Vivihouse

von Stefan Meretz

Ich möchte das Commons-Projekt Vivihouse
vorstellen, und alle, die in Wien unterwegs sind, hätten eigentlich schon
vorbeigehen können, um es sich anzuschauen. Hätten – leider steht der zweite
Prototyp noch nicht. Dazu gleich mehr.

Das Projekt Vivihouse baut Häuser, doch komplett
anders, als wir es kennen. Es geht nicht nur um Häuser, die aus
ökologisch-nachhaltigen Materialien aufgebaut werden, sondern die auch komplett
wieder abgebaut werden können, um sie entweder woanders wieder aufzubauen oder
umweltfreundlich zu recyclen. Die lehmverputzten und strohballengedämmten
Holzhäuser sind nicht primär für den ländlichen Raum gedacht, sondern die
modularen Bausätze eignen sich vor allem für den mehrgeschossigen Wohnungsbau
in der Stadt. Und es handelt sich nicht nur um ein Do-it-yourself-, sondern vor
allem um ein Do-it-together-Projekt – Interessierte sind regelmäßig zu
Bauworkshops eingeladen.

Mit ihrem Ansatz stellt das Projekt neue Fragen. Muss
Hausbau in den Händen einer kleinen Gruppe von Spezialist*innen liegen? Kann
der Selbstbau Menschen ermächtigen, die Gestaltung ihrer Lebenswelt mehr in die
eigenen Hände zu bekommen? Kann der Einsatz erneuerbarer Materialien wie Holz
und Stroh das Betondenken (Sand ist eine schwindende Ressource,
Zementherstellung ist CO2-intensiv) im Städtebau aufweichen und einen Beitrag
zum Klimaschutz leisten?

Das Projekt wurde von einer Gruppe von Architekt*innen
gegründet, die sich von den Commons inspirieren ließen und diese Erkenntnisse
auf ihre Domäne übertrugen. Die Commons-Sommerschule und das Netzwerk des
Commons-Instituts waren wichtige Orte für die Entfaltung der Ideen. So war
klar, dass die Zugangshürden möglichst niedrig sein sollten, um die Kooperation
von Profis und Laien zu befördern. Die Pläne werden unter einer freien Lizenz
als Open Source zur Verfügung gestellt, damit andere Projekte daran anknüpfen
können. Nicht zuletzt sollen die Kosten u.a. durch den Eigenbauanteil gering
gehalten werden, um allen den Zugang zu qualitativ gutem Wohnraum zu
ermöglichen – anstatt nur ein sozial-elitäres Projekt für Gutverdienende zu
sein.

Das Projekt Vivihouse wurde von der Initiative
for Convivial Practices
initiiert und ist an der TU Wien angesiedelt. Es
finanziert sich durch unterschiedliche Beiträge von öffentlicher Hand und
privaten Firmen, die das ökologische Bauen voranbringen wollen. Das klingt gut,
aber letztlich ist die Finanzbasis prekär. Springt ein Sponsor ab, was schon
mehrfach geschah, gerät der Zeitplan oder gar die ganze Projektrealisierung
durcheinander.

So konnte zwar in Pernitz südlich von Wien ein kleiner
Prototyp realisiert werden, aber der Aufbau eines mehrgeschossigen Baus in Wien
scheiterte, weil ein Immobilienkonzern seine avisierte Flächenbereitstellung
samt Anschluss nicht einhielt. Die vorproduzierten 17 Wände und 7
Deckenelemente mussten nun aufwändig (ein Bauteil wiegt bis zu 2 Tonnen) aus
der von einem weiteren Sponsor temporär zur Verfügung gestellten Bauhalle in
eine kostenträchtig angemietete Lagerhalle zur Zwischenlagerung transportiert
werden. Jetzt muss erst wieder eine geeignete Fläche gefunden werden, bevor das
mehrgeschossige Vivihouse kommen kann. Die Stadt Wien könnte sich hier
durchaus mehr engagieren, wurde das Projekt doch als Modellprojekt zur
Internationalen Bauausstellung in Wien 2022 nominiert.

Eine Zwangspause bietet immer auch Gelegenheit zum
Luftholen und zur Reflexion. Wenn das Projekt erfolgreich realisiert werden
sollte, welche Wirkung könnte es haben? Wenn die Klimakrise sehr bald
tiefgreifend alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst, wird auch das
CO2-intensive Bauen in den Fokus einer Transformation gelangen. Nachwachsende
Rohstoffe wie Holz und Stroh könnten allein von der Materialseite das
städtische Bauen völlig verändern. Die Holzindustrie freut’s, die Betonlobby wird
allerdings alles daransetzen, den Wandel aufzuhalten.

Kann das Projekt thematisch benachbarte
Commons-Initiativen ermächtigen, ihren Bereich auszuweiten? Könnten sie an Vivihouse
andocken, Kooperationen eingehen, Netzwerke bilden und den Markt
auskooperieren? Ein Wald-Commons, das seine Forsten nicht monokulturell,
sondern ökologisch-divers betreibt, könnte Holz liefern. Weitere
Architektur-Commons könnten die Designs nutzen, um ihre eigenen Projekte
vorzubringen – am besten in Kooperation mit zukünftigen Bewohner*innen, die an
Planung und Bau beteiligt sind. Perspektivisch könnten daraus ganze
Stadtteil-Commons entstehen, die ihr Quartier selbst gestalten.

Eine weitere spannende Frage ergibt sich aus dem
Open-Source-Charakter von Vivihouse. Ein Haus tangiert mehrere
rechtliche Domänen. Während Designs als kreative Wissensschöpfungen durch das
Urheber*innenrecht exklusiviert („geschützt“) werden, greift bei technischen
Erfindungen das Patentrecht. Wie könnten hier passende Lizenzen aussehen, die
sowohl Wissen wie Hardwarelösungen für andere zugänglich halten? Wie könnten
gleichzeitig Commons-Projekte ihre Finanzierungsgrundlage sichern, wenn es
wesentlich potentere Privatbetriebe gibt, die Designs und Erfindungen auf dem
freien Markt verwerten? Private Firmen, die sich an dem Projekt beteiligen,
könnten hingegen ihre eigenen technischen Lösungen und damit ihr
Geschäftsmodell in Gefahr sehen, wenn sie zum Open-Source-Topf beitragen, aus
dem sich auch die Konkurrenz bedienen kann. Ist das schlecht oder vielleicht
sogar gut, weil dann Commons-Projekte im Vorteil sind?

Es zeigt sich, dass monothematische Commons-Projekte gut
darin sind, für ihre Domäne eine maßgeschneiderte Lösung zu finden, um sich in
der Geldlogik zu bewegen und sich gleichzeitig ihr nicht unterzuordnen. Sobald
es jedoch um große Projekte geht, die mehrere Bereiche umfassen, wird es extrem
schwierig. Diese Beobachtung haben Simon Sutterlütti und ich in unserem Buch
„Kapitalismus aufheben“ zu der These verdichtet, dass wachsende Commons, die
unterschiedliche Bereiche integrieren, zur Planwirtschaft tendieren, während
lose Netzwerke aus autarken Commons eher wieder eine Tauschlogik herausbilden,
die ihre Perfektion in der Marktwirtschaft findet. Ich würde mich freuen, wenn
unsere These widerlegt wird, und vielleicht ist Vivihouse ein Projekt,
mit dem das beispielhaft gelingen kann.

Online anschauen: vivihouse.cc