Ein Musterschüler politischer Akkordarbeit
von Franz Schandl
Rudolf Anschober zählt zu den Urgesteinen der österreichischen Grünen. Der 1960 geborene Oberösterreicher, ein gelernter Volksschullehrer, war Anfang Zwanzig, als er zur Alternativen Liste Österreich (ALÖ) stieß. Seitdem ist er dabei und ohne Unterbrechungen aktiv. Sein Engagement ist nie abgerissen, vielmehr ist es lückenlos. Die Ämter und Funktionen, die er seit mehr als 30 Jahren bekleidete, sind zahlreich: Nationalrat, Landtagsabgeordneter, Landesrat, Klubobmann, Landessprecher, Bereichssprecher. Anschober hat nichts ausgelassen. Wobei er da nicht immer selbst nach vorne drängte sondern oft auch gedrängt wurde. Als Parteichef Werner Kogler einen Sozial- und Gesundheitsminister suchte, war Anschober erste Wahl. Der Ministerposten ist nun die Krönung seiner Laufbahn, auch wenn er sich das wohl etwas anders vorgestellt hätte als einen völlig unvorbereiteten Abwehrkampf gegen ein Virus führen zu müssen.
Konfrontation ist seine Sache nicht, eher schon ist Beharrlichkeit sein Metier. Den Kompromiss betrachtet er weniger als Notwendigkeit denn als Tugend. Ständig sucht er das Einvernehmen, er kann nicht anders, das ist sein Naturell. Auf welcher oder wessen Seite Anschober in Konflikten steht, war vor allem bei den innerparteilichen Auseinandersetzungen nicht immer auszunehmen. Gerne laviert er, hält sich raus oder zurück. Er will mit allen können. Anschober ist der geborene grüne Koalitionär. Ein rotes Tuch war er nie. Kein entradikalisierter ehemaliger Linksaußen. Er ist heute nicht moderater als vor dreißig Jahren.
Da ist nichts Neues unter der Sonne, nicht einmal verdeckt. Da ist keine Perspektive, die nicht tief im Morast der Immanenz steckt. Das Sollen ist dem Sein kein Antagonismus, jenes ist in diesem gut aufgehoben. Nicht einmal auf der Bekenntnisebene lässt da etwas grüßen. Freilich kann man das auch positiv sehen: Er redet am Sonntag nicht anders als am Montag. Kritik und Reflexion verlassen nie den erlaubten Rahmen. Prinzipiell ist Anschober mit dem, was ist, nicht unzufrieden. Er ist da zu Hause. Er steht dezidiert nicht für gesellschaftliche Transformation, er ist ein klassischer Reformer, kein Mann des weiten Horizonts oder des großen Wurfs. An Markt und Geld, an Standort und Konkurrenz vergreift er sich nie. Anders als bei anderen aber immer wenigeren Grünen, muss gar niemand rufen: Finger weg!
Aber eines ist er immer: engagiert bis zum Umfallen. Er stellt sich zur Verfügung. Er war auch der erste Landespolitiker, der mit der christkonservativen ÖVP in Linz koalierte. 2003 bis 2020 war er Landesrat in Oberösterreich. Sein schwarzer Landeshauptmann, Josef Pühringer, hatte ihn bald lieb gewonnen. Fast schon sah man die Hand des Landesvaters fürsorglich auf Rudis Schultern ruhen und leise sagen: Braver Bub. Rudi hatte so gar nichts von einem Revoluzzer, Rudi erledigte seine Aufgaben stets konstruktiv und sachlich, hatte einen Sinn fürs Machbare, eckte selten an. Er war und ist ganz so wie man sich einen soliden Grünpolitiker vorstellt.
Anschobers Arbeitseifer ist kaum zu stoppen. Der Einzelkämpfer ist nicht nur fleißig, er ist überfleißig. Ein Musterschüler politischer Akkordarbeit. Seine Emsigkeit kennt keine Grenzen. 1991 brachte er als frisch gewählter Nationalratsabgeordneter alleine 167 Anfragen im Parlament ein, 1992 waren es gar 183. Damit war er Rekordhalter. Nebenbei publizierte er noch einige Bücher. Doch derlei Eifer hat seine Tücken. Im Herbst 2012 musste Anschober aufgrund eines Burnouts drei Monate als Landesrat pausieren. Da er den Fall öffentlich machte und problematisierte, bescherte ihm das jedoch eine Menge Sympathien.
2018 gründete Anschober die Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“, um als Lehrlinge arbeitende Asylwerber im Land zu halten. Das fand breite Unterstützung, bis tief in schwarze Gefilde. Als Gesundheitsminister gelang es ihm im Sommer 2020 für einige Wochen in den Popularitätswerten sogar Sebastian Kurz zu übertrumpfen. Mit dem Anstieg der Infektionszahlen im Herbst war dies aber wieder vorbei, vor allem nachdem Medien und Opposition immer mehr Chaos im Ministerium orteten. Nicht ganz zu Unrecht. Aber der Kampf gegen die Pandemie fußt ja auch nicht auf einer adäquaten Vorbereitung. Er ist Learning bei Doing. Um diese Aufgabe ist Rudolf Anschober daher auch nicht zu beneiden.
Es braucht schon eine Menge Kaltschnäuzigkeit, um Anschober aus der Reserve zu locken. Es waren die Tiroler, die ihn jetzt fast aus der Contenance brachten, als sie vorletztes Wochenende in elendslangen virtuellen Konferenzen vorerst nicht und nicht zu bewegen gewesen sind aufgrund der zahlreichen südafrikanischen Mutationen für ihr Bundesland Sondermaßnahmen zu vereinbaren. Im Gegenteil, im Virusmutationsgebiet begann man deftig und unflätig auf Wien zu schimpfen. Man hatte fast das Gefühl die Tiroler Schützen würden in Österreich einmarschieren. Da hat Anschober wohl sehr gelitten, denn aalglatt ist er wiederum nicht, vielmehr will er es allen recht machen und gemocht werden. Aktuell ist das eine kaum zu meisternde Aufgabe, gerade weil sein Ressort in der Pandemie zum wichtigsten aufgestiegen ist. Die Bekämpfung der Seuche absorbiert dort alle Kräfte. In allen anderen Fragen war bisher konzeptionell nichts zu vernehmen, da herrscht Funkstelle. Anschober im Originalton: „Wir werden uns das anschauen.“
Anschober ist weniger ein Macher als ein Tuer. Sein gegenwärtiges Programm lässt sich so zusammenfassen: Testen, testen, testen, impfen, impfen, impfen, reden, reden, reden. Unermüdlich. Gegenwärtig eilt er von Sender zu Sender, von Gazette zu Gazette, von Interview zu Interview. Ein eifriger Twitterer ist er außerdem. Facebook inklusive. So neu können die Medien gar nicht sein, ohne dass Anschober dabei ist. Mehr als sich schont Anschober die anderen. Man sieht ihm das an, mitunter wirkt er sehr gestresst, ja „groggy“, so die zutreffende Eigendefinition. Zur Zeit ist er ein Getriebener, das Ministerium wurde unter seiner Vorgängerin, Beate Hartinger-Klein (FPÖ) regelrecht ausgehungert, sodass nunmehr Fachkräfte und Kompetenzen fehlen. Vor allem juristisch war man den Anforderungen nicht gewachsen. So makulierte das Verfassungsgericht nicht wenige Verordnungen des Gesundheitsministers. Auch das muss den Workaholic getroffen haben, denn formale Fehler leistet er sich normalerweise nicht. Da ist er viel zu penibel.