kapitalistisch oder nicht) im Grunde eine Beziehung zwischen Waren darstellt, Menschen sich hier nur als Repräsentant*innen von Angebot und Nachfrage gegenüberstehen (die Marx’schen „Charaktermasken“), ist der Austausch in einer SoLaWi eingebettet in Beziehungen, die da und dort den „ganzen Menschen“ fordern. Die sprichwörtliche Gleichgültigkeit des Geldes (auch nicht immer schlecht) macht es hier zum Mittel einer grundlegend anderen Art zu wirtschaften– einer solidarischen, abseits des Markts, getragen von einer Gemeinschaft, die nicht nur Kosten, Ernte und Risiko, sondern auch Werte teilt und sich so gegenseitig das zum guten Leben Notwendige schenkt. So gesehen trägt eine SoLaWi deutliche Züge einer sharing economy, einer Schenkökonomie – und einer Planwirtschaft.
„Nur mit Milch schaffen wir so etwas nicht“ – Kooperation als Chance, und ein Erfolgsrezept
Mit dieser Idee einer SoLaWi ist vor einigen Jahren auch die SoLaKo gestartet. Der Anstoß kam von der Hofgemeinschaft am weststeirischen Demeter-Hof Edler. Dort wird schon seit 1983 biologisch-dynamisch gearbeitet (seit 1986 mit Demeter-Zertifikat), und Milch und Milchprodukte vom Edlerhof gehören – in unverändert guter Auswahl und Qualität – zur Grazer Bio-Szene wie Zwiebel zum Gulasch. Weil Beständigkeit und Pioniergeist hier unter einem Dach wohnen, machte vor mittlerweile fast zehn Jahren auch die Idee zur solidarischen Landwirtschaft die Runde am Hof – und stieß bei den Kund*innen vom Hofladen auf reges Interesse. Klar war aber auch, wie Patrick Huiber sich erinnert: „Nur mit Milch schaffen wir so etwas nicht. Wir brauchen auch Gemüse dazu.“ Da traf es sich gut, dass der Edlerhof am Grazer Bio-Bauernmarkt Grottenhof Standnachbar vom oststeirischen Oswaldhof war. Der „Gemüsebauer“ war damit gefunden. Es folgten Exkursionen zu „Höfen der Zukunft“ in Frankreich und Deutschland, Referent*innen wurden eingeladen, Filmabende und Treffen organisiert. Nach einem Jahr konnte SoLaKo 2013 starten – aufgrund des großen Interesses gleich mit 60 statt der geplanten 20 Ernteteiler*innen. Mittlerweile sind knapp 220 Haushalte dabei – mehr als die Hälfte von ihnen fünf Jahre oder länger. Der Oswaldhof ist mittlerweile zu 100 Prozent SoLaKo-Betrieb, Edler als (primär) großer Milchbetrieb immerhin zu einem Drittel. Bei den 2019 dazugestoßenen Bio-HöfenMaierhofer und Schreiber sowie der Bio-Imkerei Fink aus der Oststeiermark ist der Anteil kleiner – aber die SoLaKo entwickelt sich ständig weiter.
Ein Grundprinzip stand dabei von Anfang an fest und zeichnet die SoLaKo bis heute aus – für Patrick Huiber ist es „sehr innovativ und auch Alleinstellungsmerkmal“, möglicherweise sogar Erfolgsrezept: Die Organisation der SoLaKo liegt vollständig beim Verein, in dem sich ehrenamtlich viele der Ernteteiler*innen engagieren – „damit das einfach läuft und nicht am Bauern hängenbleibt“, erklärt Daniela Talker-Huiber, eine der Initiator*innen. Die SoLaKo soll den Bauern und Bäuerinnen also keine zusätzliche Arbeit machen, sondern ihnen erlauben, dass sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren können: gute Lebensmittel herstellen. Die wöchentlichen Lieferungen werden zwar von den Höfen zugestellt – aber so, dass sie dafür kaum zusätzliche Wege machen müssen. Die Annahme und Ausgabe an den sieben „Verteilstellen“ in Graz und Umland wird vor Ort von den Ernteteiler*innen selbst organisiert, die Bäuer*innen müssen also auch keine „Kisterl“ packen.
Mehr als ein Vertriebsmodell – eine Gemeinschaft
Für die Höfe ist das eine große Erleichterung – und spart Kosten. Klar war aber auch, von Anfang an, dass SoLaKo kein bloßes „Vertriebsmodell“ sein sollte, so Talker-Huiber, sondern „dass da einfach viel was Größeres dahinter ist und ein ganz anderes Bewusstsein.“ Die Zusammenarbeit geht ja auch viel weiter. Einige Ernteteiler*innen kommen immer wieder zu „Mithelftagen“auf den Höfen zusammen, stehen gemeinsam am Acker, zupfen Unkraut, ernten Obst, werden dabei gut verköstigt und genießen die gemeinsame Zeit am Land – um so das Hofleben und die Arbeit vor Ort erleben zu können. Ernteteiler*innen arbeiten aber auch immer wieder regulär – angemeldet und bezahlt – auf den Höfen mit, bspw. in Krisenfällen wie 2020 beim Ausfall von Erntehelfer*innen durch Covid-19, oder als Bienenstöcke akut Betreuung erforderten. Hier hat sich die SoLaKo auch als Mitarbeiter*innen-Pool bewährt.
Die gemeinsame Arbeit – am Hof und in der Verteilung – hat so etwas wie eine Gemeinschaft entstehen lassen, zumindest im engeren Kreis. Und die „Gemeinschaftsbildung“ wird auch gefördert: durch regelmäßige Seminare, eine jährliche Klausur, und in Arbeitskreisen, in denen sich alle, die wollen, mit der weiteren Entwicklung der SoLaKo und der Höfe beschäftigen können – laut Talker-Huiber „mittlerweile ein wichtiger Mehrwert von SoLaKo für die Höfe“.
Der „Mehrwert“ besteht in einer Wertegemeinschaft – wobei Werte an sich nur „Worthülsen“ sind, so Patrick Huiber, „die man irgendwo an die Wand oder heute auf die Homepage pinselt“. Wichtiger sei es, einander Vertrauen zu schenken, auch tolerant zu sein, selber Verantwortung zu übernehmen, und das verbindlich – auf viele Schultern verteilt, sodass jede*r in die Gemeinschaft einbringen kann, was sie oder er gut kann und möchte, immer bezogen darauf, „was wir gemeinsam tun wollen. Die Werte erlebt man eigentlich im Tun dann.“
Auf dieser „gemeinschaftsgetragenen“ Basis wird die Produktion am Hof – und auch seine Entwicklung – wie ein Gemeingut (Commons) angesehen und organisiert. Für die Höfe bedeutet das auch, dass sie ihre Finanzen in der Gemeinschaft offenlegen müssen: Nicht nur, weil auf dieser Basis die Planung und Berechnung der Anteile für das Wirtschaftsjahr erfolgt, sondern auch, weil hier die materiellen Grundlagen dafür gelegt werden, wie die Höfe sich entwickeln sollen. Auch das ist Gemeinschaftssache – „und da“, so Daniela Talker-Huiber, „gab es dann immer wieder viele Impulse von uns, wo wir sagen: Wir wollen wirklich, dass unsere Bauern mit ihren Familien Urlaub machen können, dass der Stundenlohn erhöht wird und so weiter. Und es ist ganz was anderes, wenn die Forderung von uns kommt als Teilhaber*innen als wenn der Bauer sagt, er möchte jetzt einfach mehr verdienen.“
Die Organisation der Zwiebel, und warum weniger Regeln besser sind als mehr
Die Entlastung und Entwicklung der Höfe steht also im Mittelpunkt – und ganz ausdrücklich auch im Zusammenhang mit der stabilen Versorgung mit vollwertigen Lebensmitteln aus der Region. Nicht allen Ernteteiler*innen ist dieser Grundsatz auf Dauer überzeugend vermittelbar, etwa wenn das bedeutet, dass Ernteausfälle nicht abgegolten werden. Die Fluktuation liegt regelmäßig bei etwa zehn Prozent, wobei sie auch andere Ursachen wie beispielsweise Umzüge hat, über eine lange Warteliste kompensiert wird und nur die äußeren Schichten einer Organisationsstruktur betrifft, die Daniela Talker-Huiber gerne als „Zwiebel“ beschreibt: Getragen wird die SoLaKo von einem „Kernteam“ aus 20 bis 30 Leuten rund um das leitende „Gremium“, das eng zusammenarbeitet, sich in hohem Maße mit den Werten und Zielen der SoLaKo identifiziert und sich mindestens sechs Mal im Jahr für Abstimmung und Weiterentwicklung der SoLaKo trifft.
SoLaKo ist aber insgesamt sehr offen, flach und demokratisch (bzw. „soziokratisch“) organisiert. Jede der sieben Verteilstellen wird dezentral koordiniert, und dort gibt es einen regelmäßigen Austausch aller Ernteteiler*innen vor Ort. Bei der jährlichen Mitgliederversammlung nehmen regelmäßig mehr als 100 Menschen teil, und jede*r hat grundsätzlich die Freiheit, sich gestaltend einzubringen und die SoLaKo als Gemeinschaftsprojekt weiter zu entwickeln – im dezidierten Gegensatz zum konventionellen Bild der „Konsument*innen“: „Also im Grunde können wir wirklich alles miteinander ausreden,“ betont Gundi Minutillo, die auch von Anfang an dabei war und mit der SoLaKo „mit gewachsen“ ist, wie sie sagt: „Und im Supermarkt – als Beispiel – muss ich das so nehmen, was ich krieg’. Ich empfinde es mittlerweile als große Freiheit und als Selbstbestimmung.“
Auch wenn die Grenzen zwischen Höfen und Ernteteiler*innen, Gremien und „äußerem Kreis“ bewusst offen gehalten und auch häufig überschritten werden – sie sind nach wie vor da, und das erfordert eine permanente Abwägung von Interessen, die nicht in jedem Fall gleich übereinstimmen müssen. Beispielsweise wurde ein neues Verteilsystem für Milch und Milchprodukte entwickelt, das dem Prinzip des „Ernteteilens“ eher entspricht und nicht zuletzt Produktion und Verteilung erleichtert. Nunmehr werden neben Trinkmilch gemischte „Milchernte“-Pakete in die Verteilstellen geliefert, deren Aufteilung vor Ort „solidarisch“ erfolgen soll – mit erheblichen Startschwierigkeiten, die gar nicht verheimlicht, sondern als Herausforderung zur Weiterentwicklung betrachtet werden.
Auf starre Regeln für Zuständigkeiten oder dafür, was einem zusteht, möchten die SoLaKos weiterhin verzichten. Vertrauen und Verantwortung auf viele Schultern verteilt seien „die Basis, dass das funktioniert – ohne viele Regeln“, so Patrick Huiber: „Wenn es eine Regel gibt bei uns, dann die, darauf zu schauen, dass wir diesen Sinn und Zweck, den gemeinsamen, weiterhin spüren. Und wenn du den hast, dann brauchst du nicht so viele Regeln.“
Warum Wachstum auch Schrumpfen bedeuten kann
Die permanente Weiterentwicklung in den Strukturen der Organisation, aber auch im Bewusstsein der Menschen ist ein weiterer zentraler Aspekt der SoLaKo. Was die Organisation angeht, ist die SoLaKo mit der Erweiterung von zwei auf fünf Betriebe ihrem Ziel, zum öko-solidarischen „Vollsortimenter“ zu werden, einen großen Schritt näher gekommen. Neben Milch, Milchprodukten und Gemüse gibt es nun auch regelmäßig Obst, Säfte, Essig, Öle, Getreide und Honig in großer Vielfalt. Die Anzahl der Ernteteiler*innen hat mit knapp 220 Anteilen ihr Maximum erreicht. „Limitierender Faktor“, wie bemerkt wird, ist dabei der Gemüsebauer Oswald, der bereits an die Grenzen seiner Kapazität und Belastbarkeit geraten war.
In dem Fall haben sich die SoLaKos sogar fürs Schrumpfen entschieden – auch wenn das heißt, dass es nun weniger Ernteanteile vom Oswald gibt und die etwas teurer wurden. Klingt nach Neubesinnung, entspricht aber haargenau dem Grundgedanken der SoLaWi, der ja auch den Edlerhof bewog, sich ursprünglich darauf einzulassen, so Eugenia Hahn, die Pächterin: „Der Bauer ist in seinem Einkommen wie kein anderer von den natürlichen Gegebenheiten abhängig. Und die SoLaKo ermöglicht, dass das Einkommen des Bauern von der Warenmenge entkoppelt und stattdessen seine Arbeit bezahlt wird.“
Das Eine ist das materielle Risiko – wäre da nicht noch die ideelle Ebene: Wenn der Oswald, wie Gundi Minutillo erzählt, nach einem Hagelunwetter früher am Markt nichts zu verkaufen hatte, hätte er halt nichts verdient. Jetzt, als SoLaWi, sei es für ihn aber fast noch schlimmer – „weil das Gemüse ein Gesicht hat“, so Daniela Talker-Huiber, nämlich das der Ernteteiler*innen. Die persönliche, konkrete Beziehung in der SoLaKo kann also auch Belastung sein. Zugleich und viel wichtiger aber: Sie verleiht der Arbeit einen neuen, tieferen Sinn. „Und das sagen die Bauern auch“, so Gundi Minutillo: „Für die macht die Arbeit jetzt auch wieder mehr Sinn. Sie wissen, für wen.“
Solidarität beschränkt sich indes nicht auf die Beziehungen zu den Produzent*innen. Alle Ernteteiler*innen entscheiden selbst, nach Richtwerten und ihren Möglichkeiten, wie viel ihnen ihr Anteil wert ist. Entscheidend ist der Gesamtbetrag, der es dem jeweiligen Hof erlaubt, das nächste Wirtschaftsjahr zu finanzieren – und damit die Versorgung mit guten Lebensmitteln für alle SoLaKos sicherzustellen.
Ein kleines DIY-Wirtschaftssystem
Das ist der wesentliche Punkt an der SoLaKo: Der Erhalt und die Erneuerung einer kleinräumigen, nachhaltigen Wirtschaftsweise, die früher schon einmal ganz gut funktioniert hat – aus bewährter Tradition, und auch als Notwendigkeit: „Das ist ganz sicher was Altes,“ so Daniela Talker-Huiber, „aber ich denke, gerade diese Strukturen und auch dieses Wirtschaften muss man neu denken. Altes neu denken – darum geht es. ,Höfe der Zukunft‘ – wie denken wir sie neu? Und da ist es, glaube ich eben, ganz ganz wichtig, dass es überall so Keimzellen gibt, wo wertvolle Dinge entstehen.“ Die SoLaKo ist wohl so eine „Keimzelle“. Solidarität, Gemeinschaft, Zusammenarbeit, Nachhaltigkeit – was früher einmal aus Gewohnheit oder Not einfach da war, wird hier reflektiert und mit technischen und sozialen Innovationen quasi „renoviert“: Heraus kommt dabei ein kleines feines Modell regionaler Ernährungssouveränität – ein besonderes Wirtschaftssystem abseits des Markts sogar, das sich die SoLaKos da in Gemeinschaft so gestalten, wie sie es sich vorstellen.