Lizenz zum Klima-Killen

von Norbert Trenkle

1.

Von der CO2-Steuer zu sagen, sie erziele nicht die
versprochenen Wirkungen, ist eine Verharmlosung. Aufs Ganze
betrachtet, wird sie weder eine nennenswerte Reduktion der
klimaschädlichen Emissionen bewirken, noch gar eine „ökologische
Transformation“ der Marktwirtschaft einleiten, sondern ist vielmehr
ein Freibrief, den sich die Gesellschaft ausstellt, um genauso
weitermachen zu können wie bisher. Um das zu verstehen, braucht es
nicht viel Phantasie. Ein wenig Erfahrungswissen genügt. Selbst wenn
die Steuer hier und dort gewisse Einspareffekte beim CO2-Ausstoß
bewirken mag, ist doch völlig absehbar, dass diese durch einen
gesteigerten Ressourcenverschleiß an anderer Stelle konterkariert
werden. Dieser Mechanismus ist längst bekannt und wurde in der
Postwachstums-Literatur breit diskutiert. So werden etwa relative
Einsparungen beim Energieverbrauch (z.B. effizientere Motoren) durch
eine Ausdehnung des absoluten Verbrauchs überkompensiert (z.B.
größere Autos und höhere Stückzahlen). Das ist der sogenannte
materielle Rebound-Effekt. Des Weiteren liefern politische Maßnahmen
mit einem ökologischen Anstrich die Legitimation dafür, die
bestehende Produktions- und Lebensweise aufrechtzuerhalten und das
Wirtschaftswachstum weiter anzukurbeln; denn schließlich wurde ja
vorgeblich bereits ein relevanter Beitrag zur Erhaltung von Natur und
Umwelt geleistet. Man spricht hier von dem politischen
Rebound-Effekt. Typisches Beispiel dafür war die Einführung der
Abgaskatalysatoren in den 1980er-Jahren, welche die PKWs
„umweltfreundlich“ machen sollte, tatsächlich aber lediglich das
Alibi dafür lieferte, den Autoverkehr weiter auszubauen (seitdem hat
er sich in Deutschland verdoppelt). Und schließlich gibt es auch
noch den psychologischen Rebound-Effekt, der darin besteht, den
Konsumenten ein gutes Gewissen zu verschaffen, damit sie weiterhin
ungehemmt den massenhaft produzierten Warenschrott kaufen.

Bedürfte es irgendwelcher Belege, dass die
CO2-Steuer genau auf diese Weise wirken wird, die laufende Debatte
liefert sie frei Haus. Alle politisch Verantwortlichen quer durch das
gesamte Parteienspektrum überschlagen sich förmlich in der
Anpreisung der erwarteten Einspareffekte, um dann sogleich
hinterherzuschieben, die Steuer dürfe selbstverständlich die
Gesellschaft nicht über Gebühr belasten. Am absurdesten sind die
Vorschläge, die Einnahmen aus der neuen Steuer sogleich wieder an
die Bevölkerung auszuschütten. Denn auch wenn dabei tatsächlich
diejenigen belohnt würden, die einen etwas niedrigeren
CO2-Fußabdruck als der Durchschnitt aufweisen, werden sie sicherlich
das zusätzliche Einkommen sogleich wieder im Konsum anlegen, so dass
der Ressourcenverbrauch nur an anderer Stelle anfällt. Den Vogel
abgeschossen hat in dieser Hinsicht mal wieder die Ökopartei CSU in
Gestalt ihres obersten Umweltaktivisten Markus Söder, der ohne jeden
Sinn für unfreiwillige Komik vorgeschlagen hat, die Belastungen
durch die CO2-Steuer sollten durch eine Erhöhung der
Pendlerpauschale kompensiert werden. Wer also mit dem Auto zur Arbeit
fährt, wird zunächst an der Tankstelle zur Kasse gebeten, um das
Geld dann über die Steuererklärung wieder zurückzubekommen.

2.

Sollte die CO2-Steuer tatsächlich ökologisch
einen nennenswerten Effekt haben, müsste sie hoch genug sein, um den
Konsum aller energieintensiven Waren und Dienstleistungen massiv
einzuschränken. Das beträfe dann allerdings fast die gesamte
Palette des Konsums, angefangen beim Autoverkehr und der Heizung,
über den Flugverkehr bis hin zu den meisten Industrie- und
Agrarprodukten. Natürlich wird das nicht geschehen. Und zwar nicht
einfach deshalb, weil die Interessenverbände der Industrie und der
Wirtschaft das mit allen Mitteln zu verhindern suchen (das tun sie
selbstverständlich), sondern weil keine relevante politische Partei
sich an der inneren Logik eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems
versündigen wird, das seinem Wesen nach auf dem Imperativ des
endlosen ökonomischen Wachstums beruht. Dieser Wachstumszwang
resultiert daraus, dass im marktwirtschaftlichen System die
Produktion gesellschaftlichen Reichtums aufs Ganze gesehen nur einem
einzigen Zweck unterliegt: dem Zweck, aus Geld mehr Geld zu machen.
Das Geld ist aber Ausdruck einer historisch ganz spezifischen Form
gesellschaftlichen Reichtums. Es repräsentiert abstrakten
Reichtum,
Reichtum, der sich gleichgültig verhält gegenüber
den stofflich-konkreten Grundlagen und Bedingungen seiner Produktion.
Was zählt, ist allein, dass der Mechanismus der Geldvermehrung, also
die Akkumulation von Kapital, in Gang bleibt, denn an ihm hängt die
gesamte Gesellschaft wie der Junkie an der Nadel.

Die Produktion abstrakten Reichtums hat jedoch
immer auch eine konkret-stoffliche Seite. Es werden Güter
produziert, Transporte getätigt, Maschinen in Gang gesetzt,
Rohstoffe geschürft, Wälder gerodet, und dabei wird natürlich
immer auch Arbeitskraft vernutzt. All dies ist aber immer nur Mittel
für den eigentlichen Zweck der Produktion. Die
stofflich-konkrete Welt ist also der Produktion des abstrakten
Reichtums untergeordnet. Und hiermit sind wir auch schon beim Kern
des Problems. Denn anders als in der stofflich-konkreten Welt gibt es
in der Welt des abstrakten Reichtums keine Grenzen. In ihr regiert
das Gesetz der endlosen Vermehrung. Hat eine Summe Kapital einen
Gewinn abgeworfen, fungiert dieser in der nächsten Periode selbst
als Kapital und muss seinerseits Gewinn erzeugen, der dann auch
wieder investiert werden muss, und so weiter und so fort. Es liegt
auf der Hand, dass diese Zwangsdynamik nicht kompatibel ist mit der
natürlichen Begrenztheit der stofflich-konkreten Welt. Vielmehr
läuft die Produktion abstrakten Reichtums zwangsläufig darauf
hinaus, die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören. Je weiter
sich die kapitalistische Produktionsweise auf dem gesamten Globus
durchsetzt hat und je weiter sie expandiert, desto schneller
schreitet auch diese Zerstörung voran. Denn der Hunger der
abstrakten Reichtumsproduktion nach stofflichen Ressourcen wächst in
exponentiellem Maßstab an. Das ist keine neue Einsicht. Schon im 19.
Jahrhundert wiesen einige Autoren darauf hin – darunter auch ein
gewisser Karl Marx. Und spätestens seit im Jahr 1972 der erste
Bericht des Club of Rome erschien, ist die Erkenntnis, dass es
„Grenzen des Wachstums“ gibt, auch ins allgemeine Bewusstsein
durchgedrungen.

Dass trotzdem immer so weiter gemacht wird, als
sei das alles eine Fußnote der Geschichte, liegt nicht an der
Unfähigkeit der Politik oder an ihrem Unwillen, die Erkenntnisse der
Wissenschaft ernst zu nehmen, wie viele in der Fridays for
Future-Bewegung meinen. Der Grund ist vielmehr das ungeheure
Beharrungsvermögen einer gesellschaftlichen Produktions- und
Lebensweise, die sich mittlerweile auf der gesamten Welt durchgesetzt
hat und daher als alternativlos erscheint. Denn auch wenn die
allermeisten Menschen über kein Kapital verfügen, sind sie doch
genauso darauf angewiesen, dass der Akkumulationsprozess in Gang
bleibt. Um unter den herrschenden Bedingungen zu überleben, müssen
sie entweder ihre Arbeitskraft verkaufen oder hängen auf andere
Weise von Geldflüssen ab, etwa in der Gestalt von Sozialleistungen,
die aber auch aus dem Kreislauf des Kapitals gespeist werden müssen.
Deshalb drehen sich auch die meisten Interessenkämpfe um die
Verteilung von Geld und setzen den dahinterstehenden Mechanismus als
selbstverständlich voraus. Das ist der tiefere Grund, weshalb das
Wirtschaftswachstum den Status einer Religion genießt und nur von
gesellschaftlichen Minderheiten ernsthaft in Frage gestellt wird. Und
das liegt nicht daran, dass die Menschen mehrheitlich dumm oder
borniert wären. Sie wissen einfach nur sehr genau, dass unter den
herrschenden Bedingungen eine Schrumpfung der Wirtschaft nichts Gutes
für sie bedeuten würde.

Ein konsequenter und zeitnaher Umbruch der
energetischen Basis wäre ein so gravierender Einschnitt, dass er
sich insbesondere in den kapitalistischen Zentren gar nicht ohne
schwerste ökonomische, soziale und politische Verwerfungen
durchsetzen ließe. Denn die massive Entwertung bestehender
Industrieanlagen und Infrastrukturen würde einen wirtschaftlichen
Schock auslösen und eine schwere Krise nach sich ziehen, deren
Kosten zudem sehr ungleich verteilt wären. Sie träfe vor allem jene
Regionen und Bevölkerungsteile, die in besonderem Maße von den
fossilen Industrien und Strukturen abhängig sind. Hinzu kämen noch
die gewaltigen Kosten auf der Konsumseite. Millionen von
konventionellen PKWs würden faktisch entwertet, Wohnhäuser müssten
massenhaft neue Heizungen erhalten und wärmegedämmt werden, während
gleichzeitig die Preise für praktisch alle Lebensmittel und
Konsumgüter in die Höhe schössen. Auch hiervon wären wieder vor
allem Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen betroffen, die
über keine finanziellen Spielräume verfügen.

3.

Wenn also die Gegner der CO2-Steuer diese als
„unsozial“ brandmarken, dann haben sie durchaus starke Argumente
auf ihrer Seite. Natürlich sind das ganz überwiegend Leute, denen
die „soziale Frage“ sonst vollkommen egal ist und die sie hier
nur aus durchsichtigen politischen und ideologischen Motiven
instrumentalisieren. Dennoch verweisen sie auf ein durchaus ernst zu
nehmendes Problem. Die ohnehin bestehenden sozialen und regionalen
Disparitäten würden sich zweifellos deutlich vergrößern, und
damit verschärften sich auch die gesellschaftlichen
Verteilungskonflikte, wie jetzt schon an den Protesten der Gelbwesten
deutlich wurde. Hinzu kommt noch, dass der Streit um die Klimapolitik
längst schon ideologisch und identitätspolitisch aufgeladen ist und
die Gesellschaft polarisiert. Die Leugnung oder totale Relativierung
des Klimawandels gehört nicht zufällig zum Kernbestand der
rechtspopulistischen Ideologie. Denn diese stellt wesentlich eine
regressive Reaktionsform auf die Erfahrung dar, dass die
westlich-weiße Vorherrschaft auf der Welt an ihre Grenzen stößt.
Deshalb hasst die rechtspopulistische Gefolgschaft mit besonderer
Inbrunst alle jene, die sie an den Verlust ihrer vermeintlich
selbstverständlichen Privilegien erinnern. Neben den Flüchtlingen
sind das nicht zuletzt die Klimaschützer*innen, die sich dagegen
wenden, die Kosten des Lebensstils in den kapitalistischen Zentren
auf die übrige Welt und die kommenden Generationen abzuwälzen.

Aus dieser angespannten politischen und
gesellschaftlichen Situation erklärt sich, weshalb der politische
Diskurs unter dem Druck der Fridays for Future-Bewegung die Forderung
nach einer CO2-Steuer zwar aufgegriffen hat, aber nur, um sie
sogleich wieder auf ein homöopathisches Maß herunter zu
dimensionieren. Auch die Grünen machen da keine Ausnahme. Sie treten
jetzt schon auf die Bremse und werden das erst recht tun, wenn sie
wieder an die Regierung gelangen sollten. Gemessen an dem engen
Spielraum politischen Handelns unter kapitalistischen Bedingungen ist
das durchaus rational; denn eine Regierung, die anders handelte,
würde eine unkontrollierbare gesellschaftliche Konfliktdynamik
auslösen und binnen kürzester Zeit gestürzt. Das wissen im Grunde
auch diejenigen, die sich für eine konsequent hohe CO2-Steuer
einsetzen. Sie verdrängen es jedoch mit der Behauptung, diese sei
durchaus mit Wachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze
kompatibel; es handle sich lediglich um ein Steuerungsinstrument, um
die marktwirtschaftlichen Aktivitäten in eine neue Richtung zu
lenken und auf „nachhaltige“ Energieformen umzustellen. Angeblich
soll es sogar möglich sein, mit solchen und ähnlichen Maßnahmen
eine „ökologische Marktwirtschaft“ durchzusetzen.

Im Prinzip teilen fast alle Ökonomen die Ansicht,
dass sich Marktwirtschaft und Ökologie versöhnen ließen, wenn man
es nur politisch geschickt anstelle. Gestritten wird lediglich
darüber, welche Maßnahmen besser zum Ziel führten. Besonders
angepriesen wird der Handel mit Emissionszertifikaten als Alternative
oder Ergänzung zur CO2-Steuer. Doch zum einen gibt es diesen ja
schon seit fast 15 Jahren auf EU-Ebene, wo er sich als ein ziemlicher
Flop erwiesen hat, was ihre Anhänger natürlich immer nur auf die
fehlerhafte Anwendung zurückführen. Zum anderen bewegt sich auch
diese Maßnahme, selbst wenn sie einmal einigermaßen funktionieren
sollte, in dem gleichen Dilemma wie die CO2-Steuer. Wäre der Preis
für die Zertifikate hoch genug, um eine ernsthafte Wirkung auf den
CO2-Ausstoß zu haben, würde er das „Wachstum“, also die Dynamik
der Kapitalakkumulation abwürgen. Und das darf natürlich nicht
sein, weshalb es auch nicht verwundert, dass der Preis pro Tonne CO2
derzeit bei nur 25 Euro liegt. Und schließlich stellt sich ohnehin
die Frage: Wenn die Regierungen in der Lage sind, den CO2-Ausstoß
der Unternehmen zu kontrollieren, warum schreiben sie dann nicht
gleich entsprechende Grenzwerte vor, statt diese über den absurden
Umweg eines höchst undurchsichtigen Marktes herstellen zu wollen?

Wenn überhaupt, sind es innerhalb der
kapitalistischen Logik immer nur solche direkten staatlichen
Vorgaben, die eine gewisse Wirkung erzielen können. Dagegen bedeutet
der Versuch, beim Preismechanismus anzusetzen, immer nur einen Umweg
zu nehmen, der bestenfalls minimale Wirkungen und immer negative
Nebenwirkungen erzeugt. Das gilt für die CO2-Steuer und die
Emissionszertifikate genauso wie für die Vorstellung, die
Produktionsweise ließe sich durch eine mit moralischem Druck
bewirkte Veränderung des individuellen Konsumverhaltens verändern.
Populär sind solche Ideen nur deshalb, weil sie sich in die
hegemoniale Ideologie einfügen, wonach der Markt durch die Summe der
Entscheidungen von angeblich souveränen Individuen und Unternehmen
gesteuert werde. Tatsächlich liegt jedoch der Antriebsmechanismus
der kapitalistischen Dynamik in der Akkumulation von Kapital und
damit in der Sphäre der Produktion, während Kaufentscheidungen
immer nachgelagert und von dieser Dynamik abhängig sind.

4.

Grundsätzlich ist die Vorstellung einer
„ökologischen Marktwirtschaft“ nichts anderes als eine
Seifenblase. Zwar kann der Kapitalismus prinzipiell in vielfältiger
Weise reguliert und „eingehegt“ werden, auch wenn das im
Zeitalter der Globalisierung immer schwieriger wird. (Ein „freier
Markt“ ohne Regulierung existiert nur in den Horror-Phantasien der
Hardcore-Liberalen; es hat ihn nie gegeben und es kann ihn nie
geben.) Aber die Grundlogik des Wachstumszwangs, die auf dem
Selbstzweck der Kapitalakkumulation beruht, lässt sich nun einmal
nicht wegregulieren, weil sie den Wesenskern des
marktwirtschaftlichen Systems ausmacht. Selbst wenn es also
tatsächlich gelänge, die energetische Basis kurzfristig
umzustellen, würde das die Wucht der ökologischen Zerstörung
bestenfalls ein wenig abbremsen und auf andere Gebiete verschieben.
Schon jetzt werden quer durch die Bank so ziemlich alle Ressourcen
knapp, das Trinkwasser und sogar der Sand als Grundstoff für die
Bauindustrie. Und wenn tatsächlich der Individualverkehr auch nur
größtenteils auf Elektromobilität umgestellt würde, würde das zu
extremen Engpässen bei der „nachhaltigen Stromproduktion“ führen
und außerdem den ohnehin erbitterten Kampf um die knappen, aber
notwendigen Rohstoffe wie Lithium und die „seltenen Erden“ weiter
anfachen. Alle diese Beispiele verweisen letztlich nur auf den
unauflöslichen Grundwiderspruch, dass ein Produktions- und
Wirtschaftssystem, das auf dem Imperativ der endlosen
Kapitalakkumulation beruht, einfach nicht kompatibel ist mit der
natürlichen Begrenztheit der Welt.

Befinden wir uns also in einer Sackgasse? Ist die
Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen unvermeidlich? Ja, aber
nur, wenn wir die Logik des kapitalistischen Systems als unumstößlich
akzeptieren. Wenn wir es jedoch wagen, sie grundsätzlich infrage zu
stellen und praktisch zu durchbrechen, eröffnen sich neue
Perspektiven. Die Alternative zur Marktwirtschaft kann dabei
selbstverständlich nicht eine staatliche Planwirtschaft sein, wie
wir sie aus den Zeiten des glücklicherweise verblichenen
„Realsozialismus“ kennen. Denn der war nichts anderes als ein
autoritär strukturierter, staatlich organisierter Kapitalismus. Auch
hier stand die Produktion des abstrakten Reichtums im Mittelpunkt,
nur bildeten sich Preise, Löhne und Gewinne nicht auf dem Markt,
sondern wurden von der staatlichen Planungsbehörde vorgegeben. Und
auch hier war das Wirtschaftswachstum der Maßstab des Erfolgs, nur
dass die staatlichen Strukturen einfach zu starr und behäbig waren,
um mit dem Westen mithalten zu können, den sie eigentlich bloß im
Ausmaß der Umweltzerstörung übertrafen.

Die Frage, die sich heute stellt, ist nicht die
nach mehr oder weniger Staat oder Markt. Sie geht weit über diese
falsche Alternative hinaus. Die notwendige gesellschaftliche
Transformation hat einen viel grundsätzlicheren Charakter. Sie
betrifft nicht nur „die Wirtschaft“ und ihr Verhältnis zur
„Ökologie“, sondern zielt auf einen weiten, qualitativ
bestimmten Begriff von gesellschaftlichem Reichtum. Dieser schließt
zwar einerseits die Orientierung auf den stofflichen Reichtum ein,
bedeutet also notwendig eine Aufhebung der abstrakten
Reichtumsproduktion. Andererseits darf gesellschaftlicher Reichtum
nicht auf die materielle Güterproduktion im engeren Sinne reduziert
werden. Gesellschaftlicher Reichtum bedeutet auch und vor allem:
Reichtum an sozialen Beziehungen, bedeutet die Möglichkeit, sich
frei entscheiden zu können, in welcher Weise man gesellschaftlich
tätig sein will. Es sind Städte, Ortschaften und Landschaften, in
denen die Menschen sich wohlfühlen; es ist der Erhalt der
natürlichen Umwelt und vieles anderes mehr.

Die Transformation der gesellschaftlichen
Reichtumsform schließt aber auch eine grundlegende Transformation
der gesellschaftlichen Beziehungsform mit ein. Es geht um ein völlig
anderes Verhältnis der Menschen untereinander, zu ihrem
gesellschaftlichen Zusammenhang und zur natürlichen Umwelt. In der
kapitalistischen Gesellschaft treten sich die Menschen als
vereinzelte Einzelne gegenüber, die allesamt ihre partikularen
Interessen gegeneinander verfolgen. Ihr Verhältnis ist das der
allgemeinen Konkurrenz und der wechselseitigen Fremdheit; zugleich
erscheint ihnen auch ihr gesellschaftlicher Zusammenhang als
äußerlicher, fremder Gegenstand, zu dem sie sich instrumentell
verhalten, so wie sie selbst ja nur Mittel im Dienste der abstrakten
Reichtumsproduktion sind. Ausdruck davon ist die Verwandlung fast
aller Beziehungen in Warenbeziehungen, was jeden und jede Einzelne
dazu zwingt, sich ständig auf Marktfähigkeit und Verkäuflichkeit
zu trimmen. Die Gleichgültigkeit der Menschen gegeneinander sowie
gegenüber der Gesellschaft und den natürlichen Lebensgrundlagen ist
also ein Strukturprinzip des Kapitalismus. Die Alternative dazu kann
nur eine Gesellschaft sein, die auf den Prinzipien der freien
Kooperation und der Selbstorganisation beruht und in der
Individualität nicht auf Abgrenzung und Selbstbehauptung beruht,
sondern die individuelle Entfaltung jedes und jeder Einzelnen die
Voraussetzung für die individuelle Entfaltung aller anderen ist.

5.

Das mag utopisch klingen, doch im Grunde ist der
Boden dafür längst schon bereitet. Denn die kapitalistische
Gesellschaft hat nicht nur gewaltige Gefahren und Bedrohungen
hervorgebracht, sondern auch Potentiale, die in die oben gezeigte
Richtung weisen. Allerdings können diese Potentiale nur in bewusster
Frontstellung gegen die marktwirtschaftliche Logik verwirklicht
werden. Denn andernfalls werden sie nicht nur neutralisiert, sondern
verwandeln sich sogar in Triebkräfte für die weitere Beschleunigung
der kapitalistischen Dynamik und der Zerstörung der natürlichen
Lebensgrundlagen.

In besonderem Maße gilt das für die zunehmende
Bedeutung der Produktivkraft Wissen für die Gesellschaft und die
Reichtumsproduktion. Sinnvoll angewendet, würde sie es nicht nur
ermöglichen, die für die Güterproduktion aufgewandte Zeit
allgemein radikal zu reduzieren und trotzdem alle Menschen auf der
Welt (und zwar wirklich alle) mehr als ausreichend mit stofflichem
Reichtum zu versorgen. Sie birgt auch das Potential für eine
ressourcenschonende und ökologisch verträgliche Produktion. Ein
Beispiel: Durch eine umfassende Dezentralisierung der
Produktionskreisläufe bei gleichzeitiger globaler Kooperation
(freier Fluss des Wissens, Austausch der nicht regional verfügbaren
Ressourcen etc.) würden nicht nur die Transportwege auf das nötige
Mindestmaß verkürzt, sondern die Produktionszusammenhänge und
Ressourcenflüsse wären auch viel überschaubarer und einer
bewussten Steuerung leichter zugänglich.

Unter dem Diktat der kapitalistischen
Rentabilitätslogik geschieht jedoch das genaue Gegenteil. So wurde,
zum ersten, zwar die Arbeitszeit in den industriellen Kernsektoren
extrem reduziert, aber nur um massenhaft Arbeitskräfte „überflüssig“
zu machen und in prekäre Arbeitsverhältnisse abzudrängen, während
die verbliebenen einem umso intensiveren Leistungsdruck ausgesetzt
sind. Zweitens ist die Produktion nur in einem negativen Sinne
„dezentralisiert“ worden, insofern nämlich die verschiedenen
Produktionsabschnitte nach Kostenkriterien über den gesamten Globus
verteilt wurden, was nicht nur mit einer extremen Ausbeutung der
Arbeitskräfte in der Peripherie einhergeht, sondern auch allein
wegen des gewaltigen Transportaufwands unter ökologischen
Gesichtspunkten katastrophal ist. Und drittens schließlich sind
viele umweltfreundliche und dezentral anwendbare Technologien
entweder verworfen worden, weil sie nicht „rentabel“ waren, oder
wurden gleich von interessierten Unternehmen entsorgt, um sich so vor
der Konkurrenz zu schützen.

In ähnlicher Weise werden beispielsweise die
Fähigkeiten zur Kooperation und zum selbstständigen Arbeiten, die
in den modernen Unternehmen immer wichtiger geworden sind, ständig
durch die allgegenwärtige Konkurrenz und den Leistungsdruck sowie
den permanenten Zwang zur „Marktfähigkeit“ konterkariert (was
sich nicht zuletzt in einer starken Zunahme psychischer Leiden
niederschlägt). Oder es ist die an sich vernünftige Idee, nicht
alle möglichen Güter zu besitzen, sondern sie zu teilen und
gemeinsam zu nutzen, innerhalb kürzester Zeit in ein neues
Geschäftsfeld verwandelt worden, das den Grundgedanken der Sharing
Economy in ihr glattes Gegenteil verwandelt hat. So hat
beispielsweise Uber die ohnehin schon prekären Arbeitsbedingungen im
Transportgewerbe noch einmal verschlechtert und im Übrigen nicht
etwa zur Reduzierung, sondern zur Zunahme des Autoverkehrs in den
Städten beigetragen, weil viele Leute sich lieber von einem
Dienstleistungssklaven chauffieren lassen als die U-Bahn oder den Bus
zu nutzen. Und schließlich ist auch das Internet längst schon in
ein riesiges Geschäftsfeld für die Unterhaltungsindustrie, die
Werbebranche und die unterschiedlichsten kriminellen Machenschaften
sowie in ein gigantisches Überwachungsinstrument verwandelt worden,
während die darin enthaltenen (und anfangs euphorisch gefeierten)
Potentiale für eine global vernetzte Kooperation und den freien
Fluss des Wissens nur noch in Nischen genutzt werden.

6.

Die Aufzählung ließe sich fast endlos
fortsetzen. Sie verweist auf die ungeheure Flexibilität und
Attraktionskraft der kapitalistischen Logik, der es immer wieder
gelungen ist, widerstrebende Tendenzen und Impulse zu integrieren und
für die Fortsetzung der eigenen Akkumulationsdynamik nutzbar zu
machen. Allerdings gibt es immer auch Einzelne, Gruppen und
Initiativen, die sich dieser Logik widersetzen, auch wenn diese in
der Regel randständig bleiben und erst im Rahmen von starken
sozialen Bewegungen an Bedeutung gewinnen können. Hinzu kommt noch
ein Weiteres. Zwar verfügt das kapitalistische System über eine
ungeheure Fähigkeit, die Grenzen seiner Existenz immer wieder
hinauszuschieben, aber der Preis dafür ist eine Verschärfung des
Krisenpotentials und der damit einhergehenden Zerstörungswucht. Das
betrifft nicht nur den unauflöslichen Widerspruch zwischen dem Drang
zur endlosen Kapitalakkumulation und der natürlichen Begrenztheit
der Welt, der durch symbolische Maßnahmen wie eine CO2-Steuer oder
andere Ersatzhandlungen wie die Moralisierung des Konsums so lange
verdrängt wird, bis er ein Ausmaß erreicht, das tatsächlich die
menschlichen Lebensbedingungen auf der Erde infrage stellt.

Auch auf der Ebene der ökonomischen Dynamik stößt
der Kapitalismus mittlerweile an seine historischen Grenzen. Denn die
umfassende und systematische Automatisierung und Digitalisierung der
Produktion seit den 1980er-Jahren zog nicht nur eine enorme Erhöhung
des Arbeits- und Leistungsdrucks nach sich, sondern hatte auch
gewaltige Auswirkungen auf die Selbstzweckbewegung der
Kapitalverwertung. Da diese wesentlich auf der Anwendung von
Arbeitskraft in der Warenproduktion beruht, löste deren massenhafte
Verdrängung zwangsläufig einen fundamentalen Krisenprozess aus, der
bis heute anhält. Zwar hat auch hier wieder das kapitalistische
System seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, die eigenen
Widersprüche zu verdrängen; der Schwerpunkt der Kapitalakkumulation
wurde auf die Ebene der Finanzmärkte verlagert, wo das fiktive
Kapital, also der Vorgriff auf „zukünftigen Wert“ in der Gestalt
von Anleihen, Aktien und anderen Finanzmarktpapieren seit bald
vierzig Jahren den Takt der Weltwirtschaft vorgibt. Doch auch wenn es
so gelang, die historischen Grenzen der Kapitalakkumulation noch
einmal zu verschieben, ist der Preis dafür doch eine Vervielfachung
des Krisenpotentials, das sich in wiederkehrenden Finanzmarktkrisen
entlädt. Da jeder dieser Krisenschübe aber mit schöner
Regelmäßigkeit durch die „Produktion“ von noch mehr fiktivem
Kapital gelöst wird, also durch die Anhäufung von noch mehr
Sprengstoff, fällt zwangsläufig jede nachfolgende Explosion umso
heftiger aus. Schon jetzt zeichnet sich der nächste Crash an den
Finanzmärkten ab, der die ökonomischen, sozialen und politischen
Auswirkungen der Krise von 2008 bei Weitem in den Schatten stellen
wird.

7.

Für sich genommen, ist also die Tatsache, dass
die kapitalistische Dynamik in mehrfacher Hinsicht an ihre
historischen Grenzen stößt, keine gute Nachricht. Denn das
kapitalistische System bricht nicht einfach zusammen und verschwindet
im Nichts, vielmehr entfaltet es in dem Versuch, seine eigene
Existenz zu verlängern, noch einmal eine ungeheure Zerstörungsgewalt
und hinterlässt, wenn es nicht daran gehindert wird, die Erde als
verwüstetes Feld. Verhindern kann das nur eine globale Bewegung, die
sich entschlossen gegen die kapitalistische Logik stellt und zugleich
das Terrain für eine selbstorganisierte, kooperative Gesellschaft
jenseits der abstrakten Reichtumsproduktion erkämpft.

Der Weg in eine solche Gesellschaft führt nicht
über die Parlamente, aber auch nicht über die klassische Revolution
der bürgerlichen Epoche nach dem Muster von 1789 oder 1917. Denn
diese zielte immer schon darauf, den Gewaltapparat des Staates zu
okkupieren, um ihn als Agentur für eine gesellschaftliche
Transformation von oben zu nutzen, und reproduzierte damit nur das
bestehende Herrschaftsverhältnis, statt es aufzuheben. Eine
kooperative, selbstorganisierte Gesellschaft beruht jedoch auf dem
Prinzip der freiwilligen Assoziation der gesellschaftlichen
Individuen und kann daher nicht von oben verordnet, sondern nur von
einer globalen Emanzipationsbewegung in einer konfliktreichen
Auseinandersetzung mit der bestehenden Gesellschaft entwickelt
werden. Die Spielräume dafür müssen aber erkämpft werden: durch
die Aneignung der nötigen Ressourcen (Grund und Boden, Gebäude,
Produktions- und Kommunikationsmittel etc.) für den Ausbau der
eigenen Strukturen und durch das aktive Zurückdrängen der
abstrakten Reichtumsproduktion und ihrer ebenso imperialen wie
destruktiven Dynamik.

Entscheidend wird dabei natürlich auch der Kampf
um die Deutungshoheit in der Gesellschaft sein. Die beiden Gegner
sind klar definiert. Das ist einerseits die liberale Simulations- und
Postpolitik, die unter der Berufung auf „Sachzwänge“ das
marktwirtschaftlich-kapitalistische System für alternativlos erklärt
und allenfalls zu ein paar kosmetischen Korrekturen bereit ist. Und
es ist andererseits die Neue Rechte, die sich als Gegenmodell zum
Liberalismus profiliert, obwohl sie nur dessen regressives
Spiegelbild darstellt und für eine autoritäre, rassistische und
offen gewalttätige Zuspitzung der Krisendynamik steht. Dazwischen
jedoch liegt ein breites und heterogenes Feld von Diskursen,
Bewegungen und Initiativen, aus dem sich eine gesellschaftliche
Gegenmacht bilden könnte, wenn eine neue Perspektive
gesellschaftlicher Emanzipation sichtbar und praktisch greifbar wird
und eine synthetisierende Kraft entfaltet.

Die Fridays for Future-Bewegung birgt durchaus die
Potentiale, zur Initialzündung einer solchen Gegenmacht zu werden.
Sie hat ein Bewusstsein für die existentielle und weltweite
Dimension der Krise, sie ist global vernetzt und nicht-hierarchisch
organisiert, sie will die Gesellschaft praktisch verändern – und
sie hat die wichtige Erfahrung gemacht, dass sie mit entschlossenem
Druck von unten gesellschaftlich und politisch etwas bewegen kann.
Ihre Schwäche besteht allerdings darin, dass sie mit ihrer Kritik
und ihren Forderungen bisher noch ganz im Rahmen der herrschenden
gesellschaftlichen Funktionsweise verbleibt und politisch vor allem
die besonders konsequente Anwendung der CO2-Steuer und von ähnlichen
politischen Instrumenten fordert sowie den Konsumverzicht propagiert.
Damit bewegen sich die Protestierenden aber in einem Diskursfeld, in
dem sie nur verlieren können, denn es ist ein Leichtes nachzuweisen,
dass diese Forderungen mit der marktwirtschaftlichen Systemlogik
nicht kompatibel sind. Will die Fridays for Future-Bewegung in der
Offensive bleiben, muss sie daher dazu übergehen, diese Logik
radikal infrage zu stellen. Tut sie es nicht, wird sie dabei zusehen
müssen, wie ihr Protest gegen den Klimawandel in eine Lizenz zum
Klimakillen verwandelt wird.