Spiel, Satz, Sturz

Von Franz Schandl

Gegen den europäischen Trend wählte
man in Österreich. Da zerreißt es eine Regierung und Türkis-Blau
gewinnt dazu. Einem satten Plus von 8 Prozent für die ÖVP stehen
ganz geringe Verluste der FPÖ gegenüber. Was die Freiheitlichen
verloren haben, ist ein Klacks, sieht man sich an, vor welchem
Hintergrund dieses Ergebnis erzielt worden ist. Da ist es sogar
gelungen, das EU-skeptische FPÖ-Klientel zum Wählen aufzustacheln.
Bei Europawahlen alles andere als selbstverständlich. Ibiza und die
Folgen haben jedenfalls dazu beigetragen, die Wahlbeteiligung
signifikant zu erhöhen.

Inzwischen ist man in der FPÖ von der
Defensive zur Offensive übergegangen. Offenbar hat man von Donald
Trump gelernt. Hätten sich Strache&Co nach der Aufdeckung etwas
weniger tölpelhaft verhalten, hätten die Freiheitlichen
möglicherweise zulegen können. Wer meinte die FPÖ via Ibiza-Affäre
in den Keller zu schicken, irrte. Die FPÖ hat so zwar kein gutes,
aber das beste Ergebnis eingefahren hat, das möglich gewesen ist.
Der Skandal geht im Trubel bereits unter. Seine Haltbarkeit war
begrenzt. Den Ibiza-Makel wird man binnen weniger Wochen los sein.
Ungeheuerlich ist nicht, was zu sehen war, sondern nur
peinlich, dass es gesehen wurde.

Für die Populisten spricht auch ihre
Geschlossenheit. Anders als zu Haiders Endzeiten, als sich die Partei
regelrecht zerfleischte, bildet sie einen stabilen wenn auch dumpen
„Jetzt erst recht-Block“. Der Erzählung einer „miesen
kriminellen Intrige“ (Strache) wird dort hundertprozentig Glauben
geschenkt. Angeblich will Strache sogar im EU-Parlament ein Mandat
annehmen.

Ein Comeback feiern die Grünen. Bei
den letzten Nationalratswahlen sind sie unter ihrem Wert geschlagen
worden, jetzt haben sie über Gebühr gewonnen. Selten hat man so
viele potenzielle Grünwähler getroffen, die alleine aufgrund ihres
Seitensprungs von 2017 etwas gutmachen wollten. Das schlechte
Gewissen gegenüber der Ökopartei hat ihr einen überraschend
deutlichen Wahlerfolg beschert.

Eindeutiger Wahlsieger ist aber die
ÖVP. Sebastian Kurz funktionierte die EU-Wahl zu einer Abstimmung
über den Kanzler um. Einmal mehr ist sein Kalkül aufgegangen. Mehr
beiläufig als absichtlich zerstörte man aber durch Ignoranz und
Arroganz jede Gesprächs- und Vertrauensbasis zu den politischen
Mitbewerbern. Auffällig ist auch, dass dieses Verhalten der
Kurz-Truppe gar nicht aufgefallen ist. So machte der ÖVP-Chef die
Rechnung ohne den Wirt, das Parlament, das ihn und seine gesamte
Regierung am 27. Mai prompt abservierte. Wer hätte sowas vor Wochen
gedacht?

Die SPÖ hat sich noch vor der EU-Wahl
entschlossen, den Kanzler zu stürzen und eine Mehrheit (SPÖ, FPÖ
und Liste Jetzt) im Nationalrat organisiert. Dass die SPÖ nach Ibiza
bei der EU-Wahl einen aufgelegten Elfmeter verschossen hat, ist nicht
der Fall. Vielmehr agiert die Sozialdemokratie auch hierzulande schon
länger im Abseits. Gegen Kurz und&Co schien sie machtlos. Ob
dieser Misstrauensantrag gegen Kurz ein geeignetes Mittel gewesen
ist, wieder in die Offensive zu kommen, ist fraglich. Allerdings sind
alle anderen Instrumente noch schlechter. Nichtstun käme überhaupt
einer prophylaktischen Kapitulation gleich. Nun hat man eine
Initiative gesetzt und somit Entschlossenheit demonstriert.

Gewinnen und verlieren liegen manchmal
nahe beieinander. Kurz hat stets hoch gepokert und es war auch nicht
das letzte Spiel, weitere werden folgen. So könnte bereits im
September bei der Neuwahl des Nationalrats ein Comeback Realität
werden. Am Dienstag hat das Projekt Kurz eine empfindliche
Unterbrechung erfahren, aber keineswegs ein Ende gefunden. Die
Dynamik ist aber vorerst gestört, ein sich abzeichnendes Bündnis
nicht in Sicht. Wird Österreich unregierbar? Die nächsten Monate
wird das Land von einem vom Bundespräsidenten ernannten
Übergangskanzler regiert werden. Man befindet sich auf Neuland.