Verschärfung als Enthemmung
von Franz Schandl
Exemplarisch dazu einige Bemerkungen zu dem aktuell gehypten Band „Die autoritäre Revolte“ von Volker Weiß.
Gleich zu Beginn seiner Studie schreibt der Historiker: „Mittlerweile zeitigt das Bestreben nach Emanzipation im Zuge der Moderne weltweit eine Gegenbewegung. Ob europäische, russische, islamische oder neuerdings auch amerikanische Wiedergeburt, die Rückkehr von Autorität und Religion in die Politik vollzieht sich überall in enormer Geschwindigkeit.“ (S. 11) Dem ist so. Doch warum ist dem so? Was manifestiert sich hier? Warum ticken so viele so, sodass diese Angebote laufend Zustrom erhalten?
Zur AfD heißt es: „Ihre tatsächlichen Erfolge verdankte sie dementsprechend weniger wirtschaftspolitischen Positionen, sondern einer hemmungslosen Agitation vor allem gegen Flüchtlinge, aber auch gegen Homosexuelle und ‚Gutmenschen‘.“ (S. 91) „Mit der Auseinandersetzung um Sarrazin waren die Hemmschwellen fraglos gesunken.“ (S. 24) Ziemlich oft ist die Rede von „Hemmschwellen“ und „Hemmungslosigkeit“, doch nie ist die Rede von der Hemmung selbst. Was macht diese aus und warum ist sie jetzt brüchig? Auffallend ist die Abwesenheit der zentralen Fragen. So auch bei Volker Weiß.
Über die Substanz der autoritären Revolte erfahren wir wenig. Einmal mehr ersetzt da Empirie die Analyse. Wer mit wem, wer wen kennt, wer wen mag, wer woher kommt, wer wo schreibt und wer wo war. Das alles ist nicht uninteressant, aber allzu viel her gibt es nicht. Man weiß dann zwar, was sich so tut, aber eigentlich nicht, was sich weswegen entwickelt. Der Band ist noch dazu jenseits jeder Spannung, ein trockenes Aufzählen von Ereignissen und Fakten, gleich einem etwas aufgelockerten Protokoll oder einer kommentierten Materialsammlung. In dieser Länge wirken solche Erzählungen ermüdend.
Heil Heidegger?
Am informativsten sind noch die Passagen über die Identitäre Bewegung (IB). „Gezielt pflegt sie ein subkulturelles Image, wählt provokative Aktionsformen und arbeitet routiniert mit popkulturellen Codes.“ (93) „Das Propagandamaterial der IB , Flyer, Aufkleber und Plakate, folgt den Prinzipien moderner Werbung: griffig, provokant und vor allem wiedererkennbar.“ (107) Zweifellos haben sie Biederkeit gegen Provokation getauscht, erscheinen dadurch moderner als sie sind. Retro war gestern.
Im Prinzip bedeutet das natürlich auch, dass diverse kulturindustrielle Codes keiner Erbpacht unterliegen. Das Spektakel, der Aktionismus, aber auch die Popkultur insgesamt sind alles andere als originär links oder in einer imaginierten Mitte angesiedelt. Die gezielte Provokation ist Allgemeingut der Public Relations, eine spezifische Formationstechnik der Kulturindustrie. Bewusst eingesetzte Skandalisierung ist Teil diverser Werbestrategien.
So kaprizieren sich diese jungen Rechten auf eine „Aura der Revolte.“ (S. 137) Fehlen darf auch nicht „Fantasty-Ästhetik im Stile der Tolkien-Verfilmungen, viel Naturromantik, Bauernkitsch sowie Wald und Gebirge im Zwielicht“ (111), dazu „Poster mit Nietzsche, Heidegger, Jünger und Spengler“ (110). Als der zentrale identitäre Vordenker gilt Martin Heidegger. Das Buch der IB-Aktivisten Martin Sellmer und Walter Spatz „Gelassen in den Widerstand. Ein Gespräch über Heidegger“, ist eine wahre Hommage an den deutschen Meisterdenker. Dort heißt es auch: „Unser Ziel ist die geistige Verschärfung. Wir wollen die Herzen in Brand setzen, etwas in Bewegung bringen, die entscheidenden Fragen erneut, tiefer und mit politischen Folgen stellen. Die geistige Unruhe, der schlafende Furor teutonicus, das ewig unzivilisierbare, urdeutsche Fieber, das uns aus germanischen Urwäldern wie aus gotischen Kathedralen entgegenstrahlt, versammelt sich in uns. Unsere Gegner wissen das, und sie haben Angst. Sie wissen von der Möglichkeit der spontanen Eruption und Regeneration. Und sie wissen, dass wir nicht mehr in ihre Fallen laufen, dass wir ihren Schablonen und ihren Gängelbändern entwachsen sind.“ Leser werden zur Tat angestiftet, denn „wir leben in der Zeit der Entscheidung.“ (zit. nach S. 116) Diese Rechte möchte nicht bloß emotionalisieren, sondern sich auch intellektualisieren.
Der Wert als Matrize
In einem Punkt freilich treffen sich Forscher und Gegenstand unvermutet wieder: in der Mitte des Abendlands. „’Abendland‘ hat eine wechselhafte Geschichte“, schreibt Weiß, „in der mit dem Wort mehr ein Mythos als eine politische Realität bezeichnet wurde, und war diversen Zwecken unterworfen. Dennoch erstaunt es nicht, dass der Begriff bis heute eine gewaltige Macht entfalten kann. Er ist verständlich und vielfältig aufgeladen: Hier die Welt der Vernunft, der Wissenschaft und des selbstbewussten Individuums, dort die des Affekts, der Religion und der amorphen Masse. Hier Kultur, dort Barbarei, hier das zu Schützende, dort die Bedrohung.“ (S. 156)
Doch des Autors Denkmuster sind ganz ähnlich, vor allem bedient Weiß sich selbst eines straffen Dualismus, nur zieht er eben die Grenze anders als die Kritisierten. Demnach gelte es „offensiv den Wertekonflikt zu wagen“ (S. 245). „Die Linke hatte im Kulturrelativismus die eigenen Werte vergessen,“ (S. 247) behauptet er. Auch das nächste Zitat offenbart alles andere als eine substanzielle Diskrepanz: „Die Verhüllung des Frauenkörpers ist nicht der Fetisch ihrer Kritiker, sondern ihrer Befürworter“ (S. 150), so Weiß.
Aber codiert und punziert wird der Frauenkörper auch in unseren Gefilden. Es sind verschiedene (nicht gleichzusetzende!) Chiffren, die Frauen auf bestimmte Verhüllungen und Enthüllungen, Kleidungen und Verkleidungen festlegen. Die westliche Frau als frei und die moslemische als unfrei zu beschreiben, folgt doch einem sehr einfachen Weltbild. Der Zwang zur Maske äußert sich hier lediglich impliziter, weniger als Vorschrift denn als Matrize. Fetischiert ist der Frauenkörper nicht bloß unter einer orientalischen Burka, sondern auch im okzidentalen Rock. Man sollte schon über alle Dispositive und deren Charakter sprechen. Asymmetrien gibt es nicht nur dort, wo ein inakzeptabler morgenländischer Chauvinismus herrscht. Die Alternative zum Kulturrelativismus ist nicht der anmaßend Universalismus genannte Kulturabsolutismus, sondern wider beide die Kulturkritik.
Insgesamt ist es ein ärgerliches Buch, das die Subordination linken Denkens unter liberale Schablonen offenherzig dokumentiert. Weiß tapeziert einmal mehr den Westen aus, kein liberales Klischee, das er nicht anzupreisen versteht. Geradezu putzig folgende Zeilen: „Denn der westliche Liberalismus hat zwar seine am meisten ausgeprägte Form unter den Bedingungen der US-amerikanischen Kultur entfalten und dabei universelle Werte hochhalten können, generierte dabei aber auch stets seine chauvinistischen Schattenseiten.“ (S. 264) Sowas! Da das keine verkürzte Kapitalismsukritik sein kann, ist es wohl schon eine ins Jenseits verlängerte. Nur solche PR ist kein Antiamerikanismus!
In keinem der vielen Populismus-Bücher darf der obligate Sermon der Demokratie fehlen, und überall findet sich ein völlig unreflektiertes Bekenntnis zu den sogenannten Werten. Es ist schon frappant, dass eine der zentralen Vokabel der neuen Debatte so gar nicht auf ihren Begriffsinhalt und dessen Bedingungen untersucht wird. Da ist keine Frage, sondern nur ein Loch, das niemand sehen will. Die Qualität der Werte liegt wohl in ihrer Verkündigung. Kein Wozu darf sie erschüttern. „Die Freiheit“ singt abermals ihr Heldenlied gegen die Andern. Mögen die Akzente auch anders gesetzt sein, in einem sind sich alle, Populisten und Antipopulisten unerschütterlich einig: Der Wert und seine Werte sind inbrünstig zu verteidigen.
Wehrt den Werten!
Volker Weiß, Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes, Klett-Cotta, Stuttgart 2017, 304 Seiten, geb. € 20,60.