Bizarr
In
der gegenwärtigen Debatte über Armut bzw. Wohlstand fällt
dreierlei auf.
1.
Die Behauptung von Wissenschaftlern, es ginge uns doch – weltweit –
so gut wie noch nie, verbreitet sich auch im linksliberalen Milieu
immer mehr. Angeblich seien der Lebensstandard, die Gerechtigkeit und
das Gesundheitsniveau ständig im Steigen begriffen. Etwa der
Existenzphilosoph und Grafikdesigner Stefan Sagmeister, der
Politologe Klaus Schroeder, der Philosoph und Schriftsteller Johan
Norberg, und allen voran der Psychologe Steven Pinker – sie alle
vertreten eine „leidenschaftliche Antithese zum üblichen
Kulturpessimismus“. Anstatt „sozialhysterisch“ zu sein sollten
wir lieber das Positive in den Blickpunkt rücken. Die Arbeiterkammer
scheint sich dies offenbar zu Herzen genommen zu haben. Sie kommt in
ihrer großangelegten Untersuchung – dem „Wohlstandsbericht 2019“
– zu einem recht positiven Ergebnis.
2. Manche mögen diesen
Hurra-Optimismus dennoch nicht teilen. Vielerorts wird stattdessen
der Begriff „Solidarität“ wieder beschworen. Meist jedoch ohne
Definition, ohne analytische Aussagekraft. So spiegelt sich darin nur
ähnliche Hilflosigkeit wie im Buch von Heinz
Bude „Solidarität – Die Zukunft einer großen Idee“. Als ob
dieser Begriff nicht vielfach missbraucht worden wäre – bereits
damals in den 1970er Jahren, als er hoch im Kurs stand. Es fragt auch
niemand, warum
jene Schwachen, mit denen wir solidarisch sein sollen, schwach sind,
wie
und warum
sie schwach gemacht wurden. „Warum“
zu fragen, ist schlicht tabu.
3.
Weil auch sozialen Einrichtungen und Armutsorganisationen
tiefgreifende Gesellschaftskritik fehlt, sowie die Möglichkeit die
Lage der Armen zu ändern, bleibt ihnen offenbar nur Trostpflaster zu
verteilen. Hoch im Kurs stehen neuerdings Bemühungen, damit
Arme nicht abwertend und schlecht behandelt werden. Auch sie hätten
„ein Recht auf Anerkennung, Wertschätzung und Würde“. Sie
dürften nicht diskriminiert und ausgegrenzt werden. Der Slogan einer
Einrichtung für Wohnungslose lautet: „Du bist wichtig!“